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Entscheidungen

StPO

Motorradkutte, Tragen, Gericht, Verbot, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.12.2010 - 10 S 51.10

Fundstellen:

Leitsatz:


In pp.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Seit dem 1. November 2010 findet am Landgericht Potsdam eine Strafverhandlung gegen Mitglieder der Hells Angels statt. Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Sicherheitsverfügung des Antragsgegners, die für die Dauer der Hauptverhandlung dieses Strafverfahrens an im einzelnen genannten Verhandlungstagen gilt und es ihm und allen anderen Personen, die das Gelände des Justizzentrums betreten wollen, untersagt, Bekleidungsstücke zu tragen, die die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub oder zur Brigade 81 demonstrieren. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen die Sicherheitsverfügung eingelegten Widerspruchs abgelehnt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die nach § 146 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1 bis 3 VwGO zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Vorbringen der Antragstellers, das allein Gegenstand der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat ein überwiegendes Interesse des Antragstellers, von den Folgen der Sicherheitsverfügung vorerst verschont zu werden, mit der Begründung verneint, diese erweise sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Beschwerdebegründung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist Rechtsgrundlage der angefochtenen Sicherheitsverfügung das Hausrecht des Gerichtspräsidenten, das ihm die Befugnis gibt, zur Gewährleistung des Dienstbetriebs Regelungen über den Zutritt zum Dienstgebäude und den Aufenthalt von Personen in den Räumen des Gerichts zu treffen. Die damit gegebenenfalls verbundenen Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit der Zutritt bzw. Aufenthalt begehrenden Personen (Art. 2 Abs. 1 GG) sind gerechtfertigt, sofern die Maßnahme vom Hausrecht gedeckt ist. Die Grenzen für die Ausübung des Hausrechts ergeben sich dabei insbesondere aus dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung und den sitzungspolizeilichen Befugnissen des Vorsitzenden nach § 169 und § 176 GVG (vgl. dazu OVG Bln-Bbg , Urteil vom 26. Oktober 2010 - OVG 10 B 2.10 -, juris Rn. 57 m.w.N.). Zu Unrecht macht der Antragsteller geltend, dass diese Grenzen vorliegend überschritten seien.
Der Antragsteller beruft sich darauf, es lägen nach den Darlegungen des Antragsgegners keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdungslage, insbesondere für eine mögliche Bedrohung von Zeugen an den noch ausstehenden Verhandlungstagen vor. Damit überspannt er die Anforderungen, die an die Begründung der hausrechtlichen Verfügung zu stellen sind. Wie dargelegt, hat der Antragsgegner bei hausrechtlichen Verfügungen insbesondere darauf zu achten, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz gewahrt wird und keine Kollision mit den sitzungspolizeilichen Befugnissen des Vorsitzenden auftritt, wobei die Anordnung im Einzelnen in seinem pflichtgemäßen Ermessen liegt. Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und keine persönlichkeitsbezogene Auswahl der Zuhörerschaft beinhalten, sind mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz zu vereinbaren, wenn für sie aus Sicherheitsgründen ein verständlicher Anlass besteht (vgl. OVG Bln-Bbg, a.a.O., Rn. 58 m.w.N.). Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Maßnahme mit der allgemeinen Handlungsfreiheit. Maßgebend ist daher, ob für die hausrechtliche Verfügung ein verständlicher Anlass besteht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Dabei sind die Schwere der mit der Sicherheitsverfügung verbundenen Beeinträchtigungen, der Wert des zu sichernden Gutes und der Grad der Gefährdung in den Blick zu nehmen und in die Abwägung einzustellen.
