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aus StRR 2012, 172

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die Abrechnung (förmlicher/formloser) Rechtsbehelfe im Straf- und Bußgeldverfahren

von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg

Neben den klassischen Rechtsmitteln, wie Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde und Beschwerde, sehen StPO und OWiG für das Straf- bzw. Bußgeldverfahren eine ganze Reihe förmlicher aber auch formloses Rechtsbehelfe vor, die der Verteidiger für seinen Mandanten erheben bzw. einlegen kann. In der Praxis besteht große Unsicherheit, wie diese abzurechnen sind. Die nachfolgenden Ausführungen stellen die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit in diesem Bereich vor.

I. Einführung

Förmliche Rechtsbehelfe sieht die StPO bzw. das OWiG insbesondere vor

Daneben kennen Straf- und Bußgeldverfahren noch formlose Rechtsbehelfe wie

  • die Dienstaufsichtsbeschwerde, die auf Art. 17 GG beruht (vgl. dazu II ff.),
  • die ebenfalls auf Art. 17 GG beruhende Gegenvorstellung (vgl. II ff.).

Für die Abrechnung dieser Rechtsbehelfe stellt sich immer die Frage, ob für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im RVG ggf. besondere Gebühren vorgesehen sind (vgl. dazu II, 1). Ist das nicht der Fall, erhebt sich die Anschlussfrage, wie die Tätigkeiten dann abgerechnet werden können (vgl. dazu II, 2). Zudem hängt die Abrechnung davon ab, ob der Rechtsanwalt den vollen Verteidigungsauftrag erhalten hat oder ob er in Zusammenhang mit dem Rechtsbehelf nur im Rahmen einer sog. Einzeltätigkeit – im Strafverfahren nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG - oder im Bußgeldverfahren Nr. 5200 VV RVG – tätig wird (vgl. III).

II. Besondere Gebühren/Verfahrensgebühr?

1. Besondere Gebühren

Für fast alle unter I, 1 aufgeführten Rechtsbehelfe lässt sich feststellen: Für die vom Rechtsanwalt in dem Zusammenhang jeweils erbrachten Tätigkeiten sind keine besonderen Gebühren vorgesehen, und zwar sind weder in Teil 4 VV RVG, wenn es um das Strafverfahren geht, noch in Teil 5 VV RVG für das Bußgeldverfahren.

Hinweis

Eine Ausnahme gilt nur für das Klageerzwingungsverfahren (vgl. IV) und die Anträge nach § 23 ff. EGGVG (vgl. dazu unten V).

2. Verfahrensgebühr

Für die Abrechnung der Rechtsbehelfe bleibt daher i.d.R. nur die Abrechnung über die Verfahrensgebühr, die für den Verfahrensabschnitt anfällt, in dem der Rechtsbehelf erhoben bzw. eingelegt wird. Das ergibt sich aus der allgemeinen Regelung für den Abgeltungsbereich der (jeweiligen) Verfahrensgebühr, wie sie in Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG bzw. in Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG enthalten ist. Danach verdient der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr „für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“. Abgegolten wird dadurch die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt (Burhoff in Burhoff (Hrsg.) RVG Straf-. und Bußgeldsachen,. 3. Aufl.. 2012,, Vorbem. 4 VV Rn. 33 ff.; AnwKomm-RVG/N.Schneider, RVG, 6. Aufl. 2012, VV Vorb. 4 Rn. 21; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., 2010, VV Vorb. 4 Rn. 9 f.; BT-Drucks. 15/1971, S. 220). Das bedeutet, dass darunter auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts in Zusammenhang mit den förmlichen und formlosen Rechtsbehelfen fällt (vgl. z.B. AG Betzdorf AGS 2009, 390; AG Sinzig JurBüro 2008, 249 für Anträge auf gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren; für Dienstaufsichtsbeschwerden s. LG Köln JurBüro 2001; AG Bielefeld AGS 2006, 439 = VRR 2006, 358 m. zust. Anm. N.Schneider AGS 2006, 440).

