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aus ZAP 2024, 1147

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Folgen des Ausbleibens des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung – Teil 2: Wartezeit, Entschuldigung, Rechtsmittel – ein Update

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

I. Allgemeines

§ 329 StPO erlaubt ggf. die Verwerfung der Berufung des in der Berufungshauptverhandlung nicht erschienenen Angeklagten. Voraussetzung ist, dass der ordnungsgemäß geladene Angeklagte zu Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins ausgeblieben ist und auch nicht zulässig durch einen Verteidiger vertreten wird (zu den damit zusammenhängenden Fragen Burhoff, ZAP 2024, 1027 ff.). Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit der Frage der sog. Wartezeit des Gerichts (vgl. dazu II.), den Entschuldigungsgründen für das Ausbleiben (s. III.) und den im Fall einer Verwerfung der Berufung zulässigen Rechtsmitteln (dazu IV.).

II. Wartezeit

Die Berufung des Angeklagten kann, wenn der Angeklagte ausgeblieben ist, nicht – die Zulässigkeit einer Verwerfung unterstellt (dazu Burhoff, ZAP 2024, 951 ff und III. 3) – unmittelbar nach Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins verworfen werden. Vielmehr muss das Gericht eine angemessene Zeit warten. Für die Wartezeit gelten auf der Grundlage der insoweit nach wie vor anwendbaren Rspr. zur Fassung des § 329 Abs. 1 StPO a.F., also vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ am 25.7.2015 (BGBl I, S. 1332) etwa folgende Grundsätze:

Angemessen dürfte eine Wartezeit von mindestens etwa (zehn bis) 15 Minuten sein (siehe z.B. VerfGH Berlin, Beschl. v. 12.12.2003 – 36/03, 36 A/03, NJW 2004, 1158; BayObLG, Beschl. v. 11.1.2024 – 3 StRR 3/24; KG, Beschl. v. 30.4.2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13), StV 2014, 12 [Ls.]; KG, Beschl. v. 10.3.2022 – 3 Ws (B) 56/22; OLG Bamberg, Beschl. v. 30.3.2012 – 3 Ss OWi 360/12, VRR 2012, 276; OLG Dresden, Beschl. v. 30.7.2021 – 3 OLG 22 Ss 246/21; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.2.2012 – 2 Ss-OWi 21/12, 2 Ss-OWi 21/12, NStZ-RR 2012, 258; OLG Hamm, Beschl. v. 3.3.2009 – 2 Ss 52/09, NStZ-RR 2009, 251; OLG Jena, Beschl. v. 29.8.2011 – 1 Ss Rs 86/11 (213), 1 Ss Rs 86/11, VRS 122, 227; OLG Köln, Beschl. v. 8.7.2013 – 2 Ws 354/13, StV 2014, 209 [Ls.]; Beschl. v. 5.2.2013, III – 1 RVs 12/1, StraFo 2013, 251; OLG Koblenz, Beschl. v. 10.6.1980 – 1 Ss 157/80, DAR 1980, 280; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.10.2016 – 1 OLG 1 Ss 74/16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 2024, § 329 Rn 13 m.w.N.; s. aber auch VerfGH Berlin, Beschl. v. 8.3.2000 – 121/98, NJW-RR 2000, 1451 [ggf. auch erheblich darüber hinaus für OWi-Verfahren]; OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.11.2021 – 1 Ws 425/21, StraFo 2022, 28). Die Wartezeit beginnt mit der angesetzten Terminszeit (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.1.2001 – 2b Ss 370/00 – 99/00 I, NStZ-RR 2001, 303; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.2.2012 – 2 Ss-OWi 21/12, NStZ-RR 2012, 258, unter Aufgabe von OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 17.10.2000 – 3 Ws 1049/00, NStZ-RR 2001, 85). In einer (späteren) Rechtsmittelbegründung muss die angesetzte Terminszeit vorgetragen werden (OLG Düsseldorf, a.a.O.).

Hinweis:

Diese Wartezeit kann (und muss) der Verteidiger nutzen, um sich zu erkundigen, wo der Angeklagte bleibt, ob er tatsächlich überhaupt nicht erscheint oder ob er sich nur verspätet.

Das Gericht muss nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens, und zwar auch bei unentschuldigtem Fernbleiben, länger warten, wenn die Verspätung angekündigt worden ist und/oder wenn Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Erscheinen bestehen (VerfGH Berlin, Beschl. v. 8.3.2000 – 121/98, NJW-RR 2000, 1451; BayObLG, Beschl. v. 11.1.2024 – 3 StRR 3/24; KG, Beschl. v. 10.3.2022 – 3 Ws (B) 56/22; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.5.2012 – (2) 53 Ss 60/12 (22/12), StraFo 2012, 270; Beschl. v. 7.3.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11), 1 Ws 19/11, StRR 2011, 345 [75 Minuten Verspätung]; OLG Hamm, Beschl. v. 16.5.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368; OLG Köln, Beschl. v. 2.9.1997 – Ss 485/97 (B) – 270 B, NZV 1997, 494; Beschl. v. 8.7.2013 – 2 Ws 354/13, StV 2014, 209 [Ls.]; Beschl. v. 5.2.2013, III-1 RVs 12/13, StraFo 2013, 251; OLG München, Beschl. v. 5.7.2007 – 4St RR 122/07, zfs 2007, 588; OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.11.2021 – 1 Ws 425/21, StraFo 2022, 28; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.1.2007 – 1 Ss 188/06, VRS 112, 122). Das gilt auch, wenn es die anderen Verfahrensbeteiligten eilig haben (KG, Beschl. v. 21.7.2016 – 3 Ws (B) 382/16, VRR 2/2017, 18 [für Bußgeldverfahren]). Ein Fall angekündigter Verspätung ist auch dann gegeben, wenn die Ankündigung nur die Geschäftsstelle, nicht aber den Richter erreicht. Dieser muss sich dort erkundigen (OLG Köln, Beschl. v. 5.2.2013 – III-1 RVs 12/13, StraFo 2013, 251 [für Verwerfungsurteil]). Der Verteidiger sollte daher auf jeden Fall das Gericht über eine Verspätung informieren. Das Gericht muss sich aber nicht auch noch bei der allgemeinen gerichtlichen Eingangsstelle erkundigen (OLG Bamberg, Beschl. v. 27.1.2009 – 2 Ss OWi 1613/2008, NStZ-RR 2009, 149; s. aber OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/07, NStZ-RR 2008, 86 [für einen vier Stunden vor der Hauptverhandlung eingegangenen Antrag]).

Hinweis:

Teilt der Verteidiger in der Wartezeit mit, dass der Angeklagte nicht fernbleiben wollte, er sich vielmehr, nachdem ihm der Termin in Erinnerung gebracht worden war, auf den Weg zum Gericht gemacht hat, kann/darf die Berufung nicht verworfen werden, bevor der Angeklagte überhaupt eingetroffen sein kann (OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.3.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11), 1 Ws 19/11, StRR 2011, 345 [75 Minuten Verspätung]; OLG Köln, Beschl. v. 5.2.2013, III-1 RVs 12/13, StraFo 2013, 251; OLG München, a.a.O.).

Längeres Warten ist auch dann erforderlich, wenn den Angeklagten an der Verspätung kein Verschulden trifft (KG, Beschl. v. 30.4.2013 – (4) 161 Ss 89/13 (86/13), StV 2014, 12 [Ls.]; Beschl. v. 21.7.2016 – 3 Ws (B) 382/16, VRR 2/2017, 18 [Stau]; OLG Hamm, Beschl. v. 3.3.2009 – 2 Ss 52/09, NStZ-RR 2009, 251; OLG Köln, Beschl. v. 8.7.2013 – 2 Ws 354/13, StV 2014, 209 [Ls., witterungsbedingte Verspätung]) bzw. auch dann, wenn der Vorsitzende dem nicht erschienenen Angeklagten durch den Verteidiger hat ausrichten lassen, er solle auf jeden Fall noch zum Gericht kommen. Dann muss zumindest so lange gewartet werden, wie mit dem Eintreffen des Angeklagten noch gerechnet werden kann (OLG Köln, Beschl. v. 13.1.2004 – Ss 547/03, StraFo 2004, 143). Die Verwerfung der Berufung kann in diesen Fällen auch nicht allein mit dem Hinweis auf die enge zeitliche Folgeterminierung am Verhandlungstag begründet werden (OLG München, Beschl. v. 26.8.2008 – 5St RR 167/08, wistra 2008, 480; ähnlich KG, a.a.O.). Auf ein etwaiges späteres Erscheinen eines mit einer völlig unzureichenden Entschuldigung der Verhandlung ferngebliebenen Angeklagten muss das Berufungsgericht aber grds. nicht warten (OLG Oldenburg, Urt. v. 26.1.2009 – Ss 472/08, NJW 2009, 1762).

