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aus ZAP Heft 24/2012, F. 22 R, S. 757

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Verfahrenstipps und Hinweise für Strafverteidiger (III/2012)

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Inhaltsverzeichnis

I. Hinweise
II. Ermittlungsverfahren
  1. Nichtgewährung von Akteneinsicht in Haftsachen
2. Verhältnismäßigkeit weiterer Untersuchungshaft
3. Aktuelle Rechtsprechung Pflichtverteidigungsfragen
4. Umfang der Belehrung des Beschuldigten
III. Hauptverhandlung
1. Vertretungsvollmacht des Verteidigers
2. Rechtsmittelverzicht des unverteidigten Angeklagten
3. Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme
IV. Bußgeldverfahren
V. Gebührenfragen
1. Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Erstreckung (§ 48 Abs. 5 S. 3 RVG)
2. Vergütungsrechtliche Neuerungen in Teil 4 und 5 VV RVG durch das 2. KostRMoG

Inhaltsverzeichnis

I. Hinweise

Auf Folgendes ist hinzuweisen:

  • Ende 2011 hatte das BMJ einen Referentenentwurf zu einem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vorgelegt, der in Art. 8 auch Änderungen des RVG enthält. Dieser Referentenentwurf ist nach Abstimmung mit den Ländern und Verbänden inzwischen in einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung gemündet, den das Kabinett am 29.08.2012 beschlossen und u.a. dem Bundesrat zugeleitet hat. Der hat zwischenzeitlich Stellung genommen (vgl. BR-Drucks. 517/12). Das Gesetzgebungsverfahren läuft. Die Änderungen sollen am 01.07.2013 in Kraft treten (wegen der Einzelh. s. den Überblick bei V, 2).
  • Am 28.06.2012 hat der Bundestag - bei Enthaltung der Linksfraktion und der Grünen am einen Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 17/1466) zur Stärkung der Täterverantwortung in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 17/10164) beschlossen. Die gesetzlichen Neuregelungen zielen auf einen besseren Opferschutz vor allem bei häuslicher Gewalt. Beschuldigte oder Verwarnte können künftig über staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Weisungen Programmen zugewiesen werden, in denen sie sich mit ihren Taten auseinandersetzen und lernen, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu kontrollieren. Den Beschuldigten kann bei vorläufiger Einstellung des Verfahrens die Teilnahme an einem bis zu einjährigen Programm auferlegt werden. Geändert worden sind u.a. § 153a StPO und das StGB. In § 153a StPO ist eine neue Nr. 6 eingefügt worden – die Einstellung ist in Zukunft auch unter der Auflage möglich, „6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder. In dem Fall kann dann das Verfahren bis zu einem Jahr eingestellt werden (§ 153a Abs. 3 S. 1 StPO). Damit korrespondiert eine Änderung in § 59a StGB. Dort ist jetzt in einer neuen Nr. 5 geregelt, dass als Weisung auch aufgegeben werden kann, „5. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen“. Nachdem die Länder das Gesetz am 21.09.2012 gebilligt haben, ist die Neuregelung am  in Kraft getreten.

Inhaltsverzeichnis

II. Ermittlungsverfahren

1. Nichtgewährung von Akteneinsicht in Haftsachen

Der Kampf um die Akteneinsicht wird in der Praxis besonders heftig geführt und ist für den Beschuldigten von besonderer Bedeutung, wenn er inhaftiert ist. Dazu hatte der EGMR schon vor längerem darauf hingewiesen, dass dann, wenn nicht oder nicht ausreichend Akteneinsicht gewährt werden kann, ggf. ein gegen den Beschuldigten bestehender Haftbefehl aufzuheben bzw. die dem Beschuldigten insoweit vorenthaltene Akte unverwertbar ist (vgl. EGMR StV 2001, 201, 203, 205; 2008, 475 m. Anm. Hagmann StV 2008, 483 und Pauly StV 2008, 484; NJW 2002, 2013; s. auch BVerfG NJW 1994, 3219 sowie hierzu die obergerichtliche Rspr., wie z.B. KG StV 1993, 370 m. zust. Anm. Schlothauer; OLG Hamm NStZ 2003, 386, 387 f.; vgl. dazu auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2012, Rn. 158 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV, Rn. 167 ff.). Diese Rspr. ist 2009 in § 147 Abs. 2 S. 2 StPO umgesetzt und das Akteneinsichtsrecht durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts v. 29.7.2009 (BGBl. I, S. 2274) dahingehend „erweitert“  worden, dass dem Verteidiger nunmehr im Fall der Freiheitsentziehung Einsicht in die für die Beurteilung von deren Rechtmäßigkeit maßgeblichen Aktenteile zu gewähren ist bzw. zumindest die „wesentlichen Informationen in geeigneter Weise“ zugänglich zu machen sind (vgl. dazu eingehend Herrmann StRR 2010, 4, 8; Weider StV 2010, 102, 105; Burhoff, EV, a.a.O.). Deshalb erstaunt es, wenn auf der Grundlage der o.a. Rechtsprechung und der (neuen) Gesetzeslage doch immer wieder noch Entscheidungen veröffentlicht werden, in denen dem Verteidiger des inhaftierten aa Beschuldigten nicht ausreichend Akteneinsicht gewährt worden ist.

Andererseits freut es dann aber auch, wenn man liest, wie die Instanzgerichte mit der Verfahrenslage umgehen, wie z.B. der AG Halle (Saale), Beschl. v. 26. 6. 2012 (395 Gs 275 Js 16282/12 [300/12], StRR 2012, 356 m. Anm. Hunsmann). Da hatte der Verteidiger, dessen Mandant sich wegen des Vorwurfs des schweren Raubes aufgrund eines Haftbefehls vom 26. 5. 2012 in U-Haft befand mit Schriftsatz vom 30. 5. 2012 per Telefax am 6. 6. 2012 bei der StA zur Vorbereitung eines Haftprüfungstermins einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht gestellt. Unter dem 11. 6. 2012 wurde ihm lediglich mitgeteilt, dass die angeforderten Akten zur Zeit nicht verfügbar seien und nicht übersandt werden könnten. Erst im Haftprüfungstermin am 22. 6. 2012 ist dem Verteidiger dann von Seiten des AG Akteneinsicht angeboten worden. Der Verteidiger lehnte das jedoch als ungeeignet ab, woraufhin der Haftbefehl aufgehoben wurde. Zur Begründung hat das AG darauf verwiesen, dass aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ein Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf zumindest teilweise – hinsichtlich der für die Haftentscheidung relevanten Tatsachen und Beweismittel – Einsicht seines Verteidigers in die Akten folge, wenn und soweit er die darin befindlichen Informationen benötige, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu können. Das AG verweist darauf, dass Akteneinsicht auch durch Fertigung einer ausreichenden Anzahl von Haftsonderbänden hätte gewährleistet werden können. Das AG sähe sich daher veranlasst, den Haftbefehl aufzuheben, zumal nach Auffassung des AG die Akteneinsicht im Haftprüfungstermin „durchaus gerechtfertigt als ungeeignet abgelehnt“ worden sei.

Tipp/Hinweis:

Ähnlich haben in der Vergangenheit über die o.a. Obergerichte hinaus bereits entschieden LG Magdeburg (StV 2004, 327) und AG Halberstadt (StV 2004, 549) und für Beschwerdeentscheidungen im Arrestverfahren das LG Kiel (NStZ 2007, 424). Derr Verteidiger sollte sich in vergleichbaren Fällen auf diese Rspr. berufen.

Inhaltsverzeichnis

2. Verhältnismäßigkeit weiterer Untersuchungshaft

Im Zusammenhang mit der Frage der Verhältnismäßigkeit weiterer U-Haft ist hinzuweisen auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 11.10.2012 – 2 Ws 198/12 (zur Verhältnismäßigkeit der U-Haft s. Burhoff, EV, Rn. 2879 ff.). Dort war der Angeklagte vom LG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. In dem Verfahren hatte er bereits 10 Monate U-Haft verbüßt. Zuvor hatte er in einem anderen Verfahren, in dem er frei gesprochen worden ist, mehr als sechs Monate U-Haft verbüßt. Das Verfahren wäre gesamtstrafenfähig gewesen. Das OLG (a.a.O.) rechnet die mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe von einem Jahr bei der Prüfung der Frage der Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft an und kommt zur Aufhebung der Haftbefehls. Mit Blick auf die Bedeutung des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG sei über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 StGB hinaus sog. verfahrensfremde U-Haft jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (BVerfG NStZ 2001, 501 m.w.N.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 51, Rn. 6a). Dies gelte auch für die hier gegebene fiktive Gesamtstrafenlage, bei der der Angeklagte die verfahrensfremde U-Haft im Hinblick auf Tatvorwürfe erlitten habe, von denen er freigesprochen wurde. Wäre der Angeklagte für jene Taten verurteilt worden, wäre aus den dann verhängten Strafen und derjenigen, die Gegenstand des Verfahrens beim OLG sei, eine Gesamtstrafe zu bilden gewesen (§§ 55 Abs. 1 StGB, 460 StPO). Die im Fall der rechtskräftigen Verurteilung von der Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren vorzunehmende Anrechnung müsse sich daher auch auf die in dem anderen Verfahren erlittene Untersuchungshaft erstrecken.

