aus RVGreport 2014, 410
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
Manche Streitfragen gibt es schon lange und man kann dagegen anschreiben, so viel man will. Es ändert sich nichts, sie tauchen immer wieder auf. Das macht müde, manchmal sogar auch ärgerlich, aber man schreibt, wenn man eine weitere (Fehl-)Entscheidung gefunden hat, dann doch wieder. Denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und man hofft immer, dass sich vielleicht irgendwann in der Rechtsprechung dann doch etwas bewegt. So geht es mit der Problematik der Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hat, dieses dann aber vor Begründung wieder zurücknimmt. Dazu hat sich jüngst noch einmal das LG Köln geäußert. Dessen Beschluss v. 14. 3. 2014,RVGreport 2014, 360 = StRR 2014, 256) soll Anlass sein, noch einmal auf die Problematik einzugehen.
Ausgangspunkt der Diskussion ist i.d.R. etwa folgende Fallgestaltung: Der Angeklagte wird in einem Strafverfahren frei gesprochen oder nicht so bzw. nicht zu der Strafe verurteilt, wie es sich die Staatsanwaltschaft (StA) vorgestellt hat. Die StA legt gegen das Urteil Rechtsmittel Berufung oder Revision ein. Das Rechtsmittel nimmt sie dann später jedoch vor Begründung wieder zurück. In der daraufhin ergehenden Kostenentscheidung werden der Landeskasse dann auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten im (Rechtsmittel-)Verfahren auferlegt. Die Verteidiger rechnen dann ab und machen auch eine Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, also entweder die nach Nr. 4142 VV RVG für das Berufungsverfahren oder die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG für das Revisionsverfahren geltend.
Und an der Stelle setzt dann meist der Streit ein. I.d.R. wird diese Verfahrensgebühr nicht gewährt. Die Begründung läuft über die §§ 464 Abs. 2, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, wonach der Angeklagte nur den Ersatz seiner notwendigen Auslagen verlangen kann. Das bedeute, dass nur solche anwaltlichen Tätigkeiten vergütet würden, die zur Rechtsverfolgung prozessual erforderlich gewesen seien. Und dass sei nicht der Fall, da die StA ihr Rechtsmittel nicht begründet und ggf. sogar noch vor Ablauf einer etwa nach § 345 Abs. 1 StPO laufenden Begründungsfrist - zurückgenommen habe. Für anwaltliches Handeln habe keine Notwendigkeit bestanden. Alle Erörterungen der Sache mit dem Mandanten und sonstige Tätigkeiten seien in diesem Verfahrensstadium überflüssig und für die Wahrung der Interessen des Angeklagten ohne jeden objektiven Wert (vgl. dazu z.B. die Begründung KG, Beschl. v. 25. 7. 2008 1 Ws 262/08). Diese Argumentation ist m.E. aber unzutreffend, zumal gerade in diesem Bereich auch Fragen des Entstehens der Verfahrensgebühr mit Fragen der Erstattungsfähigkeit verwechselt werden.
Bevor man sich der Frage der Erstattungs-/Festsetzungsfähigkeit der (Rechtsmittel-)Verfahrensgebühr in diesen Fällen zuwendet, ist auf zwei Voraussetzungen hinzuweisen, die erfüllt sein müssen, wenn der RA/Verteidiger die Verfahrensgebühr überhaupt geltend machen können soll.
Für das Entstehen der Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren gelten die allgemeinen Regeln. Der RA erhält die Verfahrensgebühren Nrn. 4124, 4130 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts im Rechtsmittelverfahren (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG; wegen der allgemeinen Einzelh. zur Verfahrensgebühr Burhoff , RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Vorbem. 4 VV RVG Rn. 32 ff.). Durch die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren werden also alle Tätigkeiten des RA im jeweiligen Berufungs- oder Revisionsverfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Besondere Gebühren sind insbesondere die Terminsgebühren für einen Hauptverhandlungstermin (Nrn. 4126 f., 4132 f. VV RVG).
