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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Berufung, Staatsanwaltschaft

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 02.02.2012 - 2 Ws 91/12

Leitsatz: Zwar ist im Falle der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil dem Angeklagten im Regelfall ein Verteidiger beizuordnen, weil eine Beurteilung des Sachverhalts aufgrund einer abweichenden Beweiswürdigung oder sonstiger unterschiedlicher Beurteilung erstrebt wird. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen eine Ausnahme von diesem Regelfall anzunehmen ist. Z.B., wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel nicht einlegt, weil sie die erhobenen Beweise anders würdigt als die erste Instanz, sondern weil sie die Auffassung vertritt, das Amtsgericht habe es versäumt, bestimmte Zeugen zu vernehmen.


In pp.
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe
I. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 21.06. 2011 vor, am 01.03.2011 im Bereich ... an den gesondert verfolgten K. 0,33 g Heroin sowie 0,16 g Kokain zum Gesamtpreis von 30,00 € verkauft zu haben. Das Amtsgericht B. hat den Angeklagten nach Vernehmung des Zeugen PK M. in der Hauptverhandlung vom 13.10.2011 freigesprochen und in der Urteilsbegründung u.a. ausgeführt, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachgewiesen werden konnte, weil der Zeuge PK M. den Angeklagten als Verkäufer der Betäubungsmittel nicht wiedererkannt habe. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hatte die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 Euro beantragt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft fristgemäß Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das Gericht habe es versäumt, in der Hauptverhandlung sämtliche zur Erforschung des Sachverhalts zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen heranzuziehen, namentlich die Zeugin Ka. und den gesondert verfolgten und inzwischen rechtskräftig verurteilten Zeugen K. zu vernehmen.
Mit Schriftsatz vom 23.11.2011 hat der bereits in erster Instanz mandatierte Wahlverteidiger des Angeklagten die Pflichtverteidigerbeiordnung beantragt und zur Begründung ausgeführt, nach dem freisprechenden Urteil des Amtsgerichts sei die Sache für den Angeklagten nunmehr schwierig im Sinne des §§ 140 Abs. 2 StPO, denn es werde anhand des Hauptverhandlungsprotokolls der ersten Instanz in der zweiten Instanz der Beweiswert der einzelnen angeführten Beweismittel zu vergleichen und zu überprüfen sein.
Diesen Antrag hat die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts B. mit Beschluss vom 04.01.2012 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO nicht vorlägen. Insbesondere sei die Mitwirkung eines Verteidigers weder wegen der Schwere der Tat noch wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten. Vor dem Amtsgericht sei bislang nur ein Zeuge vernommen worden, der dort im Wesentlichen ausgesagt habe, an den Angeklagten keine Erinnerung zu haben. Demgegenüber werde die überwiegende Anzahl von Zeugen in der Berufungshauptverhandlung erstmals zu vernehmen sein.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 18.01.2012, mit der dieser geltend macht, die Schwierigkeit für den Angeklagten ergebe sich bereits aus seiner Vita; er sei erst später nach Deutschland gekommen, beherrsche die deutsche Schriftsprache nicht ausreichend und sei darüber hinaus schwer suchtkrank. Schon die Würdigung der Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft überfordere ihn aufgrund seiner Krankheit. Darüber hinaus ergebe sich die Schwierigkeit auch aus der Berufungsbegründung selbst, denn die Staatsanwaltschaft nehme Bezug auf das gegen den angeblichen Abnehmer geführte Strafverfahren, dessen Verlauf und Ergebnis; über den - notwendigen - Verteidiger werde auf die Beiziehung dieser Akte vor Vernehmung des Zeugen hinzuwirken sein.
Mit Beschluss vom 19.01.2012 hat die 5. kleine Strafkammer der Beschwerde des Angeklagten nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung des Nichtabhilfebeschlusses wird ausgeführt, dass den nunmehr angeführten Sprachproblemen gegebenenfalls durch Ladung eines Dolmetschers in die Berufungshauptverhandlung begegnet werden könne, wobei dies bislang im Hinblick darauf unterblieben sei, dass der Verteidiger im Rahmen des Telefonats mit dem Vorsitzenden zur Abstimmung des Termins zur Berufungshauptverhandlung auf Nachfrage angegeben habe, ein Dolmetscher für die Berufungshauptverhandlung werde nicht benötigt. In der Berufungsverhandlung werde die Beweisaufnahme im Wesentlichen erstmals und neu durchzuführen sein. Ein Abgleich mit Aussagen aus früheren Hauptverhandlungen im Hinblick auf mögliche Abweichungen, komme daher schon im Ansatz nicht in Betracht. Dies gelte nach den bisher vorliegenden Unterlagen aus dem Verfahren gegen den Zeugen K. auch für dessen Aussage. Die Anklageschrift in jenem Verfahren führe keine Einlassung des Zeugen K. im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen ihn auf. Auch in seiner Hauptverhandlung habe der Zeuge K. im Rahmen seiner dortigen Einlassung keine Angaben dazu gemacht, von wem er das Rauschgift erworben habe. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei schließlich auch nicht wegen der Schwere des Tatvorwurfs geboten. Die Staatsanwaltschaft habe in erster Instanz lediglich die Verurteilung zu einer Geldstrafe beantragt. Es drohten auch keine Maßnahmen im Rahmen der Bewährungsaufsicht mehr, nachdem die letzten im Rahmen von Bewährungsverfahren noch offenen Strafreste mit Wirkung vom 13.4.2010 erlassen worden seien.
Die 5. kleine Strafkammer hat Termin zur Hauptverhandlung auf den 22.02.2012 bestimmt.
II. Die Beschwerde ist nach § 304 StPO zulässig, in der Sache aber unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu Recht abgelehnt; der zutreffenden Begründung im Beschluss vom 04.01.2012 sowie im Nichtabhilfebeschluss vom 19.01.2012 tritt der Senat mit folgendem ergänzendem Bemerken bei:
Zwar ist im Falle der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil dem Angeklagten im Regelfall ein Verteidiger beizuordnen, weil eine Beurteilung des Sachverhalts aufgrund einer abweichenden Beweiswürdigung oder sonstiger unterschiedlicher Beurteilung erstrebt wird. Damit ist die Schwierigkeit der Sachlage in diesem Fall in der Regel zu bejahen. Diese Auslegung des § 140 Abs. 2 StPO entspricht der Rechtsprechung des Senats und der überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung (vgl. Senat Beschluss v. 20.03.2003 - 2 Ws 309/03; Beschluss v. 18.02.2010 - 2 Ws 104/10; OLG Düsseldorf, Wistra 1990, 323; OLG Düsseldorf, StV 00, 409; OLG Frankfurt, StV 1990, 12; OLG Hamburg, StV 93, 66; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 140, Rdnr. 26a m.w.N.).
Der vorliegende Fall ist jedoch so gelagert, dass eine Ausnahme vom Regelfall anzunehmen ist, weil der Angeklagte wegen der einfachen Sachlage keines juristischen Beistands bedarf. Die Staatsanwaltschaft hat das Rechtsmittel nicht eingelegt, weil sie die erhobenen Beweise anders würdigt als die erste Instanz, sondern weil sie die Auffassung vertritt, das Amtsgericht habe es versäumt, die Zeugen PK'in Ka. und K. zu vernehmen. Die Strafkammer hat zu der auf den 22.02.2012 anberaumten Hauptverhandlung neben dem erstinstanzlich vernommenen Zeugen PK M. auch die Zeugen PK'in Ka. und K. geladen. Damit wird nunmehr die alle Beweismittel erschöpfende Beweisaufnahme durchgeführt, die eigentlich bereits in erster Instanz sachgerecht und geboten gewesen wäre. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens war aber eine Beiordnung nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 StPO ersichtlich nicht erforderlich - und ist im Übrigen von dem Angeklagten auch nicht beantragt worden. Eine abweichende Aussage des in erster Instanz vernommenen Zeugen PK M., der den Angeklagten als Verkäufer der Betäubungsmittel nicht identifizieren konnte, ist nicht zu erwarten, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt die Beweiswürdigung keine besondere Schwierigkeit aufweist. Schließlich ist auch nicht deshalb eine notwendige Verteidigung zu bejahen, weil die Berufungsbegründung auf das gegen den Zeugen K. geführte Strafverfahren verweist. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 24.05.2011 in der Strafsache gegen den Zeugen K. kann in der Berufungshauptverhandlung genauso wie das gegen den Zeugen K. ergangene Urteil verlesen werden. Ausweislich des Protokolls hat der Zeuge die ihm zur Last gelegte Straftat umfassend eingeräumt, ohne Angaben zur Person des Verkäufers der Betäubungsmittel zu machen; auch insoweit ist eine abweichende Aussage ausgeschlossen. Demnach ist auch der den Zeugen K. betreffende Sachverhalt so einfach gelagert, dass in der Hauptverhandlung Fragen dazu gestellt werden können, ohne dass eine sachgerechte Verteidigung vorherige Gewährung von Akteneinsicht erfordern würde. Der vorliegende Fall rechtfertigt somit eine andere Beurteilung als der der o.a. Senatsentscheidung vom 20.05.2003 zugrunde liegende Sachverhalt.
Schließlich ist die Beiordnung - wie in der Nichtabhilfeentscheidung zutreffend ausgeführt - auch nicht wegen der Schwere des Tatvorwurfs oder der zu erwartenden Rechtsfolgen geboten, nachdem die Staatsanwaltschaft in erster Instanz lediglich die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen beantragt hatte.


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