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aus VRR 2011, 250

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Dauerbrenner: (Akten)Einsicht in Messunterlagen im OWi-Verfahren

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

Einer der (verfahrensrechtlichen) Dauerbrenner im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren ist der Kampf um die Einsicht in Messunterlagen, wobei der Kampf um die Bedienungsanleitung des Messgerätes an der Spitze steht. Die Verwaltungsbehörden sind hier - aus welchen Gründen auch immer – teilweise „sehr sperrig“ und verweigern dem Verteidiger die Einsicht. Zu diesem Komplex liegt inzwischen eine umfangreiche Rechtsprechung vor allem von AG vor, die wir als Arbeitshilfe hier zusammengestellt haben (vgl. II). Die Ausführungen werden abgerundet durch verfahrensrechtliche Hinweise (III).

I. Diskussionsgrundlage

Weitgehend einig sind sich die Gerichte inzwischen, dass dem Verteidiger auch in die Unterlagen, die eine Messung betreffen, ein umfassendes (Akten)Einsichtsrecht zusteht (vgl. die unten II zitierte Rechtsprechung; so grds. auch Schreiben des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW v. 17. 2. 2011 [im Folgenden kurz: IM NRW], vgl. dazu unten III, 1). Das Einsichtsrecht wird insbesondere auch für die Bedienungsanleitung eines Messgerätes bejaht. Es wird u.a. i.d.R. damit begründet, dass dem Verteidiger Einsicht in alle die Unterlagen zu gewähren ist, die auch einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden (müssen), der ein Sachverständigengutachten über die Messung zu erstatten hat (vgl. dazu grundlegend AG Bad Kissingen zfs 2006, 706 = VA 2007, 36 = VRR 2007, 3 [Ls.]). Zudem folge aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit, dass Schriftstücke, Unterlagen, Bild- und Tonaufnahmen, die für den Betroffenen als belastend oder entlastend von Bedeutung sein könnten, diesem nicht ferngehalten werden dürfen, da dies eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) bedeuten würde (LG Ellwangen VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116). Befinden sich solche Vorgänge nicht in den Ermittlungsakten, sondern in anderen Akten oder bei anderen Behörden, so müssen auch diese den Akten zugänglich gemacht werden (vgl. dazu u.a. LG Dessau-Rosslau VRR 2011, 275 ; AG Bad Kissingen, a.a.O.; s. auch Mayer DAR 2010, 109) .

Gestritten wird in der Rechtsprechung aber noch um die Art und Weise der Einsichtnahme (vgl. auch dazu Schreiben des IM NRW v. 17. 2. 2011, s. unten bei III, 1). Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob dem Verteidiger ggf. eine Kopie der Bedienungsanleitung zur Verfügung gestellt werden muss/kann (vgl. dazu schon bejahend BayObLG NJW 1991, 1070 ff. zur Einsichtnahme in einer polizeilichen Videoaufzeichnung), oder ob er dort (Akten)Einsicht nehmen muss, wo die Bedienungsanleitung aufbewahrt wird, also i.d.R. in den Räumen der Verwaltungsbehörde oder bei der zuständigen Polizeibehörde. Zudem ist streitig, ob der Anfertigung und Aushändigung einer Kopie der Bedienungsanleitung an den Verteidiger nicht ggf. das Urheberrecht des Herstellers/Verfassers entgegensteht (vgl. dazu unten III, ).

II. VRR-Arbeitshilfe: Rechtsprechungsübersicht Einsicht in Messunterlagen

(AER ja = Akteneinsichtsrecht bejaht; AER nein = Akteneinsichtsrecht verneint; BA = Bedienungsanleitung)

Gericht/
Fundort

Unterlage

AER?

Anmerkung

LG Ellwangen VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116

BA bei Poliscan Speed

AER ja

Wegen weiter Entfernung zwischen Kanzleisitz und Aufbewahrungsort Einsicht im Wege der Übersendung einer Kopie; Urheberrecht steht nicht entgegen

LG Dessau-Rosslau, Beschl. v . 24. 5. 2011 - 6 Qs 101/11, VRR 2011, 

BA für ES 3.0

AER ja

Urheberrecht steht nicht entgegen

AG Aachen VA 2011, 86 (Ls.)

BA

AER ja

Keinen Anspruch auf Übersendung einer Kopie, die Anfertigung einer Kopie würde die Kapazitäten der Behörde überschreiten; Einsichtnahme daher bei der Behörde

AG Bad Kissingen zfs 2006, 706 = VA 2007, 36 = VRR 2007, 3 (Ls.)

