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aus ZAP 2024, 1027

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht 2023/2024

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

I. Übersicht zu erster Rechtsprechung zum KCanG

Ende März 2024 ist das (neue) „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)“ v. 27.3.2024 im BGBl veröffentlicht worden (BGBl 2024 I, Nr. 109; vgl. auch ZAP 2024, 347 u. 659). Unter den „weiteren Vorschriften“ befindet sich auch das „Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG)“, das am 1.4.2024 in Kraft getreten ist. Diese Teillegalisierung des Besitzes und Anbaus von Cannabis hat bei der Strafjustiz, da Übergangsfristen fehlen, zu erheblicher Mehrarbeit geführt und wird in Zukunft weiterhin dazu führen. Das zeigt sich jetzt schon an der großen Anzahl von Entscheidungen, die sich mit den durch die Neuregelung aufgekommenen Fragen befassen. So sind z.B. auch auf der Homepage des BGH viele Entscheidungen zu finden, die wegen der Neuregelung in der Sache an sich rechtlich zutreffende Entscheidungen der LG in BtM-Verfahren abändern und/oder teilweise aufheben und zurückverweisen müssen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem dort nicht wieder neue Entscheidungen, in denen das KCanG eine Rolle spielt, eingestellt werden.

Der nachfolgende Überblick enthält erste Rspr. zu den neuen Regelungen des KCanG, die auf die Verteidigungspraxis erhebliche Auswirkungen hat. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie hat den Stand von Mitte Oktober 2024 (vgl. auch eine erste Bestandsaufnahme der Rspr. des BGH zum KCanG bei Terwolbeck, StRR 8/2024, 6).

1. Problem „nicht geringe Menge“

Gericht, Aktenzeichen

Inhalt der Entscheidung

BGH, Beschl. v. 18.4.2024 – 1 StR 106/24;

BGH, Beschl. v. 6.5.2024 – 2 StR 480/23

BGH, Beschl. v. 14.5.2024 – 3 StR 115/24

BGH, Beschl. v. 24.4.2024 – 4 StR 50/24;

BGH, Beschl. v. 23.4.2024 – 5 StR 153/24;

BGH, Beschl. v. 29.4.2024 – 6 StR 132/24;

BayObLG, Beschl. v. 17.7.2024 – 204 StRR 215/24;

KG, Beschl. v. 30.4.2024 – 5 Ws 67/24;

OLG Schleswig, Urt. v. 26.8.2024 – 1 ORs 4 SRs 37/24

Der Grenzwert der nicht geringen Menge für THC i.S.d. § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG beträgt nach wie vor 7,5 Gramm. Etwas anderes folgt nicht aus einer „geänderten Risikobewertung“.

LG Freiburg, Urt. v. 5.4.2024 – 17/23 3 KLs 690 Js 3513/23

Der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ von Cannabis ist im Lichte des KCanG neu zu bestimmen und auf 80 Gramm THC festzusetzen.

AG Mannheim, Urt. v. 16.4.2024 – 2 Ls 801 Js 37886/23

Der Grenzwert der „nicht geringen Menge“ von Cannabis ist im Lichte des KCanG neu zu bestimmen und auf 75 Gramm THC festzusetzen.

BGH, Beschl. v. 24.4.2024 – 4 StR 50/24

Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Maß sich die Tathandlung auf eine „nicht geringe Menge“ bezogen hat, ist derjenige Teil der Gesamtmenge, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu lassen. Erst die die Grenze zur Strafbarkeit überschreitende Stoffmenge ist daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie ihrem Wirkstoffgehalt nach den Grenzwert von 7,5 Gramm THC erreicht bzw. überstiegen hat.

BGH, Beschl. v. 1.8.2024 – 2 StR 107/24;

OLG Hamm, Beschl. v. 22.8.2024 – III-3 ORs 49/24

Kommt es für die Beurteilung der Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a. und Buchst. b. KCanG in Fällen, in denen vorrätig gehaltenes Cannabis sowohl zum Handeltreiben als auch für den Eigenkonsum bestimmt ist, auf die Gesamtmenge an, oder ist die dem Eigenkonsum dienende Teilmenge gesondert zu betrachten?

