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aus RVGreport 2011, 85

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Persönlicher Geltungsbereich des Teils 4 VV RVG, eine Bestandsaufnahme der Rechtsprechung

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Nach Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG gilt Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG für den (Voll)Verteidiger, der Wahlanwalt oder Pflichtverteidiger sein kann. Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG gilt hingegen nur für die Einzeltätigkeiten des Rechtsanwaltes, der nicht (Voll)Verteidiger oder Vertreter ist (vgl. Vorbem 4.3 Abs. 1 VV RVG). Diese im Grunde einfache Abgrenzung macht in der Praxis teilweise erhebliche Schwierigkeiten. Das gilt insbesondere bei der Abrechnung der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand, für den nach der Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG Teil 4 VV RVG ebenfalls gilt. Ebenso streitig sind die Fragen der Abrechnung der Tätigkeit des sog. Terminsvertreters des Pflichtverteidigers. Und schließlich ist sich die Rechtsprechung nicht ganz einig in der Frage, wie der nach § 408b StPO im Strafbefehlsverfahren seine Tätigkeiten abrechnet. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über den Stand der Rechtsprechung.

I. Abrechnung der Tätigkeit als Zeugenbeistand

1. Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG

Erheblich umstritten ist die Frage, wie der Zeugenbeistand seine Tätigkeit abrechnet (vgl. dazu eingehend Burhoff RVGreport 2004, 458; ders., RVGreport 2006, 81; ders., StRR 2007, 220; s. auch noch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Vorbem. 4.1 VV Rn. 5 ff.). Gerade in diesem Bereich wird häufig - zu Lasten – des Rechtsanwalts von einer Einzeltätigkeit ausgegangen und dann Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG für die Abrechnung herangezogen. Der Unterschied zur Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG macht dann schnell 200 – 300 € aus. Die Abrechnung nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ist jedoch falsch und widerspricht der m.E. wohl immer noch überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (wegen Rechtsprechungsnachweise s. die nachstehende Tabelle). Vielmehr ist auch auf die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand i.d.R. der Abschnitt 1 des Teil 4 VV RVG anzuwenden. Denn i.d.R. wird dem Rechtsanwalt die volle Vertretung übertragen und nur ausnahmsweise wird er bloß in einer Einzeltätigkeit beauftragt (KG NStZ-RR 2005, 327 = JurBüro 2005, 536 = AGS 2006, 177; ähnlich OLG Schleswig zur Abgrenzung der Tätigkeiten in der Strafvollstreckung von der Einzeltätigkeit RVGreport 2005, 70 = AGS 2005, 120 = JurBüro 2005, 25 = StV 2006, 206). Das entspricht auch der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers (KG, a.a.O.; vgl. auch OLG Schleswig, a.a.O., zur ähnlichen Problematik für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB ). Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass der Rechtsanwalt als Zeugenbeistand nur in einem Teilbereich des Strafverfahrens tätig wird und es sich deshalb um eine Einzeltätigkeit handelt. Tätig ist er in der Angelegenheit „Zeugenbeistand“ und in der Angelegenheit ist er voller Vertreter. Zudem sprechen sowohl der Wortlaut der Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG als auch die Formulierung der Gesetzesbegründung für diese Auslegung (eingehend dazu OLG Dresden RVGreport 2009, 308 = StraFo 2009, 42 = NJW 2009, 455).