III. Genügende Entschuldigung

Für die Verwerfung der Berufung ist außer dem Umstand, dass für den ausgebliebenen, aber ordnungsgemäß geladenen Angeklagten (Burhoff, ZAP 2024, 1027, 1028) auch ein Verteidiger mit Vertretungsvollmacht (Burhoff, a.a.O.) nicht erschienen ist, außerdem erforderlich, dass das Ausbleiben des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin „nicht genügend entschuldigt“ ist.

1. Grundsätze

Zur Frage der genügenden Entschuldigung lassen sich nachfolgende Grundsätze aufstellen (wegen der Einzelheiten Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 21 ff.; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, Rn 837 ff. [im Folgenden: Burhoff, HV]; Kotz/Niehaus, in: Burhoff, Handbuch für die strafverfahrensrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 3. Aufl. 2024, Teil A Rn 108 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, Rechtsmittel]; s. auch Burhoff, ZAP 2024, 443, 449 f. m.w.N.).

a) Vorwerfbares Ausbleiben

Maßgebend ist, ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens nach den Umständen des Einzelfalls billigerweise ein Vorwurf zu machen ist (st. Rspr., u.a. BayObLG, Beschl. v. 24.2.1999 – 5 St RR 237/98, NJW 1999, 3424; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2013 – 3 Ss 20/13, StRR 2013, 386; KG, Beschl. v. 25.8.2004 – (3) 1 Ss 112/04 (56/04), VRS 108, 110; Beschl. v. 28.7.2009 – (3) 1 Ss 87/09 (96/09), VRR 2009, 433; OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.6.2018 – (2) 53 Ss 61/18 (26/18), StraFo 2018, 481; Beschl. v. 15.3.2023 – 1 ORs 5/23; OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2016 – 1 OLG 13 Ss 802/16, StV 2018, 152 [Ls.]; OLG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2020 – 5 Rev 3/20, StV 2020, 858 [Ls.]; OLG München, Beschl. v. 22.1.2013 – 3 Ws 54/13, StraFo 2013, 208; wegen der Einzelheiten Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 21 ff.). Es muss vor allem auch in subjektiver Hinsicht eine Pflichtverletzung gegeben sein (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Dresden, a.a.O.). Das hat der VerfGH Sachsen verneint, wenn das Gericht selbst den Zugang des Gerichts zum Gerichtsgebäude und damit auch die Teilnahme des Angeklagten/Betroffenen an der Hauptverhandlung in rechtswidriger Weise (Verstoß gegen die DSGVO) von der Preisgabe personenbezogener Daten abhängig gemacht hat (VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.4.2021 – Vf. 137-IV-20, zfs 2021, 173). Bleibt es zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, liegen die Voraussetzungen für die Berufungsverwerfung nicht vor (KG, Beschl. v. 25.8.2004 – (3) 1 Ss 112/04 (56/04), VRS 108, 110; OLG Bamberg, Urt. v. 26.2.2008 – 3 Ss 118/07, StRR 2008, 305; OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; OLG Hamm, Beschl. v. 6.3.2012 – III-2 RVs 16/12, StraFo 2012, 193; OLG Köln, Beschl. v. 14.3.2006 – 82 Ss 23/06, StraFo 2006, 205 m.w.N.; OLG München a.a.O.; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.8.2007 – 2 Ws 343/07, NStZ-RR 2008, 252).

Hinweis:

Der Angeklagte ist im Wiedereinsetzungsverfahren mit bereits bekannten Entschuldigungsgründen präkludiert. Der Verteidiger muss sich daher in der Hauptverhandlung, wenn er nicht sichere Kenntnis von den Gründen für das Ausbleiben seines Mandanten hat, gut überlegen, ob er „Halbwissen“ vorträgt. Denn setzt sich das Gericht dann damit auseinander, kann später im Wiedereinsetzungsverfahren dazu nichts mehr (neu) vorgetragen werden.

b) Maßstab

Entscheidend für die Frage, ob der Angeklagte „genügend entschuldigtist, ist nicht, ob sich der Angeklagte entschuldigt hat, sondern, ob er entschuldigt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 18 m.w.N. aus der st. Rspr.; Burhoff/Kotz/Niehaus, Rechtsmittel, Teil A Rn 108 ff.; vgl. u.a. BayObLG, Beschl. v. 6.11.2002 – 5 St RR 279/02, NStZ-RR 2003, 87; BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22; KG, Beschl. v. 2.12.2021 – 3 Ws (B) 323/21, NStZ-RR 2022, 125; OLG Bamberg, Urt. v. 26.2.2008 – 3 Ss 118/07, StRR 2008, 305; ähnl. OLG Bamberg, Beschl. v. 14.1.2019 – 2 Ss OWi 1538/08, 2 Ss OWi 1538/2008, VRR 2009, 231 [für das Bußgeldverfahren]; OLG Bamberg, Beschl. v. 28.11.2011 – 3 Ss OWi 1514/11, zfs 2012, 230; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15; OLG Hamm, Beschl. v. 8.4.1998 – 2 Ss 394/98, StraFo 1998, 233; OLG Hamm, Beschl. v. 25.5.2005 – 2 Ss 210/05, zfs 2005, 515; OLG Köln, Beschl. v. 21.7.2006 – 81 Ss 91/06, StraFo 2006, 413; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17, StV 2018, 151 [Ls.]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.8.2007 – 2 Ws 343/07, NStZ-RR 2008, 252; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 5.2.2024 – 12 Qs 3/24, StraFo 2024, 148 [für das Strafbefehlsverfahren]). Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben, wenn es glaubhaft erscheint, dass den Angeklagten daran kein Verschulden trifft; dabei ist eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten (OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2013 – 3 Ss 20/13, StRR 2013, 386; OLG Hamm, Beschl. v. 6.3.2012 – III-2 RVs 16/12, StraFo 2012, 193, 194; OLG Koblenz, Beschl. v. 27.7.2009 – 1 Ss 102/09, StV 2010, 477).

2. Aufklärungspflicht des Gerichts

Das Berufungsgericht hat nach allgemeiner Meinung hinsichtlich der „genügenden“ Entschuldigung eine im Freibeweisverfahren zu erfüllende Aufklärungspflicht (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 31.3.2020 – 202 StRR 29/20, StV 2020, 855 [Ls.; ärztliche Atteste]; Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22 [Corona]; KG, Beschl. v. 2.12.2021 – 3 Ws (B) 323/21, NStZ-RR 2022, 125; OLG Bamberg, Urt. v. 26.2.2008 – 3 Ss 118/07, StRR 2008, 305 [Vorlage eines ärztlichen Attests]; Beschl. v. 6.3.2013 – 3 Ss 20/13, StRR 2013, 386; OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.6.2019 – (2) 53 Ss 61/18 (26/18), StraFo 2018, 481; Beschl. v. 10.1.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21, NJ 2022, 586; Beschl. v. 15.3.2023 – 1 ORs 5/23; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15; OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; OLG Hamm, Beschl. v. 8.4.1998 – 2 Ss 394/98, StraFo 1998, 233; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.6.1998 – 3 Ss 77/98, StraFo 1999, 25; OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2008 – 2 Ws 613/08, NStZ-RR 2009, 112; OLG München, Beschl. v. 27.10.2008 – 5St RR 200/08, NJW 2008, 3797 [zwei unterschiedliche Ladungen an einen geistig Behinderten]; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17, StV 2018, 151 [Ls.]; Beschl. v. 17.1.2014 – 4 OLG 13 Ss 11/14, StraFo 2014, 79 [privatärztliches Attest]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761; OLG Schleswig, Beschl. v. 1.9.2005 – 2 Ss OWi 149/05 (103/05), zfs 2006, 53 [OWi-Verfahren]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.4.2005 – 1 Ss 40/05, zfs 2006, 233; s.a. zum Bußgeldverfahren OLG Naumburg, Beschl. v. 7.5.2024 – 1 ORbs 98/24; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.1.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17; zum Freibeweisverfahren Burhoff, HV, Rn 1997 ff.). Ein entsprechender Beweisantrag ist nur eine Anregung an das Gericht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.11.2000 – 1 Ss 165/00, StV 2001, 336 [Ls.]). Bei der Beurteilung der Frage, ob der verspätete Angeklagte genügend entschuldigt ist, ist darauf abzustellen, ob es dem Angeklagten zugemutet werden konnte, pünktlich vor Gericht zu erscheinen (OLG Köln, Beschl. v. 8.7.2008 – 2 Ws 326/08).