Erfasst werden von diesen Verfahrensgebühren alle ab Auftragserteilung im Rechtsmittelverfahren bis zum Abschluss der Rechtsmittelinstanz vom RA erbrachten Tätigkeiten. Auf den Erhalt oder die Kenntnis von dem Rechtsmittel der StA kommt es nicht an, da entscheidend für das Entstehen der anwaltlichen Gebühr der Auftrag des Mandanten ist (AnwKomm-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2013, Nr. 4124 4125 VV RVG Rn. 5 für die Berufung). Die Verfahrensgebühr entsteht, wenn der RA erstmals nach Auftragserteilung für den Mandanten im Rechtsmittelverfahren tätig ist. Das muss nicht eine nach außen erkennbare Tätigkeit sein. Die Beratung des Mandanten über das Rechtsmittelverfahren genügt (a.A. offenbar KG RVGreport 2006, 352 = StraFo 2006, 432 = AGS 2006, 375; RVGreport 2010, 351 = JurBüro 2010, 599 = VRR 2010, 479 jew. für den vergleichbaren Fall in der Revisionsinstanz; OLG Koblenz NStZ 2007, 423 = Rpfleger 2006, 670; LG Koblenz JurBüro 2009, 198; LG Verden VRR 2012, 323LS,; s. auch LG Köln RVGreport 2007, 224 = StraFo 2007, 305 = AGS 2007, 351 =).
Der Umfang der zu erstattenden Kosten richtet sich auch im Rechtsmittelverfahren nach § 464a StPO. Zu den zu erstattenden Kosten gehört m.E. grds. auch die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG bzw. Nr. 4130 VV RVG, wenn die Berufung oder Revision der StA vor Begründung zurückgenommen wird. Denn mit der ersten nach Auftragserteilung vom RA erbrachten Tätigkeit ist für den RA die jeweilige (Rechtsmittel-)Verfahrensgebühr entstanden (vgl. oben III.).
Diese ist dann auch erstattungsfähig i.S.d. §§ 473 Abs. 2 Satz 1, 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 ZPO. Der Angeklagte hat nämlich ab Einlegung der Berufung durch die StA Handlungs- und Beratungsbedarf, z.B. über den weiteren Gang des Verfahrens usw. Dieser hängt nicht etwa von der Begründung der Berufung oder Revision ab (BGH, BRAGOreport 2003,53 (Hansens) = NJW 2003, 756 für Zivilsachen; OLG Stuttgart StV 1998, 615; LG Dresden, Beschl. v. 23.5. 2011 3 Qs 75/07; LG Heidelberg StV 1998, 607; LG Münster AGS 2003, 314; LG Düsseldorf 8. 7. 2003 XVII Qs 47/03; AG Iserlohn StraFo 2011, 530 = VRR 2012, 160 = StRR 2012, 160; so auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O. Nrn. 4124 4125 VV RVG Rn. 16 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 21. Aufl., Einl. Nrn. 4124, 4125 VV RVG Rn. 6; Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl., Nrn. 4124, 4215 VV RVG Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, § 464a Rn. 10 [i.d.R.]; eingehend auch Volpert/Schönemann, BRAGOprofessionell 2003, 150, 151 f.).
A.A. sind z.B. unter Hinweis darauf, dass eine solche - offensichtlich sinnlose - Tätigkeit keinen Erstattungsanspruch auslöst, das KG (RVGreport 2006, 352 = StraFo 2006, 432 = AGS 2006, 375; RVGreport 2010, 351 = JurBüro 2010, 599 = VRR 2010, 479; Beschl. v. 19. 5. 2011 1 Ws 168/10 für die Nr. 4124 VV RVG ), das OLG Düsseldorf (JurBüro 1981, 229), das OLG Hamm (MDR 1978, 586), das OLG Koblenz (NStZ 2007, 423 = Rpfleger 2006, 670), das OLG München (JurBüro 1977, 490) und verschiedene LG (vgl. z.B. Bochum JurBüro 2007, 38 m. abl. Anm. Madert; LG Cottbus JurBüro 2007, 416 m. abl. Anm. Madert; LG Karlsruhe 20.10.2010 3 Qs 97/09 KO; LG Koblenz JurBüro 2009, 198; LG Köln RVGreport 2007, 224 = StraFo 2007, 305 = AGS 2007, 351 ; JurBüro 2011, 307 für Berufung des Nebenklägers; RVGreport 2014, 360 = StRR 2014, 256).
