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aus ZAP F 22 R, S. 599

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (II/2009)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

I. (Internet)Hinweise
II. Ermittlungsverfahren
  1. Durchsuchung/Beschlagnahme
  2. Nochmals: Richtervorbehalt bei der Blutentnahme
    a) Beweisverwertungsverbot
    b) Qualifizierter Widerspruch
III. Hauptverhandlung
  1. Qualifizierte Belehrung/Widerspruch
    a) LG: Qualifizierte Belehrung erforderlich
    b) BGH: Qualifizierte Belehrung ja, aber Abwägung
  2. Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht und Beweisverwertungsverbot
    a) Grundsätzlich Beweisverwertungsverbot
    b) Gespaltenes Beweisverwertungsverbot
  3. Inhalt des Beweisantrages
IV. Rechtsmittelverfahren
  1. Unbestimmtes Rechtsmittel
  2. Besondere Begründung der Berufungsentscheidung
  3. Anhörungsrüge
    a) Verletzung des rechtlichen Gehörs
    b) Verfahren
V. Bußgeldverfahren
  1. Pflichtverteidigung (im OWi-Verfahren)
  2. Bezugnahme auf Videoaufzeichnung in den Urteilsgründen
VI. Vergütungsfragen
  1. Höhe der vereinbarten Vergütung
  2. Gesetzliche Gebühren/Wahlanwaltsvergütung

Inhalt

I. (Internet)Hinweise

  • Hinzuweisen ist zunächst auf die Homepage „Verkehrslexikon“, die man unter http://www.verkehrslexikon.de. findet. Hier sind nicht nur die im Verkehrsrecht maßgeblichen Begriffe umfassend erläutert, was für den Mandanten, den man ggf. auf diese Seite hinweisen kann, nützlich sein kann. Eingestellt sind hier auch verkehrsrechtliche Veröffentlichungen und Entscheidungen.
  • In ZAP F. 22 R, S. 585, hatte ich über die noch ausstehenden bzw. in der 16. Legislaturperiode noch geplanten Gesetzesvorhaben im strafverfahrensrechtlichen Bereich berichtet. Inzwischen war der Gesetzgeber tätig und hat am 29. 5. 2009 das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren (vgl. BT-Drs. 16/13095) und das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (vgl. BT-Drs. 16/13097) beschlossen. Die neue Regelung zur Verständigung im Strafverfahren (vgl. § 257c StPO n.F.) wird voraussichtlich zum 01.01.2010 in Kraft treten und entspricht im Wesentlichen den Vorgaben des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 16/12310). Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts hat im Gesetzgebungsverfahren eine wesentliche Änderungen erfahren (vgl. BT-Drs. 16/13097). Aufgenommen worden ist in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dass dem Beschuldigten, wenn U-Haft bzw. Sicherungshaft nach §§ 112, 112a, 126a, 275 StPO vollstreckt wird, ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist. Nach § 141 Abs. 3 StPO wird der Pflichtverteidiger unverzüglich nach Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft bestellt. Diese zusätzliche Regelung geht auf Anregungen aus dem Bundestag im Rahmen der 1. Lesung des Gesetzes zurück.
  • Inzwischen ist auch das sog. 2. Opferrechtsreformgesetz (vgl. BT-Drs. 16712098) verabschiedet worden. Dieses war Gegenstand der Beartungen in der letzten Bundestagssitzung am 2. 7. 2009. Es enthält weitreichende Änderungen im Recht der Nebenklage (§ 395 StPO und eine für die Pflichtverteidigung wichtige Neureung. In § 142 Abs. 1 S. 1 S. 2 StPO ist das Merkmal der „Ortsansässigkeit“ entfallen. Es kommt in Zukunft nur noch darauf an, ob der Bestellung des vom Beschuldigten benannten Rechtsanwalts „wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22 R, S. 585; Burhoff StRR 2009, 89).
Inhaltsverzeichnis

II. Ermittlungsverfahren

1. Durchsuchung/Beschlagnahme

Es erstaunt doch, dass das BVerfG immer wieder mit den Fragen der ordnungsgemäßen Begründung eines Durchsuchungsbeschlusses befasst sein muss. Man sollte doch meinen, dass diese, nachdem das BVerfG die Fragen in den letzten Jahren wiederholt entschieden hat (vgl. z.B. NJW 2009, 281; s. auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., 2006, Rn. 538 ff., m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]) hinreichend geklärt sein müssten. Nichts desto trotz, ist das BVerfG immer wieder gezwungen, dazu Stellung zu nehmen. So z.B. in seinen Beschlüssen vom 8. 4. 2009 (2 BvR 945/08) bzw. vom 17. 3. 2009, (2 BvR 1940/05. wistra 2009, 227 = StRR 2009, 162 [Ls.]). Im Beschl. v. 8. 4. 2009 (a.a.O.) ging es um ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs von strafbaren Urheberrechtsverletzungen. Im Beschl. vom 17. 3. 2009 (a.a.O.) handelte es sich um ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren. In beiden Verfahren hat das BVerfG die amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlüsse als „zu leicht“ befunden und verworfen.

Im Beschl. v. 8. 4. 2009 hat es (erneut) darauf hingewiesen, dass allein auf vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen ein Durchsuchungsbeschluss nicht gestützt werden könne. Die Anforderungen an eine Substantiierung des Tatvorwurfs seien höher, wenn ein Anfangsverdacht sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht fraglich ist. In dem Verfahren war im Rahmen der Strafanzeige den Ermittlungsbehörden lediglich mitgeteilt worden, dass auf der Homepage des Beschuldigten, der eine Internetplattform, auf der registrierte Nutzer beliebige Beiträge verfassen und diskutieren konnten. betrieb, urheberrechtlich geschützte Film-, Musik- und Programmdateien unerlaubt zum Download angeboten würden. Zum Nachweis waren einige Screenshots übersandt worden, auf denen in türkischer Sprache verfasste Diskussionsbeiträge zu erkennen waren. Zu sehen waren überdies einige Links zu Internetseiten einer Firma mit dem Hinweis, auf diesen Internetseiten könnten die jeweiligen geschützten Dateien heruntergeladen werden. Die Ermittlungsbehörden hatten weder auf der Seite des Beschuldigte von Nutzern eingestellte Links überprüft, noch ist ein Dolmetscher zur Übersetzung der in türkischer Sprache verfassten Diskussionsbeiträge beigezogen worden. Das hat dem BVerfG nicht gereicht.

Tipp/Hinweis

Nach Auffassung des BVerfG (a.a.O.) kann es wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 GG geboten sein, auch weniger erfolgversprechende Ermittlungsmaßnahmen vorzuschalten, wenn durch die Vornahme grundrechtsschonenderer Maßnahmen keine Verschlechterung der Beweislage zu befürchten ist.

In der Entscheidung vom 17. 3. 2009 (2 BvR 1940/05. wistra 2009, 227 = StRR 2009, 162 [Ls.]) war die de Durchsuchung der Wohnung und des Arbeitsplatzes des Beschuldigte angeordnet worden wegen des Verdachts de strafbaren Teilnahme an sog. Karussellgeschäften. Das BVerfG hat hier beanstandet, dass im Durchsuchungsbeschluss nur eine knappe und lediglich abstrakte Beschreibung des angenommenen Modells der Steuerhinterziehung aufgeführt war, ohne zugleich den konkreten Lebenssachverhalt näher zu bezeichnen, so dass gänzlich offen blieb, auf welchen Handlungen der Tatverdacht eigentlich beruht.

Tipp/Hinweis

Das BVerfG (a.a.O.) hat darauf hingewiesen, dass allein darin, dass der Ermittlungsrichter einen Antrag der StA zum Erlass eines Durchsuchungsbefehls übernimmt, noch kein Verstoß gegen den Richtervorbehalt liegt. Wenn der Ermittlungsrichter allerdings eigene Wertungen gar nicht vornimmt, obwohl sich solche aufdrängten oder sich weitere Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es nicht eigenständig geprüft hat, so liegt darin ein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 2 GG.

