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aus VRR 2013, 246

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die Rechtsprechung im Verkehrsstrafrecht in den Jahren 2010 – 2012 Teil 1

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Die Kenntnis der verkehrsstrafrechtlichen Rechtsprechung der (Ober)Gerichte ist Grundlage jeder vernünftigen und potentiell erfolgreichen Verteidigung im Verkehrsstrafrecht. Über die Entscheidungen, insbesondere des BGH und der OLG, haben auch wir in den letzten Jahren immer wieder berichtet. Die nachfolgenden Ausführungen fassen die wichtigsten Entscheidungen aus den Jahren 2010 – 2013 noch einmal zusammen und stellen die daraus ggf. abzuleitenden Auswirkungen für die Verteidigung vor. Ausgenommen sind die mit der Entziehung der Fahrerlaubnis zusammenhängenden Fragen, über die wir gesondert berichten werden. Auch die mit dem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Zusammenhang mit einer ausländischen Fahrerlaubnis zusammenhängende Rechtsprechung wird wegen der großen Zahl der Rechtsprechung nur in einem Überblick dargestellt. Auch ihr wird sich demnächst ein eigener Beitrag eingehend widmen.

I. Führen eines Fahrzeugs im öffentlichen Verkehrsraum

Einer, wenn nicht der wesentliche straßenverkehrsrechtliche Grundbegriff ist der der Öffentlichkeit (des Verkehrsraums). Er ist deshalb von so großer Bedeutung, weil alle Verkehrsstraftaten eine Tatbegehung im öffentlichen Verkehrsraum voraussetzen. Das ruft der BGH-Beschl. v. 30. 1. 2013 noch einmal ins Gedächtnis (4 StR 527/12, VRR 2013, 148 = VA 2013, 82; vgl. auch noch BGH StV 2012, 218 = VRR 2012, 31 = StRR 2012, 68 = DAR 2012, 389 = NZV 2012, 394; näher zu den Kriterien Deutscher VRR 2005, 88 mit Rechtsprechungsübersicht; s. auch noch OLG Hamm NZV 2008, 257 = VRR 2008, 230/StRR 2008, 434 [jew. Burhoff]: Mieterparkplatz im Hof; OLG Hamm VRR 2009, 429 [Burhoff]: Kundenparkplatz). Nach der Rechtsprechung der (Ober)Gerichte werden zum einen alle Verkehrsflächen erfasst, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder oder der Kommunen dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind (z.B. Straßen, Plätze, Brücken, Fußwege). Ein Verkehrsraum ist darüber hinaus auch dann öffentlich, wenn er ohne Rücksicht auf eine Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfü­gungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch tatsächlich so genutzt wird (BGHSt 49, 128, 129 = NJW 2004, 1965; NStZ 2004, 625). Für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, ist nicht auf dessen inneren Willen, sondern auf die für etwaige Besucher erkennbaren äußeren Umstände (Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder etc.) abzustellen. Eine Verkehrsfläche kann zeitweilig „öffentlich" und zu anderen Zeiten „nicht-öffentlich" sein. Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum endet mit einer eindeutigen, äußerlich manifestierten Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird (BGHSt 49, 128, 129 = NJW 2004, 1965; OLG Düsseldorf, NZV 1992, 120; s. auch BGH StV 2012, 218 = VRR 2012, 31 = StRR 2012, 68 = DAR 2012, 389 = NZV 2012, 394).

Hinweis

Bei der Verteidigung ist darauf zu achten, dass dem Begriff der Öffentlichkeit auch ein „Zeitmoment“ immanent ist. Ein Bereich kann zeitweilig öffentlich und zeitweilig nicht öffentlich sein. So ist z.B. ein grundsätzlich für die Allgemeinheit eröffnetes Parkplatzgelände nicht mehr öffentlicher Verkehrsraum, wenn der Berechtigte bzw. sein hierzu berufenes Personal die Zufahrtsschranke schließt (vgl. BGH VRR 2013, 148 = VA 2013, 82; ähnlich KG VRR 2009, 30 = StRR 2009, 2323 [jew. Burhoff]).

II. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

1. Begriff des Unfalls

§ 142 Abs. 1 StGB setzt einen „Unfall im Straßenverkehr“ voraus. Was als Unfall i.S. des § 142 StGB anzusehen ist, hat in der letzten Zeit die (Instanz)Gerichte häufiger beschäftigt. Ausgangspunkt ist die Rechtsprechung des BGH, wonach ein „Unfall“ ein plötzliches Ereignis im Straßenverkehr ist, in welchem sich ein verkehrstypisches Schadensrisiko realisiert (BGHSt 47, 158 = NJW 2002, 626, vgl. dazu auch LG Berlin NZV 2007, 322). Nicht jeder Unfall ist also schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. In dem Unfall müssen sich vielmehr gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben (vgl. auch Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Aufl., 2011, Teil 6 Rn. 278 ff.). Auf der Grundlage dieser BGH-Rechtsprechung ist/war seit einiger Zeit in der Rechtsprechung ein Streit entbrannt, wie mit Verkehrsunfällen bei sog. Ladevorgängen umzugehen ist (vgl. dazu AG Berlin-Tiergarten NJW 2008, 3728 = DAR 2009, 45 = VRR 2009, 71 = NZV 2009, 92 = VA 2009, 67; LG Berlin NZV 2007, 322). Inzwischen sind die damit zusammenhängenden Fragen durch zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen geklärt (vgl. OLG Köln VRR 2011, 350 = VA 2011, 172 = DAR 2011, 541 = StRR 2011, 398 = zfs 2011, 588 = NStZ-RR 2011, 354 = NZV 2011, 619; OLG Düsseldorf VRR 2012, 228 = VA 2012, 120 = NStZ 2012, 326 = NStZ-RR 2012, 218 = NZV 2012, 350). Beiden Entscheidungen lagen misslungene Beladungsvorgänge zugrunde. Beim OLG Köln (a.a.O.) war es ein Schrotthändler, der von ihm gesammelte Bleche über die Seitenwände auf die Ladefläche seines Lkws geworfen. Dabei hatte er eines der Bleche nicht hoch genug, geworfen, sodass es von außen gegen die Seitenwand der Ladefläche prallte, von dort zurückflog und auf einen neben dem Lkw geparkten Pkw fiel. Dabei entstand erheblicher Sachschaden. Beim OLG Düsseldorf (a.a.O.) ging es um einen Angeklagten, dem beim Ausladen von Gegenständen aus einem Einkaufswagen in sein Fahrzeug auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz der Einkaufswagen wegrollt war, wodurch dann ein anderes Fahrzeug beschädigt wurde. Beide OLG haben einen „Unfall im Straßenverkehr“ i.S. des § 142 StGB mit etwa gleich lautender Argumentation bejaht. Zwar sei die Grenzziehung zwischen straßenverkehrstypischen und verkehrsatypischen Schadensrisiken schwierig. Es sei aber die Unterscheidung zwischen fließendem und ruhendem Verkehr kein taugliches Abgrenzungskriterium. Als Schadenereignisse i.S. des § 142 StGB kämen nämlich auch solche im ruhenden Verkehr in Betracht, wenn sie verkehrsbezogene Ursachen haben (OLG Stuttgart NJW 1969, 1726; LG Bonn NJW 1975, 178). Wer sein Fahrzeug auf öffentlichem Grund abstelle, sei während der gesamten Dauer des Parkens Verkehrsteilnehmer. Das Be- und Entladen von haltenden oder parkenden Fahrzeugen sei verkehrsbezogener Teil des ruhenden Verkehrs, wenn ein innerer Zusammenhang mit der Funktion eines Kraftfahrzeugs als Verkehrs- und Transportmittel besteht. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf (a.a.O. m.w.N.), sei (auch) in der Kollision eines Einkaufswagens mit einem parkenden Pkw auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz einen „Unfall im Straßenverkehr“ i.S. des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu sehen. Dies entspreche der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (KG, Beschl. v. 3. 8. 1998, (3) 1 Ss 114/98 [73/98]; OLG Koblenz MDR 1993, 366; OLG Nürnberg StRR 2011, 3 [Ls.]; OLG Stuttgart VRS 47, 15; LG Bonn NJW 1975, 178; aus der Literatur etwa LK-Geppert, StGB, 12. Aufl. 2009, § 142 Rn. 25; Fischer, a.a.O., § 142 Rn. 9, a.A. SK-Rudolphi/Stein, StGB, Stand: Okt. 2008, § 142 Rn. 12).

