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Entscheidungen

Zivilrecht

Nichtanerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis aufgrund negativer MPU

Gericht / Entscheidungsdatum: EuGH, Beschl. v. 02.12.2010 - C-334/09

Leitsatz: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine verwehrt es deutschen Behörden, die Nichteignung eines Führerscheinsinhabers aufgrund eines ne-gativen Eignungsgutachtens festzustellen, wenn die Gründe für die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens ausschließlich vor der Erteilung des ausländischen Füh-rerscheins zu sehen sind und kein Bezug zum Verhalten des Betroffenen nach der Erteilung des EU-Führerscheins besteht.


Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
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Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439, mit der mit Wirkung ab 1. Juli 1996 die Erste Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4. Dezember 1980 zur Einführung eines EG-Führerscheins (ABl. L 375, S. 1) aufgehoben worden ist, lautet:
„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“
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Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:
„Aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr sind Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen.“
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Im letzten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 wird ausgeführt:
„Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“
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Art. 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
(3) Begründet der Inhaber eines gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann der Aufnahmemitgliedstaat seine einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Führerscheins, der ärztlichen Kontrolle und der steuerlichen Bestimmungen auf den Führerscheininhaber anwenden und auf dem Führerschein die für die Verwaltung unerlässlichen Angaben eintragen.“
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Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
„Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab
a) vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III;
b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student – während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten – im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats.“
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Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 lautet:
„Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.“
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Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“
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Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie führt aus, dass als „ordentlicher Wohnsitz“ „der Ort [gilt], an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt“.
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Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439 lautet:
„Die Mitgliedstaaten unterstützen einander bei der Durchführung dieser Richtlinie und tauschen im Bedarfsfall Informationen über die von ihnen registrierten Führerscheine aus.“
Nationales Recht
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Die einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften sind die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 (BGBl. 1998 I, S. 2214) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 14. Juni 2006 (BGBl. 2006 I, S. 1329) (im Folgenden: FeV) und das Straßenverkehrsgesetz in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung (BGBl. 2006 I, S. 1958, im Folgenden: StVG).
Die Vorschriften über die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine
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In Bezug auf die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine bestimmt § 28 Abs. 1, 4 und 5 FeV :
„(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nr. 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. …“
Die Vorschriften über den Entzug des Rechts, von der Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen
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§ 3 Abs. 1 und 2 StVG sieht vor:
„(1) Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung – auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt – die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. …
(2) Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. …“
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Nach § 46 Abs. 1 FeV, der § 3 StVG ausführt, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 5 FeV „[hat b]ei einer ausländischen Fahrerlaubnis … die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen“.
Die Vorschriften über die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs
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In Bezug auf die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs sieht § 11 („Eignung“) FeV vor:
„(1) Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. …
(2) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Bewerber anordnen. …
(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 2 angeordnet werden,

4. bei erheblichen oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen …
oder
5. bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, wenn

b) der Entzug der Fahrerlaubnis auf einem Grund nach Nummer 4 beruhte.

(8) Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. …“
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§ 13 („Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik“) FeV ermächtigt die zuständige Behörde, unter bestimmten Umständen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, um Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen vorzubereiten. Das ist insbesondere der Fall, wenn nach einem ärztlichen Gutachten oder aufgrund von Tatsachen Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
18
Für Herrn Scheffler sind mehrere Straftaten in das Verkehrszentralregister eingetragen, u. a. die des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr bei einem BAK-Wert von 1,94 ‰ vom 11. März 2000.
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Da er wegen dieser und weiterer Verstöße mit 18 Punkten den für einen deutschen Führerschein vorgesehenen Höchstpunktestand erreicht hatte, verzichtete er am 29. Februar 2000 auf seine am 28. Februar 1986 erteilte deutsche Fahrerlaubnis.
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Am 5. August 2004 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis, der mit Bescheid vom 17. Februar 2005 abgelehnt wurde, da er die Anordnung des Landkreises, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen, nicht befolgt hatte.
21
Am 15. Oktober 2004 wurde Herrn Scheffler eine polnische Fahrerlaubnis erteilt, in der ein Wohnsitz in Polen eingetragen ist. In seinem Reisepass ist eine Bestätigung über den Aufenthalt in Polen für einen Zeitraum von sechs Monaten eingeheftet.
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Der Landkreis erhielt von der Erteilung dieser polnischen Fahrerlaubnis anlässlich einer Verkehrskontrolle im März 2006 Kenntnis.