Hinweis:

Voraussetzung für eine Nachforschungspflicht des Gerichts ist, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22; KG, Beschl. v. 28.7.2009 – (3) 1 Ss 87/09 (96/09), VRR 2009, 433 [Vorlage eines Attests]; Beschl. v. 7.2.2022 – 3 Ws (B) 328/21; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.1.2009 – 2 Ss OWi 1623/08, NStZ-RR 2009, 150; Beschl. v. 28.11.2011 – 3 Ss OWi 1514/11, zfs 2012, 230; OLG Hamm, Beschl. v. 31.7.2009 – 2 Ss 291/08; OLG München, Beschl. v. 17.1.2014 – 4 OLG 13 Ss 11/14, StraFo 2014, 79 [privatärztliches Attest]). Das Berufungsgericht ist aber nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet, die sich kurzfristig durchführen lassen und nicht zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung führen (vgl. u.a. BayObLG, Beschl. v. 6.11.2002 – 5 St RR 279/02, NStZ-RR 2003, 87; OLG Hamm, Beschl. v. 21.4.2009 – 3 Ss 84/09). Die Nachforschungspflicht ist nichtgrenzenlos“ (KG, Beschl. v. 28.10.2013 – 161 Ss 198/13). Andererseits ist der Angeklagte nicht zur Glaubhaftmachung der geltend gemachten Entschuldigungsgründe verpflichtet (OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; Beschl. v. 19.1.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17). Sein Ausbleiben ist auch nicht schon deshalb als nicht genügend entschuldigt anzusehen, weil er – sei es auch entgegen einer gerichtlichen Aufforderung – keine Belege für sein Entschuldigungsvorbringen beigebracht hat (OLG Hamburg, a.a.O.).

3. Entschuldigungsgründe

a) Allgemeines

Zu den potenziellen Entschuldigungsgründen, bei deren Vorliegen ein Vorwurf/Verschulden hinsichtlich des Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung zu verneinen ist, gibt es umfangreiche Rechtsprechungsbeispiele. Die OLG-Rspr. zu diesem Bereich ist unüberschaubar. Die nachfolgenden Fallgruppen geben eine erste Hilfestellung (entnommen Burhoff, HV, Rn 843 ff.; Burhoff/Kotz/Niehaus, Rechtsmittel, Teil A Rn 108 ff. m.w.N.).

Hinweis:

Die bis zum Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungshauptverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ am 25.7.2015 (BGBl I, S. 1332) ergangene frühere Rspr. der OLG zum Begriff der „genügenden Entschuldigung“ i.S.d. § 329 StPO a.F. ist auch nach der Neuregelung weiter anwendbar. Insoweit haben sich durch die Neuregelung keine Änderungen in der StPO ergeben.

b) Allgemeine Entschuldigungsgründe

Verschulden verneint:

  • bei einer Abschiebung nur dann, wenn eine Anreise zum Termin bei Ausschöpfung aller zumutbaren Maßnahmen nicht möglich war (KG, Beschl. v. 5.3.1991 – 1 Ss 3/91, StV 1992, 567), wozu auch die Beantragung eines Kurzvisums per Fax gehört (LG Bielefeld, Urt. v. 23.4.1998 – 3 Ns A 3/98 III, NStZ-RR 1998, 343; s. auch LG Dresden, Urt. v. 5.8.2010 – 10 Ns 422 Js 13356/08, StRR 2010, 363 [Ls.; Verschulden zu bejahen, wenn der Angeklagte nach erfolgter Abschiebung seine Anschrift im Heimatland nicht mitteilt, da dann keine Möglichkeit bestand, ihn unter Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu laden]); nach Auffassung des BayObLG (Beschl. v. 28.12.2023 – 204 StRR 548/23, StV 2023, 647 [Ls.]) ist es einem Angehörigen der Republik Kosovo, der aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgewiesen oder abgeschoben worden war, zumutbar, zur Wahrnehmung eines Hauptverhandlungstermins bei der zuständigen Deutschen Botschaft ein Visum zu beantragen;
  • nach einer Abschiebung/Ausweisung ist das Ausbleiben eines Angeklagten, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, genügend entschuldigt, da dieser sich strafbar machen würde, wenn er erneut in das Bundesgebiet einreist und ihm zuvor keine Ausnahmeerlaubnis zur Wiedereinreise erteilt worden ist (BayObLG, Beschl. v. 28.12.2023 – 204 StRR 548/23, StV 2023, 647 [Ls.], wonach es in diesem Fall Sache der Strafverfolgungsbehörden ist, in Absprache mit der Verwaltungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist.);
  • dem Verteidiger wurde faktisch Akteneinsicht vor dem Termin verweigert (BayObLG, Beschl. v. 5.7.1990 – 2 Ob OWi 148/90, NJW 1990, 3222; OLG Jena, Beschl. v. 28.10.2004 – 1 Ws 297/04, VRS 108, 276; a.A. wohl OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.2009 – 1 Ss 126/08, NStZ-RR 2010, 287);
  • der Angeklagte, der nach längerer Arbeitslosigkeit wieder einen Arbeitsplatz gefunden hat, erscheint nicht zur Hauptverhandlung, weil ihm sein Arbeitgeber, dem der Termin rechtzeitig mitgeteilt worden war, aus plötzlich entstandenen Organisationsschwierigkeiten Arbeitsbefreiung verweigert und der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht durch Arbeitsverweigerung „aufs Spiel“ setzen will (OLG Hamm, Beschl. v. 3.2.1994 – 1 Ws 8/94, NJW 1995, 207);
  • bei einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt, wenn dem Angeklagten die Mittel fehlen, um einen Rückflug über eine große Distanz bezahlen zu können (OLG Celle, Beschl. v. 10.11.2011 – 32 Ss 130/11; ähnlich OLG Hamm, Beschl. v. 21.2.2012 – III-3 RBs 365/11, 3 RBs 365/11, VRR 2012, 277 [für Bußgeldverfahren und Rückkehr aus Neuseeland]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.7.2010 – 1 OWi 2 SsBs 57/20, zfs 2020, 652 [für Studienaufenthalt in den USA]);
  • ggf. wenn der Angeklagte nach einem vor der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrag nicht erscheint (BGH, Beschl. v. 18.5.1971 – 3 StR 10/71, BGHSt 24, 143);
  • nach einer Ausweisung, wenn der Angeklagte nicht über eine Ausnahmeerlaubnis zur Wiedereinreise verfügt (BayObLG, Beschl. v. 31.1.2000 – 4St RR 6/00, StV 2001, 339; OLG Köln, Beschl. v. 17.9.2007 – 2 Ws 480/07, StraFo 2008, 29 m.w.N.; ähnl. KG, Beschl. v. 17.7.2002 – 1 Ss 196/02 [84/02]; s. auch BayObLG, Beschl. v. 28.12.2023 – 204 StRR 548/23, StV 2023, 648 [Ls.]);
  • ggf. kann das Erscheinen in der Hauptverhandlung unzumutbar sein, wenn ein Befangenheitsantrag zuvor zurückgewiesen worden ist und nun der Verteidiger verhindert ist (OLG Hamm, Beschl. v. 13.7.1995 – 2 Ss OWi 546/95, NStZ 1995, 596);
  • wenn beim Angeklagten aufgrund von Symptomen ein „Coronaabstrich“ entnommen worden ist, da bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht besteht (LG München I, Beschl. v. 4.1.2021 – 15 Qs 46/20, StV-S 2021, 4 [Ls.]; s. auch noch BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22; Beschl. v. 28.6.2023 – 206 StRR 174/23; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.2.2023 – 1 ORs 2 Ss 44/22);
  • ggf. wenn der Angeklagte sich erst seit wenigen Tagen in einer Drogentherapie befindet, sodass die Gefahr besteht, dass er bei Erscheinen in der Hauptverhandlung die Therapie frühzeitig abbrechen müsste (KG, Beschl. v. 19.9.1994 – (4) 1 Ss 131/94 (74/94), StV 1995, 575);
  • auch dann, wenn der Angeklagte sich wegen einer mit seiner Drogensucht zusammenhängenden Erkrankung nicht rechtzeitig in ärztliche Behandlung begeben hat (OLG Köln, Beschl. v. 24.10.2008 – 83 Ss 76/08, NStZ-RR 2009, 86);
