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aus ZAP Heft 19/18, F. 22, S. 939

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Folgen des Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung in der 1. Instanz

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

I. Anwesenheitspflicht des Angeklagten

1. Allgemeines

Im Strafverfahren besteht für die Hauptverhandlung (1. Instanz) grundsätzlich die Anwesenheitspflicht des Angeklagten. Von der kann der Angeklagte nur unter besonderen Voraussetzungen befreit werden (vgl. dazu unten VI. und Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2018, Rn 398 m.w.N., im Folgenden kurz: Burhoff, HV). Nach § 230 Abs. 1 StPO findet bei Ausbleiben des Angeklagten eine Hauptverhandlung i.d.R. nicht statt, damit dieser sein aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens resultierendes Recht, sich selbst zu verteidigen (Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; EGMR, Beschl. v. 8.1.2008 – 30443/03 [Liebreich/Deutschland]; BVerfGE 89, 120 = StV 1993, 620), tatsächlich auch wahrnehmen und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verwirklichen kann.

Diese Anwesenheitspflicht des Angeklagten führt dazu, dass der Angeklagte (öffentlich-rechtlich) verpflichtet ist, vor Gericht zu erscheinen und anwesend zu bleiben (§ 231 Abs. 1 StPO), wenn dieses im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) über seine Schuld und ggf. zu verhängende Sanktionen verhandelt. Nur in bestimmten Fällen, in denen es auf die persönliche Anwesenheit nicht zwingend ankommt, wird der Angeklagte von seinem Erscheinen entbunden (§ 233 StPO; vgl. dazu VI.); in anderen Fällen kann er sich – i.d.R. durch den Verteidiger – vertreten lassen (§ 234 StPO; vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 3539 ff.), sofern nicht sein persönliches Erscheinen durch das Gericht angeordnet (§ 236 StPO) oder bei wirksamer Vertretung die Anwesenheitspflicht durch das Gesetz selbst aufgehoben ist (§ 412 S. 1 StPO).

2. Potentielle Maßnahmen des Gerichts

Zur Sicherung der erforderlichen Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung ermöglicht die StPO dem Gericht in Fällen, in denen der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung (vgl. III.) unentschuldigt (vgl. IV.) ausbleibt, auf das Ausbleiben des Angeklagten (vgl. II.) in unterschiedlicher Weise zu reagieren. Es kann

  • die Vorführung des Angeklagten zur Hauptverhandlung (§ 230 Abs. 2 StPO) anordnen oder
  • gegen den Angeklagten einen sog. Sicherungshaftbefehl erlassen (§ 230 Abs. 2 StPO, s. dazu V. 2. b),
  • abweichend vom Grundsatz des § 230 Abs. 1 StPO in Abwesenheit des ursprünglich erschienenen Angeklagten verhandeln, wenn er sich unerlaubt aus der Hauptverhandlung entfernt, zur Anklage bereits vernommen wurde und das Gericht die weitere Anwesenheit nicht für erforderlich hält (§ 231 Abs. 1 StPO; zu den Einzelheiten vgl. Burhoff, HV, Rn 3103 ff.).

Hinweis:

In der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens ist die Vorführung des Betroffenen bzw. der Erlass eines Sicherungshaftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 OWiG nicht zulässig. Hier wird ggf. ohne den Angeklagten verhandelt oder sein Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

II. Ausbleiben des Angeklagten

Ausgeblieben ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung, wenn er beim Aufruf der Sache körperlich nicht anwesend ist; vor Aufruf muss der Angeklagte nicht anwesend sein (vgl. BVerfG StraFo 2018, 109 für Film- und Fotoaufnahmen im Sitzungssaal). Ausgeblieben ist der Angeklagte aber auch dann, wenn er zwar anwesend ist, seine Verhandlungsfähigkeit aber nicht gegeben ist (BGHSt 23, 331, 334 m.w.N. [für schuldhafte Trunkenheit]; BGH StV 1982, 153; OLG Frankfurt NJW 2005, 2169; s auch LG Zweibrücken NJW 1996, 737) oder er seine Anwesenheit als Angeklagter nicht zu erkennen gibt.

Ist der Angeklagte nur bedingt verhandlungsfähig, muss das Gericht, wenn es die Hauptverhandlung durchführen will, diese so gestalten, dass der Angeklagte ihr folgen kann (zur Verhandlungsfähigkeit Burhoff, HV, Rn 3129 ff.). Hat das Gericht Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, gilt nicht der Grundsatz „in dubio pro reo“; die Hauptverhandlung darf aber nicht durchgeführt werden (BGH NStZ 1984, 520; Gmel, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl. 2013, § 230 Rn 3 [im Folgenden kurz: KK-Bearbeiter]). Ausgeblieben i.S.d. § 230 StPO ist der Angeklagte auch, wenn er sich aus der Hauptverhandlung entfernt oder er zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheint (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 230 Rn 15 [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner/Schmitt]).

III. Ordnungsgemäße Ladung

1. Allgemeines

Voraussetzung für etwaige Zwangsmaßnahmen usw. gegen den Angeklagten ist, dass dieser zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden ist. Die Ladung stellt die gerichtliche Aufforderung an den Angeklagten dar, zur Hauptverhandlung vor Gericht zu erscheinen. Sie wird vom Vorsitzenden durch Verfügung angeordnet (§ 214 Abs. 1 StPO) und von der Geschäftsstelle entsprechend der Anordnung ausgeführt (§ 214 Abs. 2 StPO), nachdem der Vorsitzende den Termin zur Hauptverhandlung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens anberaumt hat (§ 213 StPO; zur Ladung Burhoff, HV, Rn 2027; zur Terminierung Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 4068 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]).

Hinweis:

Eine ordnungsgemäße Ladung setzt zweierlei voraus: Sie muss dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt entsprechen und ordnungsgemäß bekanntgemacht werden. Nur wenn die Ladung diese Anforderungen erfüllt, ist sie wirksam und löst die Verpflichtung zum Erscheinen aus.

2. Form

Die Ladung muss schriftlich erfolgen. Es reicht nicht aus, wenn das Gericht z.B. einen Wachtmeister oder die Polizei beim Angeklagten vorbeischickt, der ihn mündlich „lädt“. Dem Angeklagten ist stets ein Schriftstück auszuhändigen und zu belassen; andernfalls ist die Ladung unwirksam, es sei denn, der Angeklagte hätte wirksam auf eine formgerechte Ladung verzichtet, was zulässig ist.

