aus VRR 2010, 293
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "VRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "VRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Die Verhängung eines Fahrverbotes muss immer angemessen sein. Bei den Umständen, die im Bereich der Angemessenheit des Fahrverbotes eine Rolle spielen, sind in der Praxis die beruflichen Folgen für den Betroffenen von erheblicher Bedeutung. Grundsätzlich sind allerdings auch diese, was häufig übersehen wird, ohne Bedeutung, da auch sie alle Fahrzeugführer in gleicher Weise vorhersehbar treffen. Erst wenn die Folgen sich zur unzumutbare Härte auswachsen, führt das zur Unangemessenheit des Fahrverbote führt. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich beim Betroffenen um einen abhängig Beschäftigten oder um einen Freiberufler handelt (vgl. dazu Deutscher VRR 2005, 370). Insoweit gilt:
Praxishinweis:
Im Verfahren muss zu den beruflichen Gründen, die das Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen sollen, umfassend vorgetragen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass eine Existenzgefährdung durch ein dem Betroffenen drohendes Fahrverbot bei Arbeitnehmern nur dann vorliegt, wenn infolge des Fahrverbots konkret die Kündigung des Arbeitsverhältnisses droht. Ein bloßer Vorbehalt des Arbeitgebers, für diesen Fall über eine Kündigung nachzudenken, reicht nicht. Der Verteidiger muss also Sorge tragen, dass der Betroffene von seinem Arbeitgeber zur Vorlage beim Gericht ein Schreiben erhält, aus dem sich ergibt, dass das Fahrverbot sicher zu einer Kündigung führen wird (vgl. Deutscher VRR 2005, 371).
Die nachfolgende Arbeitshilfe stellt die wesentliche Rechtsprechung zu dem Absehen vom Fahrverbot wegen beruflichen Folgen vor (eingehend dazu auch Deutscher in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl., 2009, Rn. 864 ff.).
Abhängig Beschäftigte
Umstände des Einzelfalls |
Absehen: ja oder nein? |
Fundstelle |
Busfahrer mit mehreren Voreintragungen |
ja, allerdings beschränkt auf Klasse D |
OLG Bamberg VA 2006, 102 |
Busfahrer, bei dem die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ansteht |
ja |
AG Gelnhausen NZV 2006, 327 |
der Arbeitgeber behält sich die Kündigung des Arbeitsplatzes vor |
nein |
OLG Hamm VA 2007, 33 = VRR 2007, 31 |
es wird lediglich vorgetragen, dass der Betroffene mit einer Kündigung zu rechnen habe. |
nein |
OLG Frankfurt NZV 2010, 311 (Ls.) |
Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers, in der für den Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt wird |
nein, da sich die Auswirkungen eines Fahrerlaubnisentzuges, der viele Monate oder noch länger dauern kann, bis dass eine Fahrerlaubnis wieder erteilt wird, drastisch von den Auswirkungen des zeitlich überschaubaren Fahrverbotes von einem Monat unterscheiden |
OLG Hamm, Beschl. v. 18. 3. 2008, 5 Ss OWi 112/08 |
Betroffene wohnt 13 km von seinem Arbeitsplatz entfernt |
nein, Benutzung eines Fahrrades zumutbar |
OLG Hamm, Beschl. v. 8. 11. 2007, 4 Ss OWi 105/08 |
Betroffene ist beruflich im Außendienst tätig und betreut überwiegend Kunden im norddeutschen Raum, die jährliche Fahrleistung liegt bei ca. 35.000 km. |
nein |
OLG Hamm, Beschl. v. 19. 11. 2007, 3 Ss OWi 429/07 |
Betroffene benötigt Pkw zum Transport von Musikinstrumenten |
nein, nähere Feststellungen erforderlich, ob die nicht auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert werden können |
OLG Beschl. v. 22. 11. 2007, 3 Ss OWi 641/07 |
Berufsfeuerwehrmann |
nein |
AG Lüdinghausen VA 2008, 34 = VRR 2008, 77 = NZV 2008, 109 =DAR 2008, 160 |
auswärts eingesetzter Kfz-Monteur |
nein, wenn geklärt ist, dass er das Fahrverbot im Urlaub vollstrecken lassen kann |
OLG Hamm NZV 2008, 306 |
Pizzalieferant |
ja |
AG Frankfurt NZV 2008, 371 |
Betroffene ist auf Pkw zur Erreichung des Arbeitsplatzes angewiesen |