Inhaltsverzeichnis

2. Nochmals: Richtervorbehalt bei der Blutentnahme

Die Entscheidungen der Gerichte zur Frage der Folgen bei Verletzung des Richtervorbehalts (§ 81a Abs. 2 StPO) für die Entnahme einer Blutprobe, vornehmlich also die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot, reißen nicht ab. Fast alle Fachzeitschriften berichten darüber (vgl. z.B. dazu die eingehende Darstellung der Problematik bei Denker DAR 2009, 257; Burhoff StRR 2009, 204 = StRR 2009, 207 mit einer umfassenden Zusammenstellung der veröffentlichten und nicht veröffentlichten Rechtsprechung. Auch hier habe ich bereits wiederholt über die Fragen berichtet (vgl. zuletzt ZAP F. 22 R, S. 589 m.w.N.).

Tipp/Hinweis

Natürlich sind inzwischen die ersten Rufe nach dem Gesetzgeber laut geworden (vgl. dazu z.B. Krumm ZRP 2009, 31, unter dem Titel: „Richtervorbehalt bei der Blutprobe: Weg damit!“. Der Gesetzgeber hat diese Rufe (natürlich) gehört/nicht überhört. Die Thematik war Gegenstand der Frühejahrskonferenz der Justizminister der Länder am 24.725. 6. 2009 in Dresden. Dort hat man beschlossen, „zu prüfen“.

a) Beweisverwertungsverbot

Hingewiesen werden soll hier nur noch auf folgendes: Inzwischen liegen die ersten Entscheidungen von OLG vor, in denen zutreffend ein Beweisverwertungsverbot bejaht wird. Sowohl der 3. Strafsenat des OLG Hamm (Beschl. v. 12. 3. 2009, 3 Ss 31/09, VRR 2009, 192 = StRR 2009, 187 = VA 2009, 100 = DAR 2009, 336) als auch der 1. Strafsenat des OLG Dresden (Beschl. v. 11. 5. 2009, 1 Ss 190/09, StRR 2009, 234 = StRR 2009, 224) als auch das OLG Celle (Beschl. v. 9. 6. 2009 - 311 SSBS 49/09) haben ein Beweisverwertungsverbot bejaht, wenn die Polizeibeamten sich zur Begründung von „Gefahr im Verzug“ bzw. ihrer „Eilzuständigkeit“ heute immer noch auf „das haben wir immer schon so gemacht“ bzw. auf eine langjährige Praxis berufen bzw. - so das OLG Celle, a.a.O. sich überhaupt keine Gedanken machen) . Demgegenüber wird aber auch von anderen OLG ein Beweisverwertungsverbot nach wie vor verneint (vgl. z.B. 2. Strafsenat des OLG Hamm im Beschl. v. 28. 4. 2009, 2 Ss 117/09, VRR 2009, 273 = StRR 2009, 262, und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 2. 6. 2009, 1 Ss 183/08, VRR 2009, 273 = StRR 2009, 262).

Tipp/Hinweis

Der Beschl. des OLG Karlsruhe (a.a.O.) ist ein wenig „hasenfüßig“. Das OLG verneint zwar das Vorliegen von „Gefahr im Verzug“ kommt dann aber nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Vertreten wird vielmehr die sog. „Cottbuser-Lösung“ (StRR 2009, 25 = VRR 2009, 35) und ausgeführt, dass die in der allgemeinen Dienstanweisung, die dem Vorgehen der Polizeibeamten im vom OLG entschiedenen Fall vertretene Rechtsauffassung zum Zeitpunkt ihres Erlasses vertretbar gewesen sei, „so dass sie - jedenfalls bis zur nunmehrigen Entscheidung des Senats - keine grobe Verkennung der Rechtslage“ darstelle. Das lässt zumindest darauf hoffen, dass das OLG demnächst anders entscheiden könnte, wenn die polizeiliche Praxis sich nicht ändert.

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b) Qualifizierter Widerspruch

Von Bedeutung in dem Zusammenhang ist eine weitere Entscheidung des 3. Strafsenats des OLG Hamm (vgl. Beschl. v. 24. 3. 2009, 3 Ss 53/09, VRR 2009, 234 = StRR 2009, 224), die noch einmal zum in der Hauptverhandlung erforderlichen Widerspruch Stellung nimmt. Insoweit ist festzuhalten, dass sowohl das OLG Hamm (vgl. OLG Hamm NJW 2009, 242 = VRR 2009, 192 = StRR 2009, 188) als auch das OLG Hamburg (vgl. OLG Hamburg NJW 2008, 2597 = VRR 2008, 183 = StRR 2008, 190 ) diese Hürde für die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes aufgebaut haben. Hinzu gekommen ist durch die Entscheidung des OLG Hamm v. 24. 3. 2009 eine weitere. Es reicht nämlich nicht aus, einfach nur „Widerspruch zu erheben“. Vielmehr muss dieser begründet/spezifiziert werden. Zur Begründung dieser Auffassung bezieht sich das OLG auf die beiden WÜK-Entscheidungen des BGH in BGHSt 52, 38 bzw. 52, 48 (StRR 2007, 22, 23, jew. m. Anm. Junker). Dort hatte der BGH darauf hingewiesen, dass der Tatrichter grds. nicht verpflichtet sei, allen möglichen oder denkbaren Verfahrensfehlern im Zusammenhang mit der fehlerhaften Beweiswürdigung von Amts wegen nachzuge­hen. Deshalb müsse die Begründung des Widerspruchs die Angriffsrichtung erkennen lassen, die den Prüfungsumfang durch das Tatgericht begrenzt. Deshalb seien in zumindest in groben Zügen die Gesichtspunkte anzugeben, unter denen der Angeklagte das Beweismittel für unverwertbar halte (so auch Diemer in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 136 StPO Rn. 17 a und 28; s. auch schon OLG Hamm, Beschluss vom 26. 2. 2009,  3 Ss 7/09).

Tipp/Hinweis

Darauf muss sich der Verteidiger einstellen und im Einzelnen in seinem Widerspruch darlegen, aus welchen Gründen er die Blutprobe für unverwertbar hält, also die Fehler, mit denen das Beweisverwertungsverbot begründet werden soll, im Einzelnen aufführen. Diese Liste sollte er vorbereitend schriftlich erstellen und dann in der Hauptverhandlung ggf. als Anlage zu Protokoll reichen. Wird das verwehrt, muss er darauf achten, dass die mündlich vorgetragene Begründung seines Widerspruchs sorgfältig protokolliert wird und es später im Protokoll der Hauptverhandlung eben nicht nur heißt: „Der Verteidiger erhob Widerspruch......“.