Die jeweilige Verfahrensgebühr deckt alle Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Einreichung/Erstellung des Rechtsbehelfs und/oder einer etwaigen Beistandsleistung im Verfahren ab. Dies können sein die Entgegennahme der Information des Mandanten, die Fertigung und Einreichung des Rechtsbehelfs bei der zuständigen Stelle, die Beratung des Mandanten, Stellungnahmen usw. Abgegolten durch die jeweilige Verfahrensgebühr werden ggf. auch die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Hinblick auf eine ggf. statthafte Beschwerde gegen einen den Rechtsbehelf/Antrag ablehnenden Beschluss (s. aber unten III 2).

Beim Wahlanwalt sind die erbrachten Tätigkeiten im Rahmen der jeweiligen Verfahrensgebühr über § 14 Abs. 1 RVG gebührenerhöhend geltend zu machen. Beim Pflichtverteidiger ist das, da er Festbetragsgebühren erhält, nicht möglich. Ihm bleibt daher nur die Möglichkeit, ggf. eine Pauschgebühr nach § 51 RVG zu beantragen, wenn die gesetzlichen Gebühren wegen des Umfangs der von ihm erbrachten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar sind.

III. Vollverteidiger/Einzeltätigkeit

1. Vollverteidiger

Die vorstehenden Ausführungen unter II gelten nur für den Rechtsanwalt, dem der volle Verteidigungsauftrag übertragen worden ist. Im Übrigen:

2. Einzeltätigkeit

a) Strafverfahren

Ist der Rechtsanwalt nicht Vollverteidiger und hinsichtlich des Rechtsbehelfs (nur) im Rahmen einer Einzeltätigkeit beauftragt, gilt im Strafverfahren Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG. Im Einzelnen ist auf folgende Gebühren hinzuweisen:

  • Ist dem Rechtsanwalt nur die Einlegung des Rechtsbehelfs als Einzeltätigkeit übertragen worden, gilt die Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG.
  • Wird er darüber hinaus mit der Begründung des Einspruchs beauftragt, kann er dafür nach Vorbem. 4. 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG ggf. noch eine weitere Verfahrensgebühr nach Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG abrechnen.
  • Ist der Rechtsanwalt mit der Beistandsleistung im Rechtsbefehlsverfahren i.Ü. beauftragt, gilt ggf. Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG.
  • Ist er ggf. nur damit beauftragt, einen Rechtsbehelf zurückzunehmen, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG.

Hinweis

Eine Grundgebühr nach Nr. 4100 oder Nr. 5100 VV RVG entsteht nicht zusätzlich (OLG Köln RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287 = AGS 2007, 452).

Bei mehreren Einzeltätigkeiten ist auf die Beschränkung der Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 2 VV i.V.m. § 15 Abs. 6 RVG zu achten.

Ist der Rechtsanwalt von vornherein gleichzeitig mit der Rechtsbehelfseinlegung und -begründung beauftragt, entsteht nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG entsteht (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.3 VV Rn. 36; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV Vorb. 4.3 Rn. 22). Denn bei gleichzeitiger Auftragserteilung gilt die Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 4.3 Abs. 3 Satz 2 VV RVG, § 15 Abs. 1 RVG die Tätigkeit des Rechtsanwalt vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit ab (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.3 VV Rn. 36). Ein durch Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs entstandener erhöhter Aufwand muss bei der Bemessung der Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG innerhalb des vorgesehenen Rahmens nach § 14 Abs. 1 RVG berücksichtigt werden (vgl. Burhoff/Volpert, a.a.O.; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O.). Ist hingegen auftragsgemäß vom Rechtsanwalt zunächst der Rechtsbehelf eingelegt und dieser dann später auftragsgemäß begründet worden, fallen gem. Vorbem. 4.3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG für die Einlegung und nach Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG für die Begründung des Rechtsbehelfs Beschwerde gesondert an. Anders als in den Anm. zu Nr. 4300 und 4301 ist zu Nr. 4302 VV RVG insoweit nichts anderes bestimmt worden (wie hier für die Beschwerde Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Beschwerdeverfahren, Abrechnung, Rn. 390; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV Vorb. 4.3 Rn. 16; Burhoff RVGreport 2012, 12, 14; a.A. wohl LG Mühlhausen, Beschl. v. 26.05.2010 – 3 Qs 87/10 für die Beschwerde).