Laser-Handmessgerät Riegl FG21-P, Lebensakte, Eichschein des verwendeten Geräts, BA, Ausbildungsnachweise des Messbeamten

AER ja

Einsicht nach vorheriger terminlicher Absprache nur in den Diensträumen der sachbearbeitenden Polizei; kein Versand der Originalunterlagen, da diese ständig durch die Polizeidienststelle benötigt werden; der Fertigung von Kopien der BA steht der urheberrechtliche Schutz dieser Aufzeichnung entgegen.

AG Cottbus VRR 2009, 118 = StRR 2009, 146

Gesamter Messfilm

AER ja

AER über einen Sachverständigen, der den Film überprüft u.a. hinsichtlich Vollständigkeit, eventueller zwischenzeitlicher Standortveränderungen, beim Messfoto des Betroffenen und auch den sonstigen Messbildern aufgetretenen Besonderheiten der Ablichtung, sei es Abweichungen des abgebildeten Fahrzeuges von der sogenannten logischen Fahrzeugposition, Unregelmäßigkeiten bei der Dateneinblendung o. ä.

AG Ellwangen VA 2011, 54

Poliscan Speed BA, Lebensakte des Messgeräts bzw. entsprechende Aufzeichnungen über Reparaturen im Zeitraum seit der letzten Eichung bis zum Tatzeitpunkt, Eichschein, Messprotokoll, Schulungsnachweis des Messbeamten, Beschilderungsplan

Kopie, urheberrechtliche Bestimmungen stehen nicht entgegen

AG Erfurt VRR 2010, 235 = StRR 2010, 227 = VA 2010, 125

Lebensakte

AER ja

Betroffene/Verteidiger muss sich nicht auf das gerichtliche Verfahren verweisen lassen

AG Gelnhausen VA 2011, 16 = StRR 2010, 443 (Ls.).

BA und Lebensakte bei Poliscan Speed

AER ja

Einsicht in den Räumen der Verwaltungsbehörde; der Fertigung von Kopien stehen urheberrechtliche Bestimmungen entgegen

AG Gütersloh VRR 2011, 75 = VA 2010, 190

Offen

offen

Antrag nach § 62 OWiG unzulässig

AG Hamm VRR 2011, 276

Messfoto, Kalibrierungsfotos, Eichschein, Schulungsbescheinigung, BA, Schilderplan, Messprotokoll

AER ja

Möglichkeit der Einsichtnahme bei der Polizei reicht aus; Fertigung von Kopien für die Behörde nicht zumutbar; Fahrt zum Zwecke der Einsichtnahme in die BA von Oberhausen nach Dortmund ohne weiteres zuzumuten

AG Jena zfs 2009, 178

BA bei Poliscan Speed

AER ja

Akteneinsicht nur in den Diensträumen der Bußgeldstelle; Versand der Originalunterlagen kommt nicht in Betracht; Fertigung von Kopien der BA scheitert am urheberrechtliche Schutz dieser Aufzeichnungen

AG Kleve VRR 2008, 357 = VA 2008, 177 = StRR 2009, 107

BA bei Lasermessgerät Traffipax

AER ja

Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, BA zur Verfügung zu stellen; das bloße Einräumen der Möglichkeit, die BA in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen, ist jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn der Verteidiger nicht ortsansässig ist.

AG Bad Liebenwerda StraFo 2009, 384 = VA 2009, 196

Messfoto

AER ja

Einsicht hat durch Zusendung des konkreten Messfotos per Email oder auf einer von der Verteidigung zur Verfügung zu stellenden CD zu erfolgen

AG Lemgo VA 2011, 102 = VRR 2011, 163 (Ls.)

Digitale Kopie des „Tatfotos“ bei einer Messung mit ESO

AER ja

zumindest in den Fällen, in denen der Verteidiger die Übersendung digitaler Fotos mit der Behauptung verlangt, er wolle ein Gutachten zur Identifizierung einholen, ist dem Verteidiger die Einsichtnahme in das digitale Tatfoto zu ermöglichen, und zwar durch Übersendung einer Kopie des digitalen Tatfotos auf einer vom Verteidiger zur Verfügung gestellten Leer-CD

