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Entscheidungen

Haftfragen

Untersuchungshaft, Fortdauer, Umfang der Ermittlungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 17.05.2011 - III 1 Ws 218/11

Fundstellen:

Leitsatz: Die Einholung von Gutachten kann eine Zeitverzögerung und damit die der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus rechtfertigen.


Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm
am 17.05.2011 beschlossen

1. Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
2. Die weitere Haftprüfung für die Dauer von drei Monaten wird dem Landgericht Dortmund übertragen.

Gründe
I.
Die Angeschuldigte wurde am 27.10.2010 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 28.10.2010 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Unna vom 28.10.2010 (103 Gs 69/10), mit dem ihr vorgeworfen wird, durch drei selbständige Handlungen 1. fremde bewegliche Sachen sich rechtswidrig zugeeignet zu haben, 2.-3. in der Absicht" sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, versucht zu haben, das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt zu haben, dass sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte und 4. aus Habgier einen Menschen getötet zu haben.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 30.12.2010, welche das Ermittlungsergebnis zutreffend zusammenfasst, ist der Tatvorwurf erweitert worden. Der Angeschuldigten wird nunmehr vorgeworfen, in der Zeit ab Mai 2010 bis zum 27.10.2010 durch sechs selbständige Handlungen

1.
fremde bewegliche Sachen sich rechtswidrig zugeeignet zu haben,
2.-5.
in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu
verschaffen das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt zu haben, dass sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte, und

6.
aus Habgier grausam einen Menschen getötet zu haben.
Wegen der Tatvorwürfe im Einzelnen wird auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug genommen, welche der Angeschuldigten und ihren Verteidigern bekannt gemacht worden ist.

II.

Aufgrund der aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund ersichtlichen Beweismittel ist die Angeschuldigte der ihr zur Last gelegten Taten zu 1-5 sowie des ihr zur Last gelegten Mordes zu Ziff. 6. insoweit dringend verdächtig, als ihr vorgeworfen wird, aus Habgier einen Menschen getötet zu haben. Die gesamten Tatumstände, insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeschuldigten, das Verhalten der Angeschuldigten in Zusammenhang mit dem beabsichtigten Verkauf der Pferde vor und nach der Tat sowie der Umstand, dass sich die

Angeschuldigte vor und nach der Tat als Eigentümerin des Hofes gerierte, ergeben den dringenden Verdacht, dass sie die Geschädigte allein deshalb tötete, um sich in Besitz des Hofes und der Pferde zu bringen und so wirtschaftlich die Stellung der Geschädigten einzunehmen. Soweit die Angeschuldigte mit Verteidigererklärung vom 04.03.2011 nunmehr geltend macht, sie habe gesehen, wie die Geschädigte ein Pferd geschlagen habe, es sei zum Streit gekommen und sie habe die Geschädigte darauf hin angegriffen und getötet, ist auch diese -von ihrer bisherigen Tatschilderung, sie sei durch die Geschädigte angegriffen worden, abweichende- Einlassung durch das bisherige Ermittlungsergebnis als widerlegt anzusehen. Die Einlassung ist zudem in hohem Maße unglaubhaft. Im Ergebnis macht die Angeschuldigte geltend, zur Tatausführung aufgrund der andauernden Misshandlungen der Tiere durch die Geschädigte bestimmt worden zu sein. Hiermit nicht in Einklang zu bringen ist der Umstand, dass die Angeschuldigte in Kenntnis der angeblich schlechten Behandlung der Tiere über einen Zeitraum von mehreren Monaten keinerlei Kontakt zu der Geschädigten aufnahm und auch die Behörden oder Dritte nicht informierte. Soweit sie geltend macht, sich zum Wohl der Tiere als Besitzerin des Anwesens und der Tiere ausgegeben zu haben, macht dieses Verhalten in Anbetracht der Untätigkeit der Angeschuldigten nach dem ersten missglückten Verkaufsversuch bis zur Tat wohl vor dem Hintergrund ihres anhaltenden Gewinnstrebens, welches durch das Hinhalten der potentiellen Käufer ebenfalls dokumentiert wird, nicht aber zum Wohl der Tiere Sinn.

III.

Gegen die Angeschuldigte besteht der Haftgrund der Schwere der Tat gem. § 112 Abs. 3 StPO und der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Bei der Angeschuldigten besteht die konkrete Gefahr, dass sie sich dem Verfahren durch Flucht entzieht, würde sie freigelassen. Wegen des der Angeschuldigten vorgeworfenen Mordes zum Nachteil der Geschädigten C muss die Angeschuldigte im Fall der Verurteilung mit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen. Schon diese Straferwartung stellt einen erheblichen Fluchtanreiz dar.

Die persönlichen Verhältnisse der Angeschuldigten vermögen diesen Fluchtanreiz nicht auszuräumen.

