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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-3 Ws 321/11 OLG Hamm

Leitsatz: Auch in dem Verfahrensstadium nach Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO kann die Mitwirkung eines Verteidigers – so z.B. zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei der Auflagen- und Weisungserfüllung oder auch zur Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung bei drohendem Scheitern der vorläufigen Einstellung – geboten sein, so dass auch in diesem Verfahrensstadium die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommen kann.

Eine schwierige Sachlage im Sinne des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO besteht nicht stets bei längerer Dauer der Hauptverhandlung oder bei einer komplexen Beweislage. Eine schwierige Sachlage ist erst dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann, insbesondere weil er allein den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidiger, Bestellung, Zeitpunkt, Einstellung des Verfahrens, schwierige sachlage

Normen: StPO 140; StPO 153a

Beschluss:

In pp.
hat der 3., Strafsenat des OLG Hamm am 07.10.2011 beschlosseN.

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte.
1
G r ü n d e
2
I.
3
Das Amtsgericht Coesfeld verurteilte den zum damaligen Zeitpunkt bereits mehrfach vorbestraften Angeklagten am 30. August 2004 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Nachdem die zunächst gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen worden war und der Beschwerdeführer daraufhin zwei Drittel der erkannten Strafe verbüßt hatte, setzte das Landgericht Bielefeld – Strafvollstreckungskammer – die Vollstreckung des Strafrestes mit Beschluss vom 28. Mai 2008 zur Bewährung aus.

Am 31. Januar 2008 verurteilte das Amtsgericht Coesfeld den Angeklagten wegen Betruges in drei Fällen und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 9. Oktober 2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung das Gericht zur Bewährung aussetzte.

Mit Strafbefehl vom 7. September 2009 verhängte das Amtsgericht Coesfeld gegen den Angeklagten wegen Betruges eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 €. Gegenstand des Strafbefehls war der Vorwurf, der Angeklagte habe im November 2008 unter Vortäuschung seiner Zahlungsfähigkeit und –willigkeit bei dem Geschädigten X 27 Ferkel zum Preis von 731,50 € bestellt und die Lieferung dann auch entgegengenommen. Den Kaufpreis habe er nicht bezahlt. Er sei hierzu auch weder willens noch in der Lage gewesen, da er bereits im Juni 2006 in einer Zwangsvollstreckungssache die eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse abgegeben habe. Der Angeklagte legte gegen den Strafbefehl keinen Einspruch ein, und die Entscheidung erwuchs am 23. Oktober 2009 (zunächst) in Rechtskraft.

Unter Hinweis auf die dem vorbezeichneten Strafbefehl zugrundeliegende Tat widerrief das Landgericht Bielefeld – Strafvollstreckungskammer – mit Beschluss vom 22. Dezember 2009, rechtskräftig seit dem 26. Februar 2010, die durch das Urteil vom 31. Januar 2008 sowie durch den Beschluss vom 28. Mai 2008 gewährten Strafaussetzungen zur Bewährung.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 19. August 2010 beantragte der Angeklagte die Wiederaufnahme des durch den Strafbefehl vom 7. September 2009 abgeschlossenen Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft Münster sah den Wiederaufnahmeantrag als nicht von vornherein aussichtslos an und stellte als Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 30. August 2004 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 31. Januar 2008 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens zurück. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2010 ordnete das für die Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren zuständige Amtsgericht Bielefeld die Wiederaufnahme des durch den Strafbefehl vom 7. September 2009 abgeschlossenen Verfahrens sowie die Erneuerung der Hauptverhandlung an. Die neue Hauptverhandlung fand am 3. Januar 2011, 24. Januar 2011 und 14. Februar 2011 vor dem Amtsgericht Bielefeld statt. Nach der Vernehmung von insgesamt neun Zeugen verurteilte das Amtsgericht Bielefeld den Angeklagten am 14. Februar 2011 wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 €. Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. März 2011, gerichtet an das Landgericht Bielefeld als Berufungsgericht, stellte der Angeklagte den Antrag, Rechtsanwältin T in O zu seiner Pflichtverteidigerin zu bestellen. Mit Beschluss vom 15. August 2011 lehnte der Vorsitzende der 11. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld die Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten ab.

Mit Beschluss vom 13. September 2011 stellte die 11. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein und erteilte dem Angeklagten die Auflage, an den Geschädigten X zur Schadenswiedergutmachung einen Betrag von 1.000 € in sechs monatlichen Raten, beginnend im Oktober 2011, zu zahlen.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss vom 15. August 2011, mit dem der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt hat.

II.
Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers liegen nicht vor.

1. Die Beschwerde hat allerdings nicht bereits deshalb keinen Erfolg, weil das Landgericht das Verfahren zwischenzeitlich nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt hat. In der Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass die (rückwirkende) Bestellung eines Pflichtverteidigers nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens unzulässig ist (OLG Hamm, Beschluss vom 28. Juni 2007 – 2 Ws 174/07 –, Rdnr. 8 ). Die vorläufige Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO steht einem rechtskräftigen und damit endgültigen Verfahrensabschluss indes nicht gleich. Sind – wie im vorliegenden Falle – die zugleich mit der vorläufigen Einstellung erteilten Auflagen und Weisungen noch nicht erfüllt, befindet sich das Verfahren in einem Schwebezustand (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. [2011], § 153a Rdnr. 44). Auch in diesem Verfahrensstadium kann die Mitwirkung eines Verteidigers – so z.B. zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei der Auflagen- und Weisungserfüllung oder auch zur Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung bei drohendem Scheitern der vorläufigen Einstellung – geboten sein.