AG Lippstadt, Beschl. v. 23.02.2011 – 7 OWi 51/11, JurionRS 2011, 11495

BA

AER ja

Kein entgegenstehendes Urheberrecht; Rücksendung der Akte gem. § 69 Abs. 5 OWiG

AG Lüneburg, Beschl. v. 29. 6. 2011 – 34 OWi 547/11

BA Traffiphot S

AER ja

Güterabwägung; Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Arbeit der Bußgeldbehörde geht vor; keine Versendund/keine Kopien

AG Meißen VA 2011, 102 = VRR 2011, 277

Name des Messbeamten und Schulungsnachweise

Name AER ja, Schulungsnachweise AER nein

Name für einen ordnungsgemäßen Beweisantrag erforderlich; kein Einsichtsrecht in die Ausbildungsnachweise der Messbediensteten, da diese im Eigentum der Beamten stehen.

AG Neuruppin zfs 2009, 177

BA ES 1.0

AER ja

Einsicht nach vorheriger terminlicher Absprache nur in den Diensträumen der sachbearbeitenden Polizei; kein Versand der Originalunterlagen, da diese ständig durch die Polizeidienststelle benötigt werden; der Fertigung von Kopien der BA steht der urheberrechtliche Schutz der Aufzeichnung entgegen

AG Oberhausen VA 2011, 86

BA Vidit VKS 3.0 -Version 3.1

AER ja

Kein entgegenstehendes Urheberrecht

AG Schwelm VA 2010, 103 = VRR 2010, 236 = StRR 2010, 228;

AG Verden VRR 2010, 363 (Ls.) = VA 2010, 190

BA und Lebensakte von Multanova 6 F

AER in BA ja, in Lebensakte nein

Kein entgegenstehendes Urheberrecht, Lebensakte gehört nicht zu den Verfahrensakten; keine aufwändige Fertigung von Kopien (AG Verden)

III. Verfahrensrechtliche Frage

1. Rechtslage in NRW

Hinzuweisen ist zunächst auf eine Besonderheit in NRW. Zumindest hier – inwieweit das auch für andere Bundesländer gilt, entzieht sich meiner Kenntnis – existiert ein Erlass (?) bzw. ein Schreiben Ministerium für Inneres und Kommunales NRW v. 17. 2. 2011 an das „Landesamt für Zentrale polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen“ (vgl. http://blog.strafrecht-online.de/wp-content/uploads/Erlass-MI-v.-17.02.2011.pdf). In dem geht das Innenministerium des Landes NRW zwar davon aus, dass zu den Unterlagen des Bußgeldverfahrens, in die der Verteidiger des Betroffenen Akteneinsicht nehmen könne, sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Behörden, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, gehören, wozu auch die Bedienungsanleitung zähle, denn nur durch eine Einsichtnahme könne der Verteidiger die Bedienung und Aufstellung des konkret eingesetzten Messgeräts nachvollziehen und überprüfen. Das Recht auf Akteneinsicht gelte jedoch nicht unbeschränkt. Akteneinsicht in eine Originalbedienungsanleitung könne nur in den behördlichen Diensträumen gewährt werden. Da die Originalunterlagen ständig für die Arbeit in den Polizeidienststellen benötigt würden, komme der Versand dieser Unterlagen nicht in Betracht. Der- Fertigung von Kopien der Bedienungsanleitung steht nach Auffassung des Innenministeriums der urheberrechtliche Schutz dieser Aufzeichnungen entgegen. Etwas anderes folge nicht aus § 17 Abs. 2 des UrhG. Die Befugnis zur Fertigung von Kopien der Bedienungsanleitung setze entweder den vertraglichen Verzicht auf den Urheberrechtsschutz oder die Einräumung von Nutzungsrechten, nach § 31 UrhG voraus.