2. Beigeordneter Zeugenbeistand (§ 68b Abs. 2 StPO)

Die vorstehenden Ausführungen gelten auch im Fall der Beiordnung nach § 68b StPO (OLG Schleswig, RVGreport 2005, 70 = AGS 2005, 120 = JurBüro 2005, 25 = StV 2006, 206; OLG Köln StraFo 2008, 350 = AGS 2008, 388; LG Dresden, Beschl. v. 07.09.2007, 5 KLs 109 Js 27593/05, www.burhoff.de; a.A. teilweise die unten zitierte abweichende Auffassung, und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsbeschluss nur mit dem Gesetzestext formuliert, der Rechtsanwalt also für die „Dauer der Vernehmung des Zeugen“ beigeordnet wird. Auch aus dieser Formulierung lässt sich nicht entnehmen, dass es sich nur um eine Einzeltätigkeit handelt (vgl. auch OLG Brandenburg RVGreport 2008, 144 = NStZ-RR 2007, 287 = JurBüro 2007, 48; OLG Köln StraFo 2008, 223). Abgesehen davon, dass selbst diese Formulierung immer auch ein Vorgespräch mit dem Mandanten umfassen würde (zum Umfang der Tätigkeit des Zeugenbeistands Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., 2010, § 68b Rn. 5, Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1854, 2066 ff.), darf gerade beim beigeordneten Vernehmungsbeistand nicht übersehen werden, dass dessen Tätigkeit schon sui generis nur einen begrenzten Rahmen umfasst, nämlich den (bloßen) Beistand bei der Vernehmung des Zeugen. Das bedeutet aber nicht, dass der Rechtsanwalt damit etwa nur für eine Einzeltätigkeit beigeordnet worden wäre. Vielmehr ist er in diesem (begrenzten) Tätigkeitsbereich „voller Vertreter“, so dass auf seine Tätigkeit gebührenrechtlich Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anzuwenden ist (OLG Hamm RVGreport 2008, 108 = AGS 2008, 124 = JurBüro 2008, 83 = StRR 2008, 79; s. auch Burhoff RVGreport 2006, 81).

Eine vermittelnde Auffassung vertritt das OLG Stuttgart (RVGreport 2010, 340 = StRR 2010, 357). Dieses gewährt die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG dann, wenn zwar nicht nach dem engen, vom Wortlaut des § 68 b StPO vorgesehenen Beiordnungsbeschluss, aber nach Art der übertragenen und tatsächlich ausgeüb­ten Tätigkeit von einer faktisch umfassenden Vertretung des Zeugen mit der Folge der Verneinung einer bloßen Einzeltätigkeit auszugehen ist. In diesen Fällen wird (ausnahmsweise) eine Heranziehung der Gebührenvorschriften des 1. Abschnittes und eine entsprechende Anwendung der Gebührenvorschriften des 4. Teiles (somit Erstattung der Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr) vorgenommen.

3. Rechtsprechungsübersicht

II. Abrechnung der Tätigkeiten des Terminsvertreters

Anders als beim Zeugenbeistand hat sich beim Terminsvertreter, also bei dem Rechtsanwalt, der als „Vertreter“ des Pflichtverteidigers nur für einen Termin als beigeordnet wird, sehr schnell nach Inkrafttreten des RVG die h.M. gebildet, dass dieser seine (gesetzlichen) Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet (KG NStZ-RR 2005, 327 = AGS 2006, 177; OLG Hamm RVGreport 2006, 230; OLG Celle StraFo 2006, 471; OLG Dresden, Beschl. v. 5. 9. 2007, 1 Ws 155/07; OLG Karlsruhe StraFo 2008, 439 = NJW 2008, 2935; OLG Köln RVGreport 2010, 452 ; OLG München NStZ-RR 2009, 32 = RVGprofessionell 2009, 32 = StRR 2009, 120; eingehend zu diesen Fragen Kotz StraFo 2008, 412; s. auch OLG Celle NStZ-RR 2009, 158 (Ls.) = RVGreport 2009, 226, das aber davon ausgeht, dass die Gebühren insgesamt nur einmal entstehen). Das ist zutreffend, da der Terminsvertreter für den beschränkten Bereich „voller Vertreter“ i.S. von Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG ist. Die zeitliche Begrenzung der Beiordnung auf bestimmte Hauptverhandlungstermine ist kein taugliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG und Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beiordnung für die jeweiligen Hauptverhandlungstermine ohne inhaltliche Beschränkung erfolgte (OLG Dresden AGS 2007, 618; LG Leipzig, Beschl. v. 11.06.2007, 7 KLs 430 Js 51464/05).