23
Am 13. April 2006 beantragte Herr Scheffler beim Landkreis die Anerkennung des Rechts, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch machen zu dürfen. Er legte am 26. April 2006 ein vom l. November 2004 datierendes Gutachten des TÜV Thüringen e. V. über seine Fahreignung vor, das auf einer Untersuchung vom 18. Oktober 2004 basierte.
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Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde in diesem Gutachten wegen der alkoholbedingten Verkehrsauffälligkeiten in der Vergangenheit eine für den Kläger negative Prognose für seine Fahreignung aufgestellt. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass mit dem am 11. März 2000 festgestellten BAK-Wert von 1,94 ‰ ein Alkoholmissbrauch nachgewiesen sei und Herr Scheffler sein Trinkverhalten in der Vergangenheit nicht aufgearbeitet habe.
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Mit Schreiben vom 23. Mai 2006 ordnete der Landkreis gegenüber Herrn Scheffler an, spätestens bis zum 1. August 2006 ein neues Gutachten zur Überprüfung seiner Fahreignung vorzulegen.
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Mit Schreiben vom 3. August 2006 teilte die zuständige polnische Straßenverkehrsbehörde, die Herrn Scheffler die Fahrerlaubnis am 15. Oktober 2004 ausgestellt hatte, mit, dieser habe nach Belehrung über strafrechtliche Folgen erklärt, in Deutschland sei sein Führerschein weder eingezogen, noch sei ihm dort die Fahrerlaubnis entzogen worden.
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Der Landkreis hielt mit Schreiben vom 24. April und 30. Mai 2007 an der Anordnung vom 23. Mai 2006 zur Beibringung eines Gutachtens über die Fahreignung von Herrn Scheffler fest. Aufgrund des Gutachtens vom 18. Oktober 2004 hätten sich neue Tatsachen nach Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis vom 15. Oktober 2004 ergeben, die Zweifel an seiner Fahreignung begründeten. Auch habe er bei der polnischen Behörde falsche Angaben gemacht.
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Nach der Weigerung von Herrn Scheffler, ein weiteres Eignungsgutachten vorzulegen, erkannte der Landkreis ihm durch Bescheid vom 15. August 2007 das Recht ab, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, ordnete die sofortige Vollziehung an und lehnte den Antrag auf Anerkennung dieses Rechts ab (im Folgenden: Aberkennungsentscheidung).
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Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Alkoholfahrt des Herrn Scheffler am 11. März 2000 mit einem Blutalkoholwert von 1,94 ‰ Anlass zu Eignungszweifeln gegeben habe, die nicht durch Vorlage eines Gutachtens ausgeräumt worden seien. Es sei zu berücksichtigen, dass das Gutachten vom 18. Oktober 2004 der Verwaltung erst im April 2006 bekannt geworden sei und Herr Scheffler diese Gegebenheiten der zuständigen polnischen Behörde verschwiegen habe. Schon auf der Grundlage des Gutachtens vom 18. Oktober 2004 habe die Nichteignung festgestanden. Die sofortige Vollziehung sei im öffentlichen Interesse anzuordnen, da die Gefahr bestehe, dass Herr Scheffler erneut alkoholbedingt auffällig werde.
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Gegen diese am 17. August 2007 zugestellte Aberkennungsentscheidung erhob Herr Scheffler am 26. August 2007 Widerspruch beim Thüringer Landesverwaltungsamt. Gleichzeitig suchte er beim Verwaltungsgericht Meiningen um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2007 wies das Thüringer Landesverwaltungsamt den Widerspruch des Herrn Scheffler gegen die Aberkennungsentscheidung zurück. Am 1. Februar 2008 erhob dieser dagegen beim Verwaltungsgericht Meiningen Anfechtungsklage. Er beantragt, die Aberkennungsentscheidung in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 2007 aufzuheben.
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Die Vorlagefrage stellt sich im Rahmen des Verfahrens über die Anfechtungsklage.
Der Antrag auf einstweilige Anordnungen
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Das Verwaltungsgericht Meiningen lehnte den Antrag von Herrn Scheffler auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 1. Oktober 2007 sowie seinen Antrag auf Abänderung dieses Beschlusses und auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage durch Beschluss vom 21. November 2008 ab.