Praxishinweis

Der Verteidiger muss sich in NRW auf diese Argumentationsschiene einstellen (vgl. zu den Gegenargumenten III, 2 ff.). Erstaunlich an dem Schreiben ist, dass sich das Schreiben mit der zu den anstehenden Fragen vorliegenden umfangreichen Rechtsprechung nicht näher auseinandersetzt. Verwiesen wird lediglich hinsichtlich der Frage, wo Akteneinsicht zu nehmen ist auf die Entscheidungen des AG Bad Kissingen, AG Neuruppin, AG Jena, jeweils a.a.O.) und einem mir nicht bekannten und auch nicht veröffentlichten Beschluss des AG Herford v. 20.09.2010, ohne Az. Dazu heißt es: „Dem Bedürfnis der Rechtspflege auf Einsichtnahme der Verfahrensbeteiligten in die Bedienungsanleitung wird durch das Akteneinsichtsrecht in das Original auf der Dienststelle der Polizei in ausreichendem Maße genüge getan, in den veröffentlichten Entscheidungen wird diese Frage durch die Rechtsprechung ganz überwiegend ebenso beantwortet“. Nicht nur, dass das Schreiben inhaltlich weitgehend dem Beschluss des AG Jena (zfs 2009, 178) entspricht, wird auch die entgegenstehende, teilweise veröffentlichte Rechtsprechung anderer Gerichte mit keinem Wort erwähnt. Und ob „diese Frage durch die Rechtsprechung ganz überwiegend ebenso beantwortet“ wird, lässt sich angesichts der entgegenstehenden Rechtsprechung - auch von LG - trefflich anders sehen. Das Schreiben v. 17. 2. 2011 ist daher wenig überzeugend und m.E. erkennbar von dem Gedanken getragen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf bzw. was man nicht will: Ein umfassendes Akteneinsichtsrecht, dass ggf. auch durch Kopien sicher gestellt werden muss.

2. Urheberrecht

Eins der Hauptargumente, das gegen die Fertigung von Kopien der Bedienungsanleitung eingewendet wird, ist das (angeblich) entgegenstehende Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung. Dem sollte der Verteidiger ggf. entgegenhalten:

  • Grds. meine ich, dass das Urheberrecht des Herstellers hinter dem verfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützten Akteneinsichtsrecht des Betroffenen/Verteidigers zurückzutreten hat. Dafür spricht m.E. auch, dass es allein um Nutzung in einem Bußgeldverfahren geht und nicht eine Nutzung außerhalb des Verfahrens ansteht.
  • Das LG Ellwangen (vgl. VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116) hat darauf verwiesen, dass nach seiner Auffassung ein Urheberrecht nicht bestehe. Die Bedienungsanleitung für ein (Geschwindigkeits)Messgerät beschreibe lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und sei keine eigenständige geistige Schöpfung ihres Autors.
  • Das AG Oberhausen (VA 2011, 86) verweist auf das Verbreitungsrecht nach § 17 Abs. 2 UrhG. Der Hersteller habe das Messgerät samt Bedienungsanleitung verkauft und habe daher gem. § 17 Abs. 2 UrhG kein weiteres Bestimmungsrecht darüber, wie der Erwerber (Polizei oder Verwaltungsbehörde) mit der Bedienungsanleitung verfahre und an wen er diese überlasse (sog. "Erschöpfungsgrundsatz"). Das sieht das Schreiben des IM NRW v. 17. 2. 2011 anders und meint, der mit der Veräußerung eintretende Verbrauch der Verwertungsrechte des Rechtsinhabers beschränke sich nur auf die körperliche Weiterverbreitung des  jeweils veräußerten Werkexemplars. Der „Erschöpfungsgrundsatz“ führe daher nur dazu, dass das Original der Bedienungsanleitung zum Zwecke. der Einsichtnahme weitergegeben werden dürfte. Allerdings spricht § 17 Abs. 1 UrhG von den „Vervielfältigungsstücken“. Zudem wird man m.E. im Verkauf des Messgerätes mit Bedienungsanleitung angesichts der Gesamtumstände, insbesondere des Umstandes, dass den Herstellern der Einsatz der Geräte und die entsprechende Rechtsprechung zum Akteneinsichtsrecht des Betroffenen/Verteidiger bekannt sein dürfte, eine konkludente Zustimmung des Herstellers zur Verbreitung sehen können. In die Richtung dürfte auch der Beschl. des LG Dessau-Roßlau VRR 2011, 275) zu verstehen sein, das im Übrigen davon ausgeht, dass es „abwegig“ und „abstrus“ sei, wenn man davon ausgehe, dass das Messgerät erworben werde, die Bedienungsanleitung aber nicht an Verteidiger weiter gegeben werden dürfe.
  • M.E. wird man auch mit einem konkludent vom Hersteller eingeräumten Nutzungsrecht (§ 31 UrhG) argumentieren können (a.A. wohl AG Jena zfs 2009, 178 und das Schreiben des IM NRW v. 17. 2. 2011). Die Geräte und die Bedienungsanleitungen sind nicht nur für den innerdienstlichen Gebrauch bestimmt (LG Dessau-Rosslau VRR 2011, 275).
  • Schließlich: Bisher nicht behandelt in der Rechtsprechung und auch im Schreiben des IM NRW v. 17. 2. 2011 nicht erwähnt, ist § 45 UrhG. § 45 UrhG erlaubt ausdrücklich, Werke zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich auszustellen und zu verbreiten, wenn dies im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt. Genau das geschieht aber, wenn die Verwaltungsbehörde/Polizei im Rahmen eines Bußgeldverfahrens dem Verteidiger eine Kopie der Bedienungsanleitung des verwendeten Messgerätes zur Verfügung stellt.

