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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RBs 248/13 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Hat der Betroffene durch seinen Verteidiger bereits ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung eingelegt, können nachfolgende Teilzahlungen des Betroffenen auf die Geldbuße nicht ohne Weiteres als Rücknahme des Rechtsmittels gewertet werden.
2. Das bloße Schweigen des Betroffenen und seines Verteidigers auf ein Schreiben des Amtsgerichts, in dem das Amtsgericht ankündigt, es werde eine unterbliebene Äußerung als Verzicht auf eine Beschlussbegründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG werten, stellt keinen Verzicht auf eine Begründung dar.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Einspruch, Teilzahlung, Rücknahme, Beschlussverfahren

Normen: OWiG 67; OWiG 72

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
hat der 23. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 06.01.2014 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe

I.

Das Amtsgericht verhängte gegen den Betroffenen im Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 16. Mai 2013 wegen "vorsätzlicher Nichterstattung der (Sofort-)Meldung an die Datenstelle der Rentenversicherungsträger als Arbeitgeber im Gebäudereinigungsgewerbe" in zehn Fällen (Ordnungswidrigkeiten nach §§ 111 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 28a Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 SGB IV) Geldbußen von 1 x 300 € und 9 x 100 €. Die Gründe des Beschlusses enthalten ausweislich seiner Urschrift (Blatt 67-68 d.A.; bei der Beschlussversion Blatt 63-65 d.A. handelt es sich lediglich um einen Entwurf bzw. eine Vorlage für die Erstellung der eigentlichen Beschlussurschrift) folgende Feststellungen zum Tatgeschehen:

"Der Betroffene ist bzw. war Inhaber der im Handelsregister des Amtsgerichts Bad Oeynhausen eingetragenen Firma Glas- und Gebäudereinigungs-Service U-U S & Sohn e.K. in Q. Es handelt sich um einen Betrieb des Gebäudereinigungsgewerbes."

Nach diesem Absatz folgt in den Beschlussgründen eine Auflistung von Personennamen (jeweils Vor- und Familienname), denen jeweils die Bezeichnung "Arbeitnehmer" oder "Arbeitnehmerin" vorangestellt ist und nach denen, jeweils eingeleitet mit dem Wort "am", jeweils ein kalendarisches Datum aus den Jahren 2011 oder 2012 angegeben ist. Sodann heißt es in den Beschlussgründen:

"Obwohl der Betroffene um seine gesetzlichen Meldepflichten wusste, hat er dem Träger der Rentenversicherung keine Sofortmeldung erteilt."

Von einer weiteren Darstellung des Tatgeschehens in den Beschlussgründen sah das Amtsgericht ab und verwies stattdessen unter Hinweis auf § 72 Abs. 6 OWiG auf den Inhalt des Bußgeldbescheides.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde greift der Betroffene den Beschluss des Amtsgerichts in vollem Umfang an. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge (vorläufig) Erfolg. Einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es aus diesem Grunde nicht.

1. Eine Entscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde ist (weiterhin) veranlasst. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Auffassung hat der Betroffene sein Rechtsmittel nicht zurückgenommen. Nachdem der Verteidiger am 31. Mai 2013 die Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, hat zwar eine Einzahlerin namens "D S" bei der Gerichtskasse Bielefeld am 5. Juni 2013 und am 3. Juli 2013 jeweils Teilzahlungen in Höhe von 100 € zur Begleichung der Geldbußen geleistet. Hierin liegt indes keine (konkludente) Rücknahme der Rechtsbeschwerde. Hat der Betroffene (durch seinen Verteidiger) bereits ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung eingelegt, können nachfolgende Teilzahlungen des Betroffenen nicht ohne Weiteres als Rücknahme des Rechtsmittels gewertet werden. Es kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass derartige Zahlungen auf einem Rechtsirrtum über die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Bußgeldentscheidungen beruhen, gibt es doch zahlreiche Fälle, in denen Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, mit denen Geldleistungen zu Gunsten des Staates festgesetzt werden, keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. z.B. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, § 361 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im vorliegenden Falle kommt hinzu, dass die Teilzahlungen nicht von dem Betroffenen selbst, sondern von einer dritten Person geleistet wurden, ohne dass erkennbar ist, ob und gegebenenfalls inwieweit das Verhalten dieser dritten Person dem Betroffenen zuzurechnen ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft. Zur Prüfung, ob die in dieser Vorschrift genannte Wertgrenze überschritten ist, sind die zehn vom Amtsgericht verhängten Geldbußen hier zu addieren.

Aus § 79 Abs. 2 OWiG folgt, dass Geldbußen, die für mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 264 Abs. 1 StPO) verhängt worden sind, zum Zwecke der Prüfung, ob die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten ist, nicht zusammengerechnet werden dürfen. Hat das Amtsgericht indes für materiell-rechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 20 OWiG) zueinander stehende Taten, die in prozessualer Hinsicht gleichwohl noch eine einheitliche Tat bilden, mehrere Geldbußen verhängt, sind diese - soweit sie vom Rechtsmittelangriff erfasst sind - für die Prüfung der Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zusammenzurechnen (Senat, Beschluss vom 1. August 2013 - III-3 RBs 128/13 - [zur Veröffentlichung in NRWE vorgesehen] m.w.N.). Ob eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne vorliegt, hat das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen zu prüfen (Senat, a.a.O. m.w.N.). Kann diese Frage anhand der Feststellungen nicht beantwortet werden, ist zu Gunsten des Betroffenen vom Vorliegen einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne auszugehen (Senat, a.a.O. m.w.N.). So liegt der Fall hier.

Eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne ist ein nach der natürlichen Lebensauffassung einheitlicher geschichtlicher Vorgang, dessen Einzelbestandteile innerlich so miteinander verknüpft sind, dass ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges empfunden würde (Senat, a.a.O. m.w.N.). Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem hier zu beurteilenden Geschehen um einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang in dem oben dargestellten Sinne handelt. Denn letztlich lässt sich den Beschlussgründen überhaupt nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen, welcher Vorgang oder welche Vorgänge Gegenstand der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung sein sollen, weil nicht erkennbar ist, welche Bedeutung die in den Beschlussgründen enthaltene Aufzählung von Arbeitnehmernamen und insbesondere die darin jeweils angegebenen Kalendertage haben sollen.

Der Inhalt des Bußgeldbescheides kann vom Senat zur Beurteilung des Tatgeschehens nicht herangezogen werden. Der vom Amtsgericht in den Gründen seines Beschlusses ausgesprochene Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides ist unbeachtlich. Nach § 72 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG kann das Amtsgericht nur dann von eigenen Ausführungen in den Gründen seines Beschlusses absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides verweisen, wenn die am Verfahren Beteiligten nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG auf eine Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses verzichtet haben. Einen solchen Verzicht haben weder der Betroffene noch sein Verteidiger erklärt. Das bloße Schweigen des Betroffenen und seines Verteidigers auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 19. April 2013, in dem das Amtsgericht ankündigt, es werde eine unterbliebene Äußerung als Verzicht auf eine Begründung werten, stellt keinen Verzicht im Sinne des § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG dar (zu Recht zweifelnd Göhler, OWiG, 16. Aufl. [2012], § 72 Rdnr. 63a).

3. Der Schuldspruch hält materiell-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Amtsgerichts stellen keine hinreichende Grundlage für eine Verurteilung des Betroffenen dar.

4. Der Senat hebt den angefochtenen Beschluss daher nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO mit den Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 79 Abs. 6 OWiG zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurück.


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