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III. Hauptverhandlung

1. Qualifizierte Belehrung/Widerspruch

Bislang war die Frage, ob ggf. eine sog. qualifizierte Belehrung zu erteilen ist, wenn der Beschuldigte zunächst nur als Zeugen vernommen und belehrt worden ist und als solcher auch Angaben gemacht hat, in Rspr. und Literatur umstritten (vgl. die Nachw. bei Burhoff, EV, Rn. 1378) .Der BGH hatte sie zuletzt in seinem Beschluss vom 3. 7. 2007 (1 StR 3/07; insoweit nicht in BGHSt 51, 367, StV 2007, 450, 452; vgl. ZAP F. 22 R, S. 515) noch offen gelassen. Die Frage ist aber jetzt vom BGH geklärt (vgl. BGHSt 53, 112 = NJW 2009, 1427 = StRR 2009, 140 m. Anm. Stephan). Inzwischen hat sich dann auch bereits das OLG Hamm dieser Entscheidung des BGH angeschlossen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 07.05.2009, 3 Ss 85/08).

a) LG: Qualifizierte Belehrung erforderlich

Nach dem Sachverhalt der BGH-Entscheidung (vgl. BGH; a.a.O.) hatte das LG bei seiner Verurteilung mehrerer Angeklagter wegen Raubes entgegen den Anträgen der StA in der Hauptverhandlung zwei Kriminalbeamte sowie den Ermittlungsrichter nicht als Zeugen zu den Angaben von zwei Angeklagten vernommen, die die bei ihren Zeugenvernehmungen unmittelbar nach der Tat gemacht hatten, und diese Angaben auch nicht verwertet. Das LG hatte ein Beweiserhebungsverbot angenommen, weil die Polizisten die beiden Angeklagten trotz des gegen sie bestehenden Tatverdachts als Zeugen vernommen und deshalb nicht ordnungsgemäß nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO belehrt hätten. Auch hätten die Kriminalbeamten und der Ermittlungsrichter die Angeklagten im späteren Verlauf der Vernehmung zwar als Beschuldigte belehrt; die Vernehmungspersonen hätten dabei aber den Hinweis auf die Unverwertbarkeit der bei den Vernehmungen als Zeuge gemachten Angaben unterlassen („qualifizierteBelehrung). Auf die Verfahrensrüge der StA hat der BGH das Urteil aufgehoben. Der BGH (a.a.O.) ist davon ausgegangen, dass zumindest der eine Angeklagte bereits zu Beginn seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen, auch wenn gegen ihn noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet gewesen sei und er nicht die Stellung eines formell Beschuldigten gehabt hätte. Sei nämlich der Tatverdacht so stark – so der BGH –, dass die Strafverfolgungsbehörden anderenfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschritten, sei es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende dennoch als Zeuge und nicht – wie hier notwendig – als Beschuldigter vernommen werde. Zurecht habe das LG deshalb – nach Widerspruch - ein Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot jedenfalls hinsichtlich der Angaben des Angeklagten angenommen, die dieser bei seiner Vernehmung durch die Kriminalbeamten vor der Beschuldigtenvernehmung als Zeuge gemacht habe. (ständige Rspr. BGHSt 38, 214, 224 f., 47, 172, 173 a.E).

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b) BGH: Qualifizierte Belehrung ja, aber Abwägung

Jedoch folgt nach Ansicht des BGH (BGH NJW 2009, 1427 = StRR 2009, 140) daraus nicht ohne weiteres, dass auch die Angaben, die der Angeklagte im Ermittlungsverfahren nach erfolgter Beschuldigtenvernehmung gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot unterliegen. Der Angeklagte hätte zwar – was nicht erfolgt sei – bei Beginn der Beschuldigtenvernehmung zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bisher unterbliebenen Belehrung als Beschuldigter die vorangegangene Zeugenaussage unverwertbar sei. (vgl. BGH StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 367 = StRR 2008, 224 nicht abgedruckt; ferner BGH, Urt. v 19. 9. 2000 – 1 StR 205/00 [der erste Strafsenat ersichtlich unter Abweichung von seiner Entscheidung BGHSt 22, 129]; KK-Diemer, § 136 Rn. 27 m.w.N.; Gleß in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 136 Rn. 106; KMR StPO-Lesch, § 136, Rn. 28; wohl auch Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., 2008, § 136 Rn. 9 m.w.N.)

Tipp/Hinweis

Der Verteidiger muss rechtzeitig innerhalb des Zeitrahmens des § 257 StPO Widerspruch gegen die Verwertung der als Zeuge gemachten Angaben erheben (BGH NJW 2009, 1427 = StRR 2009, 140).

Jedoch hat nach Auffassung des BGH (a.a.O.) der Verstoß gegen die Pflicht zur „qualifizierten“ Belehrung nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 S. 1 2 StPO. Vielmehr sei in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung nach der neueren Rspr. des BGH (BGHSt 51, 367) durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln. Bei einer solchen Abwägung sei zum einen - so das BGH - auf das Gewicht des Verfahrensverstoßes abzustellen und dabei insbesondere zu berücksichtigen, ob die Vernehmung als Zeuge in bewusster Umgehung der Belehrungspflichten erfolgt sei; weiter müsse das Interesse an der Sachaufklärung Beachtung finden. Darüber hinaus sei maßgeblich darauf abzustellen, ob sich aus den Umständen des Falles ergebe, dass der Vernommene davon ausgegangen sei, von seinem vor der Beschuldigtenvernehmung gemachten Angaben als Zeuge bei seiner weiteren Vernehmung als Beschuldigter nicht mehr abrücken zu können. Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn sich die Beschuldigtenvernehmung inhaltlich als bloße Wiederholung oder Fortsetzung der in der Zeugenvernehmung gemachten Angaben darstelle.

Tipp/Hinweis

Insoweit ist nach der Rspr. des BGH (BGHSt 53, 112 = NJW 2009, 1427 0 StRR 2009, 140) darauf zu achten, ob der Angeklagte nach seiner Belehrung als Beschuldigter seine früheren Angaben lediglich im Wesentlichen wiederholt hat oder ob er darüber hinausgehende Angaben gemacht hat. Ist das der Fall kann – so der BGH – eher davon ausgegangen werden, dass sich der Angeklagte seiner Entscheidungsfreiheit nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung bewusst gewesen ist und dass deshalb der ursprüngliche Belehrungsverstoß nicht fortgewirkt hat.

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2. Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht und Beweisverwertungsverbot

a) Grundsätzlich Beweisverwertungsverbot

Der BGH hatte sich schon in seiner Entscheidung in NStZ 1989, 282 mit den Folgen eines Verstoßes gegen § 168c Abs. 5 S. 1 StPO bei der Vernehmung eines Beschuldigten gem. § 168c Abs. 1 StPO befasst. Dort hatte der 2. Strafsenat des BGH wegen der Verletzung der Benachrichtigungspflicht ein Beweisverwertungsverbot bejaht. Diese Frage stand nun erneut zur Entscheidung an (vgl. BGH, Beschl. v. 17. 2. 2009 – 1 StR 691/08; NJW 2009, 1619 = StRR 2009, 259 m. Anm. Stephan). In der Entscheidung hat BGH zwar grds. die frühere Entscheidung bestätigt und geht auch nach wie vor von einem Beweisverwertungsverbot aus. Er hat jedoch wegen der Besonderheiten des Falles, die Frage des Beweisverwertungsverbotes letztlich offen gelassen. Im entschiedenen Fall war der Angeklagte nämlich nur zu Beginn der richterlichen Vernehmung über sein auf Hinzuziehung eines Verteidigers zur Vernehmung (§ 136 Abs. 1 StPO) belehrt worden, sondern er kannte dieses Rechts bereits aufgrund einer entsprechenden Belehrung vor seiner ersten richterlichen Vernehmung. Dort hatte er auf die Benachrichtigung eines Verteidigers bestanden und erst Angaben zur Sache gemacht, als der Verteidiger erschienen war. In einer solchen Fallkonstellation - so der BGH - seien waren dem Beschuldigten seine Rechte bei Beginn der Vernehmung bekannt und er sei nicht in gleichem Maße schutzbedürftig, wie ein Beschuldigter, der sein Schweigerecht nicht kannte (BGHSt 38, 214, 224).

Tipp/Hinweis

Angesichts dieser Ausführungen wird der Verteidiger seinen Mandanten ausdrücklich belehren müssen, keine Angaben zur Sache ohne Beisein seines Verteidigers bei weiteren richterlichen Vernehmungen zu machen. Ansonsten läuft er Gefahr, nicht mehr angreifbare Beweisergebnisse zu produzieren (s. auch Stephan StRR 2009, 259 in der Anm. zu BGH NJW 2009, 1619 = StRR 2009, 259).