Erhält der Rechtsanwalt den Auftrag gegen einen den Rechtsbehelf ablehnenden Beschluss eine ggf. statthafte Beschwerde einzulegen, wie z.B. bei der Wiedereinsetzung nach § 46 Abs. 3 StPO, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 3 Satz 2 VV RVG: Das Verfahren über die Beschwerde ist ein besonderes. Das bedeutet, dass ggf. noch einmal die Gebühr Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG. entsteht (vgl. dazu auch Burhoff RVGreport 2012, 12.

Erhält der Rechtsanwalt nach einem erfolgreichen Rechtsbehelf den vollen Verteidigungsauftrag, wird er also nun für den Mandanten im eigentlichen Verfahren tätig, wird die für die Einzeltätigkeit entstandene Verfahrensgebühr auf die weiteren Gebühren angerechnet (vgl. Vorbem. 4.3 Abs. 4 VV RVG bzw. Nr. 5200 Anm. 4 VV RVG).

Hinweis:

Die vorstehenden Ausführungen gelten im Wesentlichen für alle oben unter I erwähnten strafverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe. Soweit sich Abweichungen ergeben, sind diese unter IV. und V. dargestellt.

b) Bußgeldverfahren

Ist dem Rechtsanwalt im Bußgeldverfahren die Einlegung des Rechtsbehelfs nur als Einzeltätigkeit übertragen worden, gilt die Nr. 5200 VV RVG. Wird er darüber hinaus mit der Begründung des Rechtsbehelfs beauftragt, kann er dafür nach Nr. 5200 Anm. 2 Satz 1 VV RVG ggf. noch eine weitere Verfahrensgebühr nach Nr. 5200 VV RVG abrechnen. Ist der Rechtsanwalt nur damit beauftragt, einen Rechtsbehelf, z.B. den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, zurückzunehmen, entsteht ebenfalls die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV RVG. Im Bußgeldverfahren fehlt in Teil 5 VV RVG eine der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 3 VV RVG entsprechende Regelung. Das hat zur Folge, dass im Bußgeldverfahren die Tätigkeit in einem ggf. eingeleiteten Beschwerdeverfahren durch die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV RVG mitabgegolten wird.

Hinweis

Eine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG entsteht auch im Bußgeldverfahren nicht zusätzlich (OLG Köln RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287 = AGS 2007, 452 für Teil 4 VV RVG).

Erhält der Rechtsanwalt nach einem (erfolgreichen) Rechtsbehelf den vollen Verteidigungsauftrag, wird er also nun für den Mandanten im eigentlichen Verfahren tätig, wird die für die Einzeltätigkeit entstandene Verfahrensgebühr auch im Bußgeldverfahren auf die weiteren Gebühren angerechnet (vgl. Nr. 5200 Anm. 4 VV RVG). Bei mehreren Einzeltätigkeiten ist auf die Beschränkung der Nr. 5200 Anm. 2 S. 2 VV RVG i.V.m. § 15 Abs. 6 RVG, zu achten.

IV. Klageerzwingungsverfahren

Für die Abrechnung des sog. Klageerzwingungsverfahrens (§§ 172 ff. StPO) ist zu unterscheiden zwischen dem Vertreter des Antragstellers (vgl. dazu IV, 1) und dem Vertreter/Verteidiger des Beschuldigten (vgl. dazu IV, 2). Außerdem kommt es auch hier darauf an, ob der Rechtsanwalt jeweils bereits (schon) den Auftrag zur vollen Vertretung/Verteidigung erhalten hatte, oder ob er im Rahmen einer Einzeltätigkeit tätig geworden ist.

