aus RVGreport 2015, 82
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG im Bußgeldverfahren
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster /Augsburg
Wir haben in RVGreport 2015, 3. ff. und 42 ff. über die zusätzliche Verfahrensgebühr/Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG berichtet, die der Verteidiger für seine Mitwirkung an der Vermeidung einer Hauptverhandlung im Strafverfahren verdienen kann. Die Parallelvorschrift für das Bußgeldverfahren ist in Nr. 5115 VV RVG enthalten. Die nachfolgenden Ausführungen stellen die Besonderheiten bzw. Abweichungen dieser Regelung vor.
Die Nr. 5115 VV RVG hat - ebenso wie die Nr. 4141 VV RVG im Strafverfahren das Ziel, auch im Bußgeldverfahren intensive und zeitaufwendige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung führen, wodurch die Justiz und die Staatskasse entlastet werden, gebührenrechtlich zu honorieren (vgl. im burhoff in Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Nr. 5115 VV Rn. 1; Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Die Vorschrift entspricht teilweise mit Ausnahme der Fälle der Nr. 5115 VV RVG (vgl. dazu unten IV) - weitgehend der Nr. 4141 VV RVG für das Strafverfahren. Das hat zur Folge, dass die Ausführungen zu Nr. 4141 VV RVG entsprechend gelten und zur Auslegung und Erläuterung der bußgeldrechtlichen Befriedungsgebühr ergänzend herangezogen werden können. Das gilt auch hinsichtlich der Gebührenhöhe; auch die Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG ist eine Festgebühr (vgl. dazu Burhoff 2015, 3, 8 und Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 60 f.).
Die Gebühr Nr. 5115 VV entsteht für den Wahlanwalt und den ggf. gerichtlich bestellten oder beigeordneten (Pflicht-) Verteidiger. Im Fall der Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG gilt die Vorschrift auch für die Rücknahme der Rechtsbeschwerde durch einen Nebenbeteiligten. Für diesen gelten nach Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG die Vorschriften des Teil 5 VV RVG entsprechend (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn. 2 ff.).
Die Nr. 5115 VV RVG entsteht auch noch, wenn zuvor wegen derselben Tat ein Strafverfahren stattgefunden hat, das eingestellt worden ist. Nach § 17 Nr. 10b RVG sind Strafverfahren und sich anschließendes Bußgeldverfahren unterschiedliche Angelegenheiten i:S. des § 17 RVG (vgl. Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Das hat zur Folge, dass in jeder Angelegenheit eigenständige Gebühren entstehen (können). Dazu gehört dann auch die Nr. 5115 VV RVG. Das bedeutet, dass dann, wenn zuvor ein Strafverfahren eingestellt und an die Bußgeldbehörde abgegeben worden ist, die dann das Bußgeldverfahren ebenfalls einstellt, der Verteidiger für die Mitwirkung an dieser Einstellung die Nr. 5115 VV RVG verdient (zum Anfall der Nr. 4114 VV RVG in diesen Fällen s. Burhoff RVGreport 2015. 3 ff.; s. auch das Beispiel bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 8).
Voraussetzung für das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG ist, dass sich durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Insoweit ist die Vorschrift ebenso formuliert wie die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4114 VV RVG für das Strafverfahren. Das bedeutet, dass auf die Ausführungen zu Nr. 4141 VV RVG bei Burhoff RVGreport 2015, 3 ff. verwiesen werden kann. Das gilt sowohl für den Umfang der anwaltlichen Mitwirkung, als auch für die Frage der Ursächlichkeit, der Fortwirkung einer Mitwirkung aus früheren Verfahrensabschnitten und der Umkehr der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Mitwirkung.
Auch für die Mitwirkungstätigkeiten des RA im Bußgeldverfahren gelten die allgemeinen Regeln, so das verwiesen wird auf Burhoff RVGreport 2015 3, 4 m.w.N.. Besonders ist hinzuweisen auf:
In den folgenden Fallgestaltungen ist eine anwaltliche Mitwirkung verneint worden:
Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG regelt den Fall der nicht nur vorläufigen Einstellung des Bußgeldverfahrens. Wann die Einstellung erfolgt ist unerheblich. Es gelten die Ausführungen bei Burhoff RVGreport 2015, 3 ff. entsprechend. Die Einstellung kann also sowohl im Verwarnungsverfahren, im vorbereitenden Verfahren vor der Verwaltungsbehörde, im Zwischenverfahren (§ 69 OWiG) als auch noch im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszugs beim AG oder beim OLG oder im Verfahren über die Rechtsbeschwerde beim OLG bzw. beim BGH erfolgen. Unerheblich ist auch, ob im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde die Staatsanwaltschaft oder die Verwaltungsbehörde das Verfahren einstellen. Entscheidend ist allein, dass die Einstellung rechtzeitig vor Beginn einer ggf. terminierten Hauptverhandlung erfolgen muss. Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist unerheblich, ob die Rechtsbeschwerde bereits zugelassen ist. Die Gebühr entsteht auch, wenn die Einstellung im Verfahren auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) erfolgt (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 16).
In Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG wird ebenso wie Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG eine nicht nur vorläufige Einstellung des Verfahrens vorausgesetzt. Gemeint ist also auch im OWi-Verfahren nicht eine prozessual endgültige Einstellung, sondern diejenige, bei der Verwaltungsbehörde oder Gericht subjektiv von einer endgültigen Einstellung ausgegangen sind (wegen der Einzelheiten Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Erforderlich ist die vollständige Einstellung des Verfahrens. Die Gebühr kann wie auch die Nr. 4114 VV RVG im Laufe des Verfahrens mehrfach anfallen (vgl. dazu Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.; AG Düsseldorf AGS 2010, 224 m. zust. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 301 = StRR 2010, 359 = RVGprofessionell 2010, 82; N. Schneider AGS-Kompakt 2011, 19; ders., DAR 2011, 488, 493; ders., DAR 2013, 431, 432; unzutreffend a.A. AG Lemgo AGS 2012, 335 = = RVGreport 2012, 346 = StRR 2012, 439).
In Folgenden Einstellungsfällen findet die Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG Anwendung bei §§ 46 Abs. 1 OWiG, 170 Abs. 2 Satz 1 StPO, bei §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154 StPO, bei §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO (AG Magdeburg Rpfleger 2000, 154; AnwKomm-RVG/N.Schneider, VV 5115 Rn. 37; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4141 Rn. 7; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 16), bei § 47 OWiG.
Keine Anwendung findet die Regelung bei §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154d Satz 1 StPO, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 154f, 205 StPO, und zwar auch dann nicht, wenn das Verfahren nicht wieder aufgenommen wird (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 25), bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft zur Übernahme des Verfahrens wegen des Verdachts einer Straftat nach § 41 OWiG, da mit der Abgabe keine Einstellung verbunden ist (s. auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 21; zum Übergang vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rdn. 41 f.; zu allem Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 16).
Für die Mitwirkung des Verteidigers gelten keine Besonderheiten, so dass auf die Ausführungen oben unter III. 2. und bei Burhoff RVGreport 2015, 3 ff. m.w.N. verwiesen werden kann. Es reicht jede Tätigkeit des RA, die geeignet ist zur Einstellung des Verfahrens beizutragen.
Auch im Bußgeldverfahren steht dem Anfall der Verfahrensgebühr Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG nicht entgegen, dass bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. Es ist nicht auf einen ersten Hauptverhandlungstermin abzustellen, sondern darauf, dass durch die Einstellung überhaupt ein Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird. Auf die Ausführungen bei Burhoff RVGreport 2015, 3 ff., 42 ff. und auf Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 21 kann verwiesen werden.
Nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 2 VV RVG verdient der Verteidiger die zusätzliche Verfahrensgebühr, wenn er den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurücknimmt. Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 2 VV RVG gilt, wie sich aus der Regelung in Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG ergibt, nur für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 5115 Rn. 11; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 23). Das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde dauert bis zum Eingang der Akten beim Gericht (s. Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 5.1.2 Abs. 1 VV Rn. 6 ff.). Dieses Verfahren muss sich durch die Rücknahme des Bußgeldbescheides erledigen. Wird der Einspruch nach Eingang der Akten bei Gericht, also im gerichtlichen Verfahren, zurückgenommen, gilt Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 23).
Für den Begriff der Rücknahme kann auf die entsprechend geltenden Ausführungen bei Nr. 4141 VV RVG zur Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl verwiesen werden. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr ist also, dass der RA den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid insgesamt zurücknimmt und damit das Verfahren insgesamt erledigt ist (vgl. LG Bad Kreuznach, RVGreport 2011, 226 AGS 2011, 435 = = StRR 2011, 282für die teilweise Nichteröffnung im Strafverfahren). Die Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ist im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde nicht fristgebunden. Er kann auch noch unmittelbar vor Eingang der Akten bei Gericht zurückgenommen werden. Sind die Akten dort allerdings bereits eingegangen, greift Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG ein (vgl. auch AG Viechtach zfs 2005, 577).