Hinweis:

Das OLG Düsseldorf (a.a.O.) weist noch darauf hin, dass die zivilrechtliche Fragestellung, ob in den Einkaufswagenfällen der Schaden durch den „Gebrauch eines Kraftfahrzeugs“ verursacht wurde (dann: Kfz-Haftpflicht) oder nicht (dann: Privathaftpflicht), nicht weiterführend sei, da ein „Unfall im Straßenverkehr“ i.S. des § 142 StGB nicht den „Gebrauch eines Kraftfahrzeugs“ voraussetze. Auch ein Fußgänger könne sich gem. § 142 StGB strafbar machen, wenn sein Einkaufswagen auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz ein Fahrzeug beschädigt.

2. Begriff des Unfallortes

Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung v. 19. 3. 2007 (BVerfG NJW 2007, 1666 = StRR 2007, 109 = VRR 2007, 232 = NZV 2007, 368 m. Anm. Laschewski NZV 2007, 444) die Auffassung vertreten, dass die ständige Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, wonach auch das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort als „berechtigtes oder entschuldigtes" Entfernen i.S. von § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gelten konnte (vgl. dazu die Nachw. bei Fischer, StGB, 58. Aufl., § 142 Rn. 52; Burhoff in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Auflage, 2011, Teil 6 Rn. 356 ff.), gegen das Analogieverbot verstoße. Nach Auffassung des BVerfG war in dem Zusammenhang auch der Begriff des Unfallorts konkretisierungsfähig und - bedürftig. Diese Entscheidung hat dann in der Folgezeit zu einem Streit in der Rechtsprechung der OLG geführt (OLG Düsseldorf VRR 2008, 109 = NZV 2008, 107 = DAR 2008, 154 m. krit. Anm.- Blum NZV 2008, 495 einerseits sowie OLG Hamburg VRR 2009, 270 = VA 2009, 106 = NZV 2009, 301 = DAR 2009, 404). Das OLG Düsseldorf (a.a.O.) war auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) der Auffassung, dass die Vorschrift des § 142 Abs. 1 StGB - anders als § 142 Abs. 2 StGB - keinen abgeschlossenen Sachverhalt des Sich-Entfernt-Habens voraussetze und sich Entfernens-Vorsatz grds. bis zur Beendigung der Tat durch ein erfolgreiches Sich-Entfernt-Haben gebildet werden könne. Demgegenüber war das OLG Hamburg (a.a.O.) der Auffassung, dass es auf den Unfallort ankomme. Das sei die Stelle, an der sich das schädigende Ereignis zugetragen habe, einschließlich der unmittelbaren Umgebung, in der die beteiligten Fahrzeuge zum Halten gekommen sind bzw. hätten kommen können und in der die Unfallbeteiligten für feststellungsbereite Personen noch als warte- und auskunftspflichtig zu erkennen sind. Zu dem Streit hat dann der BGH in einem „obiter dictum“ Stellung genommen (vgl. StRR 2011, 27 = VRR 2011, 28 = VA 2011, 31 = StV 2011, 160) und ausgeführt: Das Entfernen nicht vom Unfallort selbst, sondern von einem anderen Ort, an welchem der Täter erstmals vom Unfall erfahren hat, erfülle nicht den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. auch BGHSt 28, 129, 131 = NJW 1979, 434). Auch eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB scheide aus, da das unvorsätzliche Verlassen des Unfallorts nicht vom Wortlaut der Norm erfasst werde (vgl. aber BVerfG, a.a.O.). Anders als das OLG Düsseldorf (a.a.O.) sieht der BGH (a.a.O.) – so die ausdrückliche Formulierung - keine Veranlassung, die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zum Begriff des Unfallorts zu modifizieren, um auf diese Weise Fälle strafrechtlich zu erfassen, in denen der Täter nachträglich auf den Unfall hingewiesen wird und sich dennoch weiter entfernt.

3. Vorsatz beim unerlaubten Entfernen

a) Feststellungen zum Schadensbild

Im Verkehrsstrafrecht muss sich der Verteidiger immer wieder auch mit der inneren Tatseite der Verkehrsunfallflucht beschäftigen. Dabei stehen sich häufig zwei „Lager“ gegenüber: Auf der einen Seite der Mandant, der vehement bestreitet, entweder überhaupt den Aufprall bemerkt oder – in „zweiter Stufe“ - bei der Begutachtung der Anstoßstelle einen irgendwie gearteten Schaden festgestellt zu haben. Auf der anderen Seite häufig die Tatgerichte, die mit einer Art „Beweislastumkehr“ zuungunsten des Angeklagten handeln, indem dort allzu rasch den Schluss gezogen wird der Angeklagte habe den Aufprall bzw. den Schaden nach den äußeren Umständen bemerkt und damit vorsätzlich gehandelt, wenn er dann nach „Begutachtung“ des Anstoßstelle wegfährt.