Hinweis:

Da damit in dem beim OLG anhängigen Verfahren die dort verhängte Strafe unter Berücksichtigung der verfahrensfremden U-Haft “überbüßt” war/ist, ging an der Entscheidung des OLG, nämlich Aufhebung des Haftbefehls kein Weg vorbei. Offen geblieben sind damit die Fragen nach der Fluchtgefahr bei einer verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und, ob nicht auch so bereits die weitere U-Haft unverhältnismäßig ist/war. Schließlich waren auch in dem eigentlichen Verfahren bereits 10 Monate U-Haft verbüßt (zur Fluchtgefahr Burhoff, EV, Rn. 2882 ff.).

Inhaltsverzeichnis

3. Aktuelle Rechtsprechung Pflichtverteidigungsfragen

Ich hatte in ZAP F. 22 R, S. 322 ff. über aktuelle Rechtsprechung zu Pflichtverteidigungsfragen berichtet. An die Zusammenstellung schließen die nachfolgende Rechtsprechung-Übersicht an (vgl. i.Ü. eingehend zu den mit der Pflichtverteidigung zusammenhängenden Problemen Burhoff, EV, Rn. 2082 ff.)

  • Auswahlkriterien: Die Ortsferne des Kanzleisitzes des Verteidigers steht der Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger nicht entgegen, wenn nicht ersichtlich ist, dass hierdurch eine sachdienliche Verteidigung des Angeklagten und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet würden (LG Duisburg, Beschl. v. 3. 9. 2012 - 35 Qs 716 Js 9/12 – 102/12, JurionRS 2012, 24537).
  • Auswahlverfahren: Das Anhörungsschreiben, in dem dem Beschuldigten vor Bestellung eines Verteidigers Gelegenheit gegeben wird, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen, muss dem Beschuldigten förmlich zugestellt werden, da die Fristbestimmung eine (gerichtliche) Entscheidung i.S.v. § 35 Abs. 2 StPO darstellt (LG Bochum StV 2012, 526).
  • Bestellung, Schwere der Tat: Es liegt gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn neben den Rechtsfolgen für die verfahrensgegenständliche Tat sonstige schwerwiegende Nachteile für den Angeklagten infolge der Verurteilung zu gewärtigen sind. Zu diesen Nachteilen gehört ein drohender Bewährungswiderruf jedenfalls dann, wenn die zu erwartende Verbüßungsdauer der in früheren Verurteilungen verhängten Freiheitsstrafen ein Jahr überschreitet (OLG Celle, Beschl. v. 30. 5. 2012 (32 Ss 52/12, StRR 2012, 424; s. i.Ü. Burhoff, EV, Rn. 2193).
  • Bestellung, Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage: Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO ist auch bei einer Berufung der StA gegen ein freisprechendes Urteil nicht geboten, wenn in der Berufungsverhandlung die alle Beweismittel ausschöpfende Beweisaufnahme stattfindet, die eigentlich in I. Instanz geboten gewesen wäre (OLG Köln, Beschl. v. 2. 2. 2012 – 2 Ws 91/12, NStZ-RR 2012, 215 = StRR 2012, 162 [Ls.]). Eine schwierige Sachlage i.S. des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO besteht auch nicht stets bei längerer Dauer der Hauptverhandlung oder bei einer komplexen Beweislage; eine schwierige Sachlage ist erst dann anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Angeklagte seine Rechte ohne die Mitwirkung eines Verteidigers nicht mehr ausreichend wahrnehmen kann, insbesondere weil er allein den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren droht OLG Hamm, Beschl. v. 7. 10, 2011 – III 3 Ws 321/11, NStZ-RR 2012, 82). Das LG Duisburg (LG Duisburg, Beschl. v. 3. 9. 2012 - 35 Qs 716 Js 9/12 – 102/12, JurionRS 2012, 24537) hat einen Pflichtverteidiger wegen Schwierigkeit der Rechtslage bestellt, wenn ggf. die Subsumtion des Sachverhalts unter die Voraussetzungen des § 268 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB Schwierigkeiten bereitet, weil in rechtlicher Hinsicht umstritten ist, unter welchen konkreten Voraussetzungen von einer störenden Einwirkung auf den Aufzeichnungsvorgang eines EG-Fahrtenschreibers auszugehen ist. Beim Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB) ist ebenfalls ein Pflichtverteidiger zu bestellen, da der Richter Unterhaltsberechnungen anstellen muss, die der Angeklagte nachvollziehen können muss, wozu er grds. – wie im Zivilverfahren – der Hilfe eines Rechtsanwalts bedarf (LG Bielefeld FamRZ 2012, 1175). Ein Pflichtverteidiger ist auch dann beizuordnen, wenn die Durchführung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung mit der Frage erfordert, ob die Verwertung einer Blutprobe zulässig ist -etwa weil die notwendige richterliche Anordnung fehlt und eine ordnungsgemäße Belehrung des Beschuldigten über die Freiwilligkeit der Blutentnahme nicht dokumentiert wurde- so liegt nach Auffassung des LG Münster (StV 2012, 525 [Ls.] ein Fall notwendiger Verteidigung wegen Schwierigkeit der Rechtslage vor. Das OLG Köln (OLG Köln, Beschl. v. 12. 9. 2011 - 2 Ws 566/11, StraFo 2011, 508 = StRR 2012, 2 [Ls.]) und das LG Cottbus (StV 2012, 526 [Ls.]) gehen  davon aus, dass, da Akteneinsicht nur einem Verteidiger gewährt wird, die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sachlage geboten ist, wenn die Anklage auf eine Vielzahl von Urkunden Bezug nimmt, die der Angeklagte nicht kennt und die in der Hauptverhandlung vorgehalten werden müsse.
  • Bestellung, Unfähigkeit der Selbstverteidigung: Die Verteidigung ist notwendig i.S. des § 140 Abs. 2 StPO, wenn einem Mitangeklagten ein Verteidiger beigeordnet und völlig offen ist, ob und ggf. wie er sich zum Anklagevorwurf einlassen wird, der beiden Angeklagten einen gemeinschaftlich begangenen Einbruchsdiebstahl zu Last legt (LG Berlin, Beschl. v. 11. 7. 2011 - 512 Qs 74/11, JurionRS 2011, 37287; ähnlich LG Itzehoe, Beschl. v. 12. 1. 2012, 1 Qs 3/12 - JurionRS 2012, 15506). Liegt nicht der gesetzlich geregelte Fall einer gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenbeistands nach den §§ 397a, 406g Abs. 3, 4 StPO vor, sondern bedient sich der Nebenkläger auf eigene Kosten in der Hauptverhandlung des Beistands eines Rechtsanwalts, spricht keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung. Diesem ist demgemäß weder i.d.R. ein Pflichtverteidiger beizuordnen noch darf von der Bestellung eines Pflichtverteidigers gar nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände abgesehen werden.  Vielmehr ist ohne Bindung an eine Vermutung im Wege einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles zu untersuchen, ob erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung begründet sind (KG, Beschl. v. 29. 2. 2012 – (4) 121 Ss 21/12 (32/12), JurionRS 2012, 14737; zur Bestellung in den Fällen der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung s. Burhoff, EV, Rn. 2206). Es können aber die Kumulation eines drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten (hier: unter Betreuung stehender Angeklagter dazu führen, dass die Verteidigung des Ange klagten notwendig i. S. d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist (LG Braunschweig, Beschl. v. 12. 12. 2011 - 5 Qs 301/11, StRR 2012, 42 [Ls.]).
  • Bußgeldverfahren: Auf Grund der Verweisung des § 46 Abs. 1 OWiG gelten die Vorschriften über die notwendige Verteidigung nach §§ 140, 141 OWiG auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren. Das gilt insbesondere auch für § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO (LG Ellwangen, Beschl. v. 14.10.2011 – 1 Qs 82/11, StV 2012, 462 [Ls.] = StV 2012, 3 Ls.]).
  • Entpflichtung, Allgemeines: Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und seinem Pflichtverteidiger ist zu besorgen, wenn der Beschuldigte den begründeten Eindruck gewinnt, dass der Pflichtverteidiger bei Besprechungen vergesslich erscheint und häufig den faden verliert (StV 2012, 591; zur Entpflichtung s. a. Burhoff, EV, Rn. 2196). Die Zurücknahme der Beiordnung wegen einer ernsthaften Störung des Vertrauensverhältnisses kommt in Betracht, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten ungeachtet dessen erklärter Ablehnung wiederholt bedrängt, eine schriftliche Vereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss dieser Vereinbarung sei seine Motivation, für den Angeklagten tätig zu werden, eingeschränkt (KG, Beschl. v. 23. 1. 2012 - 4 Ws 3/12; RVGreport 2012, 318 = StRR 2012, 261 = NStZ-RR 2012, 287 [Ls.]). Ähnlich hat das LG Marburg entschieden (StV 2012, 282 m. abl. Anm. Burhoff = NStZ-RR 2012, 317 [Ls.]). Danach kann das Vertrauensverhältnis zum Pflichtverteidiger als tiefgreifend gestört angesehen werden, wenn der Anwalt den Mandanten, der wegen einer psychischen Störung nach § 63 StGB untergebracht ist, in seinem ersten Anschreiben zu einem Gespräch über ein Zusatzhonorar auffordert, weil das Honorar des Pflichtverteidigers für eine sachgemäße Verteidigung nicht ausreichend sei. Ein wichtiger Grund für die Auswechselung eines Pflichtverteidigers, insbesondere wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, liegt aber nicht allein darin, dass ein früherer Mitangeklagter von einem in der Bürogemeinschaft des Pflichtverteidigers tätigen Anwalt vertreten war und den Angeklagten in seinem eigenen Verfahren belastet hat, wenn nicht ein konkret erkennbarer Interessenwiderstreit des Pflichtverteidigers vorliegt (KG, Beschl. v. 28. 3. 2012 - 4 Ws 28/12, JurionRS 2012, 20180). Grundsätzlich kann nicht einmal der Umstand, dass als Mittäter Beschuldigte durch Rechtsanwälte derselben Sozietät vertreten werden, ohne konkrete Anhaltspunkte, einen Interessenkonflikt begründen. Dies muss umso mehr für Mitglieder einer Anwaltsbürogemeinschaft gelten, bei der jeder Anwalt wirtschaftlich für sich alleine arbeitet (KG, a.a.O.).