BGH, Beschl. v. 14.5.2024 – 1 StR 154/24;

BGH, Beschl. v. 15.5.2024 – 6 StR 73/24 Rn 6

Soweit sich das Tatbestandsmerkmal „nicht geringe Menge“ bei mehreren Betäubungsmitteln aus der Summe der Wirkstoffmengen ergibt, kommt eine Addition von Betäubungsmitteln und Cannabis zur Bestimmung der „nicht geringen Menge“ i.S.d. BtMG nicht mehr in Betracht.

BGH, Beschl. v. 30.4.2024 – 6 StR 164/24

Der als Verbrechen ausgestaltete Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG hat die Kraft, das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Tat zu verklammern.

BGH, Beschl. v. 30.4.2024 – 6 StR 536/23;

BGH, Beschl. v. 6.5.2023 – 5 StR 550/23;

BGH, Beschl. v. 15.5.2024 – 2 StR 458/23

Im Anwendungsbereich des KCanG bedarf es des Zusatzes „in nicht geringer Menge“ nicht (mehr), da es sich gem. § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 4 KCanG im Falle von Cannabis um Regelbeispiele und damit um Strafzumessungsregeln handelt.

2. Weitere Tatbestände

Gericht, Aktenzeichen

Inhalt der Entscheidung

BGH, Beschl. v. 16.7.2024 – 5 StR 296/24

Die Einfuhr von Cannabis gem. § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG, die dem gewinnbringenden Umsatz dient, geht als unselbstständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn sich die Einfuhrhandlungen zum Zwecke des Handeltreibens auf eine nicht geringe Menge beziehen (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG).

BayObLG, Beschl. v. 8.4.2024 –203 StRR 39/24

1. Die neue gesetzliche Bestimmung von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum, auch wenn es vor dem 1.4.2024 erfolgte.

2. Die Tat ist vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt.

3. Einziehung

Gericht, Aktenzeichen

Inhalt der Entscheidung

BayObLG, Beschl. v. 8.4.2024 – 203 StRR 39/24

Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Im Urteil bedarf es mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis.

BGH, Beschl. v. 12.6.2024 – 1 StR 105/24

 

Werden die für den Besitz, Anbau und Erwerb von Cannabis erlaubten Mengen überschritten, unterliegt dieses vollständig der Einziehung (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB) (nicht tragend).

BGH, Beschl. v. 1.8.2024 – 2 StR 107/24

Muss bei einer auf § 37 KCanG gestützten Einziehung eine dem Eigenkonsum dienende und die Grenzen des § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 KCanG oder des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a. und Buchst. b. KCanG nicht übersteigende Cannabismenge stets ausgenommen werden?

OLG Schleswig, Urt. v. 26.8.2024 – 1 ORs 4 SRs 37/24

Bei den in § 34 Abs. 1 und 2 KCanG festgelegten Mengen handelt es sich um Freigrenzen. Werden diese überschritten, ist der gesamte Besitz strafbar und unterliegt deshalb insgesamt der Beschlagnahme und Einziehung.

AG Bautzen, Beschl. v. 27.5.2024 – 47 Gs 409/24;

AG Westerstede, Urt. v. 2.4.2024 – 42 Ls 209/23

Bei Überschreitung der erlaubten Menge nach § 3 Abs. 2 KCanG unterliegen nur die Gegenstände der Beschlagnahme zum Zwecke der Sicherung der späteren Einziehung, die die Freigrenzen überschreiten.

Hinweis:

Im Übrigen gilt: Vorstrafen, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist, unterliegen derzeit (noch) nicht dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, da sie erst ab dem 1.1.2025 tilgungsfähig sein werden; ihnen kommt nach wie vor eine Warnfunktion zu (BayObLG, Beschl. v. 17.7.2024 –204 StRR 215/24; s. auch noch BayObLG, Beschl. v. 27.6.2024 – 4 StRR 205/24).