3. Zumutbarkeitsgesichtspunkte

Argumentiert wird in einigen Entscheidungen auch mit Zumutbarkeitsgesichtspunkten. So soll es der Verwaltungsbehörde in den vorliegenden Massenverfahren aus Kapazitätsgründen nicht zuzumuten sein, von den Bedienungsanleitungen Kopien zu fertigen (so u.a. jüngst AG Aachen VA 2011, 86 [Ls.]; AG Hamm VRR 2011, 276; AG Lüneburg, Beschl. v. 29. 6. 2011 – 34 OWi 547/11). Dem wird man m.E. entgegenhalten können, dass es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrecht, das auf dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) beruht, nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde/Polizei.

Hinweis:

Dem Zumutbarkeits-/Kapazitätsargument lässt sich m.E. auch wie folgt begegnen. Der Verteidiger sollte die Übersendung einer Leer-CD anbieten, auf die dann die Bedienungsanleitung, die i.d.R. als PDF-Dokument vorliegen dürfte, kopiert werden kann. Angeboten werden kann auch die Übersendung als Emailanhang. Beides sollte verbunden werden mit dem Angebot, dass dann die Bedienungsanleitung ggf. im Büro des Verteidigers ausgedruckt wird. Insoweit dürfte dann später die Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG gelten.    

4. Einsichtsantrag

Der Verteidiger wird, wenn die Akteneinsicht nicht von Amts wegen auch auf die Bedienungsanleitung und sonstige Unterlagen erstreckt wird, einen (Akten)Einsichtsantrag stellen müssen. Meyer spricht in DAR 2010, 109 ff. von einem Aktenergänzungsantrag. Unabhängig von der Frage der Benennung des Antrags sollte der Verteidiger diesen auf jeden Fall begründen. Dabei könnten folgende Argumente von Bedeutung sein:

  • Ohne Kenntnis der Bedienungsanleitung können die Messbeamten nicht als Zeugen zur ordnungsgemäßen Durchführung der Messung befragt werden (vgl. LG Ellwangen VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116; ähnlich AG Meißen VA 2011, 102 = VRR 2011, 277) für die beantragte Bekanntgabe des Namens des Messbeamten).
  • Ohne Kenntnis der Bedienungsanleitung lässt sich die ordnungsgemäße Bedienung und Aufstellung des konkret eingesetzten Messgeräts nicht nachvollziehen und überprüfen (AG Ellwangen VA 2011, 54 = NZV 2011, 362).
  • In die Bedienungsanleitung ist Akteneinsicht ggf. im Wege der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu gewähren.
  • Urheberrechtliche Bestimmungen der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung stehen dem nicht entgegen (vgl. oben III, 2). Der Verteidiger sollte sich insoweit ggf. verpflichten, die überlassenen Unterlagen nur für das jeweilige Verfahren zu nutzen, insbesondere nicht anderweitig zu veröffentlichen.
  • Bei weiter Entfernung zwischen Kanzleiort und Aufbewahrungsort der Bedienungsanleitung kann darauf hingewiesen werden, dass dem Verteidiger des Betroffenen die mit Mü­hen und Kosten verbundene weite Reise zuzumuten, weil dies i.d.R. die außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen (LG Ellwangen VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116). In dem Zusammenhang kann sich der Hinweis auf die Entscheidung des BayObLG v. 27. 11. 1990 (NJW 1991, 1070 ff. = VRS 80, 364) empfehlen. Danach kann dem Verteidiger, der Akteneinsicht wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit begehrt, nicht zugemutet werden, vorhandene Videoaufzeichnungen bei einer weit entfernten Polizeidienststelle, die das Videoband in Verwahrung hat, einzusehen (ähnlich OLG Jena VRS 108, 276; OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 311,; so auch AG Kleve VRR 2008, 357 = VA 2008, 177 = StRR 2009, 107).
  • Dem Betroffenen ist es nicht zuzumuten, sozusagen "blind" das gerichtliche Verfahren und die damit verbundenen Kosten zu betreiben (AG Cottbus VRR 2009, 118 = StRR 2009, 146). Wäre das vollständige Akteneinsichtsrecht nur im Wege des stattfindenden gerichtlichen Verfahren zu verwirklichen, würden die Rechte des mit einem Vorwurf konfrontierten Bürgers verkürzt (AG Erfurt VRR 2010, 235 = StRR 2010, 227 = VA 2010, 125). Zudem führt die Verweisung des Betroffenen auf das gerichtliche Verfahren dazu, dass umfangreiche und kostentreibende Mehrarbeiten anfallen, die durch entsprechendes Tätigwerden der Verwaltungsbehörde leicht vermieden werden könnten (AG Erfurt, a.a.O.; vgl. zur Mehrarbeit auch AG Meißen VA 2011, 102 = VRR 2011, 163 [Ls.]).
  • Schließlich: Ggf. sollte, z.B. bei der beantragten Einsichtnahme in einen Messfilm, der Verwaltungsbehörde eine Leer-CD zur Verfügung gestellt werden (vgl. dazu AG Lemgo VA 2011, 102 = VRR 2011, 163 [Ls.] für die Einsichtnahme in ein digitales Foto; ähnlich BayObLG NJW 1991, 1070 ff. = VRS 80, 364; OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 311 für Videoaufnahmen).