Über ein geregeltes Einkommen verfügt die Angeschuldigte nicht. Vor ihrer Festnahme lebte sie von Aushilfsarbeiten, welche nicht einmal ausreichten, die laufenden Kosten der Angeschuldigten zu decken. Ihren Angehörigen gegenüber hat sie ihre wirtschaftliche Situation verschleiert. Den sozialen Kontakten zu ihren Eltern, Großeltern, Tanten und ihrem Bruder, die allesamt in der Bundesrepublik wohnen, stehen gute Kontakte ins Ausland, namentlich in ihr Heimatland Q gegenüber. So hat die Angeschuldigte selbst angegeben, dass ihre Großeltern in Q noch ein Anwesen besitzen.

Bei dieser Sachlage ist es wahrscheinlicher, dass sich die Angeschuldigte im Falle ihrer Haftverschonung absetzen und untertauchen wird, als sich dem Verfahren zu stellen.

IV.

Die Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§§ 112 Abs. 1 Satz 2, 120 Abs. 1 S. 1 StPO). Ihr Zweck kann durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO nicht erreicht werden. Angesichts der erheblichen Fluchtanreize für die Angeschuldigte kann der Zweck der Untersuchungshaft nur durch ihren weiteren Vollzug erreicht werden. In Anbetracht der bei einer Verurteilung zu erwartenden Strafe steht die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von 6 Monaten auch nicht außer Verhältnis zu deren Höhe. Das würde auch dann gelten, wenn mit dem Verteidiger C "nur" ein Totschlagsdelikt angenommen werden sollte.

Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der Umfang und

die Schwierigkeit der Ermittlungen haben bislang ein Urteil nicht zugelassen. Die Ermittlungen sind insgesamt zügig geführt worden.

Nach der Festnahme der Angeschuldigten am 26.10.2010 hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen mit der gebotenen Beschleunigung vorangetrieben. Nachdem die Angeschuldigte in ihrer richterlichen Vernehmung am 28.10.2010 das Versteck der Leiche angegeben hatte, wurde diese am selben Tag aufgefunden. Es wurden mehrere Durchsuchungen zur Sicherstellung von Beweismaterial in der Wohnung der Angeschuldigten, den Ställen, am Tatort und beim Arbeitgeber der Angeschuldigten durchgeführt. Des weiteren wurden bereits am 29.10.2010 die Obduktion der Leiche und die Begutachtung der Pferde der Geschädigten durchgeführt. Des weiteren wurden der Tatortbefundbericht erstellt und Beschlüsse zur Herausgabe der retrograden Verbindungsdaten erwirkt. Die Daten wurden bis Anfang November 2010 ausgewertet. Zudem wurden bis zum 02.11.2010 noch mehrere Zeugen vernommen. Am 02.11.2010 wurde ferner die Begutachtung von Asservaten auf DNS- Spuren beim Institut für Rechtsmedizin in Münster veranlasst. Das rechtsmedizinische Gutachten zur Wundanalytik und zur Identifizierung potentieller Verletzungswerkzeuge des Leiters der Rechtsmedizin Dortmund wurde am 09.11.2010, das fachtierärztliche Gutachten am 11. 11.2010 und das molekulargenetische Gutachten am 07.12.2010 erstellt. Bereits bevor das forensisch-toxikologische Gutachten der dem Leichnam bei der Obduktion entnommenen Blut- und Gewebeproben vom 05.01.2011 vorlag, hat die Staatsanwaltschaft Dortmund unter dem 30.12.2010 die Anklageschrift gefertigt und die Übersendung an das Landgericht am 03.01.2011 veranlasst. Bis zur Anklageerstellung sind zudem die Kontodaten der Angeschuldigten ausgewertet und Auskünfte über ihre wirtschaftliche Situation eingeholt worden, welche am 30.12.2010 vollständig vorlagen (Bl. 23 Band IV der Drittakte). Das Gutachten zur Todesursache lag am 11.02.2011 und erneut am 28.02.2011, das Gutachten zu den dokumentierten Verletzungen der Angeschuldigten, am 28.02.2011 vor. Nachdem sich die Angeschuldigte mit Verteidigererklärung vom 04.03.2011 bereit erklärt hatte, sich zu einer Exploration zu erklären, hat die Kammer mit Beschluss vom 08.03.2011 gem. § 202 StPO die Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens betreffend die geistig- seelische Verfassung der Angeschuldigten zum Tatzeitpunkt angeordnet und als Sachverständige Frau Dr. N2, X, bestellt. Auf Anregung der Sachverständigen vom 04.04.2011 hat die Kammer mit Beschluss vom 15.04.2011 zudem die Einholung eines testpsychologischen Gutachtens des Sachverständigen U T angeordnet. Eine Terminierung der Sache wird - vorbehaltlich der zu erwartenden Eröffnung des Hauptverfahrens- voraussichtliche Ende Mai 2011 erfolgen. Der Eingang der Gutachten wird von der Strafkammer Mitte Mai 2011 erwartet.

