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Entscheidungen

StPO

Rechtsanwalt, Verhinderung, Bestellung, Pflichtverteidiger, Beschleunigungsgrundsatz

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.01.2013 - Ws 2/13

Leitsatz: Eine Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. S. 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat.

Ist die Anhörung (§ 142 Abs. 1 S. 1 StPO) des Angeschuldigten vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unzulässig unterblieben, muss die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann, wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt.

Durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss.


Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss
Ws 2/13

In der Strafsache gegen pp.
Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin L.
Wahlverteidiger
Rechtsanwalt Alexander Funck, Freiheit 12c, 12555 Berlin
wegen Vergewaltigung

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 11. Januar 2013 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19. Dezember 2012 aufgehoben,

Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt Alexander Funck aus Berlin als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Beiordnung der Rechtsanwältin L. aus Braunschweig wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe;

I.
Das Amtsgericht Wolfenbüttel hat dem Angeschuldigten, der sich seit 31. August 2012 in Untersuchungshaft befindet, mit Beschluss vom selben Tag zunächst Rechtsanwalt W. aus Wolfenbüttel als Pflichtverteidiger beigeordnet. Auf Antrag des Angeschuldigten vom 16. November 2012 ist Rechtsanwalt W. mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 28. November 2012 entpflichtet worden; zugleich ist ihm Rechtsanwalt Jan-Robert Funck aus Braunschweig als neuer Verteidiger beigeordnet worden. Durch den angefochtenen Beschluss hat der Vorsitzende der 4. Strafkammer des Landgerichts Braunschweig nunmehr die Beiordnung von Rechtsanwalt Jan-Robert Funck aufgehoben und Rechtsanwältin L. beigeordnet. Hiergegen richtet sich die am 24. Dezember 2912 eingegangene Beschwerde des Angeschuldigtem, mit der er die Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck begehrt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.

II.
Die gemäß .§ 304 StPO statthafte Beschwerde gegen die Entscheidung des Straf- kammervorsitzenden ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 28. Dezember 2012 hierzu ausgeführt:

„Die Beschwerde des Angeschuldigten vom 23.12.2012 (Bd. 1 BI. 164-166), eingegangen am 24.12.2012 (Bd. II BI. 164), gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 19.12.2012 (Bd. II BL 151, 152) ist gem. § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Sie ist insbesondere nicht wegen § 305 S. 1 StPO unstatthaft. § 305 S. 1 StPO bezieht sich nur auf solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen und bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Überprüfung des Gerichts unterliegen, wozu die Bestellung und Entpflichtung eines Verteidigers nicht gehören, weil eine nachträgliche Berichtigung einer möglicherweise fehlerhaften Entscheidung hinsichtlich der Beiordnung bei Urteilsfällung nichts mehr bewirken und eine Überprüfung erst in der Revisionsinstanz die Verteidigungsmöglichkeiten in unzulässiger Weise beschränken würde (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 03.12.2008, 4 Ws 119/08, juris).

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, und zwar auch soweit sie gegen die Bestellung von Rechtsanwältin L. zur Pflichtverteidigerin gerichtet ist. Zwar ist eine Pflichtverteidigerbestellung für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht - wie hier - bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. S. 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.04.2010, 4 Ws 163/10).

Die Beschwerde dürfte auch in der Sache Erfolg haben.

Zwar hat das Landgericht den bisherigen Pflichtverteidiger des Angeschuldigten, Rechtsanwalt Jan Robert Funck, unter Berücksichtigung des Interesses des Angeschuldigten, vom Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden einerseits und dem Interesse an einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf unter besonderer Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen andererseits zu Recht entpflichtet, weil dieser bezüglich der überwiegenden Mehrheit der vorgesehenen Hauptverhandlungstermine verhindert gewesen wäre (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss v. 17.05.2011, 2 Ws 97-88/11, juris; Thüringer OLG, Beschluss v. 09.05.2008, 1 Ws 168/08); Meyer-Goßner, StPO, 55, Auflage, § 143 Rn. 3).

Allerdings erfolgte die Beiordnung von Rechtsanwältin L. verfahrensfehlerhaft, weil die Anhörung (§ 142 Abs. 1 S. 1 StPO) des Angeschuldigten vor der Beiordnung von Rechtsanwältin L. unzulässig unterblieben ist. In einem solchen Fall muss die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich - wie vorliegend - für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann, wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt (vgl. KG Berlin a.a.O.).

