Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl 12/14 OLG Hamm

Leitsatz: Die Auslieferung eines Verfolgen in die Türkei zur Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 29 Jahren und 8 Monaten wegen insgesamt 7 zum Teil schweren und im Alter von 18 Jahren und 3 Monaten innerhalb eines Zeitraums von 2 Wochen begangenen Diebstahlstaten (Motorraddiebstähle) ist trotz der Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach 2/3-Verbüßung nach § 73 IRG unzulässig, weil eine solche Strafe unerträglich hart erscheint.


Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Auslieferung, Türkei, Zulässigkeit

Normen: IRG 73

Beschluss:

Auslieferungssache
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 18.02.2014 beschlossen:

1. Die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Türkei zur Strafvollstreckung wegen der ihm in dem Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft in Adiyaman vom 13. November 2013 (Aktenzeichen: 2012/3341) in Verbindung mit dem Urteil des 1. Amtsgerichts Adiyaman, Abteilung Strafsachen, vom 11.05.2011 (Aktenzeichen: 2010/219, Urteilnummer 2011/348) und dem "sonstigen Urteil" des 1. Amtsgerichts Adiyaman, Abteilung Strafsachen, vom 06.06.2013 (Urteilnummer 2013/223) zur Last gelegten Taten ist unzulässig.
2. Der mit Schriftsatz von Rechtsanwalt B in D vom 12. Februar 2014 gestellte Antrag, dem Verfolgten als Beistand beigeordnet zu werden, ist damit gegenstandslos.

Gründe

I.

Die türkischen Behörden ersuchen mit auf diplomatischem Wege übermittelten Auslieferungsunterlagen um die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung auf der Grundlage des Haftbefehls der Oberstaatsanwaltschaft in Adiyaman vom 13. November 2013 (Aktenzeichen: 2012/3341).

Diesem Haftbefehl liegt das Urteil des 1. Amtsgerichts Adiyaman, Abteilung Strafsachen, vom 11.05.2011 (Aktenzeichen: 2010/219, Urteilnummer 2011/348) in Verbindung mit dem "sonstigen Urteil" des 1. Amtsgerichts Adiyaman, Abteilung Strafsachen vom 06.06.2013 (Urteilnummer 2013/223) zugrunde, durch das der Verurteilte wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in fünf Fällen, Diebstahls in zwei Fällen und Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 26 Jahren und 44 Monaten verurteilt worden ist, die er bis auf 106 Tage Untersuchungshaft noch vollständig zu verbüßen hat. Dieser Gesamtfreiheitsstrafe liegen folgende Einzelfreiheitsstrafen zugrunde: Dreimal 5 Jahre 10 Monate, zweimal 5 Jahre, 3 Jahre 6 Monate, 3 Jahre sowie zweimal 4 Monate. Zu Gunsten des Verurteilten soll bei der Strafverbüßung eine Strafminderung im Verhältnis von einem Drittel vorgenommen werden, so dass er "bei vorgesehenem Haftbeginn ab dem 12.06.2013 nach der Vollstreckung am 24.11.2032 zum bedingten Straferlass berechtigt" sei.

Mit dem Urteil vom 11. Mai 2011 werden dem Verfolgten folgende Straftaten vorgeworfen:

1.


Am 10. April 2010 entwendete er gemeinsam mit dem gesondert verfolgten F das auf der Straße unverschlossen abgestelltes Motorrad des Geschädigten L2.


2.


Im Zeitraum zwischen dem 28. März und dem 12. April 2010 entwendete der Verfolgte ebenfalls mit dem gesondert verfolgten F das zu dieser Zeit verschlossene Motorrad des Geschädigten V.


3.


Am 12. April 2010 entwendete der Verfolgte gemeinsam mit dem gesondert verfolgten C das an einer Straße abgestellte, abgeschlossene Motorrad des Zeugen X, indem sie das Lenkradschloss aufbrachen und dadurch beschädigten.


4.