Streitig ist allerdings, welche der Gebühren der "Terminsvertreter" abrechnen kann, insbesondere, ob auch die Grundgebühr Nr. 4100 VV anfällt oder ggf. nur die jeweilige Terminsgebühr. Zutreffend ist es, auch die Grundgebühr zu gewähren (so OLG Düsseldorf StRR 2009, 157; OLG Hamm RVGreport 2006, 230; OLG Karlsruhe RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 119 = StraFo 2008, 349 = NJW 2008, 2935; OLG München NStZ-RR 2009, 32 = RVGprofessionell 2009, 32 = StRR 2009, 120; LG Koblenz StraFo 2007, 175; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4100, 4101 Rn. 5; Kotz, StraFo 2008, 412: Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV Rn. 6 ff.). Die abweichende a.A. (vgl. KG RVGreport 2007, 108; StraFo 2008, 349 = AGS 2008, 387 m. abl. Anm. N.Schneider = StRR 2008, 358 m. abl. Anm. Burhoff; OLG Brandenburg RVGprofessionell 2010, 83; OLG Celle StraFo 2006, 471 = RVGreport 2007, 71; OLG Dresden, Beschl. v. 05.09.2007, 1 Ws 155/07; OLG Hamm RVGreport 2007, 108; OLG Koblenz JurBüro2005, 199; OLG Köln AGS 2006, 452 = RVGreport 2007, 306; LG Düsseldorf RVGprofessionell 2008, 53 = StRR 2008, 159; LG Köln, Beschl. v. 07.12.2010 – 105 Qs 343/10; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., Nr. 4100 VV RVG Rn. 2) übersieht, dass auch der Terminsvertreter sich einarbeiten muss und dafür die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG anfällt. Das gilt auch, wenn der Rechtsanwalt in einem Termin (nur) durch einen anderen Verteidiger abgelöst wird (LG Koblenz, a.a.O.).

Teilweise wird in der Rspr. in diesen Fällen auch auf den Einzelfall abgestellt (vgl. OLG Hamm RVGreport 2009, 309 = RVGprofessionell 2009, 157 = StRR 2009, 438). Danach soll es darauf ankommen, ob der Terminsvertreter an einem vollwertigen Hauptverhandlungstermin teilgenommen und eine umfassende Tätigkeit als Verteidiger entfaltet hat, die nach ihrer Bedeutung und dem tatsächlich geleisteten Aufwand einer Terminswahrnehmung durch den ordentlichen Pflichtverteidiger gleichsteht; ist das der Fall, wird dem Terminsvertreter ein Anspruch auf sämtliche im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teil 4 Abschnitt 1 VV zugestanden, also auch auf die Grundgebühr (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

III. Abrechnung im Strafbefehlsverfahren

Auch im Strafbefehlsverfahren stellt sich die Frage, ob für den nach § 408b StPO im Zusammenhang mit dem Erlass des Strafbefehls beigeordneten Pflichtverteidiger nur eine Gebühr nach Nr. 4302 VV RVG entsteht oder ob der Rechtsanwalt auch nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet mit der Folge, dass Grundgebühr, Verfahrensgebühr und ggf. auch die Nr. 4141 VV RVG entstehen (können). I.d.R. liegt dann etwa folgende Fallgestaltung zugrunde: Der Angeklagte ist im Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Die Staatsanwaltschaft beantragt den Erlass eines Strafbefehls nach § 408b StPO. Der Angeklagte wird zum Erlass des Strafbefehls und zu einer Pflichtverteidigerbestellung angehört, ohne dass ggf. eine Reaktion erfolgt. Das AG erlässt dann den Strafbefehl und bestellt zugleich einen Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger gem. § 408b StPO für das Strafbefehlsverfahren. Der Rechtsanwalt macht dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG geltend.

Das LG Aurich ((so LG Aurich RVGprofessionell 2009, 189) hat in einer vergleichbaren Konstellation die vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten nur als eine Einzeltätigkeit i.S. des Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG angesehen und daher nur eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV RVG, wonach eine Verfahrensgebühr in Höhe von 108,- EUR entsteht, festgesetzt. Die Beiordnung des Pflichtverteidigers sei gem. § 408b StPO ausdrücklich nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt. Zutreffend anders sehen das die mit der Frage befassten OLG (OLG Düsseldorf RVGreport 2008, 351 = StraFo 2008, 441 = JurBüro 2008, 587 = AGS 2008, 343; OLG Köln AGS 2009, 481 = StV 2010, 68 = NStZ-RR 2010, 31; OLG Oldenburg, StraFo 2010, 430 = AGS 2010, 491 = VRR 2011, 39 = RVGreport 2011, 24). Sie gehen davon aus, dass auch der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger „Vollverteidiger" ist, seine Tätigkeit in dem Strafbefehlsverfahren unterliege in­haltlich keinen Beschränkungen. Eine Beschränkung der Verteidigerbefugnisse bestehe wegen der auf das Strafbefehlsverfahren be­schränkten Bestellung lediglich in zeitlicher Hinsicht (OLG Köln, a.a.O.).


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