  • Entpflichtung, Fehler im Auswahlverfahren: Fehlt es an der gebotenen Mitwirkungsmöglichkeit bei der Auswahl des Verteidigers, etwa weil unbekannt ist, ob der Beschuldigte das gem. § 142 Abs. 1 StPO erforderliche  Anhörungsschreiben überhaupt erhalten hat, darf an der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht festgehalten werden und der beigeordnete Rechtsanwalt ist zu entpflichten (LG Bochum StV 2012, 526).
  • Inhaftierter Mandant, Allgemeines: Wird die Untersuchungshaft in einem anderen Verfahren vollstreckt, erfordert dies die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 S. 2 StPO (LG Bonn NStZ-RR 2012, 15 = StRR 2012, 103 m. Anm. Heydenreich).
  • Inhaftierter Mandant, Beiordnungsverfahren: Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es auch im Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dem Angeschuldigten - wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen - einen Verteidiger seines Vertrauens zu bestellen (OLG Dresden, Beschl. v. 4. 4. 2012 - 1 Ws 66/12, NStZ-RR 2012, 213 = StRR 2012, 202 [Ls.]; LG Siegen StRR 2012, 104 [zugleich auch zur Umgehung des Rechts des Beschuldigten auf den Verteidiger seines Vertrauens];   s. auch „Inhaftierter Mandant, Allgemeines“). Dem Beschuldigten ist auch bei dem Ermittlungsrichter eine angemessene Frist zu geben, innerhalb derer er einen Verteidiger seiner Wahl benennen kann. Dem steht § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht entgegen (KG, Beschl. v. 30. 4. 2012 - 4 Ws 40/12, StRR 2012, 202 [Ls.]).
  • Inhaftierter Mandant, Entpflichtung: In Fällen, in denen bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht des Beschuldigten bzw. sein Recht, innerhalb einer angemessenen Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, nicht beachtet worden ist, kann auf Antrag des Beschuldigten der bestellte Pflichtverteidiger gegen den von dem Beschuldigten nunmehr benannten Verteidiger seines Vertrauens ausgewechselt werden, ohne dass es auf eine Störung der Vertrauensbeziehung zu dem bestellten Pflichtverteidiger ankommt (OLG Dresden, Beschl. v. 4. 4. 2012 - 1 Ws 66/12, NStZ-RR 2012, 213 = StRR 2012, 202 [Ls.]). Über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus liegt ein wichtiger Grund für die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung unter anderem vor, wenn der wesentliche Verfahrensgrundsatz der ordnungsgemäßen Anhörung des Beschuldigten verletzt worden ist (vgl. KG, Beschl. v. 30. 4. 2012 - 4 Ws 40/12, StRR 2012, 202 [Ls.] m.w.N.).
  • Mehrere Pflichtverteidiger: Bei der Bewertung, ob die Voraussetzungen für die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers erfüllt sind, ist dem gemäß § 141 Abs. 4 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der erst dann verletzt ist, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nicht begegnet werden kann (OLG Jena, Beschl. v. 7. 10. 2011 - 1 Ws 433/11, JurionRS 2011, 32697).
  • Rechtsmittel, Allgemeines: Ist der Rechtsanwalt vom erkennenden Gericht mit einer gebührenbezogenen Einschränkung zum Pflichtverteidiger bestellt worden, kann der Rechtsanwalt dagegen Beschwerde einlegen. § 305 StPO steht dem nicht entgegen (OLG Hamburg, Beschl. v. 21. 6. 2012 - 1 Ws 54/12, StRR 2012, 282 [Ls.]). Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers ist statthaft (OLG Jena, Beschl. v. 7. 10. 2011 - 1 Ws 433/11, JurionRS 2011, 32697).
  • Rechtsmittelrücknahme: Die Rücknahme eines Rechtsmittels durch den unverteidigten Angeklagten ist selbst ist bei Vorliegen der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung unwirksam (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30. 5. 2012 (32 Ss 52/12, StRR 2012, 424).
  • Revision, Verfahrensrüge: Die Rüge der Verletzung von § 140 Abs. 2 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO berücksichtigt das Revisionsgericht selbst dann, wenn diese zwar nicht in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechenden Weise ausgeführt ist, bei zugleich zulässig erhobener Sachrüge sich die die Verfahrensrüge ausfüllenden Tatsachen aber vollständig aus dem Urteilsinhalt ergeben (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30. 5. 2012 (32 Ss 52/12, StRR 2012, 424).
  • Rücknahme der Bestellung: Hat der vom Angeklagten als Pflichtverteidiger benannte Rechtsanwalt nicht fristgemäß auf eine Stellungnahmefrist des Vorsitzenden reagiert und hat der Vorsitzende deshalb einen anderen Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt, muss diese Bestellung zurückgenommen werden, wenn die Stellungnahme des vom Angeklagten benannten Rechtsanwalts noch eingeht, bevor Auslagen oder Gebühren des bestellten Pflichtverteidigers angefallen sind, und kein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht (LG Magdeburg StRR 2012, 122 [Ls.] = StV 2012, 525 [Ls.]). Die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO kann das Gericht aufheben, wenn sich die für die Anordnung maßgeblichen Umstände wesentlich verändert haben (hier: Haftentlassung in anderer Sache) (OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653 = StV 2011, 658). Das Gericht hat insofern aber einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen zu prüfen ist, ob die frühere mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Beschuldigten in seinen originären Verteidigungsrechten und -möglichkeiten entfallen ist oder diese Einschränkung des Beschuldigten trotz Aufhebung der Haft fortbesteht und deshalb eine weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erfordert (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
  • Rückwirkende Bestellung: Eine nachträgliche rückwirkende Verteidigerbestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren ist unzulässig (OLG Celle, Beschl. v. 24. 7. 2012 - 2 Ws 196/12, JurionRS 2012, 24551; OLG München, Beschl. v. 13. 1. 2012 - 1 Ws 25/12; VRR 2012, 346;  vgl. wegen weiterer Nachw. ZAP F. 22 R, S. 679 und Burhoff, EV, Rn. 2323 ff.).
  • Umfang der Bestellung: Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gilt für die im Erkenntnisverfahren unterlassene nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 460 StPO, § 55 StGB fort, weil in die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung eingegriffen und eine erneute Strafzumessung ausgeübt wird (KG StraFo 2011, 43 = NStZ-RR 2011, 86 = StV 2012, 616 [Ls.]; s. auch OLG Köln NStZ-RR 2010, 283 = StV 2011, 219). Die im Ursprungsverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers wirkt bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens fort (vgl. KG, Beschl. v. 23. 5. 2012 - 4 Ws 46/12; JurionRS 2012, 23597).
  • Zeitpunkt der Bestellung: Die Pflichtverteidigerbeiordnung im Vorverfahren setzt einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus (nachträgliche rückwirkende Verteidigerbestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren ist unzulässig (OLG Celle, Beschl. v. 24. 7. 2012 - 2 Ws 196/12, JurionRS 2012, 24551). Auch in dem Verfahrensstadium nach Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO kann die Mitwirkung eines Verteidigers – so z.B. zur Wahrung der Rechte des Angeklagten bei der Auflagen- und Weisungserfüllung oder auch zur Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung bei drohendem Scheitern der vorläufigen Einstellung – geboten sein, so dass auch in diesem Verfahrensstadium die Bestellung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommen kann (OLG Hamm, Beschl. v. 7. 10, 2011 – III 3 Ws 321/11, NStZ-RR 2012, 82).