1. Rechtsanwalt des Antragstellers

Für den Rechtsanwalt des Antragstellers im Klageerzwingungsverfahren gilt:

a) Voller Auftrag

Soll der Rechtsanwalt für den Antragsteller nicht nur im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 StPO tätig werden, sondern hat von vorneherein den vollen Auftrag den Antragsteller als Verletzten, der sich ggf. einer erhobenen Anklage als Nebenkläger anschließen will, zu vertreten, gilt Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4301 VV Rn. 17; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn. 23). Der Rechtsanwalt ist dann Vertreter eines Verletzten/Nebenklägers und rechnet nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab. Für ihn entstehen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV RVG. Weitere Gebühren entstehen für diesen Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Klageerzwingungsverfahren nicht. Dieses ist mit dem Beschluss nach § 175 StPO beendet. Die vom OLG beschlossene Erhebung der Anklage wird von der StA durchgeführt (§ 175 Satz 2 StPO). Das vorbereitende Verfahren ist erst mit dem Eingang der Anklage beim Gericht beendet (vgl. Anm. zu Nr. 4104 VV RVG; s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4104 VV Rn. 4 ff.). Erst dann entsteht ggf. die gerichtliche Verfahrensgebühr.

Hinweis:

Wird der Rechtsanwalt dem Antragsteller im (gesamten) vorbereitenden Verfahren als Beistand bestellt (§ 172 Abs. 3 Satz 2 StPO), fallen keine Gebühren für Einzeltätigkeiten an (vgl. zu denen unten IV 1 b), sondern die Abrechnung erfolgt nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (OLG Stuttgart StRR 2008, 359 = RVGreport 2008, 383 = Justiz 2008, 229 = Rpfleger 2008, 441). In Betracht kommt dann auch die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.).

b) Einzeltätigkeiten

Hat der Rechtsanwalt nicht den vollen Auftrag erhalten, sondern wird für den Antragsteller nur im Rahmen von Einzeltätigkeiten tätig, gilt:

aa) Soll der Rechtsanwalt nur die sog. Einstellungsbeschwerde (§ 172 Abs. 1 StPO) einlegen, entsteht dafür die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Ziff. 1 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4301 Rn. 17; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn. 23, Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4301 Rn. 17). Soll der Rechtsanwalt die Einstellungsbeschwerde ((§ 172 Abs. 1 StPO) ggf. (auch) begründen, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV RVG. Ist er mit der Beistandsleistung im Einstellungsbeschwerdeverfahren beauftragt, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Ziff. 3 VV RVG (Hartung in: Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 4301 VV Rn. 27).

Hinweis:

Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht nicht zusätzlich (OLG Köln RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287 = AGS 2007, 452).

Hinsichtlich der Frage, welche Gebühren entstehen, wenn dieser Rechtsanwalt von vornherein gleichzeitig mit der Beschwerdeeinlegung und -begründung beauftragt wird bzw. die Aufträge nacheinander erteilt werden, gelten die allgemeinen Regeln (vgl. dazu oben die Ausführungen bei III, 2 a). Es handelt sich jeweils um selbständige Angelegenheiten (Hartung/Schons/Enders/Hartung, Nr. 4301 VV Rn. 29). Es gilt über Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG § 15 Abs. 6 RVG.

bb) Erhält der Rechtsanwalt den Auftrag, den Antragsteller nach einer erfolglosen Einstellungsbeschwerde auch im eigentlichen Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO zu vertreten, entsteht dafür eine Verfahrensgebühr Nr. 4301 Ziff. 5 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4301 VV Rn. 17; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV Vorb. 4.3. Rn. 24; Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn. 27). Diese Verfahrensgebühr deckt im Verfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO sämtliche vom Rechtsanwalt erbrachte Tätigkeiten ab. Das können sein Erstellung, Unterzeichnung und Einreichung des Klageerzwingungsantrags, Beratung des Antragstellers im weiteren Verfahren und sonstige Beistandsleistungen, wie z.B. bei gerichtlichen Ermittlungen (Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn. 27; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn. 26). Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht auch in diesem Fall nicht zusätzlich (OLG Köln RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287 = AGS 2007, 452).