II. Straftaten in Zusammenhang mit jugend-/kinderpornographischen Inhalten

Straftaten in Zusammenhang mit jugend-/kinderpornographischen Inhalten spielen in der Praxis eine große Rolle. Das zeigt die Vielzahl der vor allem auch auf der Homepage des BGH veröffentlichten Entscheidungen. An dieser Stelle soll exemplarisch auf drei Entscheidungen hingewiesen werden.

1. Beweiswürdigung bei Verurteilung wegen Verbreitung pornographischer Inhalte

In seinem Urt. v. 14.12.2023 (3 StR 183/23, StV 2024, 308) hat der BGH zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung zur Altersbestimmung von Darstellern pornographischer Inhalte bzw. zur Abgrenzung jugendpornographischer Inhalte von kinderpornographischen Inhalten Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten nur wegen Verbreitung jugendpornographischer Inhalte nach § 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt. Dagegen wendete sich die Staatsanwaltschaft, die in einigen der Urteilsfälle eine Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte nach § 184b StGB erstrebt hatte. Sie beanstandete die Feststellungen des LG zum Alter der in den Videos zu sehenden Mädchen. Das hatte die Strafkammer auf der Basis einer Inaugenscheinnahme der Videodateien und aufgrund eigener Sachkunde anhand einer Gesamtwürdigung der in den Filmen zu erkennenden körperlichen Merkmale der Darstellerinnen, ihres Verhaltens sowie der sichtbaren äußeren Umstände der Aufnahmen festgestellt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Der BGH (a.a.O.) beanstandet die Beweiswürdigung des LG, aufgrund derer es zu der Feststellung gelangt ist, dass die Darstellerinnen in den Videos zum maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung der Aufnahmen nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, aber sicher nicht älter als 18 Jahre alt waren, als unzulänglich, weil sie eine beachtliche Lücke aufweise. Generell gelte zur Altersbestimmung von Darstellern pornographischer Inhalte bzw. zur Abgrenzung jugendpornographischer Inhalte von kinderpornographischen Inhalten Folgendes:

Sei das kindliche Alter der in einem Video oder auf einem Bild erkennbaren Person – etwa aufgrund ihrer Identifizierung – bekannt, komme es für die rechtliche Einordnung eines Inhalts als kinderpornographisch allein auf das tatsächliche Alter an. Mithin sei immer § 184b StGB einschlägig, wenn die bei einem realen Geschehen gezeigte Person tatsächlich ein Kind ist, auch wenn sie älter aussehen sollte (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2001 – 1 StR 66/01, BGHSt 47, 55, 61; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn 18; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl. 2020, § 184b Rn 9; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2024, § 184b Rn 12; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn 12; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl. 2023, § 184b Rn 8; BeckOK-StGB/Ziegler, 59. Ed., § 184b Rn 8).

In Fällen nicht identifizierter abgebildeter Personen bedürfe es einer Altersbestimmung oder zumindest Alterseingrenzung aufgrund einer Gesamtwürdigung aller sich aus dem Inhalt selbst und dessen Bezeichnung ergebender Umstände, namentlich der körperlichen Entwicklung, des Aussehens, der Gestik und Mimik, der Stimme, der Äußerungen und des Verhaltens des Abgebildeten, aber auch weiterer Faktoren wie der Räumlichkeit, in der die Aufnahme gefertigt wurde, Bekleidungsstücke (etwa Kinderbekleidung), sichtbarer weiterer Gegenstände (etwa Kinderspielzeug) sowie textlicher oder sprachlicher Altersangaben in dem Inhalt oder dessen Bezeichnung (Dateiname). Dabei sei zwar primär das auf diese Weise beweiswürdigend festgestellte oder zumindest eingegrenzte Alter der Person maßgeblich. Es genüge aber für eine Einordnung eines Inhalts als kinder- bzw. jugendpornographisch, wenn ein objektiver, gewissenhaft urteilender Betrachter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Inhalts und dessen Bezeichnung den Eindruck erlangt, dass die gezeigte Person ein Kind oder Jugendlicher ist. Dann sei das tatsächliche Alter irrelevant („Scheinkinder“ oder „Scheinjugendliche“) bzw. ohne Bedeutung, ob sich dieses feststellen lässt oder nicht (vgl. BGH, a.a.O.; Schönke/Schröder/Eisele, a.a.O., § 184b Rn 18, § 184c Rn 9 f.; Matt/Renzikowski/Eschelbach, a.a.O., § 184b Rn 10 ff., § 184c Rn 11 f.; Fischer, a.a.O., § 184b Rn 13; s. auch BVerfG, Beschl. v. 6.12.2008 – 2 BvR 2369/08 u.a., MMR 2009, 178).

Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Aufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, stünden der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen, denn ansonsten hätte es der Hersteller oder Verbreiter des Inhalts in der Hand, durch einfache unwahre Behauptungen eine Anwendbarkeit der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern (vgl. BGH, a.a.O.). Demgegenüber könne Angaben in einer Videoaufnahme oder einer Dateibezeichnung, die ein kindliches oder jugendliches Alter des Abgebildeten behaupten, im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung Indizwert dahin zukommen, dass es sich bei der betreffenden Person tatsächlich um ein Kind oder einen Jugendlichen handele. Auch könne eine solche Angabe in der Gesamtschau mit dem Aufnahmeinhalt geeignet sein, einem objektiven, gewissenhaft urteilenden Betrachter den Eindruck zu vermitteln, die gezeigte Person sei ein Kind oder Jugendlicher, was für die Qualifikation eines Inhalts als kinder- oder jugendpornographisch ausreiche.

Diesen Anforderungen genügte die Beweiswürdigung des LG nach Auffassung des BGH (Urt. v. 14.12.2023 – 3 StR 183/23) nicht vollständig. Der Strafkammer hätten als Beweismittel allein die einer Inaugenscheinnahme zugänglichen urteilsgegenständlichen Videodateien zur Verfügung gestanden. Sie habe die Videos sowie Standbilder aus den elektronischen Dateien in Augenschein genommen und anhand dieser Betrachtungen aufgrund eigener, aus der Lebenserfahrung der Richterinnen und Schöffinnen gespeister Sachkunde die Altersfeststellungen getroffen. Dabei habe sie für jede einzelne Darstellerin aufgrund einer Gesamtwürdigung zahlreicher Kriterien den Schluss gezogen, dass diese zum Zeitpunkt der Erstellung der Aufnahme nicht ausschließbar mindestens 14 Jahre, auf jeden Fall aber – offensichtlich – nicht älter als 18 Jahre gewesen seien. Dies sei zwar für sich genommen nicht zu beanstanden. Jedoch habe die Strafkammer ausdrücklich unberücksichtigt gelassen, dass die Dateinamen der Videos, die zudem zu Beginn der Filme eingeblendet werden, jeweils Altersangaben der Darstellerinnen enthielten, wonach diese zwölf bzw. 13 Jahre alt seien. Diese behaupteten Angaben zum Alter der Mädchen in den Dateibezeichnungen seien unerheblich. Auf solche könne es nicht ankommen, denn ansonsten hätte es der Verbreiter oder Hersteller eines pornographischen Inhalts in der Hand, durch falsche Behauptungen eine Anwendung der §§ 184b, 184c StGB zu verhindern. Diese pauschale Ausklammerung der Altersangaben der Darstellerinnen in den Dateinamen aus der gebotenen Gesamtwürdigung halte der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar stehen – wie dargelegt – Altersangaben zu nicht identifizierten abgebildeten Personen in den betreffenden Videoaufnahmen oder in Dateinamen, die eine Volljährigkeit oder zumindest Jugendlichkeit des Darstellers behaupten, der gesamtwürdigenden Annahme einer jüngeren Altersstufe nicht entgegen. Mithin seien Angaben, die ein höheres als das tatsächliche oder aufgrund des Gesamteindrucks vermittelte Alter eines Darstellers behaupten, unerheblich. Dagegen können die Angabe eines kindlichen oder jugendlichen Alters in dem betreffenden Inhalt oder seiner Bezeichnung durchaus Indizwert für ein solches oder zumindest den Gesamteindruck eines solchen haben. Auch wenn sie nicht bereits für sich genommen zur Anwendbarkeit des § 184b oder § 184c StGB führe (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn 13), so müsse sie daher in die gebotene Gesamtwürdigung einbezogen werden.