Zwar wird der zu bestellende Verteidiger von dem Vorsitzenden ausgewählt. Allerdings soll dem Angeschuldigten gern. § 142 Abs. 1 S. 1 StPO Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer von dem Vorsitzenden zu bestimmenden angemessenen Frist einen Rechtsanwalt zu bezeichnen. Gegen dieses Auswahlrecht ist vorliegend verstoßen worden. Denn dem Angeschuldigten wurde mit dem angefochtenen Beschluss Rechtsanwältin L. ohne vorherige Anhörung bestellt. Mit Schreiben des Landgerichts vom 18.12.2012 (Bd. J Bi. 143) war der Angeschuldigte vielmehr lediglich um Mitteilung gebeten worden, ob er damit einverstanden wäre, dass ihm „ggf. zusätzlich° Rechtsanwalt Alexander Funck als Verteidiger beigeordnet wird.

Bei dem als Pflichtverteidiger wie zuvor beschrieben in Aussicht gestellten Rechtsanwalt Alexander Funck handelt es sich dabei genau um den Rechtsanwalt, den der Angeschuldigte aktuell auch als Pflichtverteidiger wünscht.

Da gemäß § 142 Abs. 1 a 2 StPO der vom Angeschuldigten bezeichnete Verteidiger zu bestellen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, kommt die Sollvorschrift des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO einer Anhörungspflicht gleich, von der nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden kann (vgl. KG a.a.O.; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 18.11.2004, 1 Ws 550/041 juris).

Ein solcher Ausnahmefall lag vorliegend jedoch nicht vor,

Angesichts des nicht vor dem 14.02.2013 in Aussicht genommenen Beginns der Hauptverhandlung hätte dem Angeschuldigten - notfalls auch fernmündlich (vgl, KG Berlin a.a.O.; Meyer-Goßner § 142 Rn. 10) - auch in Anbetracht des Umstandes, dass es sich um eine Haftsache handelt, binnen einer ggf. kurz zu bemessenden Frist Gelegenheit gegeben werden können, einen Verteidiger zu benennen. Ist - wie hier - die Bestellung des Verteidigers erfolgt, ohne dass dem Angeschuldigten Gelegenheit gegeben worden ist, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, ist nach allgemeiner Ansicht für den Fall der Beiordnung nach § 140 StPO die Bestellung aufzuheben und der nunmehr bezeichnete Rechtsanwalt - vorliegend Rechtsanwalt Alexander Funck beizuordnen (vgl. KG Berlin a.a.O.

Darauf, dass der vom Angeschuldigten nunmehr bezeichnete ;Rechtsanwalt Alexander Funck nicht innerhalb der - sehr knapp - bemessenen Frist des Landgerichts nicht mitgeteilt hatte, an welchen Terminen er zur Verfügung steht, kann es bereits insoweit nicht ankommen, da dies mittlerweile nachgeholt worden ist."

Dem tritt der Senat bei. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Es steht der Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck nicht entgegen, dass er die für den Fall der Eröffnung beabsichtigten Hauptverhandlungstermine vom 14.02., 18.02. und 14.03.2013 nicht wahrnehmen kann. Zwar kann dann, sofern die in der Beschwerdeschrift vorn 23. Dezember 2012 angekündigten Bemühungen von Rechtsanwalt Alexander Funck um Verlegung des Termins vom 14.02.2013 fehlschlagen sollten, die Hauptverhandlung erst 11 Tage später beginnen. Dadurch ist der Beschleunigungsgrundsatz jedoch noch nicht beeinträchtigt, weil der spätere Beginn der Hauptverhandlung auf einem Umstand beruht, der als anderer wichtiger Grund Im Sinne von § 121 Abs.1 StPO anerkannt ist, nämlich dem Wunsch des Angeschuldigten, den Verteidiger seines Vertrauens beigeordnet zu bekommen. Zwar sind durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar (OLG Hamm NStZ-RR 2002, 124). Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren - wie hier - nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1994, 608; Senat: HEs 2/08). Bei einer Verzögerung von 11 Tagen wird dieser Zeitrahmen jedenfalls nicht überschritten.

Dass Rechtsanwalt Jan-Robert Funck mit einer in jeder Hinsicht zutreffenden Begründung entpflichtet werden musste, darf nicht dazu führen, dem Wunsch des Angeschuldigten auf Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck unberücksichtigt zu lassen. Denn die Gründe, die zur Entpflichtung des Rechtsanwalts Jan-Robert Funck führten, sind dem Angeschuldigten nicht vorzuwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 467 StPO.

Einsender: RA A. Funck, Berlin

Anmerkung:


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