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b) Gespaltenes Beweisverwertungsverbot

Für die Praxis von Bedeutung ist die Entscheidung vom17. 2. 2009 (BGH NJW 2009, 1619 = StRR 2009, 259) aber vor allem wegen einer weiteren vom BGH angesprochenen Frage. Geltend gemacht worden war ein Beweisverwertungsverbot wegen der nichterfolgten Benachrichtigung nämlich auch von einem Mitangeklagten des Angeklagten, dessen Verteidiger nicht von dem Vernehmungstermin benachrichtigt worden war. Damit stellte sich die Frage, ob und wie das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes zu Gunsten eines Beschuldigten einem anderen Beschuldigten desselben Verfahrens ggf. auch ermöglicht, sich mit Hilfe des kontaminierten Beweismittels zu entlasten (sog. gespaltenes BVV; wegen der Einzelh. s. Güntge StV 2005, 403; Denker StV 1995, 232; Nack StraFo 1998, 366; Meyer-Goßner, a.a.O.; Einl. Rn. 57b m.w.N.). Die Frage hat der BGH eindeutig mit „nein“ beantwortet. Die Benachrichtigungspflicht diene ausschließlich dem Schutz des jeweiligen Beschuldigten, der Rechtskreis von Mitbeschuldigten und Mitangeklagten werde also nicht berührt. Ob das so zutreffend ist, ist fraglich. Immerhin soll die sog. Rechtskreistheorie nicht für Vorschriften gelten, welche die rechtsstaatlichen Grundlagen des Verfahrens betreffen (vgl. BGHSt 11, 214; 42, 15). Wenn aber die Benachrichtigungspflicht ebenso wie die Aussagefreiheit auch dem Schutz eines fairen Verfahrens dient (vgl. BGHSt 25, 330; 38, 211), ist bereits auf der Grundlage der Rechtskreistheorie fraglich, ob der Dritte die Folgen eines Verfahrensverstoßes hinnehmen muss. Immerhin würde man ansonsten den Gedanken des fairen Verfahrens bei den einer gemeinsamen Tat Beschuldigten teilen, also den einen auf dem Weg über den Verfahrensverstoß gegenüber dem anderen belasten oder gar überführen.

Tipp/Hinweis

Angesichts dieser Gefahr wäre es m.E. angezeigt, einen Verstoß gegen § 168c Abs. 5 StPO auch auf Mitbeschuldigte zu erstrecken (offen gelassen vom 4. Strafsenat in der Entscheidung vom 18. 12. 2008 (BGHSt 531, 112 = NJW 2009, 1427 = StRR 2009, 140; wie hier auch Stephan StRR 2009, 259).

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3. Inhalt des Beweisantrages

Das Beweisantragsrecht ist derzeit in der Diskussion und sicherlich eins der „Hauptschlachtfelder“ in der Auseinander in Rspr. und Lit. (vgl. zur Entwicklung Witting/Junker StRR 2009, 244; Petzold StRR 2009, 141). Die wird sich sicherlich auch noch verschärfen, wenn die nordrhein- westfälische Justizministerin ihr Vorhaben in de Tat umsetzt, das Beweisantragsrecht zur Eindämmung von Prozesssabotage zu ändern. In dem Zusammenhang hat auch eine Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 28. 5. 2009, (5 StR 191/09) Bedeutung. Dort hatte der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt. In diesem war die Beweisbehauptung enthalten, der Zeuge, dessen Anhörung begehrt wurde, aber lediglich mit Vor- und Nachnamen bezeichnet. Das LG war dem Antrag nicht nachgegangen. Die darauf gestützte Verfahrensrüge hatte beim BGH keinen Erfolg. Dieser hat in der Revisionsentscheidung ausgeführt: Die bloße Bezeichnung des Vor- und Nachnamens sei für die Individualisierung des Zeugen als Beweismittel grds. nicht ausreichend. Es bedürfe vielmehr der Angabe der genauen ladungsfähigen Anschrift des Zeugen. Alle Individualiserungsfakten zur Beweismittelbezeichnung seien grds. in dem in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag zu bezeichnen. Dies könne im Einzelfall lediglich entbehrlich sein, wenn sie dem Tatgericht eindeutig bekannt sind. Inwieweit und ggf. unter welchen Voraussetzungen auch andere Arten der Individualisierung des Zeugen zur formgerechten Beweismittelbezeichnung ausreichen können (vgl. BGH StV 1989, 379; NStZ 1999, 152 hat der BGH offen gelassen, weil jeder weitere Individualisierungsansatz gefehlt habe. Alle Individualisierungsfakten zur Beweismittelbezeichnung seien grds. in dem in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag zu bezeichnen.

Leider teilt die BGH-Entscheidung den genauen Wortlaut des Beweisantrages nicht mit und hatte auch die Revision keine Ausführungen dazu gemacht, dass dem LG ggf. Anhaltspunkte bekannt waren, anhand deren der Aufenthaltsort des Zeugen zu ermitteln gewesen wäre. Damit bleibt letztlich offen, ob die Entscheidung des BGH zutreffen ist oder ein weiterer Beweis für die Verschärfung der Rspr. in diesem Bereich. Dem Verteidiger ist auf der Grundlage dieser Entscheidung zu raten, dass dann, wenn er den Aufenthaltsort eines Zeugen nicht kennt, alles das, was zur Aufenthaltsermittlung notwendig und dienlich sein könnte vorzutragen. Das ist - so der BGH - im Einzelfall nur dann entbehrlich sein, wenn diese Umstände dem Tatgericht eindeutig bekannt sind, so z.B. wenn der benannte Zeuge mit ladungsfähiger Anschrift in der Anklageschrift bezeichnet ist, wenn das Gericht ihn in dem Verfahren zuvor bereits geladen hat oder wenn es sich um eine Person handelt, die sich, wie prozessbekannt ist, unter derselben Adresse eines Prozessbeteiligten oder eines bereits vernommenen bzw. geladenen Zeugen aufhält.

Tipp/Hinweis

Und: Dazu, dass es sich so verhalten hat, muss dann aber gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO bei einer Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts zum Beleg, dass überhaupt ein formgerechter Beweisantrag gestellt worden ist, gegenüber dem Revisionsgericht vollständig vorgetragen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 2 [Ls.]).

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IV. Rechtsmittelverfahren

1. Unbestimmtes Rechtsmittel

Amtsgerichtliche Urteile unterliegen grds. sowohl der Berufung als auch der Sprungrevi­sion (§§ 312, 335 Abs. 1 StPO). Der Angeklagte kann deshalb ein amtsgerichtliches Urteil zunächst in unbestimmter Form anfechten (zum unbestimmten Rechtsmittel s. Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 5. Aufl., 2007, Rn.  750a [im folgenden kurz: Burhoff, HV]). Seinem Wesen nach ist ein als unbestimmtes Rechtsmittel eingelegtes des Angeklagten jedoch von An­fang an eine Berufung (BGHSt 33, 183, 189; BayObLG wistra 2001, 279 ff.). Der Angeklagte ist allerdings berechtigt, zur Revision überzugehen. Eine solche Rechtsmittelwahl unterliegt aber der Form der Revision, denn sie ist Teil der Rechtsmitteleinlegung (§ 341 Abs. 1 StPO; vgl. dazu BGHSt 40, 395, 398; BayObLGSt 1983, 93, 94; BayObLG wistra 2001, 279 f. m.w.N.) und kann rechtswirksam nur bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeübt werden (u.a. BGHSt 33, 183, 188 BayObLGSt, a.a.O., m.w.N.). Ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine formgerechte Erklärung erfolgt, verbleibt es bei der Berufung.