Die durch die Einholung der vorgenannten Gutachten eintretende Zeitverzögerung ist gem. § 121 Abs. 1 StPO aufgrund des besonderen Umfangs der Ermittlungen gerechtfertigt. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft ausweislich des Aktenvermerks auf Bl. 241 Band II der Drittakte bereits Ende November 2010 die Einholung eines Schuldfähigkeitsgutachtens erwogen hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Zwar ist es bei einer ungewöhnlichen Tatausführung sowie bei zweifelhafter Motivlage in der Regel geboten, einen Sachverständigen zur Würdigung des Täterverhaltens aus psychiatrischer Sicht zu veranlassen, da die Frage, ob eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vorgelegen hat, von Staatsanwaltschaft und Gericht grundsätzlich nicht aus eigener Sachkunde beurteilt werden kann (vgl. BVerfG B. v. 06.06.2007, 2 BvR 971/07, BVerfGK 11, 286ff, [...] Rdnr 29). Dies zwingt aber nicht in jedem Fall dazu, sofort ein solches Gutachten in Auftrag zu geben (vgl. OLG Nürnberg B. v. 04.08.2009, 1 Ws 398/09, [...] Rdnr 9). Schuldfähigkeitsgutachten haben keinen Selbstzweck sondern dienen der Unterstützung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters. Hierzu stellt der Sachverständige seine speziellen Kenntnisse bei der Auswertung der Ermittlungsergebnisse zur Verfügung und trägt durch eigene Erhebungen zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage bei (OLG Nürnberg a.a.O. m.w.N.). Vorliegend ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Angeschuldigte bei Ausführung der Taten schuldunfähig gewesen sein könnte. Hinsichtlich des ihr zur Last gelegten Tötungsdeliktes gaben zwar die Vielzahl der Verletzungen und die Brutalität der Tat, welche die Obduktion und das Gutachten zur Wundanalytik und zur Identifizierung möglicher Verletzungswerkzeuge im Oktober/ November 2011 zu Tage gefördert hatten, einen ersten Anhaltspunkt dafür, die Tatausführung auch von psychiatrischer Seite begutachten zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt lagen indes die Ergebnisse der Todesursachenuntersuchung, der Untersuchung der angeblichen Abwehrverletzungen der Angeschuldigten und auch der Forensisch-toxikologischen Untersuchung noch nicht vor. Da die Angeschuldigte sich zu einer Exploration durch einen psychiatrischen Sachverständigen trotz mehrfacher Nachfragen der Staatsanwaltschaft bei dem seinerzeitigen Pflichtverteidiger und Nachfrage bei dem Wahlverteidiger C nicht bereit erklärt hatte, ist nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft die Begutachtung vor Fertigung der Anklageschrift nicht mehr angeordnet hat. Anknüpfungspunkt für jede Schuldfähigkeitsbegutachtung ist die konkrete Tatsituation; sie bedarf der umfassenden Gesamtwürdigung des Täterverhaltens vor, während und nach der Tat (BGH NStZ-RR 2008, 39; Fischer 57. Auf. § 20 Rdnr 32; OLG Nürnberg a.a.O., jew. m.w.N.). Vorliegend widersprachen die Angaben der Angeschuldigten zum Tatgeschehen während der richterlichen Vernehmung dem Befund an der Leiche. So hatte die Angeschuldigte eine Notwehrsituation angegeben und lediglich einen Stich zugegeben. Es bedurfte daher weiterer Ermittlungen insbesondere zur Todesursache der Geschädigten, um einem Sachverständigen Anknüpfungstatsachen zum konkreten Tatverlauf zu liefern. Nachdem die Gutachten zur Todesursache und den Verletzungen der Angeschuldigten vorlagen, und die Angeschuldigte erneut lediglich angekündigt hatte, sich zu einer Exploration zu erklären, ist zeitnah, binnen weniger Tage, die psychiatrische Begutachtung angeordnet worden. Ebenso ist anschließend zeitnah die von der Psychiaterin für erforderlich erachtete psychologische Begutachtung angeordnet worden.

Nach dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft zur weiteren Verfahrensgestaltung durch die Kammer, Bl. 53 Retent zu Band IV der Ermittlungsakten, ist davon auszugehen, dass die Strafkammer für eine Erstattung der Gutachten bis Mitte Mai 2011 Sorge tragen wird. Wie zwischenzeitlich mitgeteilt worden ist, wird die Hauptverhandlung am 8. Juni 2011 beginnen. Mit einem Abschluss des Verfahrens in erster Instanz durch ein Urteil in absehbarer Zeit ist somit zu rechnen.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft war daher anzuordnen (§ 121 Abs. 1 23 StPO). Ein Anlass zur mündlichen Verhandlung (§ 122 Abs. 2 Satz 2 StPO) bestand nicht.

Eine Anpassung des Haftbefehls an die Vorwürfe der Anklageschrift wird die Kammer - soweit noch nicht geschehen - noch vornehmen müssen.

Die weiter angeordneten Maßnahmen beruhen auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.

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Anmerkung:


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