(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "PStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Wir haben in VRR 7/2017, 4 ff. über die Rechtsprechung zum materiellen Verkehrsstrafrecht berichtet. Die nachfolgende Übersicht schließt daran an und stellte die Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen vor (vgl. dazu auch VRR 2014, 208).
Im Beschl. v. 26. 8. 2014 hat das OLG Hamm (3 RVs 55/14, VRR 2014, 471 = DAR 2014, 710 = NZV 2015, 44 = VA 2014, 210) in einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung Stellung genommen. Es hat Strafaussetzung wegen der herausragend schweren Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen (Frau und drei Kinder), die das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie eine festgestellte aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat versagt. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gem. § 56 Abs. 3 StGB, wenn auch trotz zahlreicher mildernder Umstände besondere Umstände gem. § 56 Abs. 2 StGB nicht bestehen.
Der OLG Hamm rückt im Beschl. v. 10. 11. 2015 (5 RVs 125/15, VRR 4/2016, S. 11 = StRR 7/2016, S. 15; zur Entziehung der Fahrerlaubnis beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort s. auch noch die Zusammenstellung in VRR 3/2016, S. 4 ff.) noch einmal eine Frage in den Fokus, die bei der Verteidigung im Verkehrsstrafrecht häufiger übersehen wird, nämlich die der Widerlegung der Regelvermutung des § 69 StGB. Davon war das LG, das den Angeklagten u.a. wegen Verstöße gegen §§ 142, 35c StGB verurteilt hatte, aufgrund von Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig war und bei der sich der Angeklagte in Behandlung befunden hatte, ausgegangen. Das OLG (a.a.O.) hat das anders gesehen. Nach Auffassung des OLG war die Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vom LG nicht tragfähig begründet. An die Widerlegung der Regelvermutung seien gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich, was der Fall war, um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden seien. Der Angeklagte sei so das OLG - gerade einmal 4 ½ Monate vor den abgeurteilten Straftaten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit verurteilt worden. Außerdem sei die Fahrerlaubnis des Angeklagten entzogen und eine Sperrfrist von 3 Monaten verhängt worden. Die abgeurteilten Straftaten habe der Angeklagte nur 6 Wochen nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis begangen. In einem solchen Fall könne der gesetzlich vermutete Eignungsmangel nur ganz ausnahmsweise und sicherlich nicht allein durch die Bekundungen einer Therapeutin (Heilpraktikerin), die der Angeklagte privat zum Zwecke einer psychotherapeutischen Behandlung aufsucht, ausgeräumt werden. Vielmehr bedürfe es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV; vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., 2018, § 69 Rn 36), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält (s. auch OLG Köln, Beschl. v. 1. 3. 2013 1 RVs 36/13; LG Oldenburg zfs 2002, 354, 355). Die Notwendigkeit, ein solches medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, ergab sich für das OLG auch unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den Regelungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) und c) FeV zum Ausdruck gebracht worden sind. Dort sei für das Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestimmt, dass zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden oder ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Diese Vorschrift biete auch dem Strafrichter eine Leitlinie, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten sei, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen (so auch OLG Naumburg zfs 2000, 554, 556).
Hinweis:
Für den Verteidiger ist aus der Entscheidung abzuleiten, dass es sich nicht nur im Hinblick auf die spätere Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsverfahren, sondern auch schon im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis im Strafverfahren lohnen kann, den Mandanten frühzeitig vorzubereiten und die Einholung entsprechender Gutachten zu veranlassen. Dabei sollte es sich dann aber um ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FeV) handeln. Mit allen anderen Maßnahmen ist der Krieg wohl nicht oder nur sehr schwer zu gewinnen (zum Fahrerlaubnisrecht s. die entsprechend anwendbaren Ausführungen von Kalus in: Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, 2016, Teil H Rn 498 ff.).