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4. Umfang der Belehrung des Beschuldigten

Soweit ersichtlich war in der Rspr. bisher nicht näher entschieden, wie weit bei einer Beschuldigtenvernehmung dem Beschuldigten der Tatvorwurf zu eröffnen ist (vgl. §§ 136, 163a StPO). Mit der Frage befasst sich der BGH, Beschl. v. 6. 3. 2012 (1 StR 623/11, NStZ 2012, 581 = StRR 2012, 378 m. Anm. Artkämper). Der Beschuldigte war in einem Tötungsverfahren zum Nachteil seiner Ehefrau zu Beginn seiner fünf Stunden dauernden polizeilichen Vernehmung ordnungsgemäß über seine Rechte belehrt worden. Bei der Eröffnung der ihm zur Last gelegten Tat hatten ihm die Vernehmungsbeamten gesagt worden, dass er seiner Frau etwas Schlimmes angetan habe, darum gehe es in der Beschuldigtenvernehmung“. Der Beschuldigte fragte während der laufenden Vernehmung mehrfach nach, ob seine Frau noch lebe. Erst gegen Ende der Vernehmung wurde ihm eindeutig gesagt: „Wir müssen Dir leider mitteilen, dass … tot ist.“ Daraufhin äußerte der Beschuldigte: „Was habe ich gemacht? Ich habe alles kaputtgemacht. Ich habe gedacht sie lebt noch. Ich habe nicht vorgehabt sie zu töten.“

Der BGH hat diese Art der Belehrung als nicht ausreichend i.S. des § 163a StPO angesehen. Hier gehe es um die „Tat“ als solche, nicht um deren rechtliche Bewertung. Unbeschadet der – stets gegebenen, praktisch besonders bei polizeilichen Vernehmungen bedeutsamen – Möglichkeit, aus ermittlungstaktischen Gründen nicht stets jedes schon bekannte Detail offenzulegen, sei dem Beschuldigten der ihm vorgeworfene Sachverhalt zumindest in groben Zügen zu eröffnen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Eröffnung im Einzelnen habe der Vernehmende zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum. Dessen Grenzen seien jedoch überschritten, wenn dem Beschuldigten eines Gewaltdeliktes der Tod des Opfers nicht eröffnet werde. Ohne Hinweis auf diesen die Tat prägenden Gesichtspunkt sei sie nicht einmal in groben Zügen eröffnet.

Tipp/Hinweis:

Ähnlich hat das AG Backnang zur Beurteilung des Geständnisses eines Beschuldigten in einem polizeilichen Formular entschieden (vgl. Beschl. v. 19. 9. 2012 – 2 Ls 90 Js 58693/12, JurionRS 2012, 24501). Dort hatte der Beschuldigte erklärt: „Ich gebe die Tat zu“. Das AG ist davon ausgegangen, dass sich dieser Erklärung nur auf eine „einfache“  Diebstahlstat beziehe, nicht hingegen auf die komplexen Voraussetzungen eines Bandendiebstahls.

Ein Beweisverwertungsverbot hat der BGH (a.a.O.) allerdings verneint. Belehrungsdefizite begründen dann nach seiner Auffassung dann kein Verwertungsverbot, wenn sie das Aussageverhalten des Vernommenen nicht beeinflusst haben. Im entschiedenen Fall ist der BGH davon angesichts eines ungewöhnlich massiven Tatgeschehens und der Fragen des Beschuldigten ausgegangen.

Tipp/Hinweis:

Der Verteidiger muss der Verwertung der Erkenntnisse aus einer Vernehmung, bei der dem Beschuldigten der Tatvorwurf unzureichend eröffnet worden ist, widersprechen (zur Widerspruchslösung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl., 2012, Rn. 3491 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV).

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III. Hauptverhandlung  

1. Vertretungsvollmacht des Verteidigers

Im Strafbefehlsverfahren nach Einspruch sieht sich der Verteidiger häufig vor folgende Situation gestellt: Der Angeklagte ist nicht erschienen. Soll dann die nun drohende Verwerfung des Einspruchs (§ 412 S. 1 StPO) verhindert werden, ist das ggf. möglich, wenn der Angeklagte durch seinen in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger vertreten wird (§ 412 S. 1 StPO). Die wirksame Vertretung des Angeklagten durch den Verteidiger setzt aber eine (schriftliche) Vertretungsvollmacht des Verteidigers voraus. Allerdings genügt es, dass eine dem Gericht vorgelegte Vollmachtsurkunde aufgrund eines mündlich erteilten Auftrags des Angeklagten vom Verteidiger für diesen mit eigenen Namen unterzeichnet ist, da die Ermächtigung, die Vollmachtsurkunde zu unterzeichnen, auch mündlich erteilt werden kann. So hat zuletzt das OLG Dresden entschieden (vgl. Beschl. v. 21. 8. 2012 – 3 Ss 336/12, JurionRS 2012, 22024) und damit eine schon ältere Entscheidung des BayObLG aus dem Jahr 2001 bestätigt (NStZ 2002, 277). Letzteres hatte darauf hingewiesen, dass keine Bedenken bestehen, dass bei einer Unterzeichnung der Vollmachtsurkunde durch den Verteidiger sich dieser die Vollmacht im Wege eines Insichgeschäfts selbst erteile. Denn es sei zwischen der Erteilung der Vollmacht und der hierüber zu erstellenden Vollmachtsurkunde zu unterscheiden. Der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht komme lediglich eine Nachweisfunktion gegenüber einem Dritten zu. Dagegen sei die Erteilung der Vollmacht selbst formfrei.

Tipp/Hinweis:

In § 411 Abs. 2 S. 1 StPO wird ausdrücklich eine „schriftliche Vollmacht“ des Verteidigers verlangt, wenn er den Angeklagten in der Hauptverhandlung des Strafbefehlsverfahren vertreten will. I.Ü. reicht die anwaltliche Versicherung, dass der Rechtsanwalt bevollmächtigt sei ((BGHSt 36, 259, 260; BGH NStZ 2005, 583 [für Rechtsmittelrücknahme]; StraFo 2010, 339; KG VRR 2012, 74 m. Anm. Burhoff; OLG Brandenburg VRS 117, 305 [an keine Form gebunden]; OLG Jena VRS 108, 276; OLG München StV 2008, 127; OLG Schleswig SchlHA 2010, 283 [Dö/Dr]; LG Ellwangen NStZ 2003, 331 [für AE]; LG Cottbus StraFo 2002, 233 [für Akteneinsicht]; Burhoff, EV, Rn. 114). Nur, wenn daran Zweifel bestehen, kann die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht verlangt werden.

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2. Rechtsmittelverzicht des unverteidigten Angeklagten

Ich hatte in ZAP F 22 R S. 720 über die Entscheidung des OLG Naumburg v. 19. 9. 2011 – (2 Ws 245/11, StRR 2012, 201 = StraFo 2011, 517) betreffend den Rechtsmittelverzicht des unverteidigten Angeklagten berichtet. In dem Zusammenhang ist hinzuweisen auf den OLG Celle, Beschl. v. 30. 5. 2012 (32 Ss 52/12, StRR 2012, 424). Dort war die Angeklagte vom AG wegen „Beförderungserschleichung“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden. Das AG hatte die Vollstreckung dieser Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die weder im Verfahren vor dem AG noch im Berufungsrechtszug beim LG verteidigte Angeklagte hatte gegen das amtsrichterliche Urteil zunächst unbeschränkt Berufung eingelegt, dieses Rechtsmittel aber mit Zustimmung der StA in der Berufungshauptverhandlung auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt.