  • ggf. wenn der Angeklagte auf (falsche) Auskünfte seines Verteidigers oder der Geschäftsstelle des Gerichts vertraut hat (s. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 29 m.w.N.; KG, Beschl. v. 9.5.2012 – 3 Ws (B) 260/12, DAR 2012, 395 [Erkrankung des Verteidigers; für Bußgeldverfahren]; Beschl. v. 8.2.2021 – 3 Ws (B) 26/21 [Bußgeldverfahren]; OLG Hamm, Beschl. v. 11.10.1996 – 2 Ws 405/96, NStZ-RR 1997, 113; Beschl. v. 6.3.2006 – 4 Ss OWi 44/06, VRR 2006, 274; OLG Hamm, Beschl. v. 12.2.2010 – 3 Ws 51/10, NStZ-RR 2010, 245 [Aufhebung der HV wegen Erkrankung des Pflichtverteidigers]; OLG Köln, Beschl. v. 15.11.1996 – Ss 554/96 – 193, NStZ-RR 1997, 208 m.w.N.; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 1.12.1999 – 1 Ws 643/99, NStZ-RR 2000, 111; für das Bußgeldverfahren LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 23.10.2012 – 22 Qs 104/12, VRR 2013, 475; LG Stuttgart, Beschl. v. 20.9.2024 – 17 Qs 46/24; a.A., aber unzutreffend LG Berlin, Beschl. v. 9.5.2005 – 505 Qs 41/05, NStZ 2005, 655; s. auch BayObLG, Beschl. v. 2.10.2002 – 2 ObOWi 408/02, NStZ-RR 2003, 85, wenn der Hinweis des Verteidigers in klar erkennbarem Widerspruch zum Inhalt der gerichtlichen Ladung steht); aber nicht, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit einer Auskunft des Verteidigers erkennbar sind, denen muss nachgegangen werden (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 6.5.2016 – 2 Ss-OWi 222/16, NZV 2016, 491 [für Bußgeldverfahren]); oder wenn der Angeklagte auf die rechtzeitige Bescheidung eines kurz vor der HV gestellten Ablehnungsantrages vertraut (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2019 – 1 Rv 21 Ss 716/19, zfs 2020, 46);
  • Einlasskontrollen haben 25 Minuten gedauert (KG, Beschl. v. 13.5.2005 – 2 AR 67/055 Ws 240/05, 2 AR 67/05, 5 Ws 240/05, NStZ-RR 2006, 183; s. aber KG, Beschl. v. 15.1.2021 – 3 Ws 5/21);
  • wenn der Angeklagte die ihm zugestellte Ladung zu einem „wegen Verhinderung des Geschädigten bestimmten Fortsetzungstermin“ dahin missversteht, dass es sich um einen Ersatztermin handelt, zu dem allein er dann auch erscheint (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 4.9.2008 – 1 Ws 170/08);
  • der Angeklagte hat lediglich das seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung entgegenstehende Hindernis selbst herbeigeführt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.4.2000 – 1 Ws 265/00, StraFo 2001, 269 [für Widerstandsleistung in anderer Sache]);
  • i.d.R. die Inhaftierung, und zwar auch wegen Haft in anderer Sache (s. KG, Beschl. v. 9.4.2015 – [2] 161 Ss 67/15; OLG Köln, Beschl. v. 14.3.2006 – 82 Ss 23/06, StraFo 2006, 205; 2008, 248; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 Rn 24 m.w.N.), nicht aber die Inhaftierung in anderer Sache im Ausland wegen einer nach Erhalt der Terminsladung begangenen Straftat (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 27.1.1999 – 2 Ss 463/98 – 1/99 II, NStZ-RR 1999, 144), bei einer (verschuldeten) Verspätung, wenn das Berufungsgericht nach Ankündigung des verspäteten Erscheinens die Berufung „zu frühverworfen hat (OLG München, Beschl. v. 5.7.2007 – 4St RR 122/07, zfs 2007, 588; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.1.2007 – 1 Ss 188/06, VRS 112, 122; s. auch Ullenboom, StV 2019, 643, 644);
  • ein Verwandter, der dem Angeklagten zugesagt hatte, ihn zum Gericht zu bringen, erscheint nicht, es sei denn der Angeklagte musste an der Zuverlässigkeit der vereinbarten Mitfahrt zweifeln (OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.6.2009 – 1 Ss 101/09, StraFo 2009, 336, das davon ausgeht, dass der Angeklagte auf die Möglichkeit einer nach unerwartetem Ausbleiben des Pkw-Fahrers spontan anzutretenden weiten und kostspieligen Taxifahrt zum Gericht nur verwiesen werden darf, wenn er diese Fahrt bezahlen konnte);
  • im Fall notwendiger Verteidigung ist entgegen dem Antrag des Angeklagten kein Verteidiger bestellt worden (OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.7.2008 – 2 Ss (29) 209/08, StV 2009, 12);
  • wenn das Gericht kurzfristig einen Terminsverlegungsantrag des Verteidigers des Vertrauens ermessenfehlerhaft abgelehnt hat (OLG Koblenz, Beschl. v. 27.7.2009 – 1 Ss 102/09, StV 2010, 477) bzw. eine Ablehnung ermessensfehlerhaft wäre (KG, Beschl. v. 8.2.2021 – 3 Ws (B) 26/21 [Bußgeldverfahren]; auch noch OLG Koblenz, Beschl. v. 27.4.2021 – 3 OWi 6 SsBs 59/21 zur kurzfristigen Erkrankung des Verteidigers);
  • der Angeklagte durfte darauf vertrauen, dass der Hauptverhandlungstermin nicht stattfinden würde (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 3.9.2009 – Ss 79/09, StraFo 2009, 520 [für nicht erfolgte Ladung des Verteidigers]; vgl. auch noch OLG Koblenz, a.a.O.);
  • keine Kenntnis vom Termin (BVerfG, Beschl. v. 27.10.2006 – 2 BvR 473/06, NJW 2007, 2318);
  • ob allein der Umstand, dass sich der Angeklagte zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe im (offenen) Strafvollzug befindet, für eine Entschuldigung ausreicht, ist umstritten (abl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.4.1995 – 1 Ws 307/95, VRS 91, 39; s. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.9.1990 – 5 Ss 75/90 – 104/90 I, VRS 80, 37; bejahend OLG Braunschweig, Beschl. v. 1.11.2001 – 1 Ss 65/01, NStZ 2002, 163). Es soll darauf ankommen, ob sich der Angeklagte in der Berufungssache in Haft befindet oder in anderer Sache, da dann ggf. der Vorsitzende seine Vorführung anordnen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 24; a.A. OLG Braunschweig, a.a.O.);
  • der Angeklagte unterlässt eine die Verhandlungsunfähigkeit beseitigende Therapie wegen erheblicher Eingriffe in seine körperliche Integrität oder seine Persönlichkeitsrechte (BayObLG, Beschl. v. 24.2.1999 – 5St RR 237/98, StV 2001, 336 [für Blutdrucktherapie]; s. auch Rosenau, JR 2000, 81 Anm. zu BayObLG);
  • ein Ausländer muss bei der Einreise mit seiner Verhaftung wegen dieser Einreise rechnen (OLG Bremen, Beschl. v. 14.6.2015 – Ss 39/03, StraFo 2005, 381);
  • wird die Vorführung eines Strafgefangenen in eigener Kleidung abgelehnt, kann dadurch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt sein (BVerfG, Beschl. v. 3.11.1999 – 2 BvR 2039/99, NJW 2000, 1399), sodass – wenn er deshalb die Vorführung zur Berufungshauptverhandlung verweigert – sein Ausbleiben auf jeden Fall entschuldigt ist;
  • wenn die für den Terminstag angedrohte Zwangsversteigerung stattfindet (OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2010 – III-1 Ws 159/10, StraFo 2011, 54); der Angeklagte ist allerdings verpflichtet, geeignete Schritte zu unternehmen, um trotz der angekündigten Zwangsversteigerung auch an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können.

