aus ZAP 2025, 43
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
Inhaltsverzeichnis
II. Allgemeines zu den Bemessungskriterien des § 14 Abs. 1 RVG 2
III. Umfang der anwaltlichen Tätigkeit 2
IV. Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit 4
V. Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit 4
VI. Vermögensverhältnisse des Mandanten. 5
VII. Einkommensverhältnisse des Mandanten. 5
X. Grundlage der anwaltlichen Abwägung. 6
2. Exkurs: Bußgeldverfahren. 7
XI. Bestimmung der anwaltlichen Gebühr 7
2. Verbindlichkeit der anwaltlichen Bestimmung. 8
a) Allgemeine Bindungswirkung. 8
c) Verbindlichkeit der Bestimmung gegenüber der Staatskasse. 8
d) Verbindlichkeit gegenüber einem ersatzpflichtigen Dritten. 9
XII. Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer 9
§ 14 Abs. 1 RVG regelt, wie der Rechtsanwalt, der Satz- oder Betragsrahmengebühren erhält, die Höhe seiner Gebühr im Einzelfall bestimmt. Hier ist nicht der Raum, alle mit § 14 RVG zusammenhängenden Fragen darzustellen. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf die richtige Bemessung der (angemessenen) Rahmengebühren. Wegen weiterer Einzelheiten zu § 14 RVG wird verwiesen auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1747 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Volpert/Bearbeiter, RVG]). Die Begriffe Mittel-, Mindest- und Höchstgebühr werden als bekannt vorausgesetzt.
Die Vorschrift des § 14 RVG hat im Strafverfahren für den Wahlverteidiger erhebliche Bedeutung, da er i.d.R. Betragsrahmengebühren erhält (zum Gebührensystem des RVG Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 983). Für den Pflichtverteidiger ist die Vorschrift i.d.R. nicht von Bedeutung, da er Festbetragsgebühren verdient. Mittelbar Bedeutung hat die Vorschrift aber, wenn der freigesprochene Angeklagte gem. § 464a StPO Erstattung seiner Auslagen aus der Staatskasse verlangt, da diesem, auch wenn ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet war, ein Anspruch auf Erstattung der Wahlanwaltsgebühren zusteht (Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 1336 ff., Rn 2360 ff.). Die Vorschrift hat für den Pflichtverteidiger außerdem dann Bedeutung, wenn es um die Anrechnung von Vorschüssen und Zuzahlungen nach § 58 Abs. 3 RVG geht (dazu die Kommentierung zu § 58 Abs. 3 RVG bei Burhoff/Volpert/Volpert, RVG).
Grundlage der Bestimmung der angemessenen Gebühr sind die in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG aufgeführten Kriterien. Die Aufzählung ist allerdings nicht abschließend. Auch andere Umstände können bei der Bestimmung der Gebühr berücksichtigt werden. Das ergibt sich aus der Formulierung vor allem (AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, § 14 Rn 23). Fraglich ist, wie andere als die in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG erwähnten Umstände bei der Gebührenbestimmung zu bewerten sind (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1758 f.).
Die in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG angeführten Bemessungskriterien sind bei der Bemessung der Wahlanwaltsgebühren nicht nur einmal heranzuziehen und danach dann für die Bemessung anderer Gebühren verbraucht. Vielmehr sind alle Gebühren unter jeweiliger Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG angeführten Kriterien zu bemessen. Es spielt also die Schwierigkeit der Sache nicht nur ggf. bei der Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, sondern auch bei den Verfahrensgebühren und etwaigen Terminsgebühren eine Rolle (offenbar a.A., aber unzutreffend, LG Ravensburg, Beschl. v. 5.3.2015 2 Qs 27/15 jug, RVGreport 2015, 174 m. abl. Anm. Burhoff, StRR 2015, 198).
Bei der Gebührenbestimmung bleiben allgemeine Erwägungen unberücksichtigt (s. auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 26). Das gilt in Strafsachen insb. für die Tätigkeit des Nebenklägervertreters (LG Koblenz, Beschl. v. 25.5.2011 3 Qs 29/11, JurBüro 2011, 480). Bei ihm kann nicht grds. von einem geringeren Gebührenrahmen ausgegangen werden, weil er nur neben der Staatsanwaltschaft tätig wird (die vergleichbaren Überlegungen in OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 2 (s) Sbd 5 122798, AGS 1998, 138 = StV 1998, 618 für die Pauschvergütung des Pflichtverteidigers, der neben dem federführend verteidigenden Wahlanwalt verteidigt hat; zu den Verteidigergebühren bei der Nebenklage OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.4.2012 III-2 Ws 67/12, JurBüro 2012, 358 = RVGreport 2013, 232; OLG Koblenz, Beschl. v. 15.9.2004 1 Ws 562/04, NJW 2005, 917 [BRAGO]; LG Rottweil, Beschl. v. 15.3.2007 3 Qs 39/07, AGS 2007, 505 [zugleich auch zur Festsetzung der Höchstgebühr für den Nebenklägervertreter]). Das folgt auch daraus, dass Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG den Verteidiger und den Nebenklägervertreter gleichbehandelt und nicht etwa unterschiedliche Gebührenrahmen festsetzt. Auch beim Nebenklägervertreter ist daher grds. von der Mittelgebühr auszugehen (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 30).