3. Inhalt

a) Allgemeines

In der Ladung ist mindestens bekanntzugeben:

  • die Art der Verfahrensbeteiligung als Angeklagter,
  • der Verfahrensgegenstand,
  • der Zeitpunkt der Verhandlung,
  • das Gericht, vor dem die Verhandlung stattfindet
  • und der Ort der Verhandlung (Anschrift, Sitzungssaal; wegen Warnung vgl. unten b).

Fehlt in der Ladung die Angabe der Terminsstunde (BayObLG, Beschl. v. 10.10.1985 – 1 Ob OWi 345/85) oder ist sie unzutreffend (KG, Beschl. v. 7.3.1997 – 2 Ss 49/97; 5 Ws [B] 148/97) bzw. widersprüchlich (OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 75) angegeben, ist die Ladung unwirksam. Dies gilt auch bei einem fehlerhaften Hinweis auf den Sitzungssaal, in dem die Hauptverhandlung stattfindet, da der Angeklagte nicht verpflichtet ist, sich zum richtigen Sitzungssaal „durchzufragen“ (BayObLGSt 1969, 104).

b) Warnungen und Hinweise

Nach § 216 Abs. 1 S. 1 StPO wird der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte unter der Warnung geladen, dass im Fall seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde. Die Warnung ist auch in eine wiederholte Ladung aufzunehmen, der bloße Hinweis auf eine frühere Ladung genügt insoweit nicht (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 89). Einem der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Angeklagten ist die Warnung zudem in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen (zuletzt OLG Dresden StV 2009, 348). Befindet sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ladung in Haft, muss die ggf. unterbliebene Belehrung nach der Entlassung nachgeholt werden (OLG Köln StV 2014, 205), anderenfalls ist er nicht ordnungsgemäß geladen.

Hinweis:

Ladungen eines ausländischen Angeklagten, denen eine Übersetzung nicht beigefügt ist, sind „unwirksam“ (s. OLG Bremen NStZ 2005, 527; OLG Dresden a.a.O.; LG Bremen StraFo 2005, 29; a.A. OLG Hamm NJW 1984, 78; Beschl. v. 25.10.2016 – 3 RVs 72/16; OLG Köln NStZ-RR 2015, 317; Meyer-Goßner/Schmitt, § 184 GVG Rn 3), mit der Folge, dass z.B. ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO nicht erlassen werden kann (LG Bremen a.a.O.; s. unten V. 2. b). Nr. 181 Abs. 2 RiStBV ist allerdings nur eine Empfehlung (BVerfG NJW 1983, 2762); i.d.R. wird das Nichterscheinen des Beschuldigten aber als entschuldigt anzusehen sein.

In der Rechtsprechung ist umstritten, ob die „Haft-Warnung“ auch zulässig ist, wenn die Ladung des Angeklagten im Ausland bewirkt werden muss, weil der Angeklagte sich dort aufhält. Diese Frage wird in der OLG-Rechtsprechung (s. KG StV 2014, 204 betreffend Mongolei; OLG Brandenburg StV 2009, 348 [Ls.]; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 18; OLG Köln NStZ-RR 2006, 22; OLG Oldenburg StV 2005, 432) unter Hinweis auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates verneint (s. auch KK-Gmel, § 216 Rn 5 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 216 Rn 4; a.A. OLG Rostock NStZ 2010, 412).

Hinweis:

Teilweise wird die Frage – z.T. nur für den Schengen/EU-Raum – u.a. unter Hinweis auf den Grundgedanken des Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) – bejaht. Danach dürfen Zwangsmittel angedroht werden, wenn einschränkend darauf hingewiesen wird, dass diese nur im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden (vgl. auch Graf/Ritscher, StPO, 3. Aufl. 2018, § 216 Rn 6).

Das OLG Rostock (a.a.O.) sieht die Warnung i.S.d. § 216 Abs. 1 S. 1 StPO zudem auch nicht als Androhung von Zwangsmaßnahmen an (zu allem D. Herrmann StRR 2007, 277 [Anm. zu OLG Brandenburg, a.a.O.]; Stephan StRR 2008, 310 [Anm. zu OLG Rostock, a.a.O.]). Die Ladung muss den Hinweis, dass die Zwangsmittel nur im Inland vollstreckt werden können (vgl. KG, OLG Rostock, OLG Saarbrücken, jeweils a.a.O.) auch dann enthalten, wenn über den Verteidiger geladen wird (LG Saarbrücken StraFo 2010, 340).

Bedeutsam ist diese Frage für die Zulässigkeit des Erlasses eines Haftbefehls. Schließt man sich der wohl h.M. an, kann ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen den ausgebliebenen Angeklagten nicht erlassen werden, da eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten nicht vorliegt (s. z.B. OLG Brandenburg, a.a.O.; LG Münster NStZ-RR 2005, 382; a.A. KG, OLG Rostock, jeweils a.a.O.). Zulässig ist aber ggf. ein Haftbefehl nach § 112 StPO, wenn dessen Voraussetzungen, insbesondere also Fluchtgefahr, vorliegen (vgl. dazu OLG Brandenburg, a.a.O.; zur Fluchtgefahr Burhoff, EV, Rn 4157 ff.).

Hinweis:

Sieht man auch die Ladung mit „Haft-Warnung“ als zulässig an, muss der Hinweis einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Angeklagten in einer ihm verständlichen Sprache erteilt werden (OLG Saarbrücken, a.a.O.; LG Heilbronn StV 2011, 406 [Ls.]).

Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte muss nach § 216 Abs. 2 S. 2 StPO bei der Ladung zudem befragt werden, ob und welche Anträge er zu seiner Verteidigung für die Hauptverhandlung stellen will. Nach der Rechtsprechung des BGH berührt aber ein Verstoß gegen diese Pflicht die Wirksamkeit der Ladung zur Hauptverhandlung nicht (BGH NJW 2008, 1604; s. jetzt auch wohl Meyer-Goßner/Schmitt, § 216 Rn 8; a.A. LG Potsdam StV 2006, 574).