In dem Zusammenhang von Bedeutung ist eine Entscheidung des OLG Köln v. 3. 5. 2011 (III 1 RVs 80/11, VRR 2011, 311 = DAR 2011, 479 m. abl. Anm. Krumm = StRR 2011, 354 m. zust. Anm. Lorenz = NStZ-RR 2011, 285 = NZV 2011, 510), in der das OLG zu den Anforderungen an die Feststellungen/Ausführungen zum Vorsatz Stellung genommen hat. Für den subjektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB sei Vorsatz erforderlich, wobei bedingter genüge (OLG Köln VRS 101, 275 = NZV 2001, 526 = zfs 2001, 565 = DAR 2002, 88; Fischer, a.a.O., § 142 Rn. 38 m.w.N.; s. auch Ludovisy/Eggert/Burhoff, a.a.O., Teil 6 Rn. 364 ff.; zur Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit s. nachfolgende KG DAR 2012, 393 = NZV 2012, 407). Dieser müsse sich auch darauf erstrecken, dass es zu einem Unfall i. S. d. § 142 StGB gekommen sei. Der Täter müsse erkannt oder wenigstens mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass ein nicht ganz unerheblicher Schaden entstanden sei (OLG Köln, a.a.O.; Fischer a. a. O.). Es reiche daher nicht aus, dass der Angeklagte die Entstehung eines nicht unerheblichen Schadens hätte erkennen können und müssen, denn damit sei nur Fahrlässigkeit erwiesen (OLG Jena VRS 110, 15). Das OLG betont, dass auch die an dem anderen Fahrzeug entstandenen Schäden von Bedeutung sein können. Dann müssten aber in den Urteilsgründen Art und Umfang der Schäden, das genaue Schadensbild, mitgeteilt werden. Jedenfalls bei „kleineren“ Schäden sei eine solche Mitteilung in der Regel unverzichtbar, weil nur so die Fallgestaltung ausgeschlossen werden könne, dass der Unfallverursacher Beschädigungen übersehen hat, ohne dass ihm zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten anzulasten wäre.

Hinweis

Der Hinweis auf die sich lediglich aus einem Kostenvoranschlag ergebende Schadenshöhe ist nach Auffassung der Rechtsprechung (vgl. OLG Jena VRS 110, 159) nicht ausreichend und damit rechtsfehlerhaft. Solche Mängel im tatrichterlichen Urteil sind mit der Sachrüge geltend zu machen.

b) Abgrenzung bedingter Vorsatz/bewusste Fahrlässigkeit

Häufig wird bei § 142 StGB übersehen, dass vom Vorsatz des Angeklagten bei § 142 StGB auch umfasst sein muss, dass es sich um ein schädigendes Ereignis mit einem nicht nur belanglosen Schaden gehandelt hat. Hinzuweisen ist in dem Zusammenhang auf einen Beschl. des KG v. 21. 12. 2011 ([3] 1 Ss 389/11 [127/11], DAR 2012, 393 = NZV 2012, 407), der sich mit der Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz hinsichtlich der Schadenshöhe bei § 142 StGB befasst. Danach ist es eben nicht ausreichend, wenn der Angeklagte den Schaden hätte erkennen können und müssen, sondern entscheidend ist, welche Vorstellung er von dem Umfang des entstandenen Schaden hatte, als er die Unfallstelle verließ. Während der bewusst fahrlässig Handelnde auf den Nichteintritt einer als möglich erkannten Folge vertraut, nimmt der bedingt vorsätzlich Handelnde deren Eintreten billigend in Kauf oder findet sich mit der Tatbestandverwirklichung ab. Und dazu müssen – so das KG (a.a.O.) - ausreichende Feststellungen getroffen werden. Es muss vom Tatrichter für das Revisionsgericht nachvollziehbar begründet werden, dass der Angeklagten einen nicht nur belanglosen Fremdschaden entweder bemerkt oder zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hat, einen solchen verursacht zu haben, Dazu kann zwar auch auf äußere Umstände, wie z.B. die Lautstärke des Anpralls bzw. dessen Wucht abgestellt, jedoch muss daraus der sichere Rückschluss gezogen werden können, dass sich die Angeklagte in dem Bewusstsein entfernt hat, ein (möglicherweise) nicht unerheblich beschädigtes Fahrzeug zurückzulassen.

III. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB)

1. Allgemeiner Hinweis

Die mit § 315b StGB zusammenhängenden Fragen spielen in der Rechtsprechung des BGH eine erhebliche Rolle. Viele der verkehrsstrafrechtlichen Entscheidungen des 4. Strafsenats befassen sich mit dieser Vorschrift. In diesen Kontext gehörten im Berichtszeitraum u.a. die Entscheidungen des BGH im Beschl. v. 12. 4. 2011 (4 StR 22/11, VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422), im Beschl. v. 26. 7. 2011 (4 StR 340/11, VRR 2011, 388 = StRR 2011, 423 = StV 2012, 217; vgl. auch noch BGH StRR 2010, 71 = VRR 2010, 70 = VA 2010, 29; VRR 2010, 150 = VA 2010, 83 (Ls.) = StraFo 2010, 170, jew. m.w.N.). Diese Entscheidungen sind vor allem deshalb einen Hinweis wert, weil der BGH in ihnen sehr schön seine Rechtsprechung der letzten Jahre zur Problematik – konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen bzw. einer Sache von bedeutendem Wert – zusammenfasst. Zudem wird nochmals deutlich, worauf man als Verteidiger im Rahmen der Sachrüge achten muss. Denn die den Beschlüssen zugrunde liegenden landgerichtlichen Entscheidungen beweisen/zeigen: Die Rechtsprechung des BGH zu diesen Fragen scheint bei den LG immer noch nicht angekommen zu sein. Anders lassen sich z.B. solche landgerichtlichen Feststellungen, wie sie der BGH immer wieder zu beurteilen hat und in dem Beschluss vom 12. 4. 2011 (VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422) zu beurteilen hatte, nicht erklären. Das gilt insbesondere für die mit der konkreten Gefahr und dem drohenden Schaden für eine Sache von bedeutendem Wert zusammenhängenden Fragen.

Hinweis:

Von Bedeutung ist in dem Zusammenhang, dass die vom BGH insoweit entschiedenen Fragen dann auch Einfluss auf § 315c StGB – Straßenverkehrsgefährdung – haben, da diese Vorschrift teilweise wortgleich mit § 315b StGB formuliert ist.

2. Gefährlicher Eingriff auch außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums?

Der BGH, Beschl. v. 5. 10. 2011 (4 StR 401/11, StV 2012, 218 = VRR 2012, 31 = StRR 2012, 68 = DAR 2012, 389 = NZV 2012, 394)- behandelt noch einmal eine Problematik, die der BGH schon in einer früheren Entscheidung entschieden hat, nämlich die Frage des Gefahreintritts außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums (BGH NStZ 2004, 625 = DAR 2004, 529; zu der Problematik eingehend Geppert DAR 2012, 372). Dazu führt der BGH aus, dass die Anwendbarkeit des § 315b StGB nicht schon dadurch entfällt, dass die konkrete Gefahr außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums eintritt. Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 315b StGB ist jedoch, dass sich das Opfer in dem Zeitpunkt, in dem der Täter zur Verwirklichung des Tatbestandes der Straßenverkehrsgefährdung durch zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs als Waffe oder Schadenswerkzeug unmittelbar ansetzt, noch im öffentlichen Raum befindet, die abstrakte Gefahr also noch im öffentlichen Verkehrsraum entsteht. Halte sich das Opfer zu diesem Zeitpunkt außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums auf, fehle es an einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 315b StGB (BGH NStZ 2004, 625 = DAR 2004, 529 m. zust. Anm. König DAR 2004, 656, jeweils m.w.N.; SSW-StGB/Ernemann, § 315b Rn. 9 m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 315b StGB Rn. 3). Davon ist der BGH auf der Grundlage der Feststellungen des LG ausgegangen: Denn zum Tatzeitpunkt befanden sich die beiden verletzten Angestellten einer Autovermietung, gegen die sich der Angriff des Angeklagte richtete, außen „unmittelbar vor der Glastür“, mithin auf der Betonstufe vor der Tür zum Bürogebäude der Autovermietung. Danach befand sich nach Auffassung des BGH zwar der Angeklagte zum Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung im öffentlichen Verkehrsraum, nämlich auf einem für einen unbestimmten Personenkreis allgemein zugänglichen Kunden- und Besucherparkplatz eines mehrstöckigen Gebäudes, nicht aber die Geschädigten, die auf der unmittelbar zum Eingangsbereich des Büros der Firma gehörenden Treppenstufe standen. Schon wegen des Höhenunterschiedes zu dem vorgelagerten Parkplatz rechnete nach Auffassung des BGH diese Stufe, die den Zugang zu den Büroräumen der Firma ermöglichte und an der nach den Urteilsfeststellungen der erste Zufahrtversuch des Angeklagten scheiterte, nach Auffassung des BGH nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum (vgl. StV 2012, 218 = VRR 2012, 31 = StRR 2012, 68 = DAR 2012, 389 = NZV 2012, 394).