Mit dem Kriterium Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist vor allem der zeitliche Aufwand gemeint, den der Rechtsanwalt/Verteidiger auf die Führung des Mandats verwendet hat (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 32; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1765). Dazu zählen nicht nur die Zeiten, die der Verteidiger faktisch an bzw. in der Sache gearbeitet hat, sondern auch der nutzlos erbrachte Aufwand. Dass das RVG den nutzlos erbrachten Aufwand auf jeden Fall berücksichtigen will, ergibt sich aus Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG und der dort bestimmten Terminsgebühr für einen geplatzten Termin (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 93 ff.). Der Zeitdauer kommt insb. bei der Bemessung der Terminsgebühr erhebliche Bedeutung zu, ist aber nicht alleiniges Bemessungskriterium (u.a. KG, Beschl. v. 24.11.2011 1 Ws 113 - 114/10, RVGreport 2012, 391 = AGS 2012, 392; OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.2.2021 1 Ws 41/21, AGS 2021, 272; LG Cottbus, Beschl. v. 20.1.2022 24 KLs 34/20, AGS 2022, 113; s. im Übrigen die Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 78).
Zu berücksichtigen sind auch mandatsbezogene Tätigkeiten von Personen, die nicht in § 5 RVG erwähnt sind (zu § 5 RVG Burhoff/Volpert/Bearbeiter, RVG Teil A Rn 2550 ff.; inzidenter auch OLG Köln, Urt. v. 17.10.2012 I-17 U 7/12, AGS 2013, 268 = JurBüro 2013, 469). Grund dafür ist die Überlegung, dass dann, wenn sich der Rechtsanwalt nicht dieser Mitarbeiter bedienen würde, der von ihm selbst erbrachte Zeitaufwand höher sein würde.
Vorab: Für die Anwendung der nachfolgenden Aufzählung ist von Bedeutung, dass es sich nur um eine allgemeine Aufzählung handelt. Die Umstände, die für die Bemessung der Gebühr von Bedeutung sind, sind jeweils von der Gebühr abhängig, um deren Bemessung es geht. So ist z.B. die Dauer eines Hauptverhandlungstermins bei der Bemessung der gerichtlichen Verfahrensgebühr ohne Belang. Die Dauer eines Hauptverhandlungstermins hat nur bei der Terminsgebühr Gewicht. Grundsätzlich kann ein Kriterium aber mehrfach zur Gebührenbemessung herangezogen werden.
Im Einzelnen können für das Kriterium Umfang der anwaltlichen Tätigkeit von Bedeutung sein (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1769): (lange) Anfahrtszeiten zum Gericht oder sonstigen Orten, Akteneinsicht/Umfang der Akten (z.B. OLG München, Beschl. v. 30.1.2017 4c Ws 5/17, RVGreport 2017, 231; LG Aachen, Beschl. v. 3.1.2020 67 KLs 18/17, JurBüro 2020, 298 = RVGreport 2020, 303; LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304), Aktenstudium, Erstellen einer Anhörungsrüge (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 RVG), Anträge auf gerichtliche Entscheidung (dazu Burhoff, AGS 2023, 487), Anzahl der Zeugen, Anzahl von Anträgen, die gestellt bzw. vorbereitet wurden, Auswertung von Fachliteratur, auch zu nicht juristischen Fragen, Auswertung von Sachverständigengutachten, Beratung über Rechtsmittel, Besprechungen mit dem Mandanten und anderen Verfahrensbeteiligten, ggf. Besuche in der Justizvollzugsanstalt (s. aber Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG), Dauer der Hauptverhandlung bei der Terminsgebühr und außergerichtlichen Terminen (z.B. Nr. 4102 Nr. 2 VV RVG), Durchführung von Beschwerdeverfahren (§ 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10a RVG; dazu Burhoff, AGS 2023, 241 m.w.N. aus der Rspr.), Erörterungen des Standes des Verfahrens im Hinblick auf eine Verständigung nach § 257c StPO (§§ 160b, 202a, 212 StPO), Gespräche mit Sachverständigen und/oder Zeugen, Pausen während der Hauptverhandlung, Verständigungsgespräche (§ 257c StPO; dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 2522), Wartezeiten vor Beginn der Hauptverhandlung (zu Wartezeiten Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 44 ff. u. Nr. 4100 VV Rn 15 ff.), Wiedereinsetzungsanträge.