2. Unbegründet ist die Beschwerde, weil die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO – diese Regelung kommt in der vorliegenden Sache allein als Grundlage für die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers in Betracht – nicht vorliegen. Nach der genannten Vorschrift bestellt der Vorsitzende einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

a) Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers nicht.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Angeklagte bei der Erfüllung der Schadenswiedergutmachungsauflage aus dem Beschluss des Landgerichts vom 13. September 2011 der Mitwirkung eines Verteidigers bedarf.

Auch die im Falle der Nichterfüllung der Auflage durchzuführende neue Hauptverhandlung wirft keine derart schwierigen Sach- oder Rechtsfragen auf, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erschiene. Die vom Gericht zu beantwortenden Fragen des materiellen Strafrechts (hier: Betrugsstrafbarkeit wegen der Bestellung und Entgegennahme von Waren trotz fehlender Zahlungsfähigkeit und –willigkeit) sind rechtlich denkbar einfach gelagert. In tatsächlicher Hinsicht ist die ebenfalls einfache Frage zu beantworten, ob der Angeklagte bei den Vertragsverhandlungen mit dem Zeugen X im November 2008 die Bestellung der Ferkel im eigenen oder in fremdem Namen – hier im Namen der Fa. "B" – aufgegeben hat. Dass das Amtsgericht in der ersten Instanz zur Klärung dieser Frage an drei Hauptverhandlungstagen insgesamt neun Zeugen vernommen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine schwierige Sachlage im Sinne des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO besteht nicht stets bei längerer Dauer der Hauptverhandlung oder bei einer komplexen Beweislage (Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 26a m.w.N.). Eine schwierige Sachlage ist erst dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann, insbesondere weil er allein den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht (so OLG Stuttgart, StV 1987, 8, im Falle einer neuntägigen Beweisaufnahme mit insgesamt 168 Zeugen). Dass der ausweislich seiner Vorstrafen im Viehhandel erfahrene Angeklagte den Überblick über die Aussagen der noch überschaubaren Anzahl von Zeugen, die überwiegend in der gleichen Branche wie er tätig sind, verlieren könnte, ist nicht ersichtlich. Hinzu kommt, dass zum eigentlichen Kern des strafrechtlichen Vorwurfs, nämlich dem Inhalt der Absprachen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen X, letztlich auch nur diese beiden Personen Angaben machen konnten, während alle anderen Zeugen, soweit ihre Aussagen überhaupt als ergiebig bezeichnet werden können, allenfalls Angaben zu Hilfstatsachen gemacht haben.

b) Auch die Schwere der Tat gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers nicht. Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, wobei in der Regel bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Anlass zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers besteht (Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 23 m.w.N.). Im vorliegenden Falle droht dem Angeklagten im Falle einer Verurteilung in der Berufungsinstanz im Hinblick auf § 331 Abs. 1 StPO allenfalls die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Dies rechtfertigt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht.

Dem Angeklagten drohen infolge einer möglichen Verurteilung in dieser Sache auch keine sonstigen schwerwiegenden Nachteile – etwa in Form eines Bewährungswiderrufes (vgl. hierzu Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 25) –, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers rechtfertigen könnten. Der Angeklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf berufen, ihm drohe infolge einer Verurteilung in der vorliegenden Sache die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 30. August 2004 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 31. Januar 2008. Die Vollstreckung droht ihm nicht "infolge" einer Verurteilung im vorliegenden Verfahren, sondern infolge des bereits seit dem 26. Februar 2010 und damit bereits vor der Einleitung des Wiederaufnahmeverfahrens rechtskräftigen Widerrufsbeschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 22. Dezember 2009. Die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 30. August 2004 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 31. Januar 2008 ist die grundsätzlich zwingende und nicht von einem Ermessen der Vollstreckungsbehörde abhängige Folge des rechtskräftigen Bewährungswiderrufs. Selbst ein Freispruch im vorliegenden Verfahren berührt den Widerrufsbeschluss in seinem Bestand nicht. Ein Wiederaufnahmeverfahren bezüglich eines Bewährungswiderrufsbeschlusses ist nicht statthaft (OLG Hamm, VRS 90, 136; OLG Düsseldorf, JMBl NRW 2004, 81). Eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nach dem Erlass eines rechtskräftigen Widerrufsbeschlusses kann lediglich im Gnadenwege oder nach § 57 StGB erfolgen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Letztlich hat auch die Staatsanwaltschaft Münster als Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 30. August 2004 sowie der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 31. Januar 2008 nur aus Gnadenerwägungen heraus zurückgestellt. Der Wegfall dieser ihrer Natur nach ohnehin nur vorläufigen Zurückstellung nach dem Abschluss des vorliegenden Verfahrens sowie die für den Verurteilten im Falle eines für ihn günstigen Ausganges des vorliegenden Verfahrens bestehende Möglichkeit, auf dem Gnadenwege oder allenfalls noch auf der Grundlage des § 57 StGB eine Inhaftierung zu vermeiden, rechtfertigen die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



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