Allgemeine Meinung ist, dass das Recht des Angeklagten, zwischen den beiden gesetzlich zunächst statthaften Anfechtungsmöglichkeiten zu wählen, mit Ablauf der Revisionsbegründungs­frist untergeht. Fraglich ist, ob gegen eine ggf. versäumte Wahl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel der Revisionswahl beantragt werden kann. Das wird von der h.M. (vgl. zuletzt OLG München StRR 2009, 202 [Ls.]).; OLG Naumburg, Beschl. v. 28. 4. 2009, 2 Ss 46/09 m.w.N.) verneint. Das sei dem Angeklagten deshalb verwehrt, weil das Unterbleiben eines fristgerechten Übergangs zur Revision lediglich zu Folge habe, dass damit das zunächst unbenannt eingelegte, deshalb aber ohnehin von vornherein als Berufung anzusehende Rechtsmittel nunmehr endgültig als Berufung feststehe. Der Rechtsmittelführer habe folglich mit dem Unterlassen eines fristge­rechten Rechtsmittelübergangs keine eigenständige, einer selbstständigen Frist unterliegende Prozesshandlung versäumt, gegen die allenfalls Wiedereinsetzung gewährt werden könnte. Für eine Wiedereinsetzung bestehe auch kein Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Angeklagten mit der Berufung (und anschließend eventuell zusätzlich der Revision) das Recht zu einer umfassenden Überprüfung des angefochtenen Urteils verbleibe (BayObLGSt 1970, 158, 159; OLG Köln NStZ 1994, 199, 200; OLG Hamm NStZ 1991, 601; OLG Düsseldorf MDR 1991, 78; 1985, 518; OLG Zweibrücken MDR 1985; 517; BayObLG wistra 2001, 279 f. m. w. N.).

Tipp/Hinweis

Der Verteidiger kann die Frist vollständig ausschöpfen (OLG Frankfurt NStZ 1991, 506 f.). Während des Laufs der Frist darf das Berufungsverfahren nicht durchgeführt werden. Geschieht das dennoch, geht das Wahlrecht zwar verloren, dieser Verlust kann aber mit der Revision gerügt werden (OLG Frankfurt, a.a.O.). Hat die Revision Erfolg, wird die Wahlmöglichkeit mit der noch verbliebenen Frist wiederhergestellt (OLG Frankfurt, a.a.O.).

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2. Besondere Begründung der Berufungsentscheidung

In der Praxis kommt es nicht selten dazu, dass das Berufungsgericht die Tat rechtlich abweichend vom Amtsgericht würdigt, dann aber dennoch, obwohl sich ggf. der Schuldvorwurf vermindert hat, die gleiche Strafe verhängt. In dem Zusammenhang hat das OLG München (vgl. Beschl. v. 5. 8. 2008 - 5 St RR 149/08) vor einiger Zeit noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung dann einer besonderen Begründung bedarf. Zwar habe sich das Revisionsgericht bei der Überprüfung der im tatrichterlichen Ermessen liegenden Strafzumessungserwägungen darauf zu beschränken, ob der Tatrichter von unrichtigen oder unvollständigen Erwägungen ausgegangen ist oder sonst von seinem Ermessen in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht hat. Die für die Bemessung der Strafe maßgeblichen Umstände müssen aber in den Urteilsgründen so vollständig wiedergegeben sein, dass eine Nachprüfung des ausgeübten Ermessens erfolgen kann. Das bedeute, dass dann, wenn der neu entscheidende Tatrichter Feststellungen treffe, welche die Tat in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen und ihm sogar einen wesentlich niedrigeren Strafrahmen vorschreiben - das LG war von Mittäterschaft zu Beihilfe übergegangen - als den, der nach den früheren Feststellungen geboten war, er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich halte, diese Entscheidung eingehender Begründung bedürfe (BGH NStZ 1982, 507). Die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung seien zwar kein Maßstab für die neue Strafzumessung. Der Angeklagte habe jedoch einen Anspruch darauf zu erfahren, warum er für ein wesentlich geringeres Vergehen gleich hoch bestraft werde. Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung sei auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein könne. Werde in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände, die sogar zu einer Verringerung des Strafrahmens führen, ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so könne auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (BGH, a.a.O.).

Tipp/Hinweis

Der Verteidiger muss auf die Beachtung der o.a. Grundsätze achten und ihre Nichtbeachtung mit der Sachrüge vortragen. Bietet dieses doch einen ersten Ansatz, die Strafzumessung des Tatgerichts zu Fall zu bringen und zumindest eine Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch zu erreichen. Der durch die Zurückverweisung entstehende Zeitgewinn kann für die Frage, ob nicht ggf. in der neuen Hauptverhandlung dann doch eine ggf. zunächst verwehrte Bewährung ausgesprochen werden muss, von entscheidender Bedeutung sein.

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3. Anhörungsrüge

a) Verletzung des rechtlichen Gehörs

Zum 1. 1. 2005 ist das sog. Anhörungsrügengesetz in Kraft getreten (s. BGBl. I 2004, S. 3220). Das hat auch für den Bereich der StPO den außerordentlichen Rechtsbehelf der Anhörungsrüge (§ 356a StPO) eingeführt (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn. 83a ff.).

Tipp/Hinweis

Die Vorschrift gilt über § 79 Abs. 3 OWiG auch im Bußgeldverfahren. Sie gelten aufgrund der Verweisung in § 120 Abs. 1 StVollzG auch im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz (Lübbe-Wolff/Lindemann NStZ 2007, 450).

Nach der Rspr. des BVerfG (vgl. z.B. vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. 6. 2008, 2 BvR 947/08; BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 2008, 2 BvR 1111/08) ist die Erhebung der Anhörungsrüge Voraussetzung für die Rechtswegerschöpfung, es sei denn die Anhörungsrüge wäre offensichtlich aussichtslos gewesen.

Die Regelung in §§ 356a StPO, 79 Abs. 3 OWiG setzt für eine erfolgreiche Anhörungsrüge voraus, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Nach der Gesetzesbegründung(vgl. BT-Drucks. 15/3707, S. 17) ist eine unterbliebene Anhörung nur dann "entscheidungserheblich", wenn und soweit sie sich auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt hat. Hätte der Angeklagte/Betroffene nichts anderes vortragen können, sich also nicht anders verteidigen können, als er tatsächlich bereits vorgetragen hat oder ist es sonst ausgeschlossen, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, ist der Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich (BGH, Beschl. v. 28.4.2005 - 2 StR 518/04; OLG Hamm VRS 109, 43; zu allem auch Meyer-Goßner, a.a.O., § 356a Rn. 2; Burhoff, HV, Rn. 83a ff.).

Inzwischen liegt zu der Frage, wann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, einige Rechtsprechung vor. Insoweit gilt: Die Verletzung rechtlichen Gehörs lässt sich nicht damit begründen,

  • dass das Revisionsgericht der Rechtsauffassung des Revisionsführers zu von ihm erhobenen Verfahrensrügen nicht gefolgt ist (BGH NStZ-RR 2005, 173 ; s. auch noch BGH HRRS 2006 Nr. 314),
  • dass das Revisionsgericht entgegen dem Antrag des Angeklagten keine Revisionshauptverhandlung durchgeführt hat (BGH NStZ-RR 2006, 85),
  • das Revisionsgericht zwar ergänzend zum Vortrag des GBA zu einer Rüge Stellung genommen hat, zu anderen, vom Betroffenen als bedeutsam angesehenen Rügen hingegen keine Stellung genommen hat (BGH NStZ-RR 2008, 151; ähnlich wistra 2007, 159),
  • dass der GBA nicht zu Ausführungen, die der Angeklagte bewusst erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und nach Stellung des Antrags des GBA an den BGH vorgetragen hat, nicht Stellung genommen hat (nachgeschobene Begründung; BGH NStZ 2009, 52; wistra 2007, 319),
  • dass das Revisionsgericht eine angekündigte Ergänzung der Gegenerklärung des Angeklagten (§ 349 Abs. 3 S. 2 StPO) nicht abgewartet hat (BGH StV 2008, 570)m
  • dass der Verwerfungsbeschluss des Revisionsgerichts keine Entscheidungsgründe enthält (BGH, Beschl. v. 16.09.2008, 3 StR 240/08, LNR 2008, 23070),
  • dass ein unstatthafter, weil nach dem letzten Wort des Betroffenen gestellter (§ 25 Abs. 2 S. 2 StPO) Befangenheitsantrag nachgeholt (BGH NStZ-RR 2009, 38 bei Cierniak ) oder sonst unzulässigen Ablehnungsanträgen noch Geltung verschafft werden soll (BGH NStZ 2007, 416 = StRR 2007, 122 [Ls.]; OLG Nürnberg NJW 2007, 1013)
  • aber damit, dass die Rücknahme eines Strafantrages gegenüber dem OLG übersehen worden ist (OLG München StraFo 2009, 24).