Hinweis:

Damit schreibt die Entscheidung v. 12. 4. 2011 (VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422) die Rechtsprechung des BGH zu § 351b StGB fort. Der BGH ist schon früher (BGH NStZ 2004, 625 = DAR 2004, 529) davon ausgegangen, dass es für die Anwendung des § 315b StGB nicht Voraussetzung ist, dass die vom Täter herbeigeführte konkrete Gefahr sich innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums verwirklicht. Voraussetzung ist aber, dass die vorausgehende abstrakte Gefahr ihren Ausgang im öffentlichen Verkehrsraum hat. Und dazu ist Voraussetzung, dass Täter und Opfer sich im öffentlichen Verkehrsraum aufhalten. Wie entscheidend insoweit Kleinigkeiten sein können, zeigt 4 StR 401/11 anschaulich. Hätten die Geschädigten nicht auf, sondern ggf. vor den Eingangsstufen gestanden, wäre das Verfahren vermutlich anders ausgegangen. Aber auch dann hätten ggf. noch die örtlichen Gegebenheiten zu einem wiederum anderen Ergebnis führen können. Es ist Aufgabe des Verteidigers darauf zu achten und die Tatsachen im Verfahren sorgfältig herauszuarbeiten und feststellen zu lassen.

3. Beinaheunfall

In mehreren (neueren) Entscheidungen hat sich der BGH vor allem auch mit einem weiteren Problem des § 315b StGB beschäftigen müssen, dessen Lösung auch Auswirkungen auf den Tatbestand des § 315c StGB hat (vgl. u.a. BGH VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422; VRR 2011, 388 = StV 2012, 217; VA 2012, 65 = NZV 2012, 249 = DAR 2012, 390; VA 2012, 100 = VRR 2012, 226VA 2012, 119 = VRR 2012, 266 = StraFo 2012, 241 = NStZ-RR 2012, 252 = StRR 2012,391 = NZV 2012, 448 = zfs 2013, 48; VA 2013, 46 = VRR 2013, 108 und eingehend Burhoff VRR 2011, 369 mit einer Zusammenstellung der Rechtsprechung). In den Entscheidungen ging es u.a. um den Begriff des sog. Beinaheunfall. Der BGH hat noch einmal darauf hingewiesen, dass die Verurteilung wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) eine Tathandlung voraussetzt, die über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht.

Hinweis:

Darauf hat der BGH (VRR 2011, 388 = StRR 2011, 423 = StV 2012, 217) dann noch einmal für das Durchschneiden eines Bremsschlauches hingewiesen.

4. Konkrete Gefahr

Immer wieder moniert der BGH auch nicht ausreichende Feststellungen zur konkreten Gefahr. Die Rechtsprechung dazu ist inzwischen fast unüberschaubar geworden.

Hinweis:

Die Entscheidungen haben in der Praxis doppelte Bedeutung, weil die Ausführungen des BGH auch für § 315c StGB gelten.

Erforderlich sind nach der Rechtsprechung des BGH tatsächliche Feststellungen dazu, ob durch das Verhalten des Täters im Straßenverkehr Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet wurden (s. dazu auch Burhoff VRR 2011, 369). Hinzuweisen ist u.a. auf den BGH, Beschl. v. 25. 4. 2012 (4 StR 667/11, VRR 2012, 308 = VA 2011, 154), auf den BGH, Beschl. v. 25. 1 .2012 (4 StR 507/11, NZV 2012, 393) und auf den BGH, Beschl. v. 4. 12. 2012 (4 StR 435/12, VA 2013, 46 = VRR 2013, 108).