Hinweis:

Auf der bisher zu der Problematik vorliegenden Rspr. ist die Beanstandung des BGH überzeugend. Die Strafkammer durfte den Altersangaben von zwölf bzw. 13 Jahren in den Dateinamen der Videos nicht von vornherein jeden Beweiswert absprechen. Denn unabhängig von einer wohl erfolgten „sorgfältigen Analyse der Videoinhalte“ kann man nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass ggf. alle oder jedenfalls einzelne Darstellerinnen nach dem vom BGH betonten maßgeblichen Gesamteindruck, der einem objektiven Betrachter vermittelt wird, jünger als 14 Jahre sind, wenn man die mit der Dateibezeichnung aufgestellte Behauptung eines kindlichen Alters in die Gesamtwürdigung einstellt.

2. Bandenmäßiges Zugänglichmachen kinder- und jugendpornografischer Inhalte

Kinder- und jugendpornografische Internetforen werden in aller Regel international betrieben. Die Nutzer kennen sich naturgemäß vielfach persönlich nicht, sondern nur mit Nutzernamen. Demgegenüber wird der sog. Bandenbegriff oft phänotypisch mit der lokal oder regional agierenden Diebesbande assoziiert, deren Mitglieder sich weitgehend untereinander kennen. Der 6. Strafsenat des BGH hat im Beschl. v. 14.11.2023 (6 StR 449/23, NJW 2024, 2050) zum Begriff der Bande i.S.v. § 184b Abs. 2 Alt. 2 bzw. § 184c Abs. 2 Alt. 2. StGB Stellung genommen. Danach handelt bandenmäßig, wer einem zum Zwecke des Austauschs kinder- und jugendpornographischer Inhalte (§ 184b Abs. 1, § 184c Abs. 1 StGB) betriebenen zugangsbeschränkten Internetforum beitritt und entsprechend den hierfür aufgestellten Regeln zugleich (konkludent) erklärt, hierüber fortan einen wiederholten Tauschhandel mit anderen registrierten Nutzern zu betreiben. Eine Bandenabrede sei im Übrigen auch zwischen Personen möglich, die sich sämtlich nicht näher kennen, sondern unter Pseudonymen und Decknamen im virtuellen Raum des Internets miteinander handeln.

Hinweis:

Das bedeutet, dass der Bandenbegriff nicht statisch, sondern tatbestandbezogen anhand von Sinn und Zweck der jeweiligen Strafvorschrift auszulegen ist. Das ist zutreffend und schon der unterschiedlichen Struktur der jeweiligen Tatbestände geschuldet. Denn während z.B. der Bandendiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Mitwirkung eines anderen, spätestens dann persönlich bekannten Bandenmitglieds bei der Tatbegehung erfordert, ist das beim Zugänglichmachen inkriminierter Inhalte nach § 184b Abs. 2 StGB nicht der Fall. Bei einer anderen Auslegung als der des BGH wäre im Übrigen die Bekämpfung von Taten betreffend kinder- und jugendpornografische Inhalte erheblich behindert.