Die Verfahrensgebühr Nr. 4301 Ziff. 5 VV RVG kann, wenn der Rechtsanwalt zunächst auch mit der Einstellungsbeschwerde beauftragt war (vgl. dazu IV 1 b aa), neben der der Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 1 VV RVG entstehen. Es handelt sich um unterschiedliche Angelegenheiten i.S. des § 15 RVG (Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4301 Rn. 16 m.w.N.). Über Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG gilt § 15 Abs. 6 RVG. In jeder Angelegenheit kann dann auch die Nr. 7002 VV RVG entstehen (vgl. die Anm. zu Nr. 7022 VV RVG).

Erhält der Rechtsanwalt später den vollen Auftrag, den Antragsteller im Strafverfahren zu vertreten, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 4 RVG. Die für die Einzeltätigkeit erhaltenen Gebühren werden angerechnet (vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.3 VV Rn. 39).

2. Rechtsanwalt des Beschuldigten 

Für den Rechtsanwalt des Beschuldigten im Klageerzwingungsverfahren gilt:

a) Voller Auftrag

Hat der Rechtsanwalt von vorneherein den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zu verteidigen, gilt Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4301 VV Rn. 17; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn. 23). Der Rechtsanwalt ist dann (Voll)Vertreter eines Verletzten/Nebenklägers und rechnet nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG ab. Für ihn entstehen die Gebühren, die auch für den Vertreter des Antragstellers entstehen, wenn ihm der volle Auftrag erteilt ist (vgl. dazu o. IV, 1 a).

b) Einzeltätigkeit

Erhält der Rechtsanwalt nicht den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren als Verteidiger zu verteidigen, sondern soll er im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO nur Beistand leisten, entsteht für diese Beistandsleistung nur die Verfahrensgebühr Nr. 4301 Ziff. 5 VV RVG (Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4301 VV Rn. 17; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV Vorb. 4.3. Rn. 25; Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn. 27). Die Verfahrensgebühr deckt sämtliche vom Rechtsanwalt im Verfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO für den Beschuldigten erbrachte Tätigkeiten ab. Das können sein Abgabe einer Erklärung nach § 173 Abs. 2 StPO oder sonstige Beistandsleistungen, wie z.B. bei gerichtlichen Ermittlungen (Hartung/Schons/Enders/Hartung, Nr. 4301 VV Rn. 27; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn. 26). Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG entsteht nicht zusätzlich (OLG Köln RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287 = AGS 2007, 452). Erhält der Rechtsanwalt später den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Strafverfahren zu verteidigen, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 4 RVG. Die für die Einzeltätigkeit erhaltenen Gebühren werden angerechnet (vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.3 VV Rn. 39).

V. Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach §§ 23 ff. EGGVG

1. Abrechnung nach Teil 3 VV RVG

Bei der Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach den §§ 23 ff. EGGVG handelt es sich gebührenrechtlich um „ähnliche Verfahren“ i.S. der Überschrift zu Teil 3 VV RVG (OLG Zweibrücken StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140= StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116). Für die hat das RVG in Teil 6 VV RVG keine besondere Regelung getroffen. Die Abrechnung erfolgt daher nach Teil 3 VV RVG.

Hinweis:

In den Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG kann nach § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO PKH gewährt werden.

2. Zusätzliche Gebühren

Die Gebühren, die der Rechtsanwalt nach Teil 3 VV RVG für seine Tätigkeit im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG verdient, entstehen zusätzlich zu den Gebühren, die ggf. für die Tätigkeit im Strafverfahren nach Teil 4 VV RVG entstehen. Darauf hat ausdrücklich das OLG Zweibrücken (vgl. StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140= StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116) für das Verfahren betreffend die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG hinsichtlich betäubungsmittelabhängiger Straftäter abgerechnet hingewiesen. Es ist nur konsequent diese Rechtsprechung auf andere §§ 23 ff.-EGVG-Verfahren als solche aus dem Bereich der Strafvollstreckung entsprechend anzuwenden. Das bedeutet: Der Rechtsanwalt erhält ggf. als Verteidiger die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG und für den Antrag nach den § 23 ff. EGGVG die Gebühren nach Teil 3 VV RVG.