Zur Begründung der o.a. Ansicht, die die Erstattungsfähigkeit bejaht, ist auf Folgendes hinzuweisen: Ob eine Beratungstätigkeit sinnvoll oder sinnlos - jedenfalls nicht völlig zwecklos -- ist, darf nicht nur aus streng prozessualer Sicht beurteilt werden, sondern muss auch die Situation des Angeklagten und dessen subjektives Beratungsbedürfnis einbeziehen (s. auch OLG Stuttgart StV 1998, 615). Nachdem der Angeklagte erfahren hat, dass die StA ein Rechtsmittel eingelegt hat egal, ob Berufung oder Revision- hat der Angeklagte ein berechtigtes Interesse daran, wenigstens grundsätzlich und allgemein über die Folgen dieses Rechtsmittels der StA, und zwar auch die Möglichkeit der lediglich vorsorglichen Einlegung, informiert zu werden. Dem Verteidiger, der entsprechend um Rat gefragt wird, kann nicht zugemutet werden, eine Auskunft, selbst wenn diese zunächst nur der "Beruhigung" des Mandanten dienen sollte, abzulehnen oder sogar kostenlos durchzuführen (OLG Stuttgart, a.a.O.; vgl. aber KG RVGreport 2012, 187 = JurBüro 2012, 471 = StRR 2011, 387 = VRR 2011, 398, jew. m. abl. Anm. Burhoff und auch LG Köln RVGreport 2014, 360 = StRR 2014, 256). Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich auch nicht mehr um sog. Abwicklungstätigkeiten der Vorinstanz, die noch mit der dort gewährten Verfahrensgebühr abgegolten wären (vgl. dazu für das Zivilrecht OLG Karlsruhe AGS 2009, 19). Die Tätigkeiten des RA sind nach Einlegung und Beginn des jeweiligen Rechtsmittelverfahrens erbracht und werden daher von der Rechtsmittel-Verfahrensgebühr erfasst.
Der Verteidiger wird i.d.R. auch aus der Hauptverhandlung und aus dem dort im Plädoyer der StA gestellten Schlussantrag ableiten können, welches Ziel die StA mit ihrer Berufung oder Revision verfolgt, sodass er nicht etwa auf die Zustellung der Rechtsmittelbegründung der StA angewiesen ist, um mit dem Mandanten das Ziel des Rechtsmittels der StA besprechen zu können (s. aber KG RVGreport 2006, 352 = StraFo 2006, 432 = AGS 2006, 375; KG, Beschl. v. 19. 5. 2011 1 Ws 168/10).
In dem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die StA nach Nr. 148 RiStBV nur ausnahmsweise vorsorglich Rechtsmittel einlegen darf (Hartung/Schons/Enders, Nrn. 4124, 4215 VV RVG Rn. 11; vgl. dazu aber auch KG RVGreport 2012, 187 = JurBüro 2012, 471 = VRR 2011, 397 = StRR 2011, 387). Der Angeklagte muss also davon ausgehen, dass ein von der StA eingelegtes Rechtsmittel auch durchgeführt werden wird (s. auch Nr. 148 Ziff. 3 RiStBV; a.A. offenbar LG Bochum, a.a.O.).
Kommt es zum Streit mit dem Rechtspfleger um die Erstattungsfähigkeit Rechtsmittelgebühren im Rahmen der Festsetzung der Wahlanwaltsvergütung, oder mit dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wegen der Festsetzung der gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers, sollte der Verteidiger folgende Argumente für die Erstattung der Berufungsgebühr (nach Volpert/Schönemann BRAGOprofessionell 2003, 152 und Burhoff, a.a.O., Nr. 4124 VV RVG Rn. 32) vortragen:
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