Nicht (mindernd) zu berücksichtigen sind: Freispruchplädoyer des Staatsanwalts (LG Karlsruhe, Beschl. v. 6.12.2023 16 Qs 57/23, AGS 2024, 158; AG Bensheim, Beschl. v. 4.12.2007 52 Ds 130 Js 19869/05, NZV 2008, 108; LG München I, Beschl. v. 26.5.1982 7 Qs 37/82 423, JurBüro 1982, 1182; wie hier auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 34), Kenntnis der Sache aus erster Instanz im Rechtsmittelverfahren (a.A. für Berufungsverfahren LG Flensburg, Beschl. v. 22.3.1984 I Qs 73/84, JurBüro 1984, 1039; wie hier AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 34), Tätigkeit von mehreren Verteidigern nebeneinander, da jeder sich voll einarbeiten muss (OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 2 (s) Sbd 5 122798, AGS 1998, 138 = StV 1998, 618), der Umstand, dass sich der Mandant nicht auf freiem Fuß bzw. in Haft befunden hat, da das bereits über Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG beim Gebührenrahmen Berücksichtigung findet.
Bei der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit geht es um die qualitativen Anforderungen an die Arbeit des Verteidigers in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Diese spiegeln sich in der Intensität der Tätigkeit des Verteidigers wider (LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304 für Vertretung des Nebenklägers in einem Verfahren, in dem der Beschuldigte Vorwürfe gegen den Nebenkläger erhebt). Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann sich je nach Instanz unterschiedlich beurteilen. So kann ein Verfahren in erster Instanz rechtlich und tatsächlich schwierig sein. Wird dann ein auf den Strafausspruch beschränktes Rechtsmittel eingelegt, können diese Schwierigkeiten entfallen mit der Folge, dass sie bei der Bemessung der Gebühren für die Rechtsmittelinstanz keine Rolle mehr spielen.
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hat i.d.R. immer auch Auswirkungen auf den Umfang (dazu s.o. unter III.2.). Es wird aber durch die Beiordnung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit indiziert (LG Kiel, Beschl. v. 11.1.2016 6 Qs 2/16, RVGreport 2016, 335; ähnlich LG Magdeburg, Beschl. v. 24.8.2023 25 Qs 273 Js 5753/22 (49/23), AGS 2023, 498).
Für die Frage der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kommt es darauf an, ob es sich um eine generell schwierige Sache gehandelt hat; entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Unerheblich ist, ob der konkret tätig gewordene Verteidiger individuell über die erforderlichen Spezialkenntnisse verfügt hat und die Sache für ihn deshalb nicht schwierig war (zutreffend OLG Jena, Beschl. v. 2.2.2005 9 Verg 6/04, RVGreport 2005, 145; SG Marburg, Beschl. v. 26.3.2008 S 12 KA 1429/05, AGS 2008, 451 = RVGreport 2008, 181; LSG NRW, Beschl. v. 24.8.2017 L 7 BK 6/17 B, RVGreport 2017, 449 für sozialrechtliche Verfahren). Anderenfalls würde der Verteidiger, der sich ggf. spezialisiert hat, gegenüber dem Allgemeinanwalt benachteiligt. Der Einsatz von Spezialkenntnissen ist also auch zugunsten des Spezialisten anzuerkennen (OLG Köln, Beschl. v. 19.3.2015 I-5 W 7/15, AGS 2015, 373 für Arzthaftungsrecht). Die Qualifikation des Verteidigers als Fachanwalt für Strafrecht ist gebührenneutral. Sie kann weder zu einer Senkung der konkreten Gebühr führen noch zu einer Erhöhung (AG Düsseldorf, Urt. v. 18.2.2014 20 C 3087/13, RVGreport 2014, 226 für Fachanwalt für Verkehrsrecht im Bußgeldverfahren; AG München, Urt. v. 26.10.2006 191 C 33490/05, AGS 2007, 81). Allerdings kann die Inanspruchnahme eines Fachanwalts ein Indiz für die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sein (AG Tempelhof-Kreuzberg, Urt. v. 26.6.2007 7 C 162/06, AGS 2008, 325 = JurBüro 2007, 485 [für arbeitsgerichtliches Verfahren]).