Hinweis:

Eine „genügende Entschuldigung“ wird man m.E. nach der Neuregelung des § 329 StPO auch dann annehmen können/müssen, wenn der Angeklagte alles dafür getan hat, dass er im Berufungshauptverhandlungstermin von (s)einem Verteidiger vertreten wird, dieser aber aus Gründen, die der Angeklagte nicht zu vertreten hat, in der Hauptverhandlung nicht erscheint (vgl. auch § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO; vgl. Burhoff, ZAP 2024, 1027, 1029; auch BayObLG, Beschl. v. 1.2.1956 – RevReg 1 St 508/55, NJW 1956, 838).

Verschulden bejaht:

  • Angst, beim Erscheinen in (Vollstreckungs-)Haft genommen zu werden (OLG Hamm 3.10.1975 – 1 Ss 476/75, JMBl. NW 1976, 9; OLG Köln, Beschl. v. 11.12.1998 – Ss 528 /98, NStZ-RR 1999, 112);
  • die Nichtbescheidung eines Akteneinsichtsantrags (OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.10.2009 – 1 Ss 126/08, NStZ-RR 2010, 287);
  • allein das (vorherige) Anbringen eines Befangenheitsantrags (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.5.1997 – 5 Ss (OWi) 76/97 – (OWi) 61/97 I, JMBl. NW 1997, 223);
  • allein bei Fernbleiben wegen großer Entfernung zwischen Wohn- und Gerichtsort (OLG Köln, Beschl. v. 11.1.2002 – Ss 533/01, NJW 2002, 3791 [für Bußgeldverfahren]);
  • allein bei (unbelegtem) Vortrag des Angeklagten, er sei am Terminstag nicht zu dem für das Berufungsverfahren zuständigen LG, sondern zum erstinstanzlich zuständigen AG gefahren, da dort auch die Berufung eingelegt worden sei (OLG Hamm, Beschl. v. 12.12.2017 – 5 Ws 563/17, 5 RVs 146/17);
  • wenn der Angeklagte eine Ladung zu einem Fortsetzungstermin fehlerhaft als Mitteilung einer Verlegung des Beginns einer Berufungshauptverhandlung interpretiert, was bei sorgfältigem Lesen des weiteren Ladungsschreibens vermeidbar gewesen wäre (OLG Celle, Beschl. v. 29.4.2016 – 1 Ss 20/16);
  • wenn der Angeklagte einen Operationstermin so legt, dass er zur kurz darauf stattfindenden Berufungshauptverhandlung nicht wieder verhandlungsfähig ist, wenn der Operationstermin nicht medizinisch indiziert, sondern vom Angeklagten frei wählbar war (KG, Beschl. v. 16.9.2020 – 3 Ss 56/20, NStZ-RR 2020, 58 [Ls.]; m.E. zweifelhaft, s. auch KG, Beschl. v. 20.4.2024 – 2 ORs 3/24, wonach ein aufschiebbarer Operationstermin kein Entschuldigungsgrund sein soll);
  • wenn der Angeklagte ohne Weiteres darauf vertraut, dass der Hauptverhandlungstermin wegen eines unmittelbar zuvor, z.B. am Vorabend, gegen den erkennenden Richter gestellten Ablehnungsgesuchs nicht stattfinden wird (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2019 – 1 Rv 21 Ss 716/19, zfs 2020, 46);
  • allein bei einem langen Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und dem Termin, da der Angeklagte (zumutbare) Vorkehrungen gegen das Vergessen des Termins treffen muss (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.12.1995 – 1 Ws 940/95, NStZ-RR 1996, 169 [für elf Monate]; OLG Hamm, Beschl. v. 8.12.2011 – III-5 RVs 99/11, StRR 2012, 310 [für vier Monate]), da den Angeklagten, wenn er das erstinstanzliche Urteil angefochten hat, eine sich aus seiner prozessualen Mitwirkungspflicht ergebende Sorgfaltspflichtverletzung trifft;
  • allein bei dem Umstand, dass der sprachunkundige Ausländer die in deutscher Sprache abgefasste Ladung nicht verstanden hat (OLG Nürnberg, Beschl. v. 20.10.2009 – 1 St OLG Ss 160/2009, NStZ-RR 2010, 286);
  • die bei Erscheinen drohende Verhaftung wegen einer anderen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in einem anderen Verfahren (KG, Beschl. v. 4.2.2010 – 3 Ws 654/09; OLG Köln, Beschl. v. 11.12.1998 – Ss 528 /98, NStZ-RR 1999, 112; wohl auch BayObLG, Beschl. v. 9.10.2020 – 202 StRR 94/20);
  • wenn der Angeklagte bei einem verzögerten Beginn der Hauptverhandlung nicht wartet, obwohl ihm das zuzumuten ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.2.1997 – 5 Ss (OWi) 2/97 – (OWi) 13/97 I, NJW 1997, 2062 [für um mindestens 30 Minuten verzögerten Beginn der Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren, nachdem der Betroffene bereits so lange gewartet hatte]);
  • der Angeklagte vertraut darauf, sein Verteidiger werde absprachegemäß von der ihm erteilten Vertretungsvollmacht Gebrauch machen (OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.12.2021 – 1 Ws 276/21), da der Angeklagte trotz der Vertretungsmöglichkeit weiterhin zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet bleibt (BT-Drucks 18/3562, S. 61).
c) Entschuldigungsgrund „Krankheit“

Große Bedeutung haben in der Praxis die mit dem Entschuldigungsgrund „Krankheit“ zusammenhängenden Fragen. Insoweit gilt: Grundsätzlich kann eine Erkrankung des Angeklagten einen Entschuldigungsgrund für das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung darstellen (vgl. Burhoff/Kotz/Niehaus, Rechtsmittel, Teil A Rn 154). Die Krankheit entschuldigt das Ausbleiben des Angeklagten, wenn sie nach Art und Auswirkungen eine Beteiligung in der Berufungshauptverhandlung unzumutbar macht (KG, Beschl. v. 2.12.2021 – 3 Ws (B) 323/21, NStZ-RR 2022, 125 [Gastroenteritis]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21; OLG Hamm, Beschl. v. 8.4.1998 – 2 Ss 394/98, StraFo 1998, 233 [eiternde Entzündungen]; Beschl. v. 6.1.2022 – III-5 RVs 131/21, NStZ-RR 2022, 121; OLG Köln, Beschl. v. 24.10.2008 – 83 Ss 76/08, NStZ-RR 2009, 86; Beschl. v. 8.12.2009 – 81 Ss 77/09, StraFo 2010, 73 [paranoide Psychose mit der Gefahr psychophysischer Dekompensation]; OLG Oldenburg, Urt. v. 4.11.2019 – 1 Ss 136/19, StraFo 2020, 71; OLG Schleswig, Beschl. v. 20.8.2007 – 2 Ws 343/07, NStZ-RR 2008, 252 [schmerzhafte und die Beweglichkeit beeinträchtigende Blockade der Lendenwirbelsäule]). Verhandlungsunfähigkeit ist nicht erforderlich (u.a. OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.6.2018 – (2) 53 Ss 61/18 (26/18), StraFo 2018, 481; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 Ws 51/23; Burhoff, HV, Rn 846, 3479). Der Angeklagte kann auch dann entschuldigt sein, wenn er infolge eines Querulantenwahns von Krankheitswert nur glaubt, der Hauptverhandlung fernbleiben zu dürfen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.2.1997 – 2 Ss 10/97, NJW 1998, 842; s. auch BayObLG, Beschl. v. 24.2.1999 – 5St RR 237/98, StV 2001, 336 [zum Unterlassen einer Therapie]).

Wenn der Angeklagte und der Verteidiger aufgrund eines Kontaktes zu einem Covid-19-Erkrankten unter häusliche Quarantäne gestellt wurden, sind beide genügend entschuldigt (OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.10.2020 – (2) 53 Ss 98/20 (42/20), StV 2021, 79 [Ls.]). Im Übrigen ist der Angeklagte, auch wenn bei ihm aufgrund von Symptomen zunächst nur ein „Coronaabstrich“ entnommen worden ist, für sein Ausbleiben im Hauptverhandlungstermin entschuldigt, da bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht besteht (LG München I, Beschl. v. 4.1.2021 – 15 Qs 46/20, StV-S 2021, 4 [Ls.]; zum positiven Selbsttest OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.2.2023 – 1 ORs 2 Ss 44/22; ähnlich BayObLG, Beschl. v. 25.10.2022 – 206 StRR 286/22; s. aber BayObLG, Beschl. v. 28.6.2023 – 206 StRR 174/23 [Bescheinigung über das Vorliegen eines positiven SARS-CoV-2 Antigentests nach Beendigung der Quarantänepflicht reicht nicht]).

Im Fall einer stationären Krankenhausbehandlung sind an den Nachweis der Unzumutbarkeit des persönlichen Erscheinens des Angeklagten weniger strenge Anforderungen zu stellen. Besteht aus Sicht der Klinikärzte Anlass, einen Patienten mehrtägig stationär aufzunehmen – und sei es nur zur Überwachung und Abklärung des Krankheitsbildes –, ist es ihm grds. nicht zumutbar, das Krankenhaus zu verlassen, um einen Gerichtstermin wahrzunehmen (OLG Köln, Beschl. v. 12.1.2016 – III-1 RVs 251/15, StraFo 2016, 112). In diesen Fällen kann als Nachweis des Klinikaufenthalts des Angeklagten eine eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin des Verteidigers ausreichen, dass diese bei einem Telefonat mit einem Mitarbeiter im Klinikum in Erfahrung gebracht hat, dass sich der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum durchgängig in stationärer Behandlung befunden hat (OLG Köln, a.a.O., zum medizinisch nicht indizierten OP-Termin KG, Beschl. v. 16.9.2020 – 3 Ss 56/20, NStZ-RR 2020, 58 [Ls.]).

Zur Glaubhaftmachung der Krankheit/Erkrankung genügt i.d.R. ein (zeitnahes) privatärztliches Attest (KG, Beschl. v. 6.2.2007 – 1 AR 152/072 Ws 99/07, 1 AR 152/07, 2 Ws 99/07, StraFo 2007, 244; KG, Beschl. v. 7.2.2022 – 3 Ws (B) 328/21; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.1.2009 – 2 Ss OWi 1623/08, NStZ-RR 2009, 150; Beschl. v. 28.11.2011 – 3 Ss OWi 1514/11, zfs 2012, 230; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.9.1994 – 3 Ss 44/94, NJW 1995, 2571; OLG Köln, Beschl. v. 24.10.2008 – 83 Ss 76/08, NStZ-RR 2009, 86; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17 [Ls.]; Beschl. v. 22.1.2013 – 3 Ws 54/13, StraFo 2013, 208; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761; Beschl. v. 19.1.2018 – 1 OWi 2 SsBs 84/17; LG Potsdam, Urt. v. 25.5.2009 – 27 Ns 3/09), nach welchem der Angeklagte wegen einer näher bezeichneten Erkrankung nicht reisefähig ist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.12.1992 – 5 Ss 384/92 – 123/92 I, StV 1994, 364) bzw. das konkrete Angaben über die Erkrankung enthalten muss/sollte (KG 2007, a.a.O.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21, NJ 2022, 465; OLG Hamm, Beschl. v. 27.3.2008 – 2 Ws 80/08, NZV 2009, 158; Beschl. v. 23.8.2012 – III-3 RBs 170/12, NStZ-RR 2013, 188; s. aber KG, Beschl. v. 28.7.2009 – (3) 1 Ss 87/09 (96/09), VRR 2009, 433; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2013 – 3 Ss 20/13, StRR 2013, 386 [Attest ohne Angabe der Erkrankung ausreichend]). Gegebenenfalls muss das Berufungsgericht von Amts wegen Ermittlungen durchführen, ob der Angeklagte durch die einer Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegende Erkrankung am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gehindert ist (KG, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Celle, Beschl. v. 21.11.1996 – 1 Ss 312/96, StraFo 1997, 79; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.1993 – 5 Ss 204/94 – 56/94 I, VRS 87, 439; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15; OLG München a.a.O.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.2.2023 – 1 ORs 2 Ss 44/22). Das OLG Hamm hat allerdings ein Attest, in dem nur pauschal wegen Alkoholabhängigkeit Verhandlungsunfähigkeit attestiert worden ist, nicht ausreichen lassen (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – 5 RVs 91/10).