die Urteilsgründe müssen sich auch dazu verhalten, warum der Betroffene nicht darauf verwiesen werden kann, vorübergehend ein Zimmer in Arbeitsplatznähe anzumieten. Die hierfür anfallenden Aufwendungen sind unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes schon deshalb als grundsätzlich zumutbar anzusehen, weil ihnen die ersparten Aufwendungen für die private Fahrzeugnutzung gegenüber zu stellen sind. |
OLG Bamberg VA 2009, 135 = DAR 2009, 401 = VRR 2009, 309 |
Betroffene ist auf Fahrerlaubnis angewiesen, um zur Arbeit zu kommen; Ehefrau kann ihn nur unter besonderen Erschwernissen bringen |
Nein, ggf. muss die Familie Erschwernisse in Kauf nehmen |
AG Lüdinghausen VRR 2009, 311 |
Gynäkologin, Notfalldienste |
nein, Einstellung eines Fahrers zumutbar |
OLG Hamm, Beschl. 04.03.2009, 4 Ss OWi 123/09 |
Selbständige
Umstände des Einzelfalls |
Absehen: ja oder nein? |
Fundstelle |
bei einem Präsidenten eines tariffähigen Arbeitgeberverbandes und Geschäftsführer einer expandierenden Gesellschaft |
nein, das Gericht kann dann auch ohne weitere Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen - namentlich: zum Einkommen - des Betroffenen auf die Möglichkeit der Anstellung eines Fahrers für die Dauer des Fahrverbots zur Abmilderung der Folgen des Fahrverbotes verweisen |
AG Lüdinghausen VRR 2009, 199 = VA 2009, 102 = NZV 2009, 251 = VA 2009, 102 |
Gastwirt |
ja, wenn genügend Umstände für eine Existenzvernichtung dargetan sind. |
OLG Hamm VA 2004, 138 |
Friseur, der Hausbesuche macht und einen Behinderten betreut |
nein, es können öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch genommen werden |
OLG Hamm VRR 2009, 431 |
Selbständiger, der Fettabscheider reinigt, nur einen Angestellten hat, der keine Fahrerlaubnis besitzt, keine Familienangehörigen hat und sich einen Fahrer bei einem Monatseinkommen von 500 netto nicht leisten kann |
ggf., ja, jedenfalls reicht der Hinweis auf § 25 Abs. 2a StVG und die Möglichkeit der Einstellung einer Teilzeitkraft oder die Aufnahme eines Kredits nicht aus |
KG VA 2010, 88 |
Inhaber eines Autohauses, der die Fahrerlaubnis für das An- und Abmelden von Kfz benötigt |
nein |
OLG Hamm, Beschl. v. 8. 11. 2007, 4 Ss OWi 105/2008 |
selbständiger Fahrzeuglackierer, der regelmäßig Fahrzeuge zu den Kunden bringt |
nein |
OLG Hamm VRR 2008, 115 |
alleinerziehende Apothekerin |
nein |
OLG Hamm NZV 2008, 308 |
bei einem Präsidenten eines tariffähigen Arbeitgeberverbandes und Geschäftsführer einer expandierenden Gesellschaft |
nein, das Gericht kann dann auch ohne weitere Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen - namentlich: zum Einkommen - des Betroffenen auf die Möglichkeit der Anstellung eines Fahrers für die Dauer des Fahrverbots zur Abmilderung der Folgen des Fahrverbotes verweisen |
AG Lüdinghausen VRR 2009, 199 = VA 2009, 102 = NZV 2009, 251 |
Rentner, der auch Taxi fährt |
nein |
OLG Hamm VRR 2009, 313 = VA 2009, 121 |
Praxishinweis:
Der Tatrichter muss sich im Urteil mit den Umständen, die es möglich erscheinen lassen, dass das Fahrverbot insbesondere aus beruflichen Gründen eine unangemessene Härte darstellt, auseinandersetzen (vgl. u.a. OLG Hamm VA 2007, 129 = VRR 2007, 236; Beschl. v. 19. 1. 2010, 2 (6) Ss OWi 987/09). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung und Darlegung der entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen, die für das Rechtsbeschwerdegericht im Einzelnen nachprüfbar sein müssen (OLG Hamm, Beschl. v. 18. 3. 2008, 5 Ss OWi 112/08). Aber selbst das Vorliegen einer besonderen Härte durch drohenden Verlust des Arbeitsplatzes führt nicht zwingend dazu, in jedem Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Denn auch in einem solchen Fall muss so die Rechtsprechung - zu berücksichtigender Maßstab bleiben, ob bei Verzicht auf eine solche Sanktion noch wirksam auf den Betroffenen eingewirkt werden kann. Ist dieses nicht der Fall, weil sich der Betroffene gegenüber verkehrsrechtlichen Ge- und Verboten vollkommen uneinsichtig zeigt, so muss ein Fahrverbot auch bei erheblichen Härten seine Berechtigung finden (OLG Hamm, Beschl. v. 14. 8. 2007, 1 Ss OWi 549/07).
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