Eine schwierige Tätigkeit ist gegeben, wenn der Schwierigkeitsgrad aus besonderen Gründen sei es aus rechtlichen, sei es aus tatsächlichen über dem Normalfall liegt. Die Schwierigkeit muss allerdings nicht erheblich sein. Es reicht bei der Anwendung von § 14 Abs. 1 S. 1 RVG aus, wenn die Sache etwas verwickelter als üblich ist. Allerdings wird man die allgemeinen Anhaltspunkte, die die Rspr. für die Beurteilung einer Sache als besonders schwierig i.S.v. §§ 42, 51 RVG (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 26 ff.) aufgestellt hat, auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG heranziehen können. Dabei muss aber immer berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine besonders schwierige Tätigkeit des Rechtsanwalts/Verteidigers gehandelt haben muss.
Bei der Bewertung der Bedeutung der Angelegenheit ist auf die individuelle Bedeutung für den Mandanten abzustellen (OLG Celle, Beschl. v. 27.5.2020 2 Ws 161/20, RVGreport 2020, 311 = JurBüro 2020, 523 [Nebenklagevertreter]; OLG Schleswig, Beschl. v. 2.2.2017 1 Ws 11/17 (23/17), RVGreport 2017, 173; LG Essen, Beschl. v. 8.9.2015 57 Qs-29 Js 894/14-117/15, RVGreport 2015, 457; LG Hechingen, Beschl. v. 21.5.2019 3 Qs 31/19, RVGreport 2019, 376; LG Ravensburg, Beschl. v. 22.5.2022 1 Qs19/22, AGS 2022, 304). Die Bedeutung für den Verteidiger ist ebenso unerheblich wie die Bedeutung für die Allgemeinheit. Unzutreffend ist es, davon auszugehen, dass eine besondere Bedeutung der Angelegenheit (für den Mandanten) sich nur dann erhöhend auf die Rahmengebühr auswirken könne, wenn sich diese auch in einem erhöhten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts niederschlägt (so aber OLG Rostock, Beschl. v. 18.1.2017 20 Ws 21/17, RVGreport 2017, 130 = NStZ-RR 2017, 126).
Auf folgende Bedeutungskriterien ist hinzuweisen (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1776 ff. m.w.N. aus der Rspr.): Von Bedeutung sind persönliche und wirtschaftliche Interessen des Mandanten (z.B. OLG Dresden, Beschl. v. 16.9.2014 3 Ws 27/14; LG Koblenz, Beschl. v. 20.2.2014 2 Qs 1/14, RVGreport 2014, 264; LG Ravensburg, Beschl. v. 22.5.2022 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304, jeweils für einen Nebenkläger). Auch die (Bewährungs-)Frage bzw. die Frage nach der Aussetzungsfähigkeit einer Freiheitsstrafe spielt eine Rolle (LG Koblenz, Beschl. v. 23.7.2009 1 Qs 132/09, JurBüro 2010, 34; Beschl. v. 30.3.2010 9 Qs 10/10, JurBüro 2010, 475; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.1.2024 12 Qs 80/23, StraFo 2024, 119 = AGS 2024, 156) bzw. ggf. der Umstand, dass der Widerruf der Strafaussetzung einer zweijährigen Freiheitsstrafe droht. Es sind insb. auch berufliche Auswirkungen von erheblichem Belang. Das gilt insb., wenn der Ausgang des Verfahrens über die berufliche Existenz des Mandanten entscheidet (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.10.2012 III-3 RVGs 48/11, RVGreport 2013, 54 [bislang unbescholtener Mandant, der einen Handyladen in exponierter Lage in einer deutschen Großstadt betrieb]; auch LG Hechingen, Beschl. v. 21.5.2019 3 Qs 31/19, RVGreport 2019, 376). Eine solche Situation kann vorliegen, wenn dem Mandanten (Berufskraftfahrer) bei einem Entzug der Fahrerlaubnis der Verlust des Arbeitsplatzes droht (LG Saarbrücken, Beschl. v. 7.11.2012 2 Qs 40/12, RVGreport 2013, 53) oder er als Beamter bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr mit der automatischen Entlassung aus dem Staatsdienst oder mit Disziplinarmaßnahmen rechnen muss (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 42 m.w.N.). Übersehen werden dürfen im Übrigen nicht gesellschaftliche Auswirkungen oder der Umstand, dass das Straf-/Bußgeldverfahren nicht selten Präjudiz für nachfolgende Schadensersatzverfahren ist (LG Bochum, Beschl. v. 15.10.2009 3 Qs 230/09). Schließlich kann auch ein erhebliches Medieninteresse (gebührenerhöhend) von Bedeutung sein (OLG Dresden, Beschl. v. 16.9.2014 3 Ws 27/14 für den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs; OLG Hamm, Beschl. v. 4.3.2002 2 (s) Sbd 6-197-201/01, Rpfleger 2002, 480; Beschl. v. 11.1.2001 2 (s) Sbd 6 235/00, AGS 2002, 229 für Pauschgebühr).