Hinweis:

Auch wenn die OLG-Rspr. teilweise ein Attest – ohne nähere Angaben zur Art der Erkrankung – zur Glaubhaftmachung ausreichen lässt, solange keine Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Bescheinigung falsch oder offensichtlich unrichtig ist (vgl. z.B. BayObLG, Beschl. v. 31.3.2020 – 202 StRR 29/20, StV 2020, 855 [Ls.]; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17, StV 2018, 151 [Ls.]; Beschl. v. 22.1.2013 – 3 Ws 54/13, StraFo 2013, 208), sollte der Verteidiger, da andere OLG in dieser Frage strenger sind (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschl. v. 23.8.2012 – III-3 RBs 170/12, NStZ-RR 2013, 188), nach Möglichkeit ein Attest vorlegen, dem sich inhaltlich jedenfalls die nach allgemeinem Sprachgebrauch zu benennende Art der Erkrankung, die aktuell bestehende Symptomatik und die Darlegung der daraus zur Terminszeit resultierenden konkreten körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen entnehmen lassen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21, NJ 2022, 465; OLG Hamm, Beschl. v. 6.1.2022 – III-5 RVs 131/21, NStZ-RR 2022, 121).

In der Regel wird eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend sein (OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21, NJ 2022, 465; aber a.A. KG, Beschl. v. 2.12.2021 – 3 Ws (B) 323/21, NStZ-RR 2022, 125 [Gastroenteritis]; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17, StV 2018, 151 [Ls.]; LG Essen, Beschl. v. 5.8.2005 – 28 Qs 117/05, StraFo 2005, 466). Der Verteidiger muss daher darauf achten, dass sich aus dem Attest ergibt, dass der Mandant verhandlungsunfähig ist. Der Angeklagte darf aber grds. auf die entschuldigende Wirkung eines ärztlichen Attests vertrauen (OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2016 – 1 OLG 13 Ss 802/16, StV 2018, 152 [Ls.]; OLG Hamm, Beschl. v. 25.5.2005 – 2 Ss 210/05, VRR 2005, 270; ähnlich LG Nürnberg, Beschl. v. 12.3.2018 – 3 OWi Qs 62/17 [attestierte mehrtägige Bettlägerigkeit]).

Allein aus dem Fehlen eines ärztlichen Attests kann nicht geschlossen werden, dass der Entschuldigungsgrund nicht der Wahrheit entspricht (OLG Hamburg, Beschl. v. 7.1.2016 – 2 Rev 87/15; OLG Hamm, Beschl. v. 18.3.1997 – 2 Ss 142/97, NStZ-RR 1997, 240). Gegebenenfalls muss das Gericht, wenn es Zweifel an der Richtigkeit des Attests hat, beim Arzt nachfragen (BayObLG, Beschl. v. 30.10.1998 – 3 St RR 114/98, StraFo 1999, 201; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2013 – 3 Ss 20/13, StRR 2013, 386; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761) oder eine amtsärztliche Untersuchung veranlassen (LG Heilbronn, Beschl. v. 28.8.2006 – 4 Qs 11/06, zfs 2006, 707 [für Terminsaufhebung im OWi-Verfahren]). Bescheinigt ein Arzt die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten für den Verhandlungstag, muss in Ermangelung gegenteiliger Anzeichen von dessen Verhandlungsunfähigkeit ausgegangen werden (ähnl. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 2.11.2015 – 1 Ss 322/15). Es gibt keine Befugnis des Gerichts, gegen den Willen des nicht eigenmächtig ferngebliebenen Angeklagten in dessen Abwesenheit zu verhandeln (LG Potsdam, Urt. v. 25.5.2009 – 27 Ns 3/09; s. aber OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – 5 RVs 91/10).

Hinweis:

Die Voraussetzungen für die Nachfrage beim Arzt liegen mit der Vorlage des Attests durch den Angeklagten i.d.R. vor, weil der ausstellende Arzt damit konkludent von seiner Schweigepflicht entbunden wird (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 19.5.2005 – 3 Ws 405/05, NStZ-RR 2005, 237; OLG München, Beschl. v. 27.6.2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17, StV 2018, 151 [Ls.]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761; s. aber OLG Hamm, Beschl. v. 21.4.2009 – 3 Ss 84/09).

d) Regelung privater/beruflicher Angelegenheiten

Auch die Regelung privater oder beruflicher Angelegenheiten kann das Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung genügend entschuldigen. Der Angeklagte kann sich unter Umständen damit entschuldigen, wenn diese Angelegenheiten unaufschiebbar und von solcher Bedeutung sind, dass dem Angeklagten das Erscheinen nicht zugemutet werden kann (s. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.2.1995 – 3 Ss 117/94, VRS 89, 130 [Auslandsaufenthalt zur Durchführung von Fliesenlegearbeiten aus Gefälligkeit verneint]; OLG Hamburg, Beschl. v. 2.9.2020 – 5 Rev 3/20, StV 2020, 858 [Ls.]; OLG Oldenburg, Beschl. v. 2.8.1996 – SS 274/96, zfs 1996, 434 [beruflich bedingter Einsatz eines Berufskraftfahrers im Ausland für OWi-Verfahren bejaht]; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.7.2020 – 1 OWi 2 SsBs 57/20, zfs 2020, 652 [Studienaufenthalt im Ausland]; LG Koblenz, Beschl. v. 31.7.2012 – 1 Qs 166/12 [vom Arbeitgeber angesetztes Treffen, an dem der Arbeitnehmer teilnehmen muss bejaht]. Dabei sind im Einzelfall jeweils die Bedeutung der zu erledigenden Geschäfte nach Wichtigkeit und Dringlichkeit einerseits und die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen andererseits abzuwägen, wobei die Bedeutung der jeweiligen Strafsache nicht außer Acht gelassen werden darf (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.5.2005 – 2 Ss 210/05, zfs 2005, 515 [für Urlaubsreise]; Beschl. v. 20.1.2003 – 2 Ss OWi 1135/02 (3), StraFo 2003, 174; OLG Bamberg, Beschl. v. 12.9.2006 – 3 Ss OWi 1140/06, VRR 2007, 74 [für zuvor zugegangene Ladung zum Schlusstermin im Insolvenzverfahren; OWi-Verfahren]; LG München I, Beschl. v. 29.11.2010 – 16 Qs 69/10, StraFo 2011, 95 [Flugreise nach Mekka aus religiösen Gründen]).

Will der Angeklagte sich mit einer Urlaubsreise entschuldigen, gilt: In der Regel soll die Verschiebung oder Unterbrechung einer Urlaubsreise – auch ins Ausland – zumutbar sein (OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.3.2008 – 1 Ss 19/08, StRR 2008, 307; OLG Bamberg, Beschl. v. 7.9.2012 – 2 Ss OWi 834/12 [Bußgeldverfahren]; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.3.1983 – 1 Ws 1049/82, VRS 64, 438; OLG Schleswig, Beschl. v. 16.1.1986 – 2 Ws 610/85, SchlHA 1987, 120 [Ls.]; s. auch OLG Dresden, Beschl. v. 24.2.2015 – 2 Ws 82/15, NStZ-RR 2015, 191 [für Zeugen; zum mehrmonatigen Auslandsaufenthalt s.o.]). Das ist aber bei einer vor Erhalt der Ladung gebuchten, nicht mehr stornierbaren Urlaubsreise in einer Bagatellsache nicht anzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.10.1972 – 1 Ss 663/72, NJW 1973, 109; OLG Hamm, Beschl. v. 25.5.2005 – 2 Ss 210/05, zfs 2005, 515). Etwas anderes gilt, wenn der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ladung den Urlaub erst plant (OLG Hamm, Beschl. v. 6.10.1978 – 2 Ws 206/78) oder sogar erst danach gebucht hat (OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; LG Berlin, Beschl. v. 19.12.2006 – 536 Qs 373/06, VRS 112, 276). Erscheint er in diesen Fällen nicht, ist er nicht genügend entschuldigt (zum Urlaub s. auch noch OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.10.2003 – 1 Ws 471/03, Nds.Rpfl. 2004, 47 [wenn der Angeklagte nach Berufungseinlegung mehr als ein halbes Jahr ohne Nachricht vom Gericht geblieben ist]).