4. Zustellung

Die Ladung muss dem Angeklagten zugestellt werden (§ 217 Abs. 1 StPO; BGHSt 24, 143 [149] = NJW 1971, 1278). Wirksamkeitsvoraussetzung ist, dass sie i.d.R. an die Wohnung des Angeklagten zugestellt wird, in der er sich tatsächlich aufhält. Hat sich vor der Ladung die Wohnanschrift geändert, setzt die Wirksamkeit der Ladung voraus, dass die Zustellung an die neue Adresse erfolgt, unter der der Angeklagte nunmehr tatsächlich wohnt und schläft (OLG Hamm NStZ-RR 2005, 114; zu den Zustellungsfragen Burhoff, HV, Rn 4018 und Hillenbrand ZAP F. 22, S. 921). Von der Zustellung an den Angeklagten kann nur abgesehen werden, wenn dieser selbst auf eine schriftliche Ladung verzichtet hat (OLG Düsseldorf VRS 83, 202) oder die Ladung an den mit Vollmacht nach § 145a Abs. 2 StPO ausgestatteten Verteidiger erfolgt ist.

Hinweis:

Wurde dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt, der über keine entsprechende Vollmacht verfügt, fehlt es an einer wirksamen Ladung (OLG Dresden StV 2006, 8 = StraFo 2005, 423; OLG Karlsruhe StraFo 2011, 509).

5. Frist

a) Berechnung

Einen Anspruch auf Einhaltung der Ladungsfrist, die vor Überraschungsverfahren schützen soll (BGHSt 24, 143 = NJW 1971, 1278), haben der Angeklagte (§ 217 Abs. 1 StPO) und sein Verteidiger (§§ 218 S. 2, 217 Abs. 1 StPO) in dem Umfang, in dem ihnen gegenüber eine Ladungspflicht besteht, weil dadurch jeweils ausreichend Zeit für die Vorbereitung eingeräumt werden soll. Eingehalten werden muss die Frist des § 217 Abs. 1 StPO aber nur für die Ladung zum ersten Hauptverhandlungstag in 1. Instanz und wenn das Urteil durch das Revisionsgericht aufgehoben und die Sache an das Tatgericht zurückverwiesen wurde (Burhoff, HV, Rn 678).

Die Ladungsfrist beträgt gem. § 217 Abs. 1 StPO mindestens eine Woche. Diese Mindestfrist soll dem Angeklagten genügend Zeit für die Vorbereitung seiner Verteidigung gewähren (BGHSt 24, 143). Da es sich somit um eine den Schutz des Angeklagten bezweckende Vorschrift handelt, kann der Angeklagte – auch gegen den Widerstand seines Verteidigers – auf die Einhaltung der Ladungsfrist verzichten (KK-Gmel, § 217 Rn 8; a.A. Rieß NJW 1977, 883). Der Verzicht des Angeklagten auf die Einhaltung der Ladungsfrist beinhaltet aber nicht vorab schon den Verzicht auf die Rüge, dass im Fall der notwendigen Verteidigung die Hauptverhandlung ohne Pflichtverteidiger stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO; OLG Hamm StraFo 1998, 164, 269).

Aus dem Wortlaut des § 217 Abs. 1 StPO – „zwischen“ – ist abzuleiten, dass bei der Fristberechnung der Tag der Zustellung und der Tag, an dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, nicht mitgerechnet werden. § 43 Abs. 2 StPO gilt nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, § 217 Rn 2). Fallen in die Wochenfrist aber mehrere Feiertage, kann darin eine Behinderung der Verteidigung liegen (KK-Gmel, § 217 Rn 5 m.w.N.).

b) Nichteinhaltung der Ladungsfrist

Trotz Nichteinhaltung der Ladungsfrist bleibt der Angeklagte zunächst verpflichtet, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. Dort ist er vom Gericht darüber zu belehren, dass er die Nichteinhaltung der Ladungsfrist beanstanden und Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen kann (§ 228 Abs. 3 StPO), was er jedoch auch bereits vor der Hauptverhandlung schriftlich (z.B. mittels Telefax) tun kann. Rechtzeitig ist der Antrag, wenn er vor Beginn der Hauptverhandlung bei Gericht eingegangen ist, selbst wenn er dem zuständigen Richter noch nicht vorliegt (a.A. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.7.1996 – 1 Ss 161/96 [für einen 30 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung eingegangenen Antrag]). Erst der rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellte Aussetzungsantrag entbindet den Angeklagten von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung (BGHSt 24, 143 = NJW 1971, 1278; OLG Düsseldorf VRS 97, 139; Burhoff, HV, Rn 2035).

Das Beanstandungs- und Antragsrecht steht dem Angeklagten auch zu, wenn gegenüber seinem Verteidiger die Ladungsfrist nicht eingehalten wurde und dieser deshalb nicht vor Gericht erscheint. Der erschienene Verteidiger wiederum kann für seinen Mandanten die Nichteinhaltung der diesen betreffenden Ladungsfrist beanstanden; ein originäres Beanstandungs- und Aussetzungsantragsrecht hat der Verteidiger nur, wenn die Frist ihm gegenüber nicht eingehalten wurde.

Formulierungsvorschlag:

(…) beanstande ich die Nichteinhaltung der Ladungsfrist verbunden mit dem Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen (§ 217 StPO). Die Ladung zur Hauptverhandlung wurde dem (…) (meinem Mandanten) ausweislich des Zustellvermerks auf dem Briefumschlag am (…) zugestellt. Damit liegen zwischen dem Tag der Zustellung und dem der anberaumten Hauptverhandlung lediglich fünf Tage. Dieser Zeitraum reicht zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht aus, zumal ich an zwei dieser fünf Tage infolge der Verteidigung in einem anderen Verfahren ortsabwesend bin.

Rechtsanwalt

IV. Genügende Entschuldigung

Nach § 230 Abs. 2 StPO muss (!) das Gericht gegen den (unentschuldigt) ausgebliebenen Angeklagten Zwangsmittel ergreifen (vgl. dazu V.; s. aber auch VI.). Das gilt nicht, wenn das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob sich der Angeklagte entschuldigt hat (BGHSt 17, 391, 396; BGH StV 1982, 153; OLG Köln StraFo 2008, 29).

Hinweis:

Die dazu vorliegende Rechtsprechung zu § 329 StPO für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung gilt entsprechend (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 792 ff.).

1. Ausreichend entschuldigt?

Ausreichend entschuldigt ist das Ausbleiben, wenn dem Angeklagten bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (z.B. BVerfG NJW 2007, 2318; OLG Brandenburg NJW 1998, 842; OLG Karlsruhe NStZ-RR 20120, 287; OLG Köln StraFo 2010, 73; 2011, 54; KK-Gmel, § 230 Rn 11). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Gericht von Amts wegen im Freibeweisverfahren festzustellen.