3. Gebühren des Teil 3 VV RVG

Für die Tätigkeit im Verfahren nach den § 23 ff. EGGVG entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV i.V.m. Vorbem. 3.1 VV RVG (OLG Zweibrücken StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140= StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116). Diese Verfahrensgebühr entsteht nach Vorbem. 3.2 VV RVG für das „Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“. Diese Formulierung entspricht der aus Teil 4 Abs. 2 VV RVG, so dass auf die allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr verwiesen werden kann (Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 33 ff.).  Die Verfahrensgebühr deckt also sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Verteidigers im Zusammenhang mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ab. Dazu gehören die Informationserteilung ebenso wie die Vorbereitung, Fertigung und Erstellung des Antrags. Auch die Entgegennahme der Entscheidung des OLG und deren Besprechung mit dem Mandanten werden von der Gebühr erfasst (Burhoff/Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz und ähnliche Verfahren, Rn. 1446).

Hinweis:

Endigt der Auftrag, bevor der Rechtsanwalt den Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG eingereicht hat, gilt Nr. 3101 VV RVG. Der Gebührensatz reduziert sich auf 0,8.

In den Nrn. 3104 ff. VV RVG sind zwar Terminsgebühren vorgesehen. Diese können jedoch in den §§ 23 ff. EGGVG-Verfahren nicht entstehen, da das OLG nach § 29 Abs. 2 EGGVG i.V.m. §§ 304 ff. StPO ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Die Höhe der Verfahrensgebühr richtet sich nach dem Gegenstandswert. Insoweit gilt § 30 Abs. 3 EGGVG. Dieser verweist auf § 30 KostO verweist. Der Gegenstandswert wird damit grds. nach freiem Ermessen bestimmt. I.d.R. beträgt der Gegenstandswert 3.000,00 €. Er kann je nach Lage des Falls niedriger oder höher festgesetzt werden, darf jedoch die Grenze von 500.000,00 € nicht überschreiten.

Hinweis:

Der Gegenstandswert wird vom OLG festgesetzt. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 30 Abs. 3 S. 2 KostO).

VI. Abrechnung einer Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG)

Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Straf- oder Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit Verfahrensverzögerungen im Hinblick auf die sog. Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG erbringt (vgl. dazu Burhoff StRR 2012, 4; ders., VRR 2012, 44; ders., ZAP F. 22, S. 591), haben folgende gebührenrechtlichen Auswirkungen:

1. Voller Auftrag

Ist der Rechtsanwalt Vollverteidiger i.S. von Teil 4 Abschnitt 1 bzw. Teil 5 Abschnitt 1 VV RVG, sind besondere Gebühren für seine Tätigkeiten nicht vorgesehen. Diese werden vielmehr von der jeweiligen Verfahrensgebühr abgegolten (vgl. Burhoff StRR 2012, 4; ders.; VRR 2012, 44). Das gilt insbesondere für die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG. Es handelt sich bei diesen Tätigkeiten um „Betreiben des Geschäfts“ i.S. der Vorbem. 4 Abs. 2 bzw. Vorbem. 5 Abs. 2 VV RVG).

2. Einzeltätigkeit

Ist der Rechtsanwalt nicht (Voll)Verteidiger, sondern nur mit der Erhebung der Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG beauftragt, entsteht für diese Einzeltätigkeit im Strafverfahren die Nr. 4302 Ziff. 2 VV RVG und im Bußgeldverfahren die Nr. 5200 VV RVG. Es gelten die allgemeinen Regeln (vgl. oben III, 2).

3. Entschädigungsprozess

Kommt es nach Abschluss des Straf- oder Bußgeldverfahrens zum Entschädigungsprozess (vgl. Burhoff StRR 2012, 4; ders., VRR 2012, 44; ders., ZAP F. 22, S. 591), gelten für diesen die allgemeinen Regeln. D.h., dass die Abrechnung nach Teil 3 VV RVG erfolgt. Abgerechnet wird nach Teil 3 Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 VV RVG, also nach den besonderen erstinstanzlichen Verfahren. Nach § 3 Abs. 1 S. 3 RVG werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet (eingehend zur Abrechnung des Entschädigungsprozesses H. Schneider AGS 2012, 53).


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