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Am 15. Dezember 2008 erhob Herr Scheffler gegen den Beschluss vom 21. November 2008 vor dem Thüringer Oberverwaltungsgericht Beschwerde, die er damit begründete, dass die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs – und zwar die Urteile vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk (C-329/06 und C-343/06, Slg. 2008, I-4635) sowie Zerche u. a. (C-334/06 bis C-336/06, Slg. 2008, I-4691) – zu einer Änderung der maßgeblichen Rechtslage geführt habe. Da er bei Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis das Wohnsitzerfordernis erfüllt habe, sei dem Landkreis eine Überprüfung seiner Fahreignung versagt gewesen. Das Fahreignungsgutachten sei kein Verhalten nach der genannten Ausstellung, das nach dem Unionsrecht berücksichtigungsfähig sei, und diese Untersuchung beziehe sich auf ein Verhalten, das zeitlich vor dem Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis gelegen habe.
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Das Thüringer Oberverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 26. März 2009 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aberkennungsbescheid wieder her.
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In seinem Beschluss entschied das Thüringer Oberverwaltungsgericht, dass das Fahreignungsgutachten vom 1. November 2004 keine Tatsache sein könne, die die Anerkennungspflicht des Aufnahmemitgliedstaats nachträglich entfallen lassen könne. Der Gerichtshof habe im Beschluss vom 6. April 2006, Halbritter (C-227/05), klargestellt, dass aktuelle Feststellungen zur Fahreignung, die an vor Erteilung einer Fahrerlaubnis liegende Ereignisse anknüpften, unionsrechtlich nicht zulässig seien, da der Besitz eines Führerscheins, der von einem Mitgliedstaat ausgestellt sei, als Nachweis dafür anzusehen sei, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag von dessen Ausstellung die in der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Ausstellungsvoraussetzungen erfüllt habe, zu denen auch die Fahreignung zähle. Etwas anderes gelte nur dann, wenn das Fahreignungsgutachten an ein „Verhalten“ des Betroffenen nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis in dem anderen Mitgliedstaat anknüpfe (Beschluss Halbritter, Randnr. 38). Damit werde deutlich, dass nicht die Vorlage des Gutachtens selbst, sondern ein Fehlverhalten des Betroffenen in Bezug auf die Vorschriften des Straßenverkehrs gemeint sei.
Die Klage gegen die Aberkennungsentscheidung
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In der Vorlageentscheidung stellt das Verwaltungsgericht Meiningen vorab fest, dass der Gerichtshof nur für bestimmte Fallkonstellationen Ausnahmen vom Grundsatz der unbedingten gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach der Richtlinie 91/439 zugelassen habe.
38
Eine Ausnahme bestehe für den Fall, dass auf der Grundlage von Angaben in dem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststehe, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewandt worden sei, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats gehabt habe (Urteil Zerche u. a., Randnr. 70).
39
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist dies im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Wohnsitz in Polen von Herrn Scheffler sei in dessen polnischer Fahrerlaubnis eingetragen, und es gebe keine vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen, die die Tatsache widerlegten, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung dieser Fahrerlaubnis seinen Wohnsitz in Polen gehabt habe.
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Des Weiteren könne der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes von seiner Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine nur befreit sein und dürfe die ihm nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zugestandene Befugnis, auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden, nur ausüben, wenn es sich um ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb des Führerscheins (Beschluss Halbritter, Randnr. 38, und Urteil Zerche u. a., Randnr. 56) oder auch um nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis eingetretene „Umstände“ (Beschluss Halbritter, Randnr. 38) handele.
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Für das vorlegende Gericht ergibt sich aus der in der vorhergehenden Randnummer genannten Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 jedenfalls ermächtigt würden, ihre nationalen Eignungsüberprüfungs- und Entzugsvorschriften auf diejenigen Fahrzeugführer anzuwenden, die nach Erteilung einer Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat erneut im Inland auffällig würden bzw. Bedenken im Hinblick auf ihre Fahreignung begründeten.
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Ein „Verhalten“, das im Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes Maßnahmen der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 in Bezug auf eine in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis rechtfertigen könne, liege zweifelsfrei dann vor, wenn der Inhaber einer solchen Erlaubnis nach ihrem Erwerb wiederum ein straßenverkehrsbezogenes Tun oder Unterlassen an den Tag gelegt habe, das den Schluss auf seine fehlende Fahreignung erlaube, doch habe Herr Scheffler im Ausgangsverfahren nach dem 15. Oktober 2004 keine Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr begangen, die ein solches unionsrechtlich eventuell berücksichtigungsfähiges „Verhalten“ sein könnten. Es gebe lediglich das Fahreignungsgutachten vom 1. November 2004, das aufgrund der Untersuchung vom 18. Oktober 2004 erstellt worden sei.