Das Verschulden des Angeklagten hinsichtlich des Ausbleibens muss aber zweifelsfrei feststehen (OLG Hamm, Beschl. v. 15.2.2007 – 3 Ss 573/06). Insgesamt gelten zum Ausbleiben und auch zur Nachforschungspflicht des Gerichts betreffend die Hauptverhandlung 1. Instanz die Anforderungen zu § 329 StPO für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung entsprechend (Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 16; aus der Rechtsprechung vgl. nur BayObLG StV 2001, 338; NStZ-RR 2003, 87; KG DAR 2011, 146; OLG Bamberg StRR 2008, 305 [Vorlage eines ärztlichen Attests]; StRR 2013, 386; OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15; OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; OLG Hamm StraFo 1998, 233; OLG Karlsruhe StraFo 1999, 25; OLG Köln NStZ-RR 2009, 112; OLG München NJW 2008, 3797 [zwei unterschiedliche Ladungen an einen geistig Behinderten]; StV 2018, 151 [Ls.]; StraFo 2014, 79 [privatärztliches Attest]; OLG Nürnberg NJW 2009, 1761; OLG Schleswig zfs 2006, 53 [OWi-Verfahren]; OLG Zweibrücken zfs 2006, 233; Beschl. v. 19.1.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17 [OWi-Verfahren]; LG Bielefeld VA 2016, 86).

Hinweis:

Verbleiben trotz schlüssigem Vortrag des Angeklagten bei Gericht Zweifel am Entschuldigtsein, dürfen sich diese nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirken (h.M.; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 StPO Rn 22 m.w.N.).

2. Rechtsprechungsbeispiele

Hinzuweisen ist auf folgende Rechtsprechungsbeispiele (entnommen Burhoff, HV, Rn 442 f.; vgl. dort auch wegen weiterer Beispiele):

Beispiele für eine genügende Entschuldigung:

  • ggf. wenn der Angeklagte nach einem vor der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrag nicht erscheint (BGHSt 24, 143; s. oben III.);
  • ggf. falsche Auskünfte des Verteidigers (KG DAR 2012, 395 m. Anm. Burhoff VRR 2012, 275 für das Bußgeldverfahren; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 113; NStZ-RR 2010, 245 [Mitteilung werde wegen einer Erkrankung des Verteidigers aufgehoben]; OLG Karlsruhe AnwBl. 1977, 224 [falsche Uhrzeit für Verhandlungsbeginn]; OLG Köln NStZ-RR 1997, 208 [Auskunft des Büros des Verteidigers, der Angeklagte brauche nicht zu erscheinen]); LG Frankfurt/O. VRR 2013, 475 [vorrangige Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch]), nicht aber, wenn der Angeklagte bereits eine anderslautende Mitteilung des Gerichts erhalten hat (OLG Koblenz VRS 44, 290; ähnl. BayObLG NStZ-RR 2003, 85; vgl. auch noch LG Potsdam NStZ-RR 2013, 317 [Ls.]; AG Bamberg, Beschl. v. 7.9.2017 – 23 OWi 2311 Js 9332/17 [Terminsverlegung]);
  • ggf. die irrtümliche Annahme, der Verteidiger sei zur Vertretung berechtigt (BayObLG NJW 1956, 838; DAR 1978, 211 [Rüth]);
  • i.d.R. eine Kraftfahrzeugpanne (OLG Hamm VRS 7, 31; DAR 1999, 277 [Ls.]; OLG Karlsruhe NJW 1973, 1515);
  • Krankheit, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331 [für Abszess in der Mundhöhle]; OLG Hamm StraFo 1998, 233 [für Eiterausbruch am Bein und Gesäß]; OLG Köln StraFo 2010, 73 [paranoide Psychose mit der Gefahr psychophysischer Dekompensation]; OLG München StraFo 2013, 208 [wegen Rückenbeschwerden nicht reisefähig]; OLG Schleswig SchlHA 2004, 240 [Dö/Dr]), auch wenn keine Verhandlungsunfähigkeit besteht (OLG Düsseldorf StV 1987, 9; OLG Köln VRS 72, 442 ff.);
  • falsche Mitteilung in der Ladung, wonach der Angeklagte nicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet sei (OLG Hamm NZV 1999, 307);
  • keine Kenntnis vom Termin (BVerfG NJW 2007, 2318);
  • Ladung eines Ausländers zur Hauptverhandlung in deutscher Sprache (OLG Bremen NStZ 2005, 527; LG Bremen StraFo 2005, 29);
  • die Regelung beruflicher und privater Angelegenheiten nur, wenn sie unaufschiebbar und von erheblicher Bedeutung sind (OLG Düsseldorf NJW 1960, 1921 [für wirtschaftliche Verluste]; 1973, 109 [für nicht mehr rückgängig zu machende Urlaubsreise nach Südindien bei Hauptverhandlung in einer Bagatellsache – fahrlässige Körperverletzung]), wobei im Einzelfall jeweils die Bedeutung der zu erledigenden Geschäfte nach Wichtigkeit und Dringlichkeit einerseits und die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen andererseits abzuwägen sind, wobei auch die Bedeutung der jeweiligen Strafsache nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. OLG Bamberg StRR 2013, 3 [Ls.; Bußgeldverfahren; Kurzurlaub]; OLG Hamm zfs 2005, 515 [für Urlaubsreise] und StraFo 2003, 173 [zur unaufschiebbaren Geschäftsreise]);
  • mehrmonatiger Auslandsaufenthalt, wenn dem Angeklagten die finanziellen Mittel fehlen, um einen Rückflug über eine große Distanz (Brasilien) bezahlen zu können (OLG Celle, Beschl. v. 10.11.2011 – 32 Ss 130/11; ähnlich OLG Hamm VRR 2012, 277 für Bußgeldverfahren und Rückkehr aus Neuseeland);
  • ggf. kann das Erscheinen in der Hauptverhandlung unzumutbar sein, wenn ein Befangenheitsantrag zuvor zurückgewiesen worden ist und nun der Verteidiger verhindert ist (OLG Hamm NStZ 1995, 596);
  • Verhinderung des Verteidigers wegen plötzlicher Erkrankung (KG DAR 2012, 395 m. Anm. Burhoff VRR 2012, 275 für das Bußgeldverfahren);
  • eine Verkehrsstörung oder sonstige Verkehrsprobleme, wenn der Angeklagte für seine Anreise genügend Zeit eingeplant hat (OLG Celle NJW 2004, 2534; OLG Hamm NZV 1997, 493; OLG Jena NStZ-RR 2006, 147);
  • die für den Terminstag angedrohte Zwangsversteigerung der Wohnung des Angeklagten (OLG Köln StraFo 2011, 54).
  • Beispiele für eine nicht genügende Entschuldigung:
  • Angst, beim Erscheinen in (Vollstreckungs-)Haft genommen zu werden (OLG Hamm JMBl. NW 1976, 9; OLG Köln NStZ-RR 1999, 112);
  • allein das (vorherige) Anbringen eines Befangenheitsantrags (OLG Düsseldorf JMBl. NW 1997, 223);
  • Dienst- oder Urlaubsreise, da deren Verschiebung i.d.R. zumutbar ist (OLG Saarbrücken NJW 1975, 1613; OLG Schleswig SchlHA 1987, 120 [E/L]), zumindest dann, wenn die Reise erst nach der Ladung gebucht worden ist (OLG Hamm zfs 2005, 515);
  • falsches Verkehrsmittel und zu knapp bemessene Reisezeit (OLG Köln JMBl. NW 1972, 63 [erkennbar zu spät ankommender Zug]; s. aber OLG Hamm NZV 1997, 493);
  • die bloße Mitteilung des Verteidigers, der Mandant habe eine längere Auslandsreise angetreten und sei nicht erreichbar (BayObLG NJW 1994, 1748; vgl. auch BGHSt 38, 271);
  • die Nichtbescheidung eines (Vertagungs- und Entbindungs-)Antrags (RGSt 59, 277), auch wenn der Verteidiger das Ausbleiben für genügend entschuldigt hält, weil er den Entbindungsantrag nach § 233 StPO stellen will (OLG Saarbrücken NJW 1974, 327 [Ls. 9]);
  • die Nichtbescheidung eines Akteneinsichtsantrags (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2011, 287).