Tipp/Hinweis

Bei der Begründung der Anhörungsrüge muss der Verteidiger darauf achten, dass er nur Gehörsverletzungen geltend machen kann. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen (BGH NStZ-RR 2007, 57 [Ls.]; s.a. noch BGH StV 2005, 655 = NStZ-RR 2007, 133 (Be).). Auch können Verfahrenrügen nicht nachgeschoben werden (BGH, a.a.O.; vgl. OLG Nürnberg NJW 2007, 1013 für Ablehnungsgesuche ).

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b) Verfahren

Die Voraussetzungen für den Antrag sind denen für einen Wiedereinsetzungsantrag angeglichen. Im Einzelnen gilt: Der Rechtsbehelf ist befristet. Der Antrag muss innerhalb von einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestellt werden (§ 356a S. 2 StPO). Die Kenntnis muss sich nur auf die tatsächlichen Umstände beziehen (BT-Drucks. 15/3706, S.18), nicht auf deren rechtliche Einschätzung als Gehörsverletzung (OLG Hamm, Beschl. v. 07.07.2008, 3 Ss 357/07, LNR 2008, 21001).

Tipp/Hinweis

Wird die Frist versäumt, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Die Fristversäumung ist aber nicht unverschuldet, wenn der Verurteilte sich nach Kenntnis der verfahrensabschließenden Entscheidung, durch die nach seiner Meinung sein Recht auf Gehör verletzt worden ist, nicht sofort über etwaige weiter rechtliche Möglichkeiten informiert hat (BGH HRRS Nr 560). Hier lauert eine Haftungsfalle: Nach der Rechtsprechung des BGH wird dem Angeklagten Verschulden seines Verteidigers im Zusammenhang mit der Anhörungsrüge zugerechnet. Der BGH begründet dies mit der Nähe der Anhörungsrüge zur Verfassungsbeschwerde (vgl. BGH wistra 2009, 33 = StRR 2009, 20).

Der Antragsteller muss den Antrag begründen (§ 356a S. 2 StPO). An die Begründung werden jedoch keine hohen Anforderungen gestellt (BT-Drs., a.a.O.). Die Begründung muss nicht durch den Verteidiger erfolgen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 356a Rn. 7). Der Betroffene muss den Zeitpunkt der Kenntniserlangung glaubhaft machen (§ 356a S. 3 StPO). Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung muss bereits im Antrag und nicht erst im späteren Verfahren angegeben werden (BGH StV 2005, 316 = NStZ 2005, 462; KG, KG, Beschl. v. 8. 7. 2008, 3 Ws B 48/08; OLG Hamm VRS 109, 43). Gegen einen die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss steht dem Angeklagten/Betroffenen kein Rechtsmittel zur Verfügung. Insbesondere kann gegen die Entscheidung auch nicht Verfassungsbeschwerde eingelegt werden, da es sich um eine der Verfassungsbeschwerde nicht zugängliche Zwischenentscheidung im gerichtlichen Verfahren handelt (BVerfG StraFo 2007, 148.).

Tipp/Hinweis

Für die Tätigkeiten im Hinblick auf eine Anhörungsrüge können keine zusätzlichen Gebühren nach dem RVG verlangen. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten gehören nämlich nach § 19 Abs. 1 Nr. 5 RVG mit zum Rechtszug und sind durch den Pauschalcharakter der jeweiligen Verfahrensgebühr mit abgegolten (Vorbem. 4.1 Abs. 1 bzw. 5.1 Abs. 1 VV RVG). Insoweit gilt dasselbe wie für ein Wiedereinsetzungsverfahren. Die Nr. 3330 VV RVG gilt für Teil 5 VV RVG nicht.

Wird die Anhörungsrüge zurückgewiesen, muss im Beschluss über die Kosten entschieden werden (OLG Köln NStZ 2006, 181). Für die Zurückweisung fällt nach dem GKG eine gebühr von 50 € an.

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V. Bußgeldverfahren

1. Pflichtverteidigung (im OWi-Verfahren)

Das OWiG sieht in § 60 OWiG auch für das Bußgeldverfahren in den Fällen des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vor. Allerdings ist die Beiordnung eines Pflichtverteidiger in der Praxis die (große) Ausnahme. Das gilt vor allem in straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren. Hier wird die Beiordnung vom Verteidiger vielfach gar nicht erst beantragt, da ein entsprechender Antrag als von vornherein aussichtslos angesehen wird. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass das LG Mainz (LG Mainz, Beschl. v. 6. 4. 2009, 1 Qs 49/09 LNR 2009, 13287) jetzt im OWi-Verfahren einen Pflichtverteidiger bestellt hat. Nach dem Sachverhalt war gegen den Betroffenen der Vorwurf des Nichteinhaltens des Mindestabstandes erhoben. worden . Für den Betroffenen, der als Berufskraftfahrer tätig war, waren im Verkehrszentralregister bereits 16 Punkte eingetragen. Im Fall einer drohten ihm drei weitere Punkte und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde. Das käme, hatte der 61- jährige Betroffene geltend gemacht, bei ihm wegen seines Alters einem Berufsverbot gleich. Das LG hat bei der Sachlage nach § 140 Abs. 2 S. 1 StPO i.V.m. § 60 OWiG einen Pflichtverteidiger bestellt. Bei der Beurteilung der Tatschwere seien im Einzelfall neben der unmittelbaren deliktsbezogenen Straferwartung auch sonstige schwerwiegende Nachteile in Rechnung zu stellen, die infolge der Verurteilung zu befürchten seien. Anders als in den üblichen Fällen einfach gelagerter Verkehrsordnungswidrigkeiten sei hinsichtlich der Schwere der Tat die für den Betroffenen mittelbar drohende Folge des Führerscheinentzugs durch die Fahrerlaubnisbehörde in die Beurteilung einzubeziehen. Eine solche stehe einer weiteren Beschäftigung als Berufskraftfahrer entgegen, so dass mit einer Kündigung des derzeitigen Beschäftigungsverhältnisses zu rechnen sei. Angesichts des Alters des Betroffene erscheine eine anderweitige Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls unwahrscheinlich.

Tipp/Hinweis

Das LG hat zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beiordnung nur „ausnahmsweise“ erfolge, die Entscheidung ist aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung und Verteidiger sollten sich auf sie berufen. Das gilt nicht nur für die vom LG entschiedene Konstellation des Berufskraftfahrers, dem je nach Ausgang des Bußgeldverfahrens die Entziehung der Fahrerlaubnis droht, sondern auch in vielen anderen Fällen. Denn sicherlich sind Verkehrs-OWi-Verfahren, in denen um die Täterschaft des Betroffenen gestritten wird (Stichwort: Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes), ggf. Messfehler eine Rolle spielen (Stichwort: Verwertbarkeit der Messung) und dann vielleicht auch noch im Zusammenhang mit einem drohenden Fahrverbot berufliche Fragen zu behandeln sind (Stichwort: Absehen vom Fahrverbot), als sowohl hinsichtlich der Sach- als auch der Rechtslage als schwierig einzustufen (zu den Fragen der Beiordnung eines Pflichtverteidigers im OWi-Verfahren s. auch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl., 2009, Rn. 2020 ff. m.w.N.). Entsprechendes gilt für Verfahren wegen Verstoßes gegen § 24a StVG, vor allem dann, wenn die Verwertbarkeit einer unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO entnommenen Blutprobe im Streit ist (vgl. dazu OLG Brandenburg NJW 2009, 1287 = VRR 2009, 83 [Ls.] = StRR 2009, 82 [Ls.]; LG Schweinfurt VRR 2008, 316 = StRR 2008, 390 = StraFo 2008, 331).