Die Rechtsprechung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Erforderlich ist eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen. Den Urteilsgründen muss sich – so der BGH - entnehmen lassen, dass Leib oder Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden ist. Nicht ausreichend ist – allerdings je nach der festgestellten Art von Unfall – z.B. allein die Feststellung, dass regelmäßig ein HWS-Trauma zu erwarten sei. Allein damit ist nach Ansicht des BGH eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen nicht hinreichend belegt (ähnlich BGH NStZ-RR 2012, 186; NStZ 2012, 700 = VRR 2012, 308). Insbesondere erforderlich sind insoweit ggf. Angaben zu den Geschwindigkeiten der Pkws im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 186; VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422; NStZ 2012, 700 = VRR 2012, 308; s. auch noch BGH VRR 2010, 29 = StRR 2010, 72 = NZV 2010, 261).

Auch die konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert sieht der BGH häufig nicht ausreichend festgestellt. Er verweist immer wieder darauf, dass bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, stets zwei Prüfungsschritte erforderlich sind: Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelte. Dies könne – so der BGH - etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so sei in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht habe, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein könne als der maßgebliche Gefährdungsschaden. (vgl. BGH StraFo 2008, 343 = VRR 2008, 312 = StRR 2008, 353 = DAR 2008, 487 = VA 2008, 143). Zu diesen Prüfungsschritten enthalten die landgerichtlichen Entscheidungen häufig nicht die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Allein aus der Höhe der für die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs bei einem fingierten Unfall ggf. betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge kann i.Ü. nach Auffassung des BGH nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass den jeweils beteiligten Fahrzeugen der anderen Unfallbeteiligten ein bedeutender Sachschaden drohte. In dem Zusammenhang mahnt der BGH (BGH VRR 2011, 309 = DAR 2011, 398 = StRR 2011, 422) auch immer wieder ausreichende Ausführungen/Feststellungen an, um daraus schließen zu können, ob den Fahrzeugen der Geschädigten infolge der vom Angeklagten ggf. provozierten Verkehrsunfälle ein Schaden von mindestens 1.500 DM/750 € drohte. Mitgeteilte Schadensbilder - wie "geringfügiger Farbabrieb", "Lackabschürfungen und kleine Blechverformungen", "Schaden am Kotflügel und der Stoßstange" – lassen es nach Auffassung des BGH (a.a.O.) als eher fernliegend erscheinen, dass ein bedeutender Schaden drohte.

Auf zwei Besonderheiten ist hinzuweisen:

5. Wertgrenze für den drohenden bedeutenden Schaden

Seit einiger Zeit gibt/gab es vermehrt Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die dafür plädieren, die derzeit bei 750 € liegende Grenze für den drohenden bedeutenden Schaden i.S. des § 315b StGB auf 1.300 € anzuheben und damit an den „bedeutenden Fremdschaden“ i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB anzugleichen (vgl. Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., Vorbem. zu §§ 306 ff. Rn. 15; Fischer, § 315 Rn. 16a; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 21. Aufl., § 315c StGB Rn. 7; MünchKommStGB/Barnickel § 315 Rn. 69: ca. 850 € für Januar 2006; in der Rechtsprechung OLG Jena OLGSt StGB § 315c Nr. 16; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 185, 186; a.A. hingegen König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 95; SS W-StGB/Ernemann § 315c Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 315c Rn. 24). Zu der Frage hat dann der 4. Strafsenat des BGH in 2010 Stellung genommen und ausdrücklich ausgeführt, dass er für eine Anhebung der Wertgrenze keinen Anlass sieht (vgl. Beschl. v. 28. 9. 2010 – 4 StR 245/10, NStZ, 2011, 215 = VRR 2011, 70 = VA 2011, 47= StRR 2011, 112). Dies hat er u.a. mit der unterschiedlichen Schutzrichtung des § 142 StGB einerseits und der §3 315c, 315 StGB andererseits begründet. Diese rechtfertigten eine unterschiedliche Behandlung.

Hinweis:

Damit bleibt es also insoweit alles beim Alten. Ein drohender bedeutender Schaden i.S. der §§ 315c, 315 StGB liegt nicht erst bei 1.300 €, sondern schon bei 750 € vor ((s. auch s. auch OLG Celle VA 2011, 212 = NZV 2011, 622 [Ls.]).

IV. Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB

§ 315c StGB deckt sich mit dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale der konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für eine Sache von bedeutendem Wert. Insoweit kann daher auf die vorstehenden Ausführungen zu III. verwiesen werden.


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