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Das vorlegende Gericht vermag der Rechtsprechung des Gerichtshofs und insbesondere dem Beschluss Halbritter keine Aussage dahin gehend zu entnehmen, dass nach Erteilung einer Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat nur ein Fehlverhalten des Betroffenen mit Bezug zum Straßenverkehr dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes das Recht verleihe, gegen den Inhaber dieser Fahrerlaubnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 vorzugehen.
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Es sei nicht ausgeschlossen, in dem im vorliegenden Fall vorgelegten Gutachten eine neue Tatsache zu sehen, die dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes das Recht verleihe, gegen den Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 vorzugehen. Dieses Gutachten offenbare zwar Erkenntnisse über Alttatsachen, enthalte aber eine prognostische Aussage über die Fahreignung des Herrn Scheffler, die erst nach der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis getroffen worden sei und auf einer Untersuchung nach diesem Datum beruhe.
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Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Meiningen entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Darf ein Mitgliedstaat in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 seine Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 – seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins anzuwenden – ausüben im Hinblick auf ein Fahreignungsgutachten, das von dem Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis vorgelegt wurde, wenn das Gutachten zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins erstellt wurde und zudem auf einer nach der Ausstellung des Führerscheins durchgeführten Untersuchung des Betroffenen beruht, sich aber auf zeitlich vor der Ausstellung des Führerscheins liegende Umstände bezieht?
Zur Vorlagefrage
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Nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden.
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Diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall anzuwenden.
Vorbemerkungen
48
Es ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die Bestimmungen der FeV in Verbindung mit den Art. 1 Abs. 2 und 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 bereits in den Beschlüssen Halbritter und vom 28. September 2006, Kremer (C-340/05), aber auch in den Urteilen Wiedemann und Funk sowie Zerche u. a., vom 20. November 2008, Weber (C-1/07, Slg. 2008 I-8571), vom 19. Februar 2009, Schwarz (C-321/07, Slg. 2009, I-1113), und auch im Beschluss vom 9. Juli 2009, Wierer (C-445/08), zu prüfen hatte.
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Zweitens ist dem ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 zu entnehmen, dass der allgemeine Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellt wurde, um insbesondere die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben (vgl. Urteil Schwarz, Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50
Nach gefestigter Rechtsprechung sieht dieser Art. 1 Abs. 2 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteil Schwarz, Randnr. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51
Der Gerichtshof hat daraus abgeleitet, dass es Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats ist, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung – gegebenenfalls die Neuerteilung – einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 52, sowie Zerche u. a., Randnr. 49).
52
Haben die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt, sind die anderen Mitgliedstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dessen anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Ausstellung des Führerscheins diese Voraussetzungen – die Fahreignung eingeschlossen – erfüllt hat (Urteile Wiedemann und Funk, Randnr. 53, sowie Zerche u. a., Randnr. 50).
53
Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen ist die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zu prüfen.
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Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es die Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat verwehren, es bei der Ausübung seiner Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie zur Anwendung seiner innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerschein ergebende Fahrberechtigung anzuerkennen, weil ein Fahreignungsgutachten, das vom Inhaber dieses Führerscheins vorgelegt wurde, zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins erstellt wurde und auf einer nach diesem Zeitpunkt durchgeführten Untersuchung des Betroffenen beruht, sich aber im Wesentlichen auf zeitlich vor diesem Datum liegende Umstände bezieht.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
55
Herr Scheffler trägt vor, dass das Fahreignungsgutachten grundsätzlich kein Verhalten nach der Ausstellung des Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat sein könne, das im Sinne der Rechtsprechung die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis rechtfertigen könne. Nur ein Fehlverhalten in Bezug auf den Straßenverkehr nach dieser Führerscheinausstellung könne ein solches Verhalten darstellen.