Auch wenn der Antragsgegner vorliegend keine konkreten Angaben zum Inhalt des der Sicherheitsverfügung zugrunde liegenden Strafverfahrens und der Person der Angeklagten gemacht hat, lässt sich den Akten jedenfalls entnehmen, dass sich das Verfahren gegen drei Mitglieder des Motorradclubs Hells Angels richtet, der Vorwurf der Erpressung im Raum steht und Zeugenschutzmaßnahmen (insbesondere in Form audio-visueller Vernehmungen) getroffen worden sind. Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung des Antragsgegners, dass es sich um ein sicherheitsrelevantes Verfahren mit einer erhöhten allgemeinen Gefährdungslage handelt, das in der Öffentlichkeit oder jedenfalls in bestimmten Kreisen ein erhöhtes Interesse wecken könnte, ohne weiteres nachvollziehbar, so dass ein verständlicher Anlass für hausrechtliche Maßnahmen bestand.
Die Gruppierung der Hells Angels ist zwar - worauf der Antragsteller zutreffend hinweist - keine illegale Vereinigung, gleichwohl sind einzelne Mitglieder dieser Gruppierung, wie aus der Medienberichterstattung bekannt ist, in nicht ganz unwesentlichem Maße in gewalttätige Auseinandersetzungen und kriminelle Delikte verstrickt - zu Gewaltdelikten im Zusammenhang mit Streitigkeiten zwischen verschiedenen Motorradclub enthält der Verwaltungsvorgang eine beispielhafte Auflistung -, so dass die Annahme des Antragsgegners, das sichtbare Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels könne das Sicherheitsgefühl von Verfahrensbeteiligten und weiteren Personen beeinträchtigen, sachlich verständlich erscheint. Da es im vorliegenden Strafverfahren offenbar um Straftaten geht, für die das von einzelnen Mitgliedern der Hells Angels ausgehende Bedrohungspotential eine Rolle gespielt hat, ist auch die Annahme nachvollziehbar, dass hier in besonderem Maße dem Sicherheitsbedürfnis der Beteiligten Rechnung getragen und einer möglichen Beeinflussung des Verfahrens schon im Vorfeld begegnet werden muss.
Dass ein demonstratives Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels grundsätzlich geeignet sein kann, dritte Personen zu beunruhigen, ist eine plausible Befürchtung und rechtfertigt im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Verfahrens präventive Maßnahmen. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es zu seinen Aufgaben als Gerichtspräsident gehört, auf dem Gelände des Justizzentrums für eine angstfreie Atmosphäre zu sorgen, damit Zeugen unbelastet ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen können und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Leistungsfähigkeit der Justiz nicht erschüttert wird. Angesichts des hohen Wertes des zu schützenden Gutes - die ordnungsgemäße Durchführung eines Strafverfahrens und die Sicherung des Justizbetriebs - dürfen die Anforderungen an die Einschätzung einer (konkreten) Gefahr nicht überspannt werden. Der Antragsgegner hat eine Prognose anzustellen und kann nicht darauf verwiesen werden, erst bei unmittelbaren Anzeichen einer bevorstehenden Störung oder sogar erst nach deren Eintritt zu reagieren. Er stützt sich vorliegend auf Einschätzungen von Personen bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei, die besondere Kenntnisse von der Szene der Motorradclubs haben, sowie Erfahrungen aus Cottbus und Gera, wo es zu sicherheitsrelevanten Beeinträchtigungen bei Strafverfahren gegen Angehörige eines Motoradclubs gekommen sein soll (vgl. hierzu auch die Vermerke vom 11. und 20. August 2010 im Verwaltungsvorgang). Dies stellt einen verständlichen Anlass für die vorliegende präventive hausrechtliche Maßnahme dar.