Das OLG (a.a.O.) geht in seiner Entscheidung zunächst davon aus, der der Angeklagte, obwohl im Verfahren gegen die Angeklagte nur eine Freiheitsstrafe von einem Monat verhängt worden sei, ein Pflichtverteidiger hätte bestellt werden müssen, das sie im Falle des Widerrufs von anderen zur Bewährung ausgesetzten Strafen insgesamt 29 Monate Freiheitsstrafe zu verbüßen hätte. In der Rechtsprechung werde jedoch bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe und darüber i.d.R. die Mitwirkung eines Verteidigers als notwendig angesehen, ohne dass es sich hierbei um eine starre Grenze handelt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 55. Aufl. 2012, § 140 Rn. 23 m.w.N. [im Folgenden kurz: Meyer/Goßner]).

Tipp/Hinweis:

Die Entscheidung zur notwendigen Verteidigung entsprich der h.M. in Rechtsprechung und Lit., der sich das OLG angeschlossen hat (vgl. dazu auch Burhoff, EV, Rn. 2189 ff.).

In einer Segelanweisung hat das OLG (a.a.O.) dann darauf hingewiesen, dass in der neuen Hauptverhandlung nunmehr auch zu prüfen sei, ob die von der Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung ohne Anwesenheit eines Verteidigers erklärte Beschränkung ihrer Berufung auf die Aussetzung der Vollstreckung der einmonatigen Freiheitsstrafe zur Bewährung rechtlich wirksam ist. Zweifel an der Wirksamkeit dieser Beschränkung, die sich als Teilrücknahme der zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung erweist, ergaben sich für das OLG aus dem Umstand, dass die Angeklagte die Teilrücknahme ihres Rechtsmittels trotz Vorliegens der Voraussetzungen notwendiger Verteidigung aus § 140 Abs. 2 StPO in der Berufungshauptverhandlung erklärt hatte, ohne die Möglichkeit einer vorherigen Beratung durch einen Verteidiger erhalten zu haben. Ob ein Angeklagter in Konstellationen notwendiger Verteidigung wirksam einen Verzicht auf sein oder eine Rücknahme seines Rechtsmittel(s) erklären könne, werde in der höchstrichterlichen Rspr. nicht einheitlich beurteilt (näher Radtke, in: Radtke/Hohmann, StPO, 2011, § 302 Rn 18; Meyer-Goßner,§ 302 Rn. 25a jeweils m.w.N.). Das gelte auch bei der Rechtsmittelbeschränkung eines trotz notwendiger Verteidigung nicht verteidigten Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung. Das OLG macht deutlich, dass es zu einer Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bzw. der Rechtsmittelbeschränkung neige. Anderenfalls würde der gesetzgeberischen Wertung, dass ein Angeklagter jedenfalls in den Fällen der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO ohne Verteidigung zu einer sachgerechten Wahrnehmung seiner Verteidigungsinteressen nicht in der Lage ist, nicht ausreichend Rechnung getragen. Das gelte erst recht vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Unwiderruflichkeit von Verzichts- oder Rücknahmeerklärungen in Bezug auf ein Rechtsmittel.

Tipp/Hinweis:

Hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung scheint sich das OLG der insoweit h.M. anschließen zu wollen, auch wenn die Frage letztlich offen gelassen wird. Diese h.M. (vgl. KG StV 2006, 695; OLG Düsseldorf StV 1998, 647; OLG Hamm StV 2010, 67; OLG Koblenz StraFo 2006, 27; OLG Köln NStZ 2004, 77 m.w.N.; StV 2003, 65; OLG München NJW 2006, 789; OLG Naumburg StraFo 2011, 517 = StRR 2012, 102) geht davon aus, dass ein Rechtsmittelverzicht oder eine Rechtsmittelbeschränkung bei notwendiger Verteidigung unwirksam ist, wenn nicht ein (Pflicht)Verteidiger anwesend ist.. Teilweise wird das in der obergerichtlichen Rspr. aber auch anders gesehen und Unwirksamkeit nur dann angenommen, wenn besondere Umstände hinzukommen (vgl. z.B. OLG Brandenburg StraFo 2001, 136; OLG Hamburg NStZ 1997, 53; StV 2006, 175; OLG München NStZ-RR 2010, 19; OLG Naumburg NJW 2001, 2190).

Die Nichtanwesenheit des Pflichtverteidigers muss mit der Verfahrensrüge (§ 338 Nr. 5 StPO) geltend gemacht werden. Es gelten die strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. dazu Junker in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2012, Teil A: Rn. 2789 ff.).

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3. Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme

Schwierigkeiten bereiten in der Praxis nicht selten die Fälle, in denen Angeklagte nach einem Rechtsmittelrücknahme die Rücknahmeerklärung reut. Häufig wird deren Wirksamkeit dann mit der Erklärung „angefochten“, der Angeklagte sei entweder bei der Erklärung der Rechtsmittelrücknahme oder bei der Erteilung der Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme durch seinen Verteidiger nicht in der Lage gewesen, die Tragweite der Erklärung zu erfassen. So auch in dem BGH, Beschl. v. 19. 6. 2012 (3 StR 190/12, StRR 2012, 423 = NStZ-RR 2012, 318) zugrunde liegenden Verfahren. Der BGH hat u.a. darauf hingewiesen, dass es für eine wirksame Ermächtigung ausreichend sei, wenn der erklärende Angeklagte verhandlungsfähig i.S. des Strafverfahrensrechts und in der Lage sei, die Bedeutung von Prozesserklärungen zu erkennen (BGH NStZ 1983, 280). Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der vom Angeklagten seinem Verteidiger erteilten Ermächtigung hatte der BGH auch nicht etwa deshalb, weil nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils im Tatzeitpunkt die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten nicht sicher ausschließbar vollständig aufgehoben war.). Weder die Urteilsgründe noch das Hauptverhandlungsprotokoll hätten einen Hinweis darauf enthalten, dass der Beschuldigte verhandlungsunfähig gewesen sei. Er habe aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich zum Tatvorwurf eingelassen.

Tipp/Hinweis:

Die Entscheidung fasst die Rspr. des BGH zur Rechtsmittelrücknahme anschaulich zusammen (vgl. dazu auch Burhoff, HV, 7. Aufl., 2012, Rn. 581 ff., 2151 ff.). Da der Angeklagte an eine wirksame Rücknahme der Revision gebunden ist - sie ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH NStZ 1983, 280, 281) – sollte der Verteidiger seinen Mandanten über die weit reichenden Folgen einer Rücknahme belehren und diese Belehrung – zur eigenen Sicherheit – in der Handakte festhalten. Denn die Fälle, in denen den Angeklagten die Rücknahme nachträglich reut, sind nicht selten.

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IV. Bußgeldverfahren

Einige OLG-Entscheidungen haben sich in Zusammenhang mit der Feststellungen von Geschwindigkeitsüberschreitungen mit der Frage befasst, ob die Verwertbarkeit einer Lasermessung die Anwendung des sog. „Vier-Augen-Prinzips“ voraussetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2012, IV-2 RBs 129/12, VRR 2012, 431; OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2012, III-3 RBs 35/12, JurionRS 2012, 20810; Beschl. v. 19.07.2012 - III-3 RBs 66/12, JurionRS 2012, 19246). Das hatten die Betroffenen in den Verfahren geltend gemacht. Die OLG haben das verneint. Ein derartiges „Vier-Augen-Prinzip" gebe es nicht. Existiere keine von dem technischen Messsystem selbst hergestellte fotografisch-schriftliche Dokumentation des Messergebnisses, seien die Fragen nach dem vom Gerät angezeigten Messwert und nach der Zuordnung des Messergebnisses zu einem bestimmten Fahrzeug unter Heranziehung der hierfür im jeweiligen Einzelfall vorhandenen Beweismittel (z. B. Zeugenaussagen der beteiligten Polizeibeamten, Messprotokoll) nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO) zu klären (vgl. OLG Hamm VRS 92, 275; OLG Köln, Beschl. v. 5. 1. 2012 - III-1 RBs 365/11, JurionRS 2012, 10052; vgl. allgemein auch BGHSt 23, 213) Ihre Grenze finde die freie Beweiswürdigung nur in der Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung und in den Beweisverboten des Verfahrensrechts (BGH, a.a.O.).