Bei der Beurteilung der Vermögensverhältnisse des Mandanten ist auszugehen von den durchschnittlichen Vermögensverhältnissen in der BRD. Das bedeutet, dass der übliche Hausrat und ein kleineres Sparguthaben auf jeden Fall als normal anzusehen sind. Demgegenüber rechtfertigen überdurchschnittliche Vermögensverhältnisse des Mandanten, z.B. umfangreicher (unbelasteter) Grund- und Aktienbesitz, eine Erhöhung der Gebühren. Unterdurchschnittliche Vermögensverhältnisse führen hingegen zu einer Gebührenminderung (zu Minderjährigen Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1783).
Auch bei den Einkommensverhältnissen ist von den durchschnittlichen (Einkommens-)Verhältnissen in Deutschland auszugehen. Die jeweils gültigen Angaben können unter https://de.statista.com abgefragt werden. Überdurchschnittliche Verhältnisse des Mandanten rechtfertigen eine Erhöhung der Gebühren, unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse führen hingegen zu einer Gebührenminderung (dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.10.1999 1 Ws 753/99, JurBüro 2000, 359); insoweit handelt es sich um eine soziale Komponente bei der Bestimmung der anwaltlichen Gebühr (LG Neuruppin, Beschl. v. 19.4.2012 21 Qs 4/12). Überdurchschnittliche Verhältnisse liegen i.d.R. aber noch nicht vor, wenn der Angeklagte Eigentümer eines Einfamilienhauses und einer Eigentumswohnung ist (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.1.2014 1 Ws 254/13, RVGreport 2014, 103 = AGS 2014, 251).
Zu den in § 14 Abs. 1 RVG ausdrücklich genannten Kriterien zählt schließlich ggf. ein (besonderes) Haftungsrisiko des Rechtsanwalts/Verteidigers (§ 14 Abs. 1 S. 2 u. 3 RVG). Zu berücksichtigen ist bei (Betrags-)Rahmengebühren nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG jedes Haftungsrisiko. Denn anders als bei Wertgebühren findet dieses Kriterium sonst keinen Eingang in die Gebührenbestimmung, da kein Streitwert vorliegt, der die Höhe der Gebühr beeinflussen könnte (dazu BT-Drucks 15/1971, S. 189; a.A. LG Potsdam, Beschl. v. 12.11.2014 24 Qs 97/14, NStZ-RR 2015, 63 = JurBüro 2015, 133; wegen weiterer Einzelheiten Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1789).
In dem Zusammenhang der Prüfung sonstiger Kriterien hat die Frage Bedeutung, ob auch die Kostenstruktur des Büros des Verteidigers bzw. eine ggf. unterbliebene Anpassung der Gebühren zu berücksichtigen ist. Insoweit gilt: Das wird in der Lit. zum Teil bejaht (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 26. Aufl. 2023, § 14 Rn 40). Dem wird man zustimmen können. Denn wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten, die mit der eigentlichen anwaltlichen Tätigkeit in keinem Zusammenhang stehen, bei der Gebührenbemessung von Belang sind, ist es in der Tat nicht einzusehen, warum dann nicht auch die jeweilige Kostenstruktur in einem Rechtsanwaltsbüro berücksichtigt werden kann/muss (zur Berücksichtigung der Kostenstruktur der Anwaltspraxis bei der Beurteilung der Angemessenheit eines vereinbarten Stundensatzes OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.11.2021 24 U 355/20, AGS 2022, 165). Eine unterbliebene Anpassung der Gebühren kann m.E. aber kein Bemessungskriterium sein. Entscheidend für die Bestimmung sind die Umstände des Einzelfalls. Darum handelt es sich bei dem Umstand aber gerade nicht (auch OLG München, Beschl. v. 24.9.2003 11 WF 1419/03, RVGreport 2004, 31 [sachfremde Erwägung]; abl. ebenfalls AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 57).
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt seine angemessene Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände. Die Bestimmung wird (nur) vom billigem Ermessen und dem Betragsrahmen begrenzt (u.a. KG, Beschl. v. 9.8.2005 3 Ws 59/05, StV 2006, 198 = AGS 2006, 73).