Hinweis:

Wird als Entschuldigungsgrund eine Erkrankung geltend gemacht, ist für die Schlüssigkeit die Darlegung eines behandlungsbedürftigen und/oder Arbeitsunfähigkeit bewirkenden krankheitswertigen Zustands erforderlich, aber auch ausreichend. Aus einer (gleichzeitig) vorgelegten ärztlichen Bescheinigung braucht die die Art der Erkrankung jedenfalls solange nicht zu entnehmen sein, als Gründe dafür, dass die Bescheinigung als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig anzusehen sein könnte oder nicht von dem bezeichneten Aussteller herrührt, fehlen (OLG Bamberg StRR 2013, 386). Der Verteidiger sollte dennoch darauf achten, dass sich aus dem Attest ergibt, dass der Mandant verhandlungsunfähig ist. Der Angeklagte darf auch grds. auf die entschuldigende Wirkung eines ärztlichen Attests vertrauen (OLG Hamm VRR 2005, 270; OLG München StraFo 2013, 208; s. wohl auch OLG Bamberg a.a.O.).

V. Zwangsmittel (§ 230 Abs. 2 StPO)

1. Allgemeines

Erscheint der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht, kann gegen ihn gem. § 230 Abs. 2 StPO mit einem Vorführungsbefehl die Vorführung angeordnet oder ein Haftbefehl erlassen werden. Zulässig sind die Maßnahmen auch im Strafbefehlsverfahren, da nach der Rechtsprechung auch dort der Erlass des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO als zulässig angesehen wird, auch wenn sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen nach § 411 Abs. 2 StPO mit einer schriftlichen Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lässt (KG StraFo 2014, 512; VRS 129, 8). Dem soll auch nicht entgegenstehen, dass die Hauptverhandlung undurchführbar ist, weil der Verteidiger telefonisch vor der Hauptverhandlung mitgeteilt hatte, der Angeklagte werde nicht erscheinen, und das Gericht daraufhin Zeugen und Dolmetscher abgeladen hatte (KG StraFo 2014, 512).

2. Verhältnismäßigkeit

a) Grundsatz

Bei der Anordnung einer der beiden Zwangsmaßnahmen muss neben den allgemeinen Voraussetzungen (s. oben II. bis IV.) der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden (OLG Hamburg StraFo 2012, 60). Entscheidend ist, ob die Zwangsmittel des § 230 Abs. 2 StPO erforderlich sind, um das Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung sicherzustellen (OLG Hamburg a.a.O.). Insbesondere ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO mit dem damit verbundenen Eingriff in die persönliche Freiheit darf nur dann ergehen, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters anders nicht gesichert werden kann. Er dient allein der Verfahrenssicherung in Bezug auf die (weitere) Durchführung der Hauptverhandlung und hat nicht etwa den (Selbst-)Zweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu sanktionieren (vgl. nur KG NJW 2007, 2345; Beschl. v. 19.6.2016 – 4 Ws 104/16; LG Essen StraFo 2010, 28; LR-Becker, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 230 Rn 14 m.w.N.).

Bei der Entscheidung über den Erlass/die Anordnung einer Zwangsmaßnahme sind alle Umstände des Einzelfalls verständig daraufhin zu prüfen, ob die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte (zum nächsten Termin) nicht auch ohne Zwang zum Termin erscheinen wird (BVerfG NJW 2007, 2318; OLG Hamm StRR 2013, 275). Die Verhaftung eines Angeklagten ist daher dann nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände damit gerechnet werden kann, dass der Angeklagte zur neu anberaumenden Hauptverhandlung erscheinen wird (OLG Hamm a.a.O.; LG Berlin StRR 2014, 145).

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit eines Zwangsmittels ist auch von Belang, ob überhaupt eine Hauptverhandlung erforderlich ist, oder ob diese entbehrlich ist, weil die zu treffende verfahrensabschließende Entscheidung auch im Beschlussweg außerhalb der Hauptverhandlung ergehen kann (OLG Hamburg StraFo 2012, 60 [für wahrscheinlich vorliegende Verjährung]).