Am selben Tag entwendeten der Verfolgte und der gesondert verfolgte C durch Aufbrechen des Lenkradschlosses das verschlossene Motorrad des Geschädigten H, dass ebenfalls an einer Straße abgestellt war.


5.


Bereits am 28. März 2010 entwendete der Verfolgte ferner gemeinsam mit dem gesondert verfolgten C das Motorrad des Geschädigten W, dass in unverschlossenem Zustand an der Straße stand.


6.


Am selben Tag entwendete der Verfolgte zusammen mit dem gesondert verfolgten C das Motorrad des Geschädigten H2, dass in verschlossenem Zustand an einer Straße stand.


7.


Ebenfalls am selben Tag entwendete der Verfolgte zusammen mit dem gesondert verfolgten C das Motorrad des Geschädigten L, dass in verschlossenem Zustand an einer Straße stand.


Die ihm vorgeworfenen Taten hat der Verfolgte bei seiner Vernehmung bei dem Amtsgericht für Strafsachen Adiyaman eingeräumt.

Bei der Verkündung des Urteils am 11. Mai 2011 war der in der Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertretene Verfolgte nicht anwesend.

Der Verfolgte befindet sich seit dem 19. November 2013 in anderer Sache in Untersuchungshaft aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund (Az. 712 GS 312/13 = 123 Js 777/13 StA Dortmund) vom 20. November 2013.

Anlässlich seiner Anhörung zum Auslieferungsersuchen durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bochum am 3. Februar 2014 hat der Verfolgte geäußert, dass er sich an keine Verurteilung in der Türkei erinnern könne und er auf keinen Fall in die Türkei ausgeliefert werden wolle.

Mit Zuschrift vom 6. Februar 2014 hat die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beantragt, die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Türkei zur Strafvollstreckung für unzulässig zu erklären.

II.

Da sich der Verfolgte mit seiner Auslieferung nicht einverstanden erklärt hat, ist gemäß §§ 29 ff. IRG eine Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung erforderlich.

Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären.

1.

Die auf dem in Art. 12 Abs. 1 EuAlÜbk vorgesehenen diplomatischen Weg übermittelten Auslieferungsunterlagen liegen vollständig vor und entsprechen den an ihren Inhalt zu stellenden Anforderungen gemäß §§ 10 Abs. 1 IRG, Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk.

Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten prozessualen Taten ergibt sich aus § 3 Abs. 1 u. 3 IRG, Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk. Die Taten sind sowohl nach deutschem Recht (§§ 242 Abs., 243 Abs. 1 Nr. 2, 303, 53 StGB) als auch nach türkischem Strafrecht (Art. 141, 142, 151 des türkischen Strafgesetzbuches) zumindest als Diebstähle im besonders schweren Fall bzw. einfache Diebstähle sowie Sachbeschädigung strafbar und jeweils mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.

Strafvollstreckungsverjährung ist weder nach türkischem noch nach deutschem Recht eingetreten (Art. 10 EuAlÜbk).

2.

Die beantragte Auslieferung des Verfolgten in die Türkei widerspricht jedoch wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung (§ 73 IRG), da Gegenstand des Ersuchens um Auslieferung zur Strafvollstreckung eine unerträglich schwere Strafe ist.

Ein innerstaatliches Auslieferungsverbot nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 73 IRG ist bei einer unerträglich schweren Strafe gegeben, da es zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der gesetzlich angedrohten oder der verhängten Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. Eine Strafandrohung oder Verurteilung darf nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein. Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfGE 25, 269 (286) [BVerfG 26.02.1969 - 2 BvL 15/68]; 45, 187 (228); 50, 205 (214 f.), 75, 1 (9)). Der Kernbereich dieser Anforderungen zählt zu den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland und ist auch im Auslieferungsverkehr zu beachten (vgl. BVerfGE 63, 332 [BVerfG 09.03.1983 - 2 BvR 315/83] (337 ff.)). Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland ist es verwehrt, einen Verfolgten auszuliefern, wenn die Strafe, die gegen ihn im ersuchenden Staat verhängt wurde, unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint.