Hinweis:

Einen Verlegungsantrag aus privaten/beruflichen Gründen muss der Angeklagte eingehend begründen (BayObLG, Beschl. v. 27.6.2002 – 2 ObOWi 268/02, NJW 2003, 1961; OLG Bamberg, Urt. v. 26.2.2008 – 3 Ss 118/07, StRR 2008, 305; OLG Hamm a.a.O.; Beschl. v. 31.7.2008 – 2 Ss 291/08). Vage Angaben, wie z.B. „unabkömmlich“ zu sein, reichen nicht aus (OLG Bamberg, a.a.O.).

e) Verkehrsprobleme

Schließlich können auch Verkehrsprobleme und -störungen (bei der Anreise) zum Termin das Ausbleiben entschuldigen. Dann darf aber die Reisezeit nicht zu knapp bemessen werden (OLG Köln, JMBl. NW 1972, 63 [erkennbar zu spät ankommender Zug]). Der Angeklagte muss bei Benutzung eines Kfz eine ausreichende Zeitreserve einkalkulieren (OLG Bamberg, Beschl. v. 14.10.1994 – Ws 581/94, NJW 1995, 740 [für 100 km auf der BAB A 9 mindestens 30 Minuten]; OLG Hamm, Beschl. v. 7.8.1997 – 2 Ws 270/97, NZV 1997, 493). Durch ein solches Gebot wird der Angeklagte auch nicht in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt (BVerfG, Beschl. v. 13.9.1993 – 2 BvR 1366/93, StV 1994, 113 [zu niedriger Sicherheitszuschlag bei der Anreise mit dem Pkw im Großraum Frankfurt]).

Das gilt grds. auch bei anderen Verkehrsproblemen, wie z.B. bei einer Kraftfahrzeugpanne (OLG Hamm, VRS 7, 311; Beschl. v. 26.2.1999 – 2 Ss 121/99; 2 Ws 51/99, DAR 1999, 277 [Ls.]; Beschl. v. 23.7.2002 – 2 Ss 550/02, NZV 2003, 49 [Verkehrsstau und Behinderung durch Einlasskontrollen beim Gericht]; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.1.1973 – 1 Ss 300/72, NJW 1973, 1515; LG Berlin, Beschl. v. 9.9.2010 – 515 Qs 114/10, NZV 2010, 585), die es auch nicht erforderlich macht, dass der Angeklagte sich bei Gericht erkundigt, bis wann sein Erscheinen sinnvoll ist, um dann ggf. noch mit dem Taxi zu fahren. Die Verspätung darf allerdings nicht darauf zurückzuführen sein, dass der Angeklagte zu spät abgefahren ist bzw. nicht genügend Zeit eingeplant hat (KG, Beschl. v. 19.7.2006 – 2 Ss 152/06 – 5 Ws (B) 384/06, VRS 111, 432; Beschl. v. 15.1.2021 – 3 Ws 5/21; OLG Celle, Urt. v. 24.6.2004 – 11 U 57/04, NJW 2004, 2534; OLG Jena, Beschl. v. 5.7.2005 – 1 Ss 178/05, 1 Ws 241/05, NJW 2006, 1894 [Ls.]; OLG Köln, Beschl. v. 8.7.2013 – 2 Ws 354/13, StV 2014, 209 [Ls.; Witterungsprobleme]). Allerdings dürfen insoweit die Anforderungen nicht überspannt werden. Der Angeklagte muss nicht so früh losfahren, dass er Gefahr läuft, viel zu früh anzukommen und zu lange warten zu müssen (VerfGH Berlin, Beschl. v. 12.12.2003 – 36/03, 36 A/03, NJW 2004, 1158). Berechnet der Angeklagte die Fahrzeit mit einem Routenplaner, muss er ggf. zu erwartendes hohes Verkehrsaufkommen berücksichtigen (OLG Jena, a.a.O.). Von Bedeutung ist auch, ob es sich um ein kurzfristiges Verkehrsproblem gehandelt hat und/oder, ob der Gerichtsort nicht mit anderen Verkehrsmitteln oder auf anderer Strecke ggf. noch rechtzeitig erreichbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 8.3.2017 – III ZR 39/17, VRR 5/2017, 2 [Ls.; für das Zivilverfahren; Streckensperrung]; zum Schienenersatzverkehr OLG Köln, Beschl. v. 9.7.2021 – 1 RVs 121/21, NStZ 2024, 248).

Hinweis:

Parkschwierigkeiten am Gericht sollen das Ausbleiben des Angeklagten allerdings nicht entschuldigen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 27; a.A. OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.7.1982 – Ws 606/82, OLGSt § 44 Nr. 2).

IV. Rechtsmittel

1. Allgemeines

Ist gegen den Angeklagten ein Verwerfungsurteil ergangen, sollte stets sowohl der nach § 329 Abs. 7 StPO zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt als auch Revision eingelegt werden (zu den Rechtsmitteln auch Burhoff/Kotz/Niehaus, Rechtsmittel, Teil A Rn 371 ff.). Es gilt § 342 Abs. 2 StPO (zur Entscheidungszuständigkeit OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.3.2006 – 3 Ws 321/06, NStZ-RR 2006, 215); die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist vorrangig (OLG Bamberg, Beschl. v. 28.12.2015 – 3 Ss OWi 1476/15, zfs 2016, 350 [für Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG]). Die Einlegung der Revision ohne Verbindung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt als Verzicht auf das Wiedereinsetzungsverfahren (§ 342 Abs. 3 StPO); das ist nicht von einer vorherigen Rechtsmittelbelehrung abhängig (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 23.9.2010 – 3 Ws 892/10, NStZ-RR 2011, 21). Für die Rechtzeitigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags des Angeklagten ist das Datum der (letzten) Zustellung des die Berufung verwerfenden Urteils entscheidend; ob der Angeklagte schon früher Kenntnis von der Berufungsverwerfung hatte, ist unerheblich (OLG Oldenburg, Beschl. v. 4.4.2011 – 1 Ws 165/11, StraFo 2011, 280).

Hinweis:

Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das LG, und zwar auch, wenn die Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag versäumt sein sollte. Das OLG kann die Entscheidung nicht an sich ziehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9.4.2018 – 2 Ws 151/18; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.3.2006 – 3 Ws 321/06, NStZ-RR 2006, 215; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 46 StPO Rn 2 m.w.N.).

2. Prüfungsumfang

Der Verteidiger muss bei der Begründung seiner Rechtsbehelfe den unterschiedlichen Prüfungsumfang für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einerseits und für die Revision andererseits berücksichtigen. Mit der Revision kann nur die Verletzung des § 329 StPO geltend gemacht werden, also z.B., dass das Gericht nicht alle erkennbaren Entschuldigungsgründe zugrunde gelegt oder dass es den Rechtsbegriff der „genügenden Entschuldigung“ verkannt hat (zu Einzelheiten Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 48 m.w.N.; OLG Hamm, Beschl. v. 22.1.1997 – 2 Ws 9/97, StV 1997, 346; LG Potsdam, Beschl. v. 22.6.2016 – 24 Qs 62/16, VRS 130, 122). Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag richtet sich der Verteidiger gegen die „Versäumung der ‚Berufungshauptverhandlung‘“ oder die „Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins“.

Hinweis:

Nur mit dem Antrag kann der Verteidiger daher nachträglich neue (!) Entschuldigungsgründe geltend machen (KG, Beschl. v. 13.5.2005 – 2 AR 67/055 Ws 240/05, NStZ-RR 2006, 183 m.w.N.; Beschl. v. 14.2.2019 – 4 Ws 12/19, StV 2020, 855; KG, Beschl. v. 6.7.2020 – 3 Ws 160/20, zfs 2020, 588; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.3.2023 – 1 ORs 5/23; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.2.1974 – 1 Ss 532/73, NJW 1974, 1151; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 Ws 51/23; zum Umfang der erforderlichen Darlegungen s. obige Rspr.-Nachweise).

Der Verteidiger kann daher zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs keine Gründe, die dem Berufungsgericht bereits bekannt waren, wiederholen (OLG Hamm, a.a.O.; OLG München, Beschl. v. 21.4.1988 – 2 Ws 191/88, NStZ 1988, 377; LG Dresden, Beschl. v. 11.9.2015 – 5 Qs 89/15, StRR 2015, 443 [Ls.]; LG Potsdam, Beschl. v. 22.6.2016 – 24 Qs 62/16, VRS 130, 122 [für Bußgeldverfahren]). Etwas anderes gilt, wenn das Berufungsgericht im Verwerfungsurteil lediglich Vermutungen über die Entschuldigungsgründe angestellt hat (KG, Beschl. v. 6.7.2020 – 3 Ws 160/20, zfs 2020, 588). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn mit dem Wiedereinsetzungsantrag weitere Tatsachen vorgetragen werden, die den bisherigen – vom Tatgericht bereits gewürdigten – Entschuldigungsgrund ergänzen, verdeutlichen und glaubhaft machen sollen (LG Potsdam, a.a.O.).