Zu berücksichtigen ist ggf. zudem, ob die Möglichkeit besteht, das Verfahren auch ohne Anwesenheit des Angeklagten zu beenden, wie z.B. die Möglichkeit der Verwerfung des Einspruchs im Strafbefehlsverfahren (KG NJW 2007, 2345; OLG Brandenburg wistra 2012, 43; LG Zweibrücken StraFo 2006, 289). Von Bedeutung sind auch das Gewicht des Vorwurfs, der dem Angeklagten gemacht wird (LG Koblenz StraFo 2010, 150), die Höhe der zu erwartenden Strafe (LG Koblenz a.a.O.) sowie der Umstand, dass der Angeklagte einen festen Wohnsitz hat (LG Koblenz a.a.O.). Insbesondere im Strafbefehlsverfahren ist die Frage der Verhältnismäßigkeit des Erlasses eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO gegen den ausgebliebenen Angeklagten besonders zu prüfen (KG NJW 2007, 2345; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180; LG Essen StraFo 2010, 28). Zu berücksichtigen wird hier insbesondere sein, dass ggf. ein vertretungsberechtigter Verteidiger anwesend ist (KG NJW 2007, 2345; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180), obwohl das Erscheinen eines nach § 411 Abs. 2 StPO mit einer schriftlichen Vollmacht versehenen Verteidigers in der Hauptverhandlung den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht hindern soll (vgl. aber KG StraFo 2014, 512; VRS 129, 8).

Grundsätzlich hat der Vorführungsbefehl Vorrang vor dem Haftbefehl, wenn er ausreicht, die Weiterführung und Beendigung des Verfahrens zu sichern (BVerfGE 32, 87; BVerfG NJW 2007, 2318; SächsVerfGH, Beschl. v. 26.3.2015 – Vf. 26-IV-14; KG VRS 129, 8; Beschl. v. 19.6.2016 – 4 Ws 104/16; OLG Braunschweig NStZ-RR 2012, 385 [Ls.]; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 180; StV 2001, 332 m.w.N.; OLG Frankfurt StV 2005, 432; OLG Hamm StRR 2013, 275; LG Berlin StRR 2014, 145; LG Gera StV 1997, 293, 294 m.w.N.; LG Zweibrücken NJW 1996, 737 [für betrunkenen Angeklagten]).

Hinweis:

Bei der Abwägung ist auch § 135 S. 2 StPO zu beachten, der dem Gericht die Möglichkeit gibt, den Angeklagten bereits 24 Stunden vor der Hauptverhandlung in polizeilichen Gewahrsam nehmen zu lassen (zur Geltungsdauer eines Vorführungsbefehl s. auch unter V. 3.). Es kann also auch mit einem Vorführungsbefehl der Gefahr vorgebeugt werden, dass der Angeklagte sich vor der Hauptverhandlung (erneut) in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt (LG Zweibrücken a.a.O.). Scheitert eine Vorführung des Angeklagten wegen Organisationsmängeln bei der Polizei (Vorführungsbefehl wird verlegt und erst nach der Hauptverhandlung wiedergefunden), darf der Vorführungsbefehl nicht vom Gericht in einen Haftbefehl umgewandelt werden (LG Gera a.a.O.).

b) Erlass eines Strafbefehls?

Anstelle des Erlasses eines Vorführungsbefehls oder eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO kann im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht auch nach § 408a StPO vorgegangen werden. Danach kann, wenn der Durchführung der Hauptverhandlung das Ausbleiben des Angeklagten oder dessen Abwesenheit oder ein anderer wichtiger Grund entgegensteht und die Voraussetzungen des § 407 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO vorliegen, die Staatsanwaltschaft noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens, also auch noch in der Hauptverhandlung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 408a Rn 4 m.w.N.), einen Strafbefehlsantrag stellen (krit. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 408a Rn 1 m.w.N.; Martin GA 1995, 121 ff.; Meyer-Goßner NJW 1987, 1166; Rieß JR 1988, 134; Deckers/Kuschnik StraFo 2008, 418).

Hinweis:

Der Verteidiger, der für den ausgebliebenen Angeklagten erschienen ist, sollte in geeigneten Fällen (bereits erfolgte genügende Aufklärung des Sachverhalts) den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft anregen, um so den Erlass eines Vorführungs- oder Haftbefehls zu vermeiden. Häufig bietet sich jetzt auch noch die Möglichkeit, die Rechtsfolgen abzusprechen. In seiner Anregung sollte der Verteidiger auf die BT-Drucks 10/1313, S. 36 hinweisen. Dort wird u.a. als Reaktion auf das Ausbleiben des Angeklagten der Strafbefehl erwogen/als zulässig angesehen, wenn die Vorführung des Angeklagten im Hinblick auf die zu erwartende Strafe unverhältnismäßig wäre (zum Verfahren in diesen Fällen Burhoff, HV, Rn 444 ff.).

3. Vorführungsbefehl

Ein Vorführungsbefehl muss inhaltlich die in § 134 Abs. 2 StPO aufgeführten Angaben enthalten. Er muss also den Angeklagten bezeichnen, Vorführungszeit und -ort angeben sowie die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat und den Grund der Vorführung. Er wird schriftlich ausgefertigt und ist dem Angeklagten nach § 35 Abs. 2 S. 2 StPO formlos bekannt zu machen. In der Praxis wird dies erst beim Vollzug getan, um damit sicherzustellen, dass der Angeklagte sich seiner Vorführung nicht entzieht (zur Zuständigkeit für den Erlass eines Vorführungsbefehl und wegen Rechtsmitteln s. unter 5. und 6.).

Hinweise:

Der Vorführungsbefehl darf nicht eher vollstreckt werden, als es notwendig ist, um den Angeklagten rechtzeitig zur Hauptverhandlung zu bringen (LG Berlin MDR 1995, 191). Für die Geltungsdauer ist auf den entsprechend anwendbaren § 135 StPO zu verweisen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 20). Aufgrund eines Vorführungsbefehls darf der Angeklagte gem. § 135 S. 2 StPO also nicht länger als bis zum Ende des Tages festgehalten werden, der dem Beginn der Vorführung folgt. Längeres Festhalten ist unzulässig. Andererseits gibt § 135 S. 2 StPO dem Gericht die Möglichkeit, durch Veranlassung der rechtzeitigen Ingewahrsamnahme dem Nichterscheinen in der Hauptverhandlung vorzubeugen, was einen Haftbefehl überflüssig macht (LG Zweibrücken NJW 1996, 737).

Da der Vorführungsbefehl nur der Sicherstellung des Erscheinens des Angeklagten in der Hauptverhandlung dient (KK-Gmel, § 230 Rn 11), wird er gegenstandslos, wenn der Angeklagte in den Sitzungssaal geführt worden ist (OLG Düsseldorf MDR 1983, 512; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 20; KK-Gmel, § 230 Rn 11). Von da an gilt § 231 Abs. 1 S. 2 StPO.