Tipp/Hinweis:

Die Frage, welchen Messwert das Messgerät angezeigt hat, betrifft danach allein die tatrichterliche Beweiswürdigung im Einzelfall (OLG Hamm, a.a.O.; vgl. OLG Köln, a.a.O.). Das bedeutet, dass der Verteidiger die „erschüttern“ muss.

Das OLG Düsseldorf (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung zudem ausgeführt: Der Einwand des Betroffenen, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht verwertbar, weil das „Vier-Augen-Prinzip“ nicht eingehalten worden sei, ziele inhaltlich jedenfalls auch auf ein Beweisverwertungsverbot ab. Die insoweit erforderliche Verfahrensrüge sei indes nicht wirksam erhoben, da nicht dargelegt worden sei, dass der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bis zu dem durch § 71 Abs. 1 OWiG, § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt widersprochen worden sei (vgl. BGH StV 1996, 529; NStZ 1997, 502; OLG Hamburg NJW 2008, 2597, 2600; OLG Hamm NJW 2009, 242; NStZ-RR 2010, 148, 149). Im Übrigen existiere keine verfahrensrechtliche Vorschrift, welche die Verwertung eines Messwertes untersage, der an dem Lasermessgerät allein von einem Polizeibeamten abgelesen und nach dessen mündlicher Angabe von dem Protokollführer in das Messprotokoll eingetragen worden sei. Vielmehr stehe der Verwertung des auf diese Weise festgestellten Messwertes kein Beweisverwertungsverbot - weder ein Beweismittel- noch ein Beweismethodenverbot - entgegen. Gleiches gilt mangels Verfahrensverstoßes, wenn der Messbeamte die von dem Protokollführer vorgenommene Eintragung nicht auf ihre Richtigkeit überprüft habe.

Tipp/Hinweis:

Soweit ersichtlich hat bislang in der Rspr. noch kein OLG auch in diesen Fällen einen Widerspruch in der Hauptverhandlung verlangt, wenn in der Rechtsbeschwerde die Unverwertbarkeit einer Messung geltend gemacht werden soll. Das steckt aber inzidenter in den Ausführungen des OLG zur Zulässigkeit. Das ist neu und wird sicherlich viel Unruhe in die amtsgerichtlichen Hauptverhandlungen tragen. Allerdings habe ich auch Zweifel, ob e sich tatsächlich um ein Beweisverwertungsverbot i.S. de Rechtsprechung zur Widerspruchslösung handelt.

Aber unabhängig davon: Als Verteidiger wird man in Zukunft diese Rechtsprechung des OLG Düsseldorf im Auge haben müssen und vorsorglich in vergleichbaren Fällen der Verwertung der Messergebnisse widersprechen müssen (vgl. eingehend zur Widerspruchslösung Burhoff, HV, Rn. 3491.) Und: In der Rechtsbeschwerde muss dann dazu vorgetragen werden (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO!!).

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V. Gebührenfragen

1. Erforderlichkeit einer ausdrücklichen Erstreckung (§ 48 Abs. 5 S. 3 RVG)

In der Rspr. ist inzwischen die Frage, ob in den Fällen der Pflichtverteidiger/Verbindung (§ 48 Abs. 5 S. 3 RVG) immer ein Erstreckungsantrag erforderlich ist, oder nur, wenn die Verbindung der Verfahren nach der Beiordnung erfolgt, umstritten. Die wohl h.M. (vgl. KG JurBüro 2009, 531 = NStZ-RR 2009, 360 [Ls.] = RVGreport 2010, 64; StRR 2012, 78; OLG Hamm RVGreport 2005, 273 = AGS 2005, 437 = JurBüro 2005, 532; OLG Jena, Beschl. v. 17. 3. 2008 - 1 AR [S] 3/08; OLG Jena JurBüro 2009, 138 [Ls.] = Rpfleger 2009, 171 = NStZ-RR 2009, 160 [Ls.] = StRR 2009, 43; LG Aurich RVGreport 2011, 221 = StRR 2011, 244; LG Bonn, Beschl. v. 30. 8.2006 - 37 Qs 22/06, www.burhoff.de; LG Dortmund StraFo 2006, 358) geht davon aus, dass das nur der Fall ist, wenn die Verbindung der Verfahren nach der Beiordnung erfolgt. Unzutreffend a.A. sind das OLG Oldenburg (RVGreport 2011, 220 = RVGprofessionell 2011, 104 = NStZ-RR 2011, 261 = StRR 2011, 323), das OLG Koblenz (StRR 2012, 319 = StraFo 2012, 290 = AGS 2012, 390), das OLG Celle (Beschl. v. 2. 2. 2007 - 1 Ws 575/06) und das OLG Rostock (StRR 2009, 279 = RVGreport 2009, 304 = RVGprofessionell 2009, 155).

Der h.M. angeschlossen hat sich das OLG Bremen (Beschl. v. 7. 8. 2012 – Ws 137/11, StRR 2012, 436 = JurionRS 2012, 22598). Dort ist der Rechtsanwalt für den Angeklagten in mehreren Verfahren als Verteidiger tätig gewesen. Diese wurden miteinander verbunden. Der Rechtsanwalt wurde dann in der (gemeinsamen) Hauptverhandlung vom AG beigeordnet. Im Rahmen der Kostenfestsetzung machte der Pflichtverteidiger auch die in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Beiordnung entstandenen Gebühren geltend. Der Amtsrichter wies darauf hin, dass eine Erstreckung gemäß § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG nicht beantragt und auch nicht beschlossen worden sei. Festgesetzt wurden dann nur die im führenden Verfahren entstandenen Gebühren. Das LG hat auf die Beschwerde des Verteidigers auch die übrigen Gebühren festgesetzt. Das Rechtsmittel der Staatskasse hatte keinen Erfolg.

Das OLG (a.a.O.) hat darauf verwiesen, dass sich die Ansprüche auf die in den verbundenen Verfahren entstandenen Grund - und Verfahrensgebühren bereits unmittelbar aus § 48 Abs. 5 S. 1 RVG ergeben. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Verteidiger wirke auch kostenrechtlich zunächst allein in die Zukunft. Von diesem Grundsatz mache § 48 Abs. 5 RVG drei Ausnahmen, u.a. in Satz 3 für den Fall der Verbindung eines Verfahrens zu einem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt bereits zum Verteidiger bestellt war. Dem Wortlaut dieser Vorschrift lasse sich kein Hinweis entnehmen, dass es einer Erstreckungsanordnung gem. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG auch bei einer Verbindung der Verfahren vor der Beiordnungsentscheidung des § 48 Abs. 5 S. 1 RVG bedürfe. Satz 3 setze  ersichtlich voraus, dass die Verbindung zu einem Verfahren erfolgt, in dem bereits eine Beiordnungsentscheidung getroffen worden ist. Die gegenteilige Auffassung lasse in der Praxis schwer zu überwindende Anwendungshindernisse, kaum begründbare Zufallsergebnisse und zudem einen erheblichen Mehraufwand der Gerichte im Beiordnungs- und Kostenfestsetzungsverfahren besorgen. Dies gilt vor allem bei Verfahren, die bereits durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren verbunden werden. Bei Sammelverfahren oder der Zusammenfassung einer großen Anzahl von Straftaten von Intensivtätern im Ermittlungsverfahren müsste im Zeitpunkt der Beiordnungsentscheidung für jedes einzelne Verfahren geprüft werden, ob eine Erstreckung erfolgen soll oder nicht. Eine Erstreckungsanordnung gem. § 48 Abs. 5 S. 3 RVG sei mithin nur veranlasst, wenn die Verbindung der Verfahren nach der Beiordnung des Verteidigers erfolge. Diese Verbindungen würden in aller Regel durch die Gerichte der Hauptsache zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem sich die Frage problemlos beantworten lasse, ob auch in dem hinzu zu verbindenden Verfahren eine Verteidigerbestellung notwendig wäre und deshalb eine Erstreckung der Wirkungen des § 48 Abs. 5 Satz 1 RVG anzuordnen sei.

Tipp/Hinweis:

Trotz der zutreffenden h.M. sollte der Verteidiger aber dennoch in allen Fälle, in denen Verbindung und Pflichtverteidiger(bestellung) aufeinander treffen, ausdrücklich die Erstreckung beantragen. Nur so kann er sich sicher gegen Gebührenausfälle schützen (zur Erstreckung eingehend Burhoff in. Burhoff: (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl. 2012, § 48 Abs. 5 Rn. 1 [im Folgenden kurz Burhoff/Bearbeiter, RVG).