56
Dagegen trägt die Europäische Kommission vor, dass der Begriff Umstand oder Verhalten nach der Ausstellung des Führerscheins nicht notwendigerweise in einer Verletzung der Straßenverkehrsordnung bestehen müsse. Es sei nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat aufgrund eines Fahreignungsgutachtens berechtigt sei, in seinem Hoheitsgebiet die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerschein ergebende Fahrberechtigung unter der Voraussetzung abzuerkennen, dass dieses Fahreignungsgutachten, das nach der Ausstellung des Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat erstellt worden sei, sich zumindest auch auf ein Verhalten des Fahrers nach dieser Führerscheinausstellung beziehe und eine Gefährlichkeit widerspiegele, die ein klares Indiz für die Ungeeignetheit des Betroffenen sei, als Fahrzeuglenker am Straßenverkehr teilzunehmen.
Antwort des Gerichtshofs
57
Erstens ist festzustellen, dass die Vorlagefrage nicht die Gültigkeit des dem Kläger des Ausgangsverfahrens am 15. Oktober 2004 ausgestellten Führerscheins im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 betrifft. Denn aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht Meiningen der Ansicht ist, dass der Führerschein in Polen unter Beachtung der in der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Voraussetzungen ausgestellt worden sei, und es mit seiner Frage nur wissen möchte, ob ein Mitgliedstaat auf den Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage eines Fahreignungsgutachtens anwenden kann, wenn dieses Gutachten nach dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins erstellt worden sei, sich aber auf ausschließlich vor diesem Datum liegende Tatsachen beziehe.
58
Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bei seiner Rechtsprechung zur Richtlinie 91/439 bereits mehrmals über die juristischen Folgen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine zu entscheiden und auf der Grundlage verschiedener Sachverhalte die Rechte und Pflichten des Ausstellungs- und des Aufnahmemitgliedstaats in Bezug auf die Überprüfung der Fahreignung und des Wohnsitzes des Inhabers der Fahrerlaubnis zu klären hatte.
59
Aus der in Randnr. 48 angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht in jedem Fall verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt (Beschluss Wierer, Randnr. 50).
60
Insbesondere gestattet Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439, wie dem letzten Erwägungsgrund der Richtlinie zu entnehmen ist, den Mitgliedstaaten aus Gründen der Sicherheit des Straßenverkehrs unter bestimmten Umständen, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf jeden Inhaber eines Führerscheins anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet hat (Urteil Zerche u. a., Randnr. 55).
61
Der Gerichtshof hat jedoch wiederholt festgestellt, dass diese Befugnis, wie sie sich aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 ergibt, nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins (vgl. Beschlüsse Halbritter, Randnr. 38, und Kremer, Randnr. 35; vgl. auch Urteile Zerche u. a., Randnr. 56, und Weber, Randnr. 34) und nicht aufgrund von Umständen vor der Erteilung dieser Fahrerlaubnis ausgeübt werden kann.
62
Zudem ist zu beachten, dass Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1, der einem Mitgliedstaat erlaubt, die Gültigkeit eines Führerscheins nicht anzuerkennen, der in einem anderen Mitgliedstaat von einer Person erworben wurde, auf die im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung des Führerscheins angewendet wurde, eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine und aus diesem Grund eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Schwarz, Randnr. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).
63
Ein weites Verständnis der Ausnahmen vom Grundsatz der Pflicht zur Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnisse ohne Formalitäten, die diesen Grundsatz mit dem Grundsatz der Sicherheit im Straßenverkehr in Ausgleich bringen, würde nämlich den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 91/439 ausgestellten Fahrerlaubnisse völlig aushöhlen (vgl. in diesem Sinne Beschluss Wierer, Randnr. 52).
64
Die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 befugt sind, dem Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, der aber seinen gewöhnlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet genommen hat, das Recht abzuerkennen, von diesem Führerschein in ihrem Hoheitsgebiet Gebrauch zu machen, sind vom Gerichtshof insbesondere im Rahmen der Beschlüsse Halbritter und Kremer geprüft worden.
65
Der Rechtsstreit, zu dem der Beschluss Halbritter ergangen ist, betraf eine Person, die, nachdem ihr in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen und für eine Sperrfrist der Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis untersagt worden war, nach Ablauf dieser Sperrfrist in Österreich einen Führerschein erhalten hatte. Die deutschen Behörden lehnten den Antrag auf Umschreibung der österreichischen Fahrerlaubnis in eine deutsche ab, wobei dieser Antrag so verstanden wurde, dass das Recht begehrt werde, von der österreichischen Fahrerlaubnis im deutschen Hoheitsgebiet Gebrauch zu machen. Sie vertraten den Standpunkt, dass der österreichische Führerschein im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt werden könne, da Herrn Halbritter in diesem Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis entzogen worden sei und da die seit dieser Maßnahme bestehenden Zweifel an seiner Fahreignung nur durch ein nach den in Deutschland geltenden Normen erstelltes und positiv ausgefallenes medizinisch-psychologisches Gutachten ausgeräumt werden könnten. Die in Österreich vor der Erteilung der österreichischen Fahrerlaubnis verfasste Stellungnahme komme einem den nationalen Normen entsprechenden Gutachten nicht gleich.