Für die Mitwirkung des Verteidigers gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. oben II.). Es sind also keine besonders hohen Anforderungen an die Mitwirkung des Verteidigers zu stellen. Die Rücknahme des Einspruchs nach Rücksprache mit dem Betroffenen reicht aus (LG Duisburg RVGreport 2006, 230 = AGS 2006, 234 für Berufung; AG Charlottenburg VRR 2007, 199; AG Wiesbaden AGS 2003, 545).
Ds RVG hat in Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG eine zusätzliche Verfahrensgebühr für den Fall eingeführt, dass der Verteidiger gegen einen neuen Bußgeldbescheid, der von der Bußgeldbehörde erlassen worden ist, nachdem sie den ursprünglichen Bußgeldbescheid zurückgenommen hat, nicht (wieder) Einspruch einlegt. Für die Mitwirkung des Verteidigers gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Es werden also keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden. Voraussetzungen für das Entstehen der Gebühr ist aber, dass nach Erlass des neuen Bußgeldbescheides insgesamt auf einen erneuten Einspruch verzichtet werden muss (Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 5115 Rn. 15). Wird der neue Bußgeldbescheid auch nur teilweise angegriffen, wie, z.B. hinsichtlich der festgesetzten Rechtsfolgen entsteht die Gebühr der Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG nicht. Das Verfahren ist dann gerade nicht insgesamt erledigt, sondern muss wegen der Rechtsfolgen noch fortgesetzt werden (vgl. das Beispiel bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 30).
Nach dem Wortlaut erfasst die Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG ausdrücklich nur den Fall, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde nach Einspruch zurückgenommen wird. Vom Wortlaut nicht erfasst ist also, dass die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid ohne Einspruch zurücknimmt. Diesen Fall wird man aber, zumindest wenn die Einspruchsfrist noch läuft, entsprechend behandeln müssen. Er wäre in unnötige Förmelei (s. AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 59), wenn man für das Entstehen der Gebühr verlangen würden, dass der RA zuvor erst noch Einspruch einlegen müsste (s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 32). Die Vorschrift ist im Übrigen m.E. auch dann entsprechend anzuwenden, wenn es dem RA in Verhandlungen mit der Verwaltungsbehörde gelingt, dass von vornherein ein Bußgeldbescheid erlassen wird, gegen den kein Einspruch eingelegt wird. Auch das führt zu einer Abkürzung des Verfahrens und zu einer Entlastung sowohl bei den Verwaltungsbehörden als auch bei den Gerichten (vgl. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 5115 Rn. 16; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 33 mit Beispiel bei Rn. 34). Eine entsprechende Anwendung der Nr. 3 kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde nach Einspruchseinlegung und Rücknahme des Einspruchs, keinen neuen Bußgeldbescheid erlässt, sondern die Festsetzung nur eines Verwarnungsgeldes anbietet, was vom Betroffenen/Verteidiger akzeptiert wird. Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 3 gebieten diese entsprechende Anwendung. Erfasst werden sollen durch sie gerade die Fälle, in denen nach Einspruchseinlegung durch eine neue vom Betroffenen/Verteidiger akzeptierte Entscheidung der Verwaltungsbehörde das Bußgeldverfahren endgültig erledigt wird (Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 Rn. 35).
Nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG verdient der RA/Verteidiger eine zusätzliche Verfahrensgebühr, wenn er im gerichtlichen Verfahren den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurücknimmt. Für den Begriff der Rücknahme gelten die allgemeinen Ausführungen entsprechend. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr ist also, dass der RA den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid insgesamt zurücknimmt und damit das Verfahren insgesamt erledigt ist (vgl. oben II, 1 b und Burhoff RVGreport 2015, 3, ff., 42 ff.). Auch für die Mitwirkung des Verteidigers gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. oben II. und Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Es sind also auch hier keine besonders hohen Anforderungen an die Mitwirkung des Verteidigers zu stellen. Die Rücknahme des Einspruchs nach Rücksprache mit dem Betroffenen reicht aus (LG Duisburg RVGreport 2006, 230 = AGS 2006, 234 für Berufung; AG Wiesbaden AGS 2003, 545).