4. Haftbefehl

Der Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO dient der Sicherung und Weiterführung des Verfahrens (KG, Beschl. v. 19.6.2016 – 4 Ws 104/16). Er setzt keinen dringenden Tatverdacht und keinen Haftgrund nach §§ 112 ff. StPO voraus, sondern nur die Feststellung, dass der Angeklagte nicht erschienen und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist (vgl. BVerfGE 32, 87, 93; OLG Düsseldorf MDR 1983, 512; OLG Karlsruhe MDR 1980, 868; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 21).

Hinweis:

Die aufgrund des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO vollstreckte Haft ist keine U-Haft. Es gilt also – schon vom Wortlaut her – nicht die Regelung in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 3080 ff.; Burhoff, EV, Rn 2214 ff.). Allerdings wird zu prüfen sein, ob nicht nach der Einführung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO einiges dafür spricht, dem aufgrund eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO Inhaftierten auch einen Pflichtverteidiger beizuordnen.

Auf den Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO sind einige der Haftvorschriften anwendbar. Insoweit gilt (s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 21):

  • Es gilt § 114 Abs. 2 StPO (s. OLG Frankfurt StV 1995, 237; LG Zweibrücken NJW 2009, 1828; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 21; a.A. LG Chemnitz StV 1996, 255).
  • Der Haftbefehl wird dem Angeklagten bei seiner Verhaftung gem. § 114a StPO bekannt gemacht. Ihm ist eine Abschrift des Haftbefehls auszuhändigen. Für die Vorführung vor das Gericht gelten die §§ 115, 115a StPO entsprechend (OLG Stuttgart MDR 1990, 75; zur Vorführungsverhandlung Burhoff, EV, Rn 4863 ff.). Es gilt § 141 Abs. 3 S. 4 StPO, so dass dann ggf. ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3111).
  • Das Gericht kann den Vollzug des Haftbefehls entsprechend § 116 StPO aussetzen, wenn eine weniger einschneidende Maßnahme die Gewähr dafür bietet, dass der Angeklagte an der Hauptverhandlung teilnehmen wird (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Frankfurt StV 2005, 432). In Betracht kommt hier insbesondere die Festsetzung einer Kaution (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 790). Diese verfällt, wenn der Angeklagte einer Ladung zur Hauptverhandlung nicht Folge leistet (KK-Gmel, § 230 Rn 14).

· Der Haftbefehl muss aufgehoben werden, wenn Sicherungsmaßnahmen nicht (mehr) erforderlich sind (OLG Frankfurt StV 2005, 432). Das gilt auch, wenn der Angeklagte wegen Haftverbüßung in anderer Sache für die Durchführung der Hauptverhandlung über einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten ohnehin sicher zur Verfügung steht (OLG Celle StraFo 2009, 151 [für nicht vollzogenen Haftbefehl]). Der Haftbefehl ist auch dann aufzuheben, wenn der Angeklagte nach anwaltlicher Beratung freiwillig bei Gericht erscheint und erklärt, dass er zur nächsten Hauptverhandlung kommen werde (OLG Düsseldorf StV 2001, 331 [Ls.]). Das LG Kleve hat den Fortbestand des Haftbefehls auch dann als unzulässig angesehen, wenn ein neuer Hauptverhandlungstermin noch nicht bestimmt ist (LG Kleve, Beschl. v. 12.2.2009 – 110 Qs 16/09).

Hinweise:

Die §§ 121, 122 StPO sind nach h.M. auf den Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO nicht anwendbar (KG NStZ-RR 1997, 75; OLG Karlsruhe Justiz 1982, 438; OLG Oldenburg NJW 1972, 1585; a.A. Rupp NStZ 1990, 576; Scharf/Kropp NStZ 2000, 297). Es findet also keine Haftprüfung durch das OLG statt. Das Gericht muss jedoch auch in diesen Fällen den Beschleunigungsgrundsatz beachten. Danach hat die Hauptverhandlung grundsätzlich in angemessener Zeit nach der Festnahme des Angeklagten stattzufinden (OLG Hamburg MDR 1987, 78; s. auch LG Berlin StV 1994, 422 [Aufhebung des Haftbefehls nach mehr als fünf Monaten, in denen der Angeklagte für die Hauptverhandlung zur Verfügung gestanden hätte]; LG Dortmund StV 1987, 335 [nicht später als sieben Wochen nach der Festnahme]; LG Zweibrücken StV 2001, 345 [mehr als drei Monate in einer Jugendsache auf jeden Fall unverhältnismäßig]).

5. Verfahren

Zuständig zum Erlass der Zwangsmaßnahme ist das Gericht, nicht der Vorsitzende allein (KK-Gmel, § 230 Rn 17). Die Schöffen haben ggf. mitzuwirken (OLG Bremen MDR 1960, 244; OLG Köln StV 2005, 433). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der erkennen lassen muss, dass eine Abwägung zwischen polizeilicher Vorführung und der Anordnung der Haft nach § 230 Abs. 2 StPO stattgefunden hat (LG Berlin StRR 2014, 145).

Umstritten ist, ob sich das Gericht den Beschluss nach § 230 Abs. 2 StPO für einen späteren Zeitpunkt außerhalb der Hauptverhandlung – Entscheidung also ggf. ohne Schöffen – vorbehalten kann. Das wird von der wohl h.M. bejaht (vgl. u.a. OLG Hamm GA 1959, 314; OLG Köln StV 2005, 433; OLG Schleswig SchlHA 2013, 316 [Dö/Gü]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn 24 m.w.N.; KK-Gmel, § 230 Rn 17 m.w.N; einschr. LG Gera StV 1997, 293 und LG Zweibrücken StV 1995, 404 [Vorbehalt zulässig, dann aber Entscheidung ggf. mit Schöffen]; s. auch LG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 112).

Hinweis:

Das Gericht muss vor dem Erlass der Zwangsmaßnahme eine Wartezeit einhalten (zu deren Bemessung gelten die Ausführungen bei Burhoff, HV, Rn 779 betreffend die Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens des Angeklagten entsprechend). Es ist also von einer Wartezeit von mindestens 10–15 Minuten auszugehen.