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2. Bezugnahme auf Videoaufzeichnung in den Urteilsgründen

In der Praxis nehmen die Verfahren, in denen Videoaufzeichnungen eine Rolle spielen, an Bedeutung zu. Das gilt vor allem, wenn es um Abstandsverstöße nach § 4 StVO geht. In dem Zusammenhang stellt sich dann häufig auch die Frage, ob der seine Fahrereigenschaft bestreitende bzw. sich nicht zur Sache einlassende Betroffene ggf. anhand der vom Verkehrsverstoß gefertigten Videoaufnahme überführt werden kann. Wird diese zur Identifizierung herangezogen, stellt sich dann das Problem, ob der Tatrichter auf diese Videoaufnahme in den Urteilsgründen gen. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 OWiG Bezug nehmen darf und damit sein Begründungsaufwand im Urteil gemindert ist. Für ein vom Verkehrsverstoß gefertigtes Lichtbild ist diese Frage schon seit längerem geklärt/entschieden (vgl. dazu BGHSt 41, BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420, dazu Burhoff/Gübner, OWi, Rn. 1759). Für die Videoaufnahme ist die Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Das OLG Zweibrücken (DAR 2002, 234), das OLG Rostock (Beschl. v. 10. 6. 2004, 2 Sa OWi 167/04) und das OLG Schleswig SchlHA 2007, 268) haben sie bejaht, das OLG Brandenburg (DAR 2005, 635) hingegen verneint. Das OLG Dresden hat sich nun vor kurzem der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung angeschlossen (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 25. 5. 2009, Ss (OWi) 83/09). Das hat es überzeugend damit begründet, dass unter den Begriff der „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO nach allgemeiner Meinung alle Arten von bildlichen Darstellungen, also alle durch Gesichts- und Tastsinn in ihrem Aussagegehalt erfassbaren Gebilde fallen. Format und Material des Bildträgers spielen dabei keine Rolle (vgl. LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 267 Rn. 13; KK-Engelhardt, § 267 Rn. 6). Eine für die Bezugnahme geeignete Abbildung liege auch dann vor, wenn technische Hilfsmittel notwendig sind, um sie betrachten zu können.

Tipp/Hinweis

Folgt man dem, gelten die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Identifikation eines Betroffenen anhand eines bei dem Verkehrsverstoß gefertigten Tatfotos (BGHSt 41, 376) daher auch für die Identifikation anhand einer Videoaufzeichnung (OLG Zweibrücken, a.a.O.; OLG Schleswig SchlHA 2007, 288). Es muss also eine prozessordnungsgemäße Bezugnahme erfolgen, aus der deutlich wird, dass der Tatrichter die Videoaufzeichnung als Gegenstand/Inhalt des Urteils behandelt wissen will. Es darf also nicht nur mitgeteilt werden, dass diese in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist (BGH, a.a.O.; OLG Bamberg NZV 2008, 166; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 = VRS 95, 232 m.w.N.; OLG Jena NZV 2008, 165; OLG Dresden DAR 2000, 279; OLG Düsseldorf zfs 2004, 338; Burhoff/Gübner, OWi, Rn. 1759). Außerdem muss es sich, was das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der ordnungsgemäßen Bezugnahme selbst beurteilen kann, um eine Videoaufnahme von zur Identifizierung des Betroffenen hinreichender Qualität handeln.

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VI. Vergütungsfragen

1. Höhe der vereinbarten Vergütung

Hinzuweisen ist noch einmal auf das Urt. des BGH v. 27. 1. 2005 (IX ZR 273/02, BGHZ 162, 98 = StV 2005, 621 = NJW 2005, 2490 m. Anm. von u.a. Tsambikakis StraFo 2005, 446 und Johnigk StV 2005, 446; sehr krit. dazu auch Müller, Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, 2006, S. 161), dem sich dann das OLG Frankfurt angeschlossen hat (vgl. OLG Frankfurt AGS 2006, 113 = StraFo 2006, 127 für das Revisionsverfahren). Danach soll dann, wenn der Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3a Abs. 2 RVG verletzt ist. Die Vermutung einer unangemessen hohen Vergütung kann durch den Rechtsanwalt aber entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen.

Tipp/Hinweis

Deshalb ist es dringend geboten, alle für den Mandanten erbrachten Tätigkeiten zeitlich zu erfassen, um damit ggf. das vereinbarte Honorar belegen zu können (vgl. auch die Thesen der Arbeitsgruppe „Vergütungsvereinbarungen“ der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern, abgedruckt in RVGprofessionell 2006, 34 und Burhoff in: Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., 2007, ABC-Teil: Vergütungsvereinbarung (§ 4), Rn. 38 ff.; vgl. Ebert BRAK-Mitt. 2005, 271; AnwKomm-RVG/Rick, 4. Aufl., Rn. 140; Tsambikakis StraFo 2005, 445; zu allem noch Henke AnwBl. 2008, 58, unter Hinweis darauf, dass inzwischen eine Verfassungsbeschwerde [1 BvR 1342/07] zu der Problematik anhängig ist) bzw. Zeithonorare zu vereinbaren.

Das OLG Hamm hatte in seiner Entscheidung v. 13. 3. 2008, (28 U 71/07; RVGreport 2008, 256 = StRR 2008, 236 = JurBüro 2008, 307; vgl. dazu ZAP F. 22 R, S. 560 f.) diese starren Grenze des BGH widersprochen. Eine Vergütungsvereinbarung könne nicht grds. auf das Fünffache der gesetzlichen Gebühren begrenzt werden, das verstoße gegen Art. 12 GG. Vielmehr seien alle Umstände zu berücksichtigen, womit eine allgemein verbindliche, nur im Extremfall überwindbare Honorarhöchstgrenze nicht vereinbar sei. Diese Entscheidung des OLG Hamm hat der BGH aus formellen Gründen mit Urt. v. 12. 2. 2009 aufgehoben und seine Auffassung aus dem Urt. v. 27. 1. 2005 (IX ZR 273/02, BGHZ 162, 98 = StV 2005, 621 = NJW 2005, 2490 ) im Wesentlichen bestätigt und ausgeführt, dass derzeit kein Anlass bestehe, von dieser Rechtsprechung abzurücken (vgl. RVGreport 2009, 135 m. Anm. Hansens = StRR 2009, 236 m. Anm. Hansens).

Tipp/Hinweis

Ein wenig Hoffnung auf Lockerung der strengen Rechtsprechung besteht aber: Der BGH (a.a.O.) hat nämlich auch ausgeführt, dass hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen der Rechtsanwalt die tatsächliche Vermutung der Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung erschüttern könne, noch Klärungsbedarf bestehe. An den sehr hohen Anforderungen der Leitentscheidung BGHZ 162, 98 - "ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände“ - könne möglicherweise nicht in vollem Umfang festgehalten werden.

Das OLG Hamm (vgl. StV 2007, 473 = StRR 2007, 319;: vgl. dazu ZAP F 22 R, S. 524 f.) hatte in seinem Urt. v. 5. 12. 2006 zu der BGH-Entscheidung BGHZ 162, 98 zudem entschieden, dass diese nicht für Zeithonorare gelte. Eine aufwandsangemessene Zeithonorarvereinbarung verletze auch bei einem Strafverteidigerhonorar weder das Sittengesetz noch sei nach § 4 Abs. 4 S. 1 RVG herabzusetzen ist. Die BGH-Entscheidung gelte nicht für Zeithonorare.