5. Rechtsmittel

Hinsichtlich der Rechtsmittel gegen eine nicht oder nicht vollständig gewährte Einsichtnahme ist zu unterscheiden:

Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde tritt diese die Entscheidung über die Akteneinsicht. Wird Akteneinsicht versagt, kann dagegen die gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG beantragt werden (Göhler/Seitz, OWiG, 15. Aufl., § 60 Rn. 54a und die oben zitierte Rechtsprechung der AG). A.A. ist - soweit ersichtlich – allein das AG Gütersloh (VRR 2011, 75 = VA 2010, 190), das den Antrag nach § 62 Abs. 1 Satz 2 OWiG als unzulässig angesehen hat. Es handele sich dabei nämlich um eine Maßnahme, die zur Vorbereitung der Entscheidung getroffen werde und keine selbständige Bedeutung habe. Das ist nicht zutreffend (vgl. dazu Burhoff VRR 2011, 75 in der Anm. zu AG Gütersloh, a.a.O.). Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung steht dem Verteidiger/Betroffenen dann aber ein weiteres Rechtsmittel nicht zu.

Im gerichtlichen Verfahren kann die amtsrichterliche Entscheidungen mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden. § 305 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (so ausdrücklich LG Ellwangen VRR 2011, 117 = StRR 2011, 116; vgl. auch noch OLG Brandenburg NJW 1996, 67 m.w.N.; OLG Frankfurt NStZ 1996, 238; zu den Rechtsmitteln bei Akteneinsicht s. auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 152 ff.).

Hinweis:

Nach einem erfolglosen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gegen die ablehnende Entscheidung der Verwaltungsbehörde kann der Verteidiger seinen Antrag im gerichtlichen Verfahren wiederholen. Das hat den Vorteil, dass ihm dann gegen eine ggf. auch ablehnende Entscheidung des AG das Rechtsmittel der Beschwerde (§ 304 StPO) zusteht.

6. Rechtsbeschwerde

Die Frage der nicht bzw. nicht ausreichend gewährten Akteneinsicht kann zum Gegenstand der Rechtsbeschwerde gemacht werden. Allerdings muss das in der Hauptverhandlung vorbereitet werden. M.E. sollte der Verteidiger wie folgt vorgehen. Er sollte zu Beginn der Hauptverhandlung einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen nicht (ausreichend) gewährter Akteneinsicht stellen. Wird der (erwartungsgemäß) vom AG abgelehnt, muss diese Maßnahme im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden, um den „Beschluss des Gerichts“ zu erlangen. In der Rechtsbeschwerde ist dann die Verweigerung/Beschränkung der Akteneinsicht mit der Verfahrensrüge geltend zu machen, und zwar sowohl dann, wenn die Rechtsbeschwerde nach §§ 79, 80 OWiG „zulassungsfrei“ ist, als auch, wenn sie der Zulassung bedarf. Im letzteren Fall ist das ggf. gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG über eine Versagung des rechtlichen Gehörs geltend zu machen (vgl. zum Rechtsmittel auch Burhoff, EV, a.a.O., Rn. 163). In beiden Fällen gelten die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.


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