Die Frage, ob bei Vorliegen der gesetzlichen Regelvoraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis ermessensfehlerfrei abgesehen werden kann, entzieht sich einer schematischen Beantwortung. Bei der Prüfung der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen oder einer nicht mehr bestehenden Ungeeignetheit sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die Tat und Täter ihr Gepräge geben, wie z.B. eine kurze Fahrtstrecke (vgl. dazu LG Kaiserslautern VRR 2014, 348 = VA 2014, 190). Wenn der Angeklagte die Zeit bis zur Hauptverhandlung genutzt hat, um eine mehrmonatige Verkehrstherapie mit 12 Einzelgesprächen von je 60 Minuten sowie sechs Alkoholseminaren zu je 90 Minuten Dauer bei dem Verkehrspsychologen und Suchtberater pp. durchzuführen, kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) abgesehen werden (u.a. AG Tiergarten VA 2015, 155; ähnlich AG Tiergarten, Urt. v. 20.4.2017 - (315 Cs) 3023 Js 2034/16 - 254/16). Die Regelvermutung der charakterlichen Ungeeignetheit kann auch entfallen, wenn der Angeklagte während der Zeit der rund neunmonatigen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis beruflich und persönlich eine positive Entwicklung durchlaufen hat, insbesondere sein Verhalten in Bezug auf den Konsum von Alkohol verändert hat und er sich, um seine eigenen Einsichten und Verhaltensänderungen weiter zu stabilisieren, bereits um einen MPU-Vorbereitungskurs bemüht (LG Wuppertal DAR 2o14, 400; AG Tiergarten, a.a.O.). Der Tatrichter hat i.d.R. keine eigene Sachkunde in der Frage, ob die Teilnahme des Angeklagten an einem Nachschulungskurs oder an einer psychotherapeutischen Behandlung erfolgreich war und den gesetzlich vermuteten Eignungsmangel (§ 69 Abs. 2 StGB) ausräumen kann, wenn ein langer Zeitablauf zwischen Tat und Urteil gegeben ist und der Angeklagte 180 Therapiestunden abgeleistet hat (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 2.11.2016 - 2 Ws 325/16, VRS 131, 1 = VRR 3/2017, S. 14).
Bewegung scheint in die Rechtsprechung zum bedeutenden Schaden i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zu kommen. Zwar dürfte die h.M. in der Rechtsprechung immer noch davon ausgehen, dass ein bedeutender Schaden regelmäßig (erst) anzunehmen ist bei Schäden, die mindestens bei 1.300,00 EUR liegen (vgl. aus dem Berichtszeitraum LG Hannover, Beschl. v. 23.9.2015 - 46 Qs 81/15, VA 2016, 29; LG Krefeld, Beschl. v. 23. 3. 16 21 Qs 47/16, VRR 6/2016, S. 13 = VA 2016, 118 = StRR 7/2016, S. 20; LG Schwerin, Beschl. v. 20.10.2015 - 32 Qs 56/15, VA 2016, 29), was nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist (LG Krefeld, a.a.O.). Inzwischen mehren sich jedoch die Stimmen, die von einer höheren Grenze, nämlich von 1.500,00 EUR ausgehen. So hat vor kurzem das LG Braunschweig (vgl. Beschl. v. 3.6.2016 - 8 Qs 113/16, DAR 2016, 596 = zfs 2016, 591 = VRR 7/2016, S. 2 (Ls.) = VA 2016, 155) die Grenze auf diesen Betrag angehoben. Das hat es zutreffend mit der Preisentwicklung der letzten Jahre begründet (vgl. wegen weiterer Rechtsprechung die Nachw. bei Burhoff VRR 3/2016, 5; vgl. auch noch AG Stuttgart, urt. v. 8.8.2017 203 Cs 66 Js 36037/17 jug [1.600 ] und dazu OLG Stuttgart, Urt. v. 27.4.2018 2 Rv 33 Ss 959/17).
Hinweis:
Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter weiß oder wissen kann, dass erhebliche Folgen eingetreten sind (vgl. dazu a. OLG Schleswig VRR 2008, 150; LG Krefeld, a.a.O.; LG Wuppertal DAR 2015, 412). Daran bestehen erhebliche Zweifel, wenn z.B. bei laienhafter Betrachtung der Schaden nicht als bedeutend erkennbar ist und ggf. der komplette Schaden von dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten auch nicht bemerkt wurde (so LG Wuppertal, a.a.O.). Die Einschätzung der Schadenshöhe durch die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten kann als von (mit)entscheidender Bedeutung sein (vgl. die Fallgestaltung bei LG Krefeld, a.a.O.).