Tipp/Honorar

Dazu lässt jetzt ein Hinweis im BGH-Urt. v. 19. 5. 2009 hoffen (IX ZR 174/06). Dort hat der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Entscheidung BGHZ 162, 98 um ein gemischtes Pauschal/Zeithonorar gehandelt habe; wie es sich bei einem reinen Zeithonorar verhält, habe der Senat noch nicht entschieden. Deshalb sollten Strafverteidiger derzeit nach wie vor - um den Folgerungen aus BGHZ 162, 98 zu entgehen, nach wie vor Zeithonorare vereinbaren.

Inzwischen hat das BVerfG (Beschl. v. 15. 6. 2009 1 BvR 1342/07) entschieden, dass die Rechtsprechung des BGH in BGHZ 162/98 (s.o.) gegen Art. 12 GG verstößt und daher verfassungswidrig ist.

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2. Gesetzliche Gebühren/Wahlanwaltsvergütung

In der Praxis ergeben sich immer wieder Schwierigkeiten bei der Abrechnung nach einem Freispruch, wenn der Verteidiger dem Angeklagte als Pflichtverteidiger beigeordnet war. So auch in einem Verfahren, dass seinen Ausgang beim AG Hainichen hatte und über das LG Chemnitz dann im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gelangt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4. 5. 2009, 2 BVR 2252/08; StRR 2009, 276).

Der Entscheidung lag folgender, in der Praxis häufiger Sachverhalt zugrunde. Der als Pflichtverteidiger beigeordnete Rechtsanwalt hatte nach rechtskräftigem Freispruch seines Mandanten namens seines Mandanten die Festsetzung der Wahlverteidigergebühren beantragt. Diesem Antrag wurde zwar vom AG in vollem Umfang entsprochen, ausgezahlt wurde aber nur ein Teil des festgesetzten Betrages. Die Auszahlung des Restes wurde unter Hin­weis auf eine zuvor von der Staatskasse gegenüber dem Mandanten des Rechtsanwalts erklärte Aufrechnung mit den ausgezahlten Betrag übersteigenden Forderungen verweigert. Der Rechtsanwalt beantragte sodann die Fest­setzung und Auszahlung seiner Pflichtverteidigervergütung. Dieser Antrag wurde vom AG mit der Begründung zurückge­wiesen, die Festsetzung und Auszahlung der Pflichtverteidigergebühren sei nicht mehr möglich, nachdem bereits die Wahlverteidigervergütung festgesetzt und der entsprechende Erstattungsanspruch durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht worden sei: eine Auszahlung der Pflichtverteidigervergütung führe zu einer „Dop­pelzahlung" durch die Staatskasse und sei daher nicht veranlasst. Die hiergegen vom Rechtsanwalt erhobenen Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. Erst beim BVerfG ist seine Auffassung, dass diese Sicht der Rechtslage falsch ist, bestätigt worden.

Das BVerfG hat in der Rechtsansicht der Staatskasse eine Verletzung der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts gem. Art. 12 Abs. 1 GG gesehen. Es hat zunächst noch einmal darauf hingewiesen, dass - so auch seine ständige Rechtsprechung - die staatliche Inanspruchnahme Privater, eine angemessene Honorierung erfordere (vgl. BVerfGE 114, 196, 244). Das gelte auch für den als Pflichtverteidiger gem. § 141 StPO bestellten Rechtsanwalt. Seiner beruflichen Inanspruchnahme aus Gründen des öffentlichen Interesses werde mit den ihm gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nrn. 4100 ff. RVG VV eingeräumten Vergütungsansprüchen Rechnung getragen. Es handele sich, so ausdrücklich das BVerfG, bei diesen Ansprüchen um eigene Ansprüche des zum Pflichtverteidiger bestellten Beschwerdeführers gegen die Staatskasse, die selb­ständig neben den Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegen seinen Mandanten aus § 52 RVG treten und diesem gegenüber nicht subsidiär sind, son­dern wahlweise geltend gemacht werden können (vgl. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, § 45 Rn. 48 ff.; Burhoff/Volpert, RVG, § 52 Rn. 15). Das BVerfG verweist zudem darauf, dass durch die angegriffenen Entscheidungen dem Rechtsanwalt Honorar vorenthalten werde, das ihm für das Tätigwerden als Pflichtverteidiger zustehe. Denn er erhalte hiernach nicht die vom Gesetzgeber selbst als angemessen angesehene Entschädigung für seine berufliche Inanspruchnahme im öffentlichen Interesse und werde deshalb in seiner Berufsfreiheit verletzt. Auf et­waige Vergütungsansprüche gegen den Beschuldigten müsse er sich hierbei nicht verweisen lassen, weil die dem Pflichtverteidiger zustehenden Gebührenansprü­che gegen die Staatskasse gerichtet und gegenüber den Vergütungsansprüchen gegen den Beschuldigten nicht nachrangig sind. Insbesondere rechtfertigt nach Ansicht des BVerfG der Einwand „Doppelzahlung“ nicht die Versagung des Pflichtverteidigerhonorars. Denn selbst wenn eine von der Staatskasse erklär­te Aufrechnung wirksam sein sollte, sei eine solche „Doppelzahlung" nicht zwangsläufig, sondern ohne Weiteres zu vermeiden. Die Staatskasse könne sich dadurch schützen, dass sie den Rechtsanwalt vor Festsetzung der Wahlverteidigergebüh­ren zum Verzicht auf seine Pflichtverteidigergebühren auffordere (vgl. LG Duis­burg JurBüro 2006, 425). Falls ein solcher Verzicht nicht erklärt werde, lasse sich eine Doppelbelastung da­durch vermeiden, dass Kosten nur in der Höhe festgesetzt werden, als diese das Pflichtverteidigerhonorar übersteigen (vgl. Burhoff/Volpert, a.a.O., § 52 Rn. 28 f.; LG Dortmund Rpfleger 2005, 479). Auch eine etwa zulässige Aufrechnung könnte dann nur diesen Differenzbetrag, nicht aber die für die Pflichtverteidigung bestimmten Ge­bühren und Auslagen erfassen.

Tipp/Hinweis

Die Entscheidung ist zutreffend. Ihr ist daher in jeder Hinsicht zuzustimmen. Sie macht nochmals mehr als deutlich, dass der Anspruch des Pflichtverteidigers auf seine gesetzliche Vergütung aus § 45 RVG und die Ansprüche aus § 52 RVG nicht über die Grenze des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG hinaus miteinander verknüpft werden dürfen/können. Der gesetzliche Anspruch des Pflichtverteidigers auf seine Vergütung und der Anspruch gegen den (frei gesprochenen) Angeklagten haben nichts miteinander zu tun (vgl. die o.a. Nachweise). Der eine kann nicht mit dem anderen bezahlt/ausgeglichen werden.

Im Übrigen: Der Verteidiger kann die gesamte Diskussion um die Aufrechnung dadurch umgehen, dass er sich schon frühzeitig, möglichst bereits bei Übernahme des Mandats, gem. § 43 RVG den dem Mandanten ggf. zustehenden Kostenerstattungsanspruch abtreten lässt. Die Abtretung sollte er dann unverzüglich anzeigen, um damit einer ggf. erklärten Aufrechnung der Staatskasse zuvor zu kommen. Aber Vorsicht: Die Rechtsprechung geht teilweise davon aus, dass die Abtretung in der Vollmacht nicht zulässig und eine dennoch erklärte Abtretung unwirksam ist (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 17.04.2009, 10 U 691/07; LG Düsseldorf AGS 2007, 34 m. Anm. Volpert, LG Konstanz Rpfleger 2008, 596; a.A. Burhoff/Volpert, RVG, § 43 Rn. 15 m.w.N. auch zur a.A. in der Rspr.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 43 Rn. 12 m.w.N.; Volpert VRR 2007, 57). Zur Sicherheit sollte der Verteidiger daher eine eigenständige Abtretungserklärung verfassen und vom Mandanten unterschreiben lassen.

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