Hinweis:

Der Verteidiger muss die Wiedereinsetzung ausdrücklich beantragen. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen scheidet bei der Versäumung der Hauptverhandlung aus (OLG Hamm, Beschl. v. 15.7.2009 – 3 Ws 231/09, NStZ-RR 2009, 314).

3. Verfahrensrüge

In der Revision ist die Verfahrensrüge zu erheben (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 329 StPO Rn 48 f. m.w.N. aus der Rspr.; u.a. BayObLG, Beschl. v. 9.10.2020 – 202 StRR 94/20; Beschl. v. 5.4.2023 – 203 StRR 95/23, StraFo 2023, 358; Beschl. v. 28.12.2023 – 204 StRR 548/23; KG, Beschl. v. 15.5.2014 – (4) 161 Ss 71/14 (106/14), StRR 2015, 64 m. Anm. Hanschke; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.2.2021 – III 2 RVs 5/21 [Ladungsmangel]; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 RV 35 Ss 670/21 [Ladungsmangel]; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.1.2009 – 2 St OLG Ss 259/08, NJW 2009, 1761 [zugleich zu den Begründungsanforderungen]; a.A. OLG Dresden, Beschl. v. 12.7.2000 – 1 Ss 166/00, NJW 2000, 3295; s. auch BGH, Beschl. v. 13.12.2000 – 2 StR 56/00, BGHSt 46, 230; zur Verfahrens- und Sachrüge im Fall des § 329 Abs. 1 StPO eingehend Weidemann, Verfahrens- und Sachrüge gegen Prozeßurteile, in: Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, 2002, S. 653 ff.; Burhoff/Kotz/Niehaus, Rechtsmittel, Teil A Rn 71 ff.; zu den Anforderungen an die Revision in den „Vertretungsfällen“ s. OLG Hamm, Beschl. v. 6.9.2016 – III-4 RVs 96/16, StV 2018, 150; OLG Jena, Beschl. v. 28.7.2016 – 1 Ss 42/16, StraFo 2016, 417; OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16, StV 2018, 148). Diese unterliegt den strengen Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (s. z.B. BayObLG, Beschl. v. 5.4.2023 – 203 StRR 95/23, StraFo 2023, 358 betreffend Entschuldigungsgrund und Verletzung der Aufklärungspflicht; Burhoff, HV, Rn 2836).

Hinweis:

Die Frist für die Begründung der Revision ist nicht während des Wiedereinsetzungsverfahrens gehemmt.

Und: Neben der Verfahrensrüge sollte der Verteidiger auf jeden Fall – wie immer – aber auch die Sachrüge erheben.

Welche Rügen in Revision mit der Verfahrensrüge erhoben werden können und in welcher Form dies zu geschehen hat, richtet sich danach, worüber das Revisionsgericht rechtlich zu urteilen in der Lage ist. Dieser Prüfungsumfang ist bei der Anfechtung von Verwerfungsurteilen beschränkt darauf,

  • ob der Angeklagte zur Berufungsverhandlung ordnungsgemäß geladen worden war,
  • das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht erfüllt und seiner Entscheidung alle in diesem Zeitpunkt erkennbaren Entschuldigungsgründe zugrunde gelegt und
  • Rechtsbegriffe des Ausbleibens oder der genügenden Entschuldigung rechtsfehlerfrei beurteilt hat (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.4.2002 – III-2a Ss 91/02 – 35/02 II, StV 2009, 13; OLG Schleswig, Beschl. v. 18.12.2001 – 2 Ss 293/01, SchlHA 2002, 171).

Hinweis:

Hat sich das Gericht in den Urteilsgründen mit den Entschuldigungsgründen auseinandergesetzt, ist das Revisionsgericht an die insoweit festgestellten Tatsachen gebunden. Es kann sie nicht ergänzen oder im Wege des Freibeweises korrigieren (BayObLG, Beschl. v. 12.9.2000 – 5St RR 259/00, StV 2001, 338; OLG München, Beschl. v. 8.5.2006 – 4St RR 66/06).

Ist nach § 329 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten verhandelt worden, kann er nach § 340 StPO seine Revision/Verfahrensrüge nicht damit begründen, dass seine Anwesenheit in der Berufungshauptverhandlung erforderlich gewesen wäre. Darin würde ein selbstwidersprüchliches Verhalten des nicht zur Verhandlung erschienenen Angeklagten liegen (BT-Drucks 18/3562, S. 76).

V. Exkurs: Verwerfung der Berufung durch das AG gem. § 319 Abs. 1 StPO

Ist die Berufung verspätet eingelegt worden, muss das AG sie nach § 319 Abs. 1 StPO als unzulässig verwerfen. Die Vorschrift, die dem für die Revision geltenden § 346 StPO entspricht, will Rechtmittel, deren Unzulässigkeit leicht festgestellt werden kann, vom Berufungsgericht fernhalten (KK/Paul, § 319 Rn 1; eingehend zur Verwerfung durch das AG Burhoff/Kotz/Niehaus, RM, Teil A Rn 354 ff.).

Hinweis:

In den Fällen, in denen der Verteidiger nicht sicher beurteilen kann, ob die Berufungsfrist tatsächlich versäumt ist oder nicht, sollte er i.V.m. dem Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 319 Abs. 2 StPO sofort auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 44 ff. StPO beantragen. Das ist zulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, § 319 Rn 7 i.V.m. § 346 Rn 16).

§ 319 Abs. 1 StPO ist nur anwendbar, wenn die Berufungsfrist versäumt ist. Führen andere Gründe zur Unzulässigkeit der Berufung, z.B. mangelnde Beschwer oder ein Rechtsmittelverzicht ist die Vorschrift nach allgemeiner Meinung nicht anwendbar (u.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 319 Rn 1 u. § 346 Rn 2 m.w.N.; KK/Paul, § 319 Rn 2 m.w.N. zur n.v. Rspr. des BGH; unzutreffend a.A. AG Köln, Beschl. v. 15.3.2022 – 582 Ls 6/22 für nicht den Formerfordernissen entsprechende Berufung). § 319 Abs. 1 StPO gilt auch nicht, wenn (nur) zweifelhaft ist, ob die Berufung rechtzeitig eingelegt ist. Über die Zweifel hat dann das Berufungsgericht selbst zu entscheiden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.).

Hinweis:

Verwirft der Amtsrichter die (rechtzeitig eingelegte) Berufung als unzulässig, weil sie nach seiner Auffassung nicht rechtzeitig eingelegt ist, obwohl sie tatsächlich nicht verspätet ist, ist dieser Beschluss aber nicht unwirksam. Der Verteidiger muss/kann dagegen vielmehr mit der einfachen Beschwerde, nach § 304 StPO vorgehen (KK/Paul, § 319 Rn 2; Bloy JuS 1986, 585, 591).

 

Gegen die Entscheidung des AG steht dem Verteidiger nach § 319 Abs. 2 StPO als Rechtsbehelf eigener Art der Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts zu. Durch diesen ist die Beschwerde nach § 304 StPO ausgeschlossen. Für diesen Antrag gilt: Der Antrag ist nach h.M. beim AG anzubringen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 319 Rn 3); Antragstellung unmittelbar beim Berufungsgericht reicht nicht. Der Amtsrichter kann dem Antrag nicht abhelfen, er muss die Akten nach § 319 Abs. 2 S. 2 StPO an das Berufungsgericht senden. Die Antragsfrist beträgt nach § 319 Abs. 2 S. 1 StPO eine Woche. Sie beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem das AG die Berufung als unzulässig verworfen hat. Wird diese Frist versäumt, ist dagegen der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff. StPO) zulässig.

Hinweis:

Der Antrag muss schriftlich gestellt werden. I.Ü. bedarf er aber keiner besonderen Form. Es empfiehlt sich jedoch, den Antrag zu begründen.

Über den Antrag entscheidet das Berufungsgericht. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts steht grds. kein Rechtsmittel zur Verfügung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 319 Rn 5 m.w.N.). Nur wenn das AG die Berufung nicht hätte verwerfen dürfen, weil sie nicht verspätet war, ist eine Anfechtung des Beschlusses mit der sofortigen Beschwerde möglich. Dann handelt es sich nämlich tatsächlich um einen nach § 322 Abs. 1 StPO ergangenen Beschluss, der nach § 322 Abs. 2 StPO anfechtbar ist (OLG Düsseldorf VRS 86, 129; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2011, 49; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; zur sofortigen Beschwerde Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 4289).


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