Sowohl das Unterbleiben einer Entschuldigung als auch das Fehlen eines zum Ausdruck gebrachten Bedauerns lassen ohne weitere Umstände keinen Schluss auf eine rechtsfeindliche, durch besondere Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber Interessen und Rechtsgütern anderer geprägte Gesinnung oder Gefährlichkeit des Angeklagten. Diese Umstände dürfen daher ebenso wenig wie bei der Strafzumessung bei der eignungsbezogenen Prognoseentscheidung im Rahmen der Sperrfristbemessung des § 69a StGB zum Nachteil des Angeklagten Berücksichtigung finden (BGH zfs 2017, 49 = VA 2016, 190).
Die vorzeitige Aufhebung der Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 7 StGB ist zulässig, wenn der Verurteilte zwischenzeitlich erfolgreich an einem besonderen Aufbauseminar teilgenommen hat (AG Kehl VRR 2014, 190 = VA 2014, 138 für nach dem Modell DEKRA-Mobil; AG Dresden VA 2014, 211 für NAFAPlus).
Ein Mitverschulden des Geschädigten ist im Übrigen - auch wenn es nur nicht auszuschließen ist - als allgemeiner Strafzumessungsgesichtspunkt auch im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB von Bedeutung (OLG Stuttgart DAR 2014, 536).
Es ist h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass ein nach § 44 StGB verhängtes Fahrverbot nach einem längeren Zeitablauf von i.d.R. zwei Jahren seinen spezialpräventiven Zweck und damit seine eigentliche Bedeutung verliert, so dass nur noch der Pönalisierungscharakter als Sanktionsinhalt übrig bleibt. Es bedarf dann besonderer Umstände für die Annahme, dass zu einer nach wie vor erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Täter die Verhängung eines Fahrverbots neben der Hauptstrafe unbedingt erforderlich ist (vgl. zuletzt u.a. OLG Hamm VRR 1/2017, S. 16 = VA 2017, 47 m.w.N. zum alten Recht; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2017 - 21 Ns 179/16). Bei der Frage, ob wegen Zeitablaufs von der Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB abzusehen ist, ist die zwischen der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung des Revisionsgerichts verstrichene Zeit nicht zu berücksichtigen (OLG Stuttgart NZV 2016, 292 = VRR 7/2016, S. 14 = VA 2016, 119). Auf das nach § 44 StGB angeordnete Fahrverbot ist die Schonfristvorschrift des § 25 Abs. 2a StVG nicht entsprechend anwendbar (KG VRR 1/2017, S. 3 [Ls.] = VA 2017, 52).
Bei der Trunkenheitsfahrt mit einem Roller ((OLG Hamm zfs 2016, 709 = VRR 1/2017, S. 14; ähnlich OLG Hamm VRR 1/2017, S. 16 = VA 2017, 47 m.w.N.) bzw. mit einem Mofa (OLG Celle VRS 127, 229 = StRR 2015, 69 = VA 2015, 15) handelt es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne des § 64 StGB. Die Rechtsprechung der OLG geht zudem davon aus, dass eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) und Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) erhebliche Taten i.S.v. § 64 Satz 1 StGB sein und damit eine Unterbringung nach § 64 StGB rechtfertigen können (s. OLG Celle, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.).
Hinweis:
In dem Zusammenhang muss der Verteidiger darauf achten, bei einer Revision die Frage der Unterbringung ggf. vom Rechtsmittelangriff auszunehmen. Denn sonst kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin die ggf. unterlassene Anordnung der Unterbringung überprüfen (vgl. dazu Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 64, Rn. 28 m.w.N.). Der etwaigen Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB stünde nach § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht entgegen, (KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 358, Rn. 23). Das wird leider häufig mit der dann für den Mandanten nachteiligen Folge der Unterbringung übersehen.
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