Anderes gilt hingegen dann, wenn die zu vollstreckende Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen erachtet werden könnte. Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (Präambel, Art. 24 bis 26 GG). Es gebietet damit zugleich, fremde Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten. Das bedeutet, dass die Auffassung der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollem Strafen im Auslieferungsverkehr nur insoweit zur Geltung zu bringen ist, als sie Bestandteil zwingender, unabdingbarer verfassungsrechtlicher Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland ist (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1987 - 2 BvM 2/86 -, BVerfGE 75, 1-34).

Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze stehen im vorliegenden Fall einer Auslieferung entgegen.

Bei den von dem Verfolgten begangenen Straftaten handelt es sich bei den Fällen 1. und 5. um (einfache) Diebstähle gemäß § 242 Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) und bei den übrigen Fällen 2. - 4., 6. und 7. um Diebstähle im besonders schweren Fall gemäß § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nach deutschem Strafrecht werden Taten nach § 242 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von fünf Jahren und solche nach §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von zehn Jahren geahndet.

Bei der nach deutschem Recht gemäß § 53 StGB zu bildenden Gesamtstrafe wäre darüber hinaus zu beachten, dass diese ein Höchstmaß von 15 Jahren nicht überschreiten dürfte (§ 54 Abs. 2 S. 2 1. Alt. StGB).

Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende, in der Türkei zu vollstreckende Gesamt-Freiheitsstrafe beträgt demgegenüber 26 Jahre und 44 Monate, also knapp 30 Jahre, und übersteigt die theoretisch in Deutschland maximal zulässige zeitige Gesamtfreiheitsstrafe um mehr als 14 Jahre. Sie erscheint nicht nur als in hohem Maße hart, was noch hingenommen werden müsste, sondern unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen und unerträglich hart. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass angesichts der dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnenden Taten, wie sie dem Verfolgten zur Last gelegt werden, bei einer Strafverfolgung in Deutschland entsprechend der hiesigen Strafzumessungspraxis bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht voraussichtlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als fünf Jahren verhängt worden wäre.

Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass der Verfolgte bei der Begehung der Taten 18 Jahre und drei Monate alt war und damit nach deutschem Recht Heranwachsender im Sinne von § 1 Abs. 2 JGG war. Unter Berücksichtigung der in dem Urteil vom 11. Mai 2011 festgestellten Tatumstände ist davon auszugehen, dass eine Aburteilung nach deutschem Strafrecht zur Anwendung von Jugendstrafrecht (§ 105 Abs. 1 JGG) und - bei Bejahung schädlicher Neigungen oder der Schwere der Schuld - allenfalls zur Verhängung einer Jugendstrafe deutlich unter fünf Jahren geführt hätte, die bereits nach Verbüßung von mindestens einem Drittel, jedenfalls aber nach Verbüßung der Hälfte, eine realistische Chance auf eine Reststrafenaussetzung nach § 88 JGG eröffnet hätte.

Demgegenüber wird der Verfolgte nach türkischem Recht erst nach Verbüßung von Zweidrittel der knapp 30-jährigen Gesamtfreiheitsstrafe, also nicht vor dem Jahr 2033/2034, "zum bedingten Straferlass berechtigt sein."

Diese Dauer des Freiheitsentzuges erscheint unter Berücksichtigung des Unrechtsgehalts der Taten, ihres engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs und des Alters des Verfolgten zum Tatzeitpunkt schlechthin unangemessen und unerträglich hart, so dass die Auslieferung für unzulässig zu erklären war.

Die Frage, ob der Auslieferung des Verfolgten auch Art. 3 Abs. 1 des 2. Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen entgegen steht, da der Verfolgte bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend war, kann dahinstehen.

III.

(Alleinentscheidung des Senatsvorsitzenden)

Mit der vorstehenden negativen Zulässigkeitsentscheidung des Senats ist das gerichtliche Auslieferungsverfahren abgeschlossen und damit der im Schriftsatz von Rechtsanwalt B vom 12. Februar 2014 gestellte Beiordnungsantrag nach § 40 IRG gegenstandslos.



zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".