Die Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid (erst) im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszugs ist fristgebunden, wenn bereits ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt worden ist. Der Einspruch muss dann zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen werden (zur Fristberechnung eingehend AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 67 ff.; N. Schneider, DAR 2007, 671). Auf die Ausführungen bei Burhoff RVGreport 2015, 42 ff. zur Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wird verwiesen. Im Rechtsbeschwerdeverfahren kommt eine Rücknahme des Einspruchs nicht mehr in Betracht (Göhler/Seitz, OWiG, § 71 Rn. 6 f. m.w.N.). Die zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht auch dann, wenn bereits ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden hat und dann noch der Einspruch zurückgenommen wird (vgl. oben IV, 1 d). Hat der Verteidiger die 2-Wochen-Frist versäumt, kann ggf. ein Verlegungsantrag helfen. Denn wird auf diesen hin der Hauptverhandlungstermin verlegt, gilt eine neue 2-Wochen-Frist bezogen auf eine neu terminierte Hauptverhandlung (AG Wiesbaden AGS 2005, 553; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 82; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 32).
Im Rechtsbeschwerdeverfahren verdient der Verteidiger nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG die zusätzliche Verfahrensgebühr, wenn er die Rechtsbeschwerde zurücknimmt und es daher nicht (mehr) zu einer Hauptverhandlung im Rechtsbeschwerdeverfahren kommt. Die Gebühr entsteht auch, wenn im Zulassungsverfahren der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückgenommen wird. Mit dem Zulassungsantrag ist automatisch vorsorglich Rechtsbeschwerde eingelegt (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Wird der Zulassungsantrag zurückgenommen, enthält dieser dann auch die Rücknahme der (vorsorglich eingelegten) Rechtsbeschwerde (Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 41). Im Rechtsbeschwerdeverfahren kann im Übrigen auch die Gebühr nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG (vgl. oben IV, 1) entstehen, wenn das OLG ohne dass die Rechtsbeschwerde zurückgenommen worden ist das Verfahren nicht nur vorläufig einstellt.
Für den Begriff der Rücknahme gelten die allgemeinen Ausführungen bei IV, 2 und die dortigen Verweisungen entsprechend. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühr ist, dass der RA die Rechtsbeschwerde insgesamt zurücknimmt und damit das Verfahren insgesamt erledigt ist. Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Rechtsfolgen löst also die zusätzliche Gebühr nicht aus (Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 Rn. 33). Auch für die Mitwirkung des Verteidigers gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. oben. II und Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Geht es um die Rücknahme der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, muss der Verteidiger an deren Rücknahme mitgewirkt haben. Das ist z.B. der Fall, wenn er Ausführungen macht, die zur Förderung einer Verfahrenseinstellung geeignet erscheinen, worauf dann die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zurücknimmt (LG Stralsund RVGreport 2005, 272 = AGS 2005, 442).
Auch die Rücknahme der Rechtsbeschwerde ist, wenn bereits ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt worden ist, fristgebunden. Der Einspruch muss zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen werden. Es gelten insoweit die Ausführungen bei IV, 3 entsprechend.
Ist ein Hauptverhandlungstermin nicht anberaumt, kann die Rechtsbeschwerde bis zum Ende des Rechtsbeschwerdeverfahrens, das mit der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts endet, zurückgenommen werden. An weitere Voraussetzungen ist das Entstehen der Gebühr nicht geknüpft (vgl. zur vergleichbaren Problematik bei der Rücknahme der Revision Burhoff RVGreport 2015, 42 ff.). Es ist also auch Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG insbesondere nicht einschränkend dahin auszulegen, dass die Gebühr im Rechtsbeschwerdeverfahren nur entstehen kann, wenn ausnahmsweise eine Hauptverhandlung anberaumt worden ist. Die a.A. in der Rechtsprechung (i.d.R. zu Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 3 VV RVG) ist nicht zutreffend (so auch Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 VV Rn. 46). Die Problematik stellt sich im Übrigen allerdings nur dann, wenn das AG durch Urteil und nicht gem. § 72 OWiG nur durch Beschluss entschieden hat. Denn nur bei einer amtsgerichtlichen Urteilsentscheidung kann gem. § 79 Abs. 5 Satz 2 OWiG das Rechtsbeschwerdegericht überhaupt durch Urteil aufgrund einer Hauptverhandlung entscheiden (s. auch LG Verden, Beschl. v. 7. 4. 2008 1 Ws 218/07).