Nach h.M. muss der Rechtsanwalt bei der Abwägung von der Mittelgebühr ausgehen (u.a. KG, a.a.O.; KG, Beschl. v. 24.11.2011 1 Ws 113 114/10, AGS 2012, 392; LG Aachen, Beschl. v. 26.5.2021 60 Qs 18/21, JurBüro 2021, 628; LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304; LG Wuppertal, Beschl. v. 23.1.2020 23 Qs 280/19, RVGreport 2020, 221). Die Mittelgebühr gilt für die durchschnittlichen/normalen Fälle der Strafverteidigung. Das ist z.B. angenommen worden für ein Verfahren mit den Vorwürfen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort, mit einer Hauptverhandlung von weit mehr als einer Stunde, der Anhörung mehrerer Zeugen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers und einem vorbelasteten Angeklagten mit drohender erheblicher Fahrerlaubnissperre (z.B. LG Zweibrücken, Beschl. v. 13.1.2012 Qs 131/11, JurBüro 2012, 247 = AGS 2012, 392) oder für ein Verfahren mit zwei Angeklagten und zwei Hauptverhandlungsterminen, die 35 Minuten und 43 Minuten gedauert haben und in den zwei Zeugen vernommen worden sind (AG Kleve, Beschl. v. 16.5.2012 32 Cs 105 Js 596/11 298/11). Zum anderen werden auch die Fälle erfasst, bei denen einzelne Umstände durchschnittlich, andere hingegen überdurchschnittlich bzw. unterdurchschnittlich sein können. Hier kann bei den vom Normalfall abweichenden Umständen eine Kompensation in Betracht kommen. Diese Umstände heben sich dann ggf. gegenseitig auf (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 63 ff.; dazu u.a. LG Aachen, Beschl. v. 26.5.2021 60 Qs 18/21, JurBüro 2021, 628; LG Heilbronn, Beschl. v. 21.3.2022 8 Qs 12/22, Rpfleger 2022, 482; LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304).
Die Mindestgebühr ist nur dann gerechtfertigt, wenn sämtliche Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG unterdurchschnittlich sind (LG Zweibrücken, Beschl. v. 14.6.2010 Qs 33/10, RVGreport 2010, 377). In Ausnahmefällen kann allerdings auch bereits ein einzelner Umstand so erheblich unterdurchschnittlich sein, dass allein schon deshalb nur die Mindestgebühr geltend gemacht werden kann, beispielsweise bei nur ganz geringem zeitlichen Umfang der Tätigkeit des Verteidigers, wenn sich z.B. das Mandat unmittelbar nach Auftragserteilung erledigt hat (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 67; z.B. LG Hamburg, Beschl. v. 18.5.2020 628 Qs 10/20, AGS 2020, 273 = RVGreport 2020, 296; LG Detmold, Beschl. v. 15.5.2018 23 Qs 36 Js 536/16, RVGreport 2019, 73).
Die Höchstgebühr kommt vor allem in Betracht, wenn zumindest mehrere Umstände überdurchschnittlich sind. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass alle Umstände überdurchschnittlich sind (LG Aachen, Beschl. v. 3.1.2020 67 KLs 18/17, JurBüro 2020, 298 = RVGreport 2020, 303; [inzidenter] LG Hechingen, Beschl. v. 29.5.2020 3 Qs 43/20 für die Nr. 4124 VV RVG; so aber wohl OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.1.2014 1 Ws 254/13, RVGreport 2014, 103 = AGS 2014, 251; LG Osnabrück, Beschl. v. 26.9.1994 20 Ks VI 7/92, JurBüro 1995, 83). Mit der Gewährung der Höchstgebühr tun sich die Gerichte i.d.R. schwer (Rspr. zu Höchstgebühr bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1804).
Diese Grundsätze gelten grds. auch im Bußgeldverfahren. Dazu ist allerdings in der Vergangenheit zur BRAGO in der Rechtsprechung weitgehend die Auffassung vertreten worden, dass straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren gegenüber anderen Bußgeldverfahren grds. geringer/unterdurchschnittlich zu bewerten sind. Deshalb wurde meist die Festsetzung der sog. Mittelgebühr abgelehnt (die zahlreichen Rspr.-Nachw. zum alten Recht bei Gebauer/Schneider, BRAGO, § 105 Rn 146 ff.). Teilweise hat sich diese Rechtsprechung unter Geltung des RVG fortgesetzt (vgl. die zahlreichen Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 54). Das ist jedoch unzutreffend. Vielmehr ist auch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren davon auszugehen, dass grds. der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt und davon bei der Bemessung der konkreten Gebühr auszugehen ist (s. AnwKomm-RVG/N. Schneider, Vor VV Teil 5 Rn 54 ff.; Gerold/Schmidt /Burhoff, a.a.O., VV Einl. Teil 5 Rn 19; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 55 ff.; Burhoff, RVGreport 2007, 252; Jungbauer, DAR 2007, 56 ff.; dies., DAR 2014, 355, 356, die zutreffend darauf hinweist, dass der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien selbst bei Beispielen immer von der Mittelgebühr ausgeht; Hansens, RVGreport 2006, 210; dazu aus der Rechtsprechung u.a. LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 4.5.2023 6 Qs 56/23, AGS 2023, 398 = DAR 2023, 656; LG Heilbronn, Beschl. v. 21.3.2022 8 Qs 12/22, Rpfleger 2022, 482; LG Itzehoe, Beschl. v. 18.2.2021 2 Qs 209/20, AGS 2021, 155; AG Hamburg-Harburg, Beschl. v. 3.6.2021 621 OWi 128/21, AGS 2021, 302; AG Leipzig, Beschl. v. 7.8.2023 - 227 OWi 953/23, AGS 2023, 497, s.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn. 56 ff. u.a. zur Argumentation für den Ansatz der Mittelgebühr).