Der verfügte Eingriff in die Handlungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht potentieller Zuschauer des betroffenen Strafverfahrens - und damit auch des Antragstellers - stellt sich demgegenüber als vergleichsweise gering dar. Dem Antragsteller wird aufgegeben, die Kutte oder andere Bekleidungsstücke, die seine Zugehörigkeit zu einem Motoradclub - hier also der Hells Angels - bzw. der Brigade 81, einer Unterorganisation der Hells Angels, dokumentieren, am Verhandlungstag auf dem Gerichtsgelände auszuziehen und eigenständig zu verwahren. Auch wenn der Antragsteller persönlich ein großes affektives Interesse am sichtbaren Tragen seiner „Szenekleidung“ haben mag, erscheint die Beeinträchtigung, die darin liegt, vorübergehend für einen überschaubaren Zeitraum in einem örtlich begrenzten Bereich die vertraute Kleidung nicht zu tragen oder von sichtbaren Zeichen der Zugehörigkeit zu seinem Motorradclub zu befreien, objektiv nicht gravierend und daher durchaus zumutbar. Im Hinblick darauf, dass es um das hohe Gut der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege geht und die hinreichend realistische Möglichkeit besteht, dass das Verfahrens durch die erkennbare - und demonstrative - Anwesenheit von Mitgliedern der Hells Angels oder vergleichbarer Gruppierungen beeinträchtigt werden könnte, ist das präventive Verbot des sichtbaren Tragens der entsprechenden Kleidung sachlich begründet und nicht unangemessen.
Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit konkret für den jeweiligen Verhandlungstag die Einflussnahme auf Zeugen oder die Beeinträchtigung weitere Personen zu befürchten ist. Solange die Gefahr einer Beeinflussung des Verfahrens oder einer Störung des Gerichtsbetriebs nicht völlig unwahrscheinlich, sondern vielmehr nachvollziehbar und jedenfalls möglich erscheint, darf der Antragsgegner präventive Maßnahmen ergreifen, um dieser Gefahr zu begegnen, zumal der konkrete Gang eines Strafverfahrens und die jeweilige personelle Situation auf dem Justizgelände nicht vorherzusehen sind.
Die Sicherheitsverfügung knüpft auch nicht in erster Linie an persönlichkeitsbezogene, sondern an äußere Umstände an. Nicht die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub als solche ist maßgebend, sondern das Tragen einer bestimmten, diese Zugehörigkeit demonstrierenden Kleidung. Dies stellt angesichts der konkreten Umstände des Falles keine ungerechtfertigte Diskriminierung der Betroffenen dar.
Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass er angeboten habe, die Kutte auszuziehen und über dem Arm zu tragen, vermag dies die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsverfügung nicht in Zweifel zu ziehen. Dem Anliegen des Antragsgegners, eine Dokumentation der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen zu vermeiden, dient es nicht in gleicher Weise, wenn die Kutte auch nach dem Ausziehen weiterhin erkennbar bleibt. Dass der Antragsgegner nicht nur das Tragen der Kutte, sondern auch anderer Bekleidungsstücke untersagt hat, rechtfertigt sich daraus, dass nach seinen Angaben nach dem ersten Verhandlungstag das Kuttenverbot dadurch umgangen werden sollte, dass die darauf befindlichen Abzeichen, Embleme und Abbildungen auf andere Kleidungsstücke „kopiert“ wurden, und stellt sich daher nicht als unverhältnismäßig dar.
Dass die Vorsitzende der Strafkammer selbst keine sitzungspolizeilichen Anordnungen bezüglich der Bekleidung der Zuschauer getroffen hat, lässt entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf schließen, dass sie derartige Anordnungen nicht für erforderlich gehalten hätte. Denn die Vorsitzende war ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Unterlagen von Anfang an in die sicherheitsrelevanten Überlegungen einbezogen und wusste um die Absicht des Antragsgegners, entsprechende allgemeine Sicherheitsverfügungen zu erlassen, so dass für zusätzliche eigene Anordnungen keine Anlass bestand. Ein Widerspruch zu den sitzungspolizeilichen Befugnissen der Vorsitzende ist daher nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat - wie schon die erste Instanz - trotz des vorläufigen Charakters eines Eilverfahrens im Hinblick auf die in der Sache begehrte Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Auffangwerts abgesehen hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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