In Rechtsprechung und Literatur ist bisher nicht die Konstellation behandelt, dass der RA/Verteidiger gegen ein in Abwesenheit seines Mandanten ergangenes amtsgerichtliches Urteil, durch das dessen Einspruch verworfen worden ist (§ 74 Abs. 2 OWiG), nicht nur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 74 Abs. 4 OWiG), sondern vorsorglich Rechtsbeschwerde einlegt, diese dann aber zurücknimmt, wenn dem Mandanten nach § 74 Abs. 4 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
Beispiel:
Der Betroffene bleibt in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung unentschuldigt aus. Das AG verwirft seinen Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG. Gegen das Verwerfungsurteil wird gem. § 74 Abs. 4 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und außerdem Rechtsbeschwerde eingelegt. Kurz vor Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist erkundigt sich der Verteidiger beim AG, ob dem Betroffenen ggf. Wiedereinsetzung gewährt wird. Nachdem der Amtsrichter das zusagt, nimmt er die Rechtsbeschwerde zurück.
Lösung:
Entstanden sein dürfte eine Nr. 5113 VV RVG, wenn der Verteidiger im Rechtsbeschwerdeverfahren mehr Tätigkeiten erbracht hat als nur die Einlegung der Rechtsbeschwerde. Denn die gehört nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG gebührenrechtlich noch zur ersten Instanz beim AG. Das Entstehen der Nr. 5115 VV RVG ist jedoch fraglich. Das dürfte sowohl aus § 342 StPO folgen, der im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend angewendet wird (vgl. Göhler/Seitz, OWiG, § 74 Rn. 49 m.w.N.) als auch daraus, dass die Rechtsbeschwerde gegenstandslos wird, wenn Wiedereinsetzung gewährt wird.
Nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG erhält der RA/Verteidiger eine zusätzliche Gebühr auch dann, wenn er der Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht widerspricht und so eine Hauptverhandlung entbehrlich macht. Zwar würde die allgemeine Formulierung der Nr. 5115 VV RVG bereits die Zusatzgebühr auslösen, der Gesetzgeber hat sich jedoch 2004 aus Gründen der Klarstellung für die ausdrückliche Regelung entschieden (vgl. dazu BT-Drucks. 15/1971, S. 230).
Für die Mitwirkung des Verteidigers gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. oben und Burhoff RVGreport 2015, 3 ff.). Es sind also auch hier keine hohen Anforderungen an die Mitwirkung des Verteidigers zu stellen.
Die Gebühr entsteht, wenn das AG im Beschlusswege nach § 72 OWiG entscheiden kann. Das ist nur möglich, wenn weder die Staatsanwaltschaft noch der Betroffene dieser Verfahrensweise widersprechen (vgl. auch LG Düsseldorf, AGS 2010, 601 = VRR 2010, 440 = RVGprofessionell 2010, 212). Macht der Verteidiger Einwendungen gegen das Verfahren geltend und kommt es deshalb zur Hauptverhandlung, greift Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV grds. nicht ein. Die Vorschrift gilt nicht, wenn das Rechtsbeschwerdegericht nach § 79 Abs. 5 OWiG im Beschlusswege entscheidet (AG Düsseldorf RVGreport 2014, 232 = AGS 2014, 180 = VRR 2013, 276 = DAR 2014, 433). Die Gebühr entsteht auch, wenn der Übergang in das Beschlussverfahren nach einem bereits durchgeführten und ausgesetzten Hauptverhandlungstermin erfolgt (LG Cottbus zfs 2007, 529; AG Dessau AGS 2006, 240; AG Köln AGS 2007, 621 = NZV 2007, 637; AG Saarbrücken AGS 2010, 20).
Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG dient - ebenso wie die übrigen Fälle der Nr. 5115 VV RVG - der Förderung der außergerichtlichen Erledigung des Verfahrens und der Vermeidung einer Hauptverhandlung. Das bedeutet, dass der Verteidiger die Gebühr nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG immer dann verdient, wenn das Gericht aufgrund des Verhaltens des Verteidigers die Möglichkeit hat, im Beschlusswege zu entscheiden und dadurch eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Das kann sein (s. auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 5115 Rn. 88; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 5115 Rn. 22; Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 5115 Rn. 53): ein zulässiger Verzicht des Verteidigers auf die Möglichkeit des Widerspruchs, die Rücknahme eines zunächst erklärten Widerspruchs, da diese bindend ist und dem Gericht die Möglichkeit gibt, nun im Beschlusswege zu entscheiden, ein verspäteter Widerspruch, wenn das Gericht diesen zum Anlass nimmt, im Beschlusswege zu entscheiden (vgl. dazu Göhler/Seitz, OWiG, § 72 Rn. 44), nach Sinn und Zweck der Vorschrift und unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG, wenn der Betroffene/der Verteidiger nach einem verspäteten Widerspruch gegen den daraufhin vom Gericht erlassenen Beschluss nicht mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 OWiG vorgeht.
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