Der Rechtsanwalt/Verteidiger macht von seinem Recht zur Bestimmung der angemessenen Gebühr durch empfangsbedürftige Erklärung gegenüber dem Mandanten Gebrauch. Er muss dieses nicht ausdrücklich tun, vielmehr reicht die Abrechnung nach § 10 RVG (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 530 ff.). Es ist grds. nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt die geltend gemachte Höhe der Gebühren begründet. Die Begründung der Bestimmung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Allerdings wird sich eine kurze Begründung zumindest dann empfehlen, wenn von der Mittelgebühr nach oben abgewichen wird (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 79).
Die vom Verteidiger vorgenommene Bestimmung muss der Billigkeit entsprechen. Entspricht die Gebühr nicht dem billigen Ermessen, so ist sie nicht (mehr) hinnehmbar.
Hat der Verteidiger die angemessene Gebühr bestimmt, ist er an diese Bestimmung gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB gebunden, sobald die entsprechende Erklärung, i.d.R. die Kostennote, dem Mandanten zugegangen ist (u.a. BGH, Urt. v. 4.7.2013 IX ZR 306/12, NJW 2013, 3102; Urt. v. 29.10.2020 IX ZR 264/19, AGS 2021, 262; KG, Beschl. v. 21.1.2015 1 Ws 63/13, AGS 2015, 387; weitere Rspr.-Nachweise bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1809). Abweichen kann der Rechtsanwalt von der getroffenen Bestimmung nur ausnahmsweise, wenn er sich eine Abweichung ausdrücklich vorbehalten hat (Hansens, JurBüro 2024, 5; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 97). Die Gebührenbestimmung ist auch dann nicht bindend, wenn der Rechtsanwalt einen Gebührentatbestand übersehen hat oder wenn sich nachträglich wesentliche Änderungen hinsichtlich der für die Bestimmung des Gebührensatzes maßgeblichen Umstände ergeben haben, die bei Rechnungsstellung noch nicht bekannt gewesen sind (Hansens, a.a.O.). Nach Auffassung des OLG Celle (Beschl. v. 14.11.2019 3 Ws 323/19, RVGreport 2020, 55 m. abl. Anm. Burhoff = StraFo 2020, 173) soll es sich aber nicht um einen Fall des Übersehens handeln, wenn der Rechtsanwalt falsche Gebührentatbestände geltend gemacht hat, wie z.B. anstelle der Schwurgerichts- die Strafkammergebühren. Das ist m.E. nicht zutreffend, da diese Frage mit einer Ermessensausübung nichts zu tun hat (zur [bejahten] Nachfestsetzung aufgrund geänderter Rspr. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.6.2023 15 W 20/22, AGS 2024, 42 m. Anm. Hansens).
Dem Rechtsanwalt wird in der Frage der Bestimmung der Gebühr ein Ermessensspielraum zugebilligt. Solange er sich innerhalb dieses Bereichs bewegt, wird noch keine Unbilligkeit der Gebühr angenommen und keine Bestimmung durch Urteil (§ 315 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BGB) getroffen. Allerdings muss der Rechtsanwalt/Verteidiger das ihm zustehende Ermessen auch ausgeübt haben. Das ist nicht der Fall, wenn er nicht eine Ermessensbestimmung auf der Grundlage der Bemessungskriterien vorgenommen und sich nicht mit den maßgebenden Umständen des Einzelfalls auseinandergesetzt hat, sondern z.B. nur auf die von der Staatskasse für angemessen erachteten Gebühren 20 % aufgeschlagen hat (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1812 m.w.N.).