6. Rechtsmittel

Gegen die Zwangsmaßnahmen Vorführungsbefehl/Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ist gem. §§ 304, 305 S. 2 StPO die Beschwerde zulässig. Gegen einen Haftbefehl ist gem. § 310 Abs. 2 StPO auch die weitere Beschwerde zulässig (vgl. u.a. OLG Braunschweig NStZ-RR 2012, 385 [Ls.]; OLG Karlsruhe NJW 1969, 1546), nicht jedoch gegen den Vorführungsbefehl (OLG Celle MDR 1966, 1022).

Hinweise:

Mit der Beendigung der Hauptverhandlung wird der Haftbefehl gegenstandslos (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 89; OLG Saarbrücken NJW 1975, 791; a.A. OLG Nürnberg StraFo 2016, 253). Das gilt nicht nur für den „Abschluss“ der Hauptverhandlung durch Urteil, sondern auch für deren Aussetzung bzw. für die Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO wegen Abwesenheit des Angeklagten oder anderer Hindernisse (OLG Hamm a.a.O.; a.A. OLG Nürnberg a.a.O.). Der Angeklagte kann aber auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG zum „effektiven Rechtsschutz“ (NJW 1997, 2163) den Haftbefehl trotz der Gegenstandslosigkeit auf die (weitere) Beschwerde hin auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen lassen (BVerfG NJW 2007, 2318; NJW 2017, 3586 [Ls.]; Beschl. v. 11.4.2018 – 2 BvR 2601/17; wegen weiterer Nachweise Burhoff, HV, Rn 3621).

VI. Verhandlung ohne den Angeklagten (§ 232 StPO)

Grundsätzlich findet im Strafverfahren eine Hauptverhandlung nicht ohne den Angeklagten statt (s. auch oben I.), da dieser aufgrund seiner Anwesenheitspflicht an der Hauptverhandlung teilnehmen muss. Erscheint der Angeklagte aber in der Hauptverhandlung nicht (vgl. oben II.) stellt sich für den Verteidiger die Frage, ob er, um die dann ggf. nach § 230 Abs. 2 StPO drohenden Zwangsmittel gegen den Mandanten zu verhindern, darauf drängen soll, ggf. auch ohne diesen zu verhandeln. Dazu ist auf folgende Möglichkeit hinzuweisen:

Nach § 232 Abs. 1 S. 1 StPO kann das Gericht ohne den (ausgebliebenen) Angeklagten verhandeln, wenn er ordnungsgemäß geladen (vgl. oben III.) und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 232 Rn 5 m.w.N.; dazu auch III. 3. b), dass in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann. Außerdem ist der Angeklagte darüber zu belehren, dass als Rechtsfolge nur Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, Verwarnung mit Strafvorbehalt, Fahrverbot, Einziehung, Vernichtung oder Unbrauchbarmachung zu erwarten ist. Eine höhere Strafe oder eine Maßregel der Besserung oder Sicherung darf das Gericht in diesem Fall nicht verhängen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist nach § 233 Abs. 1 S. 3 StPO zulässig, wenn auf die Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist. Das Belehrungsgebot gilt auch für eine Umladung, es genügt nicht nur der Hinweis auf die in einer früheren Ladung enthaltene Belehrung (OLG Köln StV 1996, 12 m.w.N.).

Hinweise:

Das Gericht darf nur dann nach § 232 StPO ohne den Angeklagten verhandeln, wenn er eigenmächtig, also schuldhaft, ausgeblieben ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 232 Rn 11; OLG Karlsruhe StraFo 2001, 415; vgl. auch BGHSt 56, 298; zum Ausbleiben s. oben II./IV. – insoweit gelten die Ausführungen bei IV. entsprechend).

Die Voraussetzungen an das Verschulden des Angeklagten sind strenger als bei § 329 StPO (dazu Burhoff, HV, Rn 919 ff.). Die Abwesenheit des Angeklagten i.S.v. § 232 Abs. 1 StPO muss auf einer wissentlichen Verletzung der Anwesenheitspflicht beruhen (BGH a.a.O. [für § 231 Abs. 2 StPO]; OLG Karlsruhe StraFo 2001, 415).

Die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten wird im Fall des § 232 StPO weitgehend nach den allgemeinen Regeln durchgeführt. Es gelten aber folgende Besonderheiten:

  • Das Verfahren kann nach § 153 Abs. 2 S. 2 StPO auch ohne Zustimmung des Angeklagten eingestellt werden.
  • Der Verteidiger kann die in § 234a StPO aufgeführten Erklärungen abgeben.
  • Werden Hinweise nach § 265 Abs. 1 oder 2 StPO notwendig, können sie dem Verteidiger erteilt werden, wenn er an der Hauptverhandlung teilnimmt (§ 234a StPO), sonst muss die Hauptverhandlung abgebrochen und fortgesetzt werden, nachdem dem Angeklagten der Hinweis erteilt worden ist. Für das Gericht besteht aber unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens die Verpflichtung, von Amts wegen oder auf Antrag des Verteidigers die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn wegen der veränderten Sach- oder Rechtslage die sachgerechte Verteidigung eine Besprechung des Verteidigers mit dem Mandanten erfordert (OLG Naumburg VA 2016, 85).
  • Existiert eine richterliche Beschuldigtenvernehmung des Angeklagten, muss diese gem. § 232 Abs. 3 StPO verlesen werden, sofern der Angeklagte nicht gem. § 234 StPO durch einen Verteidiger vertreten wird (Meyer-Goßner/Schmitt, § 232 Rn 15 m.w.N.). Protokolle über Zeugenvernehmungen des Angeklagten in anderen Verfahren dürfen nicht verlesen werden.

Erscheint der Angeklagte nachträglich in der HV, muss der Vorsitzende ihn zur Person und zur Sache vernehmen und ihm das bisherige Verhandlungsergebnis mitteilen. Die Hauptverhandlung braucht aber nicht wiederholt zu werden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 232 Rn 21 m.w.N.).

Hinweis:

Wenn der Angeklagte nachträglich erscheint, ist das Gericht nicht mehr an die (Rechtsfolgen-)Beschränkungen des § 232 Abs. 1 S. 1 StPO gebunden. Es kann also eine höhere Strafe verhängen.

Ist gem. § 232 StPO ohne den Angeklagten verhandelt worden, kann er unabhängig von der Anfechtung eines Urteils mit der Berufung oder der Revision nach § 235 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Voraussetzung ist, dass er den Termin ohne Verschulden nicht wahrgenommen hat.


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