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2. Vergütungsrechtliche Neuerungen in Teil 4 und 5 VV RVG durch das 2. KostRMoG

Nachfolgend sollen in einem Überblick die wesentlichen Änderungen in Teil 4 und 5, die durch das 2. KostRMoG zu erwarten sind, vorgestellt werden (vgl. auch Burhoff VRR 2012, 16 = StRR 2012, 14 = RVGreport 2012, 42 = RVGprofessionell 2012, 12; ders., StRR 2012, 373 = VRR 2012, 364 = RVGreport 2012, 369; zu allem auch BR-Drucks. 517/12, S. 151 ff., 412 ff.).

a) Anhebung der Betragsrahmen

Eine ganz wesentliche Änderung betrifft die Anhebung der Betragsrahmen in Teil 4 und 5 VV RVG. Vorgeschlagen wird vom Entwurf eine Erhöhung um ca. 19 % vorgeschlagen wird (vgl. S. 206 ff.). Dieser Erhöhung orientiert sich an der Entwicklung des Index der tariflichen Monatsverdienste der Arbeitnehmer im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich seit 2004. Bei den neuen Betragsrahmen sind die einzelnen Gebühren grds. auf volle 10 € gerundet worden. Zum Teil sind dadurch die Mindestgebühren zwar stärker erhöht worden, was aber durch entsprechende Abrundungen bei den Höchstgebühren ausgeglichen worden ist. Die Höchstgebühren bei den Gebührenrahmen mit Zuschlag sind um genau 25 % erhöht worden (zu en Auswirkungen s. die Beispiele bei Burhoff RVGreport 2012, 42 ff.).

b) Angelegenheiten (§ 17 Nr. 10a und 11 RVG-E)

In § 17 Nr. 10a RVG-E wird ausdrücklich geregelt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur bislang erheblich umstritten und wird von vielen AG und LG anders gesehen. Der Gesetzgeber hat sich aber in der Literatur weitgehend übereinstimmend vertretenen anderen Ansicht angeschlossen (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Angelegenheiten (§§ 15 ff.), Rn. 81 ff.). In § 17 Nr. 11 VV RVG-E ist eine der Regelung in § 17 Nr. 10a VV RVG entsprechende Klarstellung für das Bußgeldverfahren vorgesehen. Auch da werden das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren als verschiedene Angelegenheiten angesehen.

Tipp/Hinweis:

Folge dieser Änderung ist, dass demnächst sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch für das gerichtliche Verfahren bzw. im Bußgeldverfahren im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde als auch im gerichtlichen Verfahren eine Auslagenpauschale abgerechnet werden kann (vgl. Anm. zu Nr. 7002 VV RVG). 

c) Beschwerdeverfahren (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10a RVG-E)

Der Entwurf sieht in § 17 RVG eine neue Nr. 1 vor, wonach „das Verfahren über ein Rechtsmittel und der vorausgegangene Rechtezug“ als verschiedene Angelegenheiten anzusehen sind. Es sind also jeder Rechtszug und die übrigen Rechtszüge verschiedene Angelegenheiten (s. BR-Drucks. 517/12, S. Entwurf S. 413). Folge dieser Änderung ist eine ausdrückliche Klarstellung in § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10a RVG-E, wonach die Beschwerdeverfahren, wenn sich die Gebühren nach Teil 4, 5 oder 6 VV RVG richten und dort nichts anderes bestimmt ist oder besondere Gebührentatbestände vorgesehen sind, ausdrücklich zum Rechtszug gehören. Diese Änderung führt dazu, dass die Beschwerdeverfahren in Straf- und Bußgeldsachen (Teil 4 und 5 VV RVG) und in Teil 6 VV RVG nach wie vor aufgrund des Pauschalcharakters der Vorbem. 4.1 Abs. 1 VV RVG, Vorbem. 51. Abs. 1 VV RVG und Vorb. 6.2 Abs. 1 durch die jeweiligen Verfahrensgebühren mit abgegolten sind (zur Abrechnung von Beschwerdeverfahren Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Beschwerdeverfahren, Abrechnung, Rn. 371 ff.; Burhoff RVGreport 2012, 12).

d) Verfahren vor dem EGMR (§ 38a RVG-E)

Im RVG gibt es derzeit keine Regelung. wie Verfahren vor dem EGMR abgerechnet werden können. Diese Lücke soll demnächst § 38a RVG-E schließen. Danach richtet sich für diese Verfahren die Abrechnung nach Teil 3 Abschnitt 2 VV RVG und wird damit ebenso geregelt werden wie für Vorabentscheidungsverfahren vor dem EUGH (derzeit § 38 Abs. 1 RVG). Der Gegenstandswert beträgt mindestens 5.000 € (§ 38a Satz 2 Hs. 2 RVG-E).

e) Ergänzungen bei den Pauschgebühren (§§ 42, 51 RVG)

Bislang konnten die Pauschgebühren der §§ 42, 51 RVG nicht in Freiheitsentziehungs- und Unterbringungssachen sowie bei Unterbringungsmaßnahmen nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG gewährt werden. In der BRAGO war das früher zwar in § 112 BRAGO vorgesehen, die entsprechende Regelung ist 2004 jedoch nicht in den Anwendungsbereich der §§ 42, 51 VV RVG übernommen worden, da die genannten Verfahren in § 42 Abs. 1 S. 1 RVG bzw. § 51 Abs. 1 S. 1 RVG nicht aufgeführt sind. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften haben Rechtsprechung und Literatur abgelehnt (vgl. z.B. Burhoff/Burhoff, RVG, § 51 Rn. 4 m.w.N.) Der Entwurf erweitert nun den Anwendungsbereich der §§ 42, 51 RVG auf alle Verfahren, für die sich die Gebühren nach Teil 6 Abschnitt 3 VV RVG richten. Damit wird nun das Vorhaben des RVG, wonach die Regelung des § 112 BRAGO unverändert übernommen werden sollte (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 231), nachträglich erfüllt.

f) Anrechnung von Vorschüssen (§ 58 Abs. 3 VV RVG)

In § 58 Abs. 3 RVG-E ist ein neuer Satz 4 vorgesehen. Danach soll ein Pflichtverteidiger zusammen mit den an ihn gezahlten Vorschüssen und Zahlungen insgesamt nicht mehr als Vergütung erhalten  als ihm als Höchstgebühren eines Wahlanwalts zustehen würde. Die Regelung entspricht der in Rspr. und Lit. h.M. (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, § 58 Abs. 3 Rn. 36 m.w.N.)

Tipp/Hinweis:

Eine für die Praxis wesentliche Neuerung wird vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Reg-Entwurf vorgeschlagen (vgl. BR-Drucks. 517/12 [B], S. 90). In § 58 Abs. 3 soll ein Satz anagefügt werden, in dem es heißt „Verfahrensabschnitt ist jeder Teil des Verfahrens, für den besondere Gebühren bestimmt sind“. Damit wäre die in Rspr. und Lit. umstrittene Frage entschieden, was unter einem „Verfahrensabschnitt“ zu verstehen ist (vgl. (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG,§ 58 Rn.62 ff.; Burhoff/Volpert, RVG, § 58 Abs. 3 Rn.14 ff.). Zugleich wäre damit dann beim Pflichtverteidiger die Anrechnung von nicht verbrauchten Vorschüssen, die für bestimmte Verfahrensabschnitte gezahlt worden sind, wie z.B. für das vorbereitende Verfahren, auf die Gebühren anderer Verfahrensabschnitte, wie z.B. das Hauptverfahren, ausgeschlossen.

g) Klarstellung hinsichtlich der Abrechnung der Tätigkeit des Zeugenbeistands

In der Gesetzesbegründung zum RVG war ausdrücklich dargelegt, dass der Rechtsanwalt auch im Strafverfahren als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll (BT-Drucks. 15/1971 S. 220). Trotz dieses eindeutigen gesetzgeberischen Anliegens und des klar zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens ist alsbald nach Inkrafttreten des RVG in Rspr. und Lit. eine heftiger Streit um die Abrechnung der Tätigkeiten des als Zeugenbeistand tätigen Rechtsanwalt in den Verfahren, die nach Teil 4 bzw. 5 VV RVG abgerechnet werden entbrannt. Die diskutierte Streitfrage, nämlich Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG oder nur nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG, gehört sicherlich immer noch mit zu den heftigst umstrittenen Fragen der Abrechnung nach den Teilen 4 und 5 VV RVG (zum Streitstand und zu Rechtsprechungsnachweisen s. Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn. 5 ff.; Burhoff RVGreport 2011, 85; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Einl. Vorb. Teil 4.1 Rn. 5 ff.)