Der Ermessensspielraum bzw. die Toleranzgrenze wird von der wohl h.M. bei 20 % gesehen; insoweit ist die zu § 12 BRAGO angenommene Grenze zum RVG übernommen worden (aus der Lit. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1813; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 81 ff.; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 12 jeweils m.w.N.; aus der Rspr. u.a. BGH, Urt. v. 13.1.2011 IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 [Zivilverfahren]; Urt. v. 8.5.2012 VI ZR 273/11, AGS 2012, 221 = RVGreport 2012, 258; KG, Beschl. v. 9.8.2005 3 Ws 59/05, StV 2006, 198 = AGS 2006, 73; OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.2.2021 1 Ws 41/21, AGS 2021, 272).
Die vorstehenden Ausführungen gelten für die Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse entsprechend. Wird also die anwaltliche Vergütung aus der Staatskasse festgesetzt (§§ 55 ff. RVG), ist das Gericht bzw. der Rechtspfleger grds. an die Bestimmung der jeweiligen Gebühr durch den Verteidiger gebunden. Davon darf nur abgewichen werden, wenn die Bestimmung des Rechtsanwalts unbillig ist. Die Staatskasse ist Dritter i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 4 RVG (u.a. BGH, Beschl. v. 20.1.2011 V ZB 216/10, RVGreport 2011, 145; LG Hamburg, Beschl. v. 6.4.2022 628 Qs 19/21, AGS 2022, 404; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 7; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 80).
Als ersatzpflichtiger Dritter kommt im Strafverfahren insb. der Angeklagte gegenüber dem Nebenkläger bzw. auch der Nebenkläger gegenüber dem Angeklagten in Betracht, wenn dieser mit einem Rechtsmittel nicht erfolgreich war und deshalb gem. § 473 Abs. 1 StPO dem Angeklagten die diesem entstandenen Kosten erstatten muss. Auch die Rechtsschutzversicherung ist Dritter (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 93 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 7; AG Düsseldorf, Urt. v. 17.7.2013 30 C 9004/12; AG München, Urt. v. 18.10.2013 281 C 8692/13, DAR 2013, 733 = DAR 2021, 126; AG Tauberbischofsheim, Urt. v. 20.6.2014 1 C 58/14, RVGreport 2015, 63).
Nach § 14 Abs. 3 RVG ist im Rechtsstreit, wenn der Rechtsanwalt/Verteidiger Betrags- oder Satzrahmengebühren geltend macht, ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer (RAK) einzuholen, soweit die Angemessenheit der Bestimmung der Höhe der Gebühr streitig ist. Im Rahmen der Kostenfestsetzung gegenüber der Staatskasse muss, wenn die Höhe der Gebühren streitig ist, ein Gutachten nicht eingeholt werden (BFH, Beschl. v. 7.2.2012 VI B 139/11, RVGreport 2012, 340 m. Anm. Hansens; LG Mainz, Beschl. v. 8.6.2015 8 T 122/15, AGS 2015, 391; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 136; Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A Rn 1457 ff.). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 14 Abs. 3 S. 1 RVG beschränkt sich nämlich die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift auf die Fälle der Einholung eines Gutachtens der RAK durch das Gericht in einem Rechtsstreit über die Höhe der Rahmengebühr zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Damit sind die Anwendungsfälle auf Zivilstreitigkeiten zwischen Rechtsanwalt und Mandanten beschränkt. Fälle der Heranziehung durch die StA oder durch die Strafgerichte zur Gutachtenerstellung im Strafverfahren sind unabhängig von § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO davon nicht erfasst (OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.6.2023 1 Ws 12/23 (S), JurBüro 2023, 579).
Nach § 14 Abs. 3 RVG muss das Gutachten eingeholt werden, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist. Das bedeutet (auch AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 138 ff.; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 64 ff.): Streiten die Parteien im Gebührenrechtsstreit nur um den Grund des Anspruchs, während die Höhe der geltend gemachten Vergütung unstreitig ist, muss kein Gutachten eingeholt werden. Ist hingegen der Grund des Anspruchs unstreitig, die Höhe der Gebühren aber streitig, wird ein Gutachten eingeholt. Ob der Mandant substantiiert bestreitet, ist unerheblich (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 138). Ausreichend ist, dass er die Angemessenheit der Gebühren bestreitet.
Im Rechtsstreit bedarf es für die Einholung des Gutachtens keines Antrags der Parteien. Das Gutachten wird von Amts wegen eingeholt, da es immer eingeholt werden muss, wenn zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt/Verteidiger die Höhe der Gebühren streitig ist. In einem Verfahren gegen einen Rechtsschutzversicherer steht es dem Gericht frei, ohne Gutachten zu entscheiden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.2.2008 I-24 U 126/07, JurBüro 2009, 139; AG Saarbrücken, Urt. v. 16.11.2005 42 C 365/05, AGS 2006, 377; AG Stuttgart, Urt. v. 31.10.2007 14 C 5483/07, AGS 2008, 78).
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