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In Randnr. 37 des Beschlusses Halbritter hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn der Inhaber eines gültigen Führerscheins, der nach Ablauf der Sperrfrist für den Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis, die in einem anderen Mitgliedstaat gegenüber dem Betroffenen verhängt wurde, in letzterem Mitgliedstaat seinen Wohnsitz hat, dieser Mitgliedstaat auch dann, wenn seine nationalen Rechtsvorschriften aufgrund von Umständen, die zum Entzug einer früheren Fahrerlaubnis geführt hatten, eine erneute Prüfung der Fahreignung des Betroffenen vorschreiben, keine solche erneute Überprüfung verlangen kann, sofern diese Umstände vor der Ausstellung des neuen Führerscheins bestanden.
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In Randnr. 38 des Beschlusses Halbritter hat der Gerichtshof entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat – in jenem Fall in der Republik Österreich – ausgestellten Fahrerlaubnis, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Deutschland genommen hat, anzuwenden, nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat ausüben kann. In jenem Fall hatte das vorlegende Gericht jedoch ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Fahreignung von Herrn Halbritter aufgrund von Umständen in Frage zu ziehen wäre, die nach der Erteilung der österreichischen Fahrerlaubnis eingetreten seien.
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Die Rechtssache, in der der Beschluss Kremer ergangen ist, betraf einen in Deutschland wohnhaften deutschen Staatsangehörigen, dem die deutsche Fahrerlaubnis nach wiederholter Begehung verkehrsrechtlicher Verstöße entzogen worden war. Herr Kremer hatte in Belgien eine neue Fahrerlaubnis erworben, da ihm gegenüber keine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verhängt worden war. Später wurde Herr Kremer in Deutschland wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt, und ihm wurde seine belgische Fahrerlaubnis entzogen, da die deutschen Behörden der Ansicht waren, dass er seit der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht mehr berechtigt gewesen sei, in Deutschland zu fahren; sie versagten die Anerkennung dieses später in Belgien ausgestellten Führerscheins, solange Herr Kremer nicht die Bedingungen erfülle, die nach deutschem Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis gälten.
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In der Rechtssache Kremer wurde der Gerichtshof gefragt, ob Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Mitgliedstaat verwehrt, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins, auf den im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früher erteilten Fahrerlaubnis ohne gleichzeitige Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet wurde, die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.
70
Ebenso wie im Beschluss Halbritter hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht die Erfüllung der Bedingungen verlangen kann, die sein eigenes nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis aufstellt. Insbesondere können die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die Anerkennung einer Fahrerlaubnis, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auch dann nicht von einer erneuten Überprüfung der Fahreignung des Inhabers abhängig machen, wenn die nationalen Rechtsvorschriften aufgrund von gleichen Umständen wie denen, die zum Entzug einer früheren Fahrerlaubnis geführt haben, eine solche Prüfung vorschreiben, sofern diese Umstände vor der Ausstellung des neuen Führerscheins bestanden (Beschluss Kremer, Randnrn. 32 und 33).
71
Im Beschluss Kremer (Randnr. 36) hat der Gerichtshof festgestellt, dass das vorlegende Gericht nichts angeführt hat, was die Fahreignung von Herrn Kremer auf der Grundlage von Umständen, die nach Erwerb dieses gültigen, in Belgien ausgestellten Führerscheins aufgetreten sind, in Zweifel ziehen könnte. Vielmehr wurde ihm nur zur Last gelegt, dass er nach dem Erwerb dieser Fahrerlaubnis in Deutschland ein Kraftfahrzeug geführt habe, ohne Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein, denn der in Belgien erworbene Führerschein wurde mit der Begründung nicht anerkannt, dass die Bedingungen nicht beachtet worden seien, die nach deutschem Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis gälten.