Hier bringt der Entwurf nun eine Klarstellung in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG, die diesen Streit i.S. der Vertreter der Auffassung, die nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnen (vgl. z.B. Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn. 5 ff.), erledigt (vgl. BR-Drucks. 517/12, S. 438 f.). Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG soll nämlich demnächst heißen: „(1) Für die Tätigkeit als Beistand oder Vertreter eines Privatklägers, eines Nebenklägers, eines Einziehungs- oder Nebenbeteiligten, eines Verletzten, eines Zeugen oder Sachverständigen und für die Tätigkeit im Verfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erhält der Rechtsanwalt die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger im Strafverfahren.“ Damit sollte in der Tat der angesprochene Streit erledigt sein (wie die Neuregelung in der Vergangenheit schon Burhoff/Burhoff, a.a.O. m.w.N., auch zur teilweise vertretenen a.A. in der Rspr.). Kritisch haben sich zu dieser Änderung die Länder geäußert (vgl. BR-Drucks. 517/12 [B], S. 91).

h) Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG als gesetzliche Zusatzgebühr

In Rspr. und Literatur ist bislang das Verhältnis der Grundgebühr Nr. 4100/5100 VV RVG zur jeweiligen Verfahrensgebühr nicht eindeutig geklärt. Teilweise ist unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zur Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und den dort beschriebenen eigenen Abgeltungsbereich der Grundgebühr (vgl. dazu BT-Dr. 15/1971, S. 222.) - die zum derzeitigen Recht m.E. zutreffende Auffassung - vertreten worden, dass die Verfahrensgebühr erst entsteht, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr überschritten worden ist (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV Rn. 20; KG RVGreport 2009, 186 = StRR 2009, 239 = AGS 2009, 271) Teilweise ist man aber auch davon ausgegangen, dass die Grundgebühr immer neben der Verfahrensgebühr entstehe, da es sich bei dieser um eine „Betriebsgebühr“ handle (vgl. insbesondere AnwKomm-RVG/N.Schneider, 6. Aufl., VV Vorb. 4 Rn. 22; AG Tiergarten RVGreport 209, 395 = StRR 2009, 237 = AGS 2009, 322.) Der Gesetzgeber hat sich im Entwurf für die letzte Auffassung entschieden. In Abs. 1 der Anm. soll eingefügt werden „neben der Verfahrensgebühr“. Damit ist klargestellt, dass die Grundgebühr „den Charakter einer Zusatzgebühr hat, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert“ (vgl. BR-Drucks. 517/12, S. 438 f.).

i) Änderungen bei der zusätzlichen Gebühr Nr. 4141 VV RVG (Befriedungsgebühr)
aa) Nr. 4141 VV RVG auch beim Übergang vom Bußgeld- ins Strafverfahren

Nach Inkrafttreten des RVG war in Rspr. und Lit. sehr schnell die Frage umstritten, ob die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG auch dann entsteht, wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt und die Sache gem. § 43 OWiG an die Verwaltungsbehörde abgegeben wird. Das ist von der h.M. zutreffend bejaht worden (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., 4141 VV RVG, Rn. 16; Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Angelegenheiten [§§ 15 ff.], Rn. 88; AnwKomm-RVG/N.Schneider, 4141 VV, Rn. 19 ff., jeweils m.w.N. aus der Rspr.). A.A. waren zunächst nur Hartmann (Kostengesetze, 41. Aufl., 4141 VV RVG, Rn. 4), das AG München (JurBüro 2007, 84) und das AG Osnabrück (RVGreport 2008, 190). Inzwischen hat sich aber auch der BGH dieser Mindermeinung angeschlossen (vgl. NJW 2010, 1209 = RVGreport 2010, 70 m. abl. Anm. Burhoff = StRR 2010, 109 = VRR 2010, 38). Der Entwurf entscheidet sich für die h.M. und erteilt damit dem BGH (a.a.O.) eine Absage. In Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG wird nämlich das Wort „Verfahren“ durch „Strafverfahren“ ersetzt. In der Begründung wird – zutreffend – darauf hingewiesen, dass die Regelung der Nr. 4141 VV RVG dem Zweck diese, den Anreiz zu erhöhen, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen und soll somit zu weniger Hauptverhandlungen führen. Diesem Zweck trage die Gebühr aber auch dann Rechnung, wenn sich ein Bußgeldverfahren anschließt, von dem man nicht absehen kann, ob es später überhaupt noch gerichtlich anhängig sein wird.

Tipp/Hinweis:

Damit wird in Zukunft in diesen Fällen wieder die Nr. 4141 VV RVG abgerechnet werden können. Befinden sich Verteidiger derzeit  in vergleichbaren Fällen im Streit mit der Rechtsschutzversicherung oder der Staatskasse um den Anfall der Nr. 4141 VV RVG sollte auf die geplante Änderung und die Unhaltbarkeit der Auffassung des BGH hingewiesen werden.

bb) Erweiterung der Nr. 4141 VV RVG auf den Fall des § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO

In der Rspr. (vgl. AG Darmstadt AGS 2008, 344) und Lit. (vgl. u.a. Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn. 32, Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4141 Rn. 30; AnwKomm-RVG/N.Schneider, a.a.O., VV 4141 Rn. 107 ff.) ist eine entsprechende Anwendung der Regelung der zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV RVG auf die Fälle befürwortet worden, in denen das Gericht nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO nach Beschränkung des Einspruchs des Angeklagten gegen den Strafbefehl auf die Höhe der Tagessätze mit Zustimmung des Angeklagten durch Beschluss entscheidet (a.A. OLG Frankfurt RVGreport 2002008, 428 = StRR 2009, 159 = VRR 2009, 80 = AGS 2008, 487; wegen weiterer Nachw. s. Burhoff/Burhoff, a.a.O ). Dies greift der Entwurf in einer neuen Nr. 4 der Nr. 4141 VV RVG auf. Offen ist damit aber immer noch die Frage, ob die Nr. 4141 VV RVG auch dann entsteht., wenn sich Verteidiger, Gericht und Staatsanwaltschaft über den Erlass eines Strafbefehls verständigen, so dass gegen den dann erlassenen Strafbefehl kein Einspruch eingelegt wird (befürwortet von Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn. 34).

j) Erweiterung der Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG auf die Rücknahme der Privatklage

Bislang nicht geregelt war im RVG der Fall, dass der Privatkläger seine Privatklage nach Eröffnung des Hauptverfahrens zurück nimmt. Die Regelung in Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 2 VV RVG, wonach im Fall der Nichteröffnung des Hauptverfahrens eine Gebühr Nr. 4141 VV RVG entsteht, betrifft nur den Vertreter des Privatbeklagten. Dem begegnet der Entwurf dadurch, dass in Nr. 4141 Anm. 1 VV RVG ein Satz 2 angefügt werden soll, wonach die Nr. 3 „auf den Beistand oder Vertreter eine Privatklägers entsprechend anzuwenden [ist], wenn die Privatklage zurückgenommen wird“.

k) Verhältnis Nr. 4141 und Nr. 4147 VV RVG

Bisher ist in der Lit. davon ausgegangen worden, dass bei Einstellung im Privatklageverfahren neben einer Gebühr Nr. 4141 VV RVG ggf. auch noch die Einigungsgebühr nach Nr. 4147 VV RVG entstehen kann (vgl. AnwKomm-RVG/N.Schneider, a.a.O., 4141 VV Rn. 53 m.w.N.). Das ändert der Entwurf dadurch, dass in der Anm. 2 ein Satz 2 eingefügt wird, wonach die Gebühr Nr. 4141 VV RVG nicht neben der Gebühr Nr. 4141 VV RVG anfallen kann. Allerdings ist die Höhe der Gebühr Nr. 4147 VV RVG an die Gebühr Nr. 4141 VV RVG angeglichen worden. Während bisher ein Betragsrahmen von 20,00 bis 150,00 € bzw. eine Festbetragsgebühr von 68,00 € für den beigeordneten bzw. bestellten Rechtsanwalt vorgesehen war. entsteht die Gebühr Nr. 4147 VV RVG demnächst immer aus dem Rahmen der jeweiligen Verfahrensgebühr ohne Zuschlag (vgl. BR-Drucks. 517/12, S. 440 f.). Für den Wahlanwalt handelt es ich um eine Festbetragsgebühr in Höhe der Rahmenmitte (Nr. 4141 Anm. 3 S. 2 VV RVG).

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