72
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich als Voraussetzung dafür, dass die dem Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 erteilte Befugnis zur Anwendung seiner innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber dieses Führerscheins ausgeübt werden kann, dass Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, die Fahreignung des Inhabers dieses Führerscheins aufgrund von Umständen in Zweifel zu ziehen, die im Zusammenhang mit einem Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb seines Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat stehen, das seine Fahreignung in Frage stellt.
73
Somit muss das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren zur Klärung der Frage, ob ein Gutachten wie das vom 1. November 2004 den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats erlaubt, nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 dem Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins das Recht abzuerkennen, im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats von diesem Führerschein Gebrauch zu machen, prüfen, ob dieses Gutachten ein Gesichtspunkt sein kann, der geeignet ist, die Fahreignung von Herrn Scheffler auf der Grundlage von Umständen, die nach Erwerb dieses Führerscheins eingetreten sind, in Zweifel zu ziehen.
74
Im vorliegenden Fall ist, wie Herr Scheffler und die Kommission ausgeführt haben, kein Anhaltspunkt ersichtlich, der es erlaubt, die Fahreignung von Herrn Scheffler auf der Grundlage von Umständen, die nach Erwerb seines polnischen Führerscheins aufgetreten sind, in Zweifel zu ziehen. Denn aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass sich die nach dem Datum der Ausstellung dieses Führerscheins erfolgte Beurteilung der Fahreignung ausschließlich auf vor diesem Datum liegende Tatsachen bezieht. Das vorlegende Gericht führt insbesondere aus, dass Herrn Scheffler kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung nach der Ausstellung dieses Führerscheins vorgeworfen werden könne.
75
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzung, dass ein Verhalten des Inhabers eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins gegeben ist, das nach der Ausstellung dieses Führerscheins liegt und geeignet ist, die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen, nicht zwangsläufig so zu verstehen ist, dass sie sich ausschließlich auf einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bezieht. Gleichwohl erfordert eine solche Voraussetzung, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach der Ausstellung dieses Führerscheins liegendes Verhalten des Inhabers festgestellt wird, durch das dessen Fahreignung in Frage gestellt werden bzw. auf seine fehlende Fahreignung geschlossen werden kann.
76
Auf jeden Fall obliegt es dem vorlegenden Gericht, das allein eine umfassende Kenntnis des ihm unterbreiteten Rechtsstreits hat, zu prüfen, ob ein Fahreignungsgutachten wie das im Ausgangsverfahren fragliche die in den Randnrn. 72, 73 und 75 dieses Beschlusses genannten Voraussetzungen erfüllt und einen, sei es auch nur partiellen, Bezug zu einem nach der Ausstellung des polnischen Führerscheins festgestellten Verhalten des Betroffenen hat. Ist dies nicht der Fall, kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes es aufgrund eines solchen Gutachtens nicht ablehnen, die Fahrberechtigung in seinem Hoheitsgebiet nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 anzuerkennen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerschein ergibt.
77
Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 1 Abs. 2 und 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 in dem Sinne auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es bei der Ausübung seiner Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zur Anwendung seiner innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins aufgrund eines vom Inhaber dieses Führerscheins vorgelegten Fahreignungsgutachtens abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die sich aus dem in dem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergebende Fahrberechtigung anzuerkennen, wenn dieses Gutachten zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins und auf der Grundlage einer nach diesem Zeitpunkt durchgeführten Untersuchung des Betroffenen erstellt wurde, aber keinen, sei es auch nur partiellen, Bezug zu einem nach der Ausstellung dieses Führerscheins festgestellten Verhalten des Betroffenen hat und sich ausschließlich auf vor diesem Zeitpunkt liegende Umstände bezieht.
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 1 Abs. 2 und 8Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2006/103/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung sind in dem Sinne auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es bei der Ausübung seiner Befugnis nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zur Anwendung seiner innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins aufgrund eines vom Inhaber dieses Führerscheins vorgelegten Fahreignungsgutachtens abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die sich aus dem in dem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergebende Fahrberechtigung anzuerkennen, wenn dieses Gutachten zwar nach dem Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins und auf der Grundlage einer nach diesem Zeitpunkt durchgeführten Untersuchung des Betroffenen erstellt wurde, aber keinen, sei es auch nur partiellen, Bezug zu einem nach der Ausstellung dieses Führerscheins festgestellten Verhalten des Betroffenen hat und sich ausschließlich auf vor diesem Zeitpunkt liegende Umstände bezieht.


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