III. Zueignung und Manifestation des Zueignungswillens (§ 246 StGB)

In Zusammenhang mit der Frage, ob ggf. eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB vorgelegen hat, spielt die Frage nach der sog. Manifestation des Zueignungswillens immer wieder eine Rolle. Dazu hat noch einmal der BGH in einem Beschl. v. 29.11.2023 (6 StR 191/23, NJW 2024, 1050) Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Unterschlagung eines sicherungsübereigneten Tiefladers verurteilt und das damit begründet, dass die geschuldete Rückgabe nicht erfolgt sei. Insoweit war die Revision des Angeklagten erfolgreich.

Nach Auffassung des BGH hatte sich der Angeklagte den im Eigentum einer T-AG stehenden Tieflader nicht zugeeignet. Eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB setze nach der – von der bisherigen Rspr. abweichenden Auffassung – des Senats voraus, dass der Täter sich die Sache oder den in ihr verkörperten wirtschaftlichen Wert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen einverleibt und den Eigentümer auf Dauer von der Nutzung ausschließt (im Ausgangspunkt ebenso BGH, Beschl. v. 5.3.1971 – 3 StR 231/69, BGHSt 24, 115, 119). Eine bloße Manifestation des Zueignungswillens genüge nicht, könne aber ein gewichtiges Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand sein.

Gestützt werde dieses Verständnis – so der BGH im Beschl. v. 29.11.2023, a.a.O. – durch den Wortlaut des § 246 StGB, wonach derjenige eine Unterschlagung begeht, der sich oder einem Dritten eine Sache rechtswidrig zueignet. Mit dieser Formulierung schreibe der Gesetzgeber fest, dass eine Zueignung tatsächlich eingetreten sein muss; die Vorschrift sei als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Auch die Gesetzgebungsgeschichte spreche für eine rechtsgutbezogene Auslegung des Begriffs der Zueignung. So sei der Anwendungsbereich des § 246 StGB mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.1.1998 (BGBl 1998 I, S. 164), das den Wegfall des Gewahrsamserfordernisses vorsah, erheblich ausgeweitet worden. Um nach der Gesetzesänderung die Tathandlung und den Vollendungszeitpunkt unter Wahrung des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) zu konkretisieren und die Grenze zur Versuchsstrafbarkeit (§ 246 Abs. 3 StGB) konturieren zu können, sei der Unterschlagungstatbestand – und damit notwendigerweise das Tatbestandsmerkmal „zueignet“ – auf tatsächliche Eigentumsbeeinträchtigungen zu beschränken. Für dieses Ergebnis sprächen zudem gesetzessystematische Erwägungen. So setze die Zueignungsabsicht beim Diebstahl voraus, dass sich der Täter unter dauerhaftem Ausschluss der Nutzungsmöglichkeit des Berechtigten die Sache oder den in ihr verkörperten Wert seinem Vermögen zumindest vorübergehend einverleiben will. Der in § 242 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Zueignung entspreche demjenigen des § 246 Abs. 1 StGB (BGHSt, a.a.O.); der Unterschied bestehe (lediglich) darin, dass diese bei der Unterschlagung in die Tat umgesetzt sein muss, während beim Diebstahl die Absicht hierzu genügt. Der Umstand, dass sich der Täter zivilrechtlich eine fremde Sache nicht erfolgreich „zueignen“, sondern an ihr allenfalls im Wege der §§ 946 ff. BGB Eigentum erwerben kann („scheinbare Eigentümerstellung“), stehe einem – strafrechtsautonom zu beurteilenden – Zueignungserfolg nicht entgegen. Schließlich sei dieses Begriffsverständnis auch aus teleologischer Sicht geboten. So sei bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „zueignet“ die Begrenzung des Strafrechts als „ultima ratio“ zu beachten. Eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung müsse somit in jedem Fall zum Schutz des Eigentums erforderlich sein; dieser Vorgabe sei durch eine präzise Beschreibung des Unrechts des § 246 StGB – die nach dem 6. StrRG nur durch das (einzige) Tatbestandsmerkmal „zueignet“ erfolgen könne – Rechnung zu tragen. Eine Zueignung setze demnach mindestens voraus, dass die Befugnisse des jeweiligen Eigentümers – also sein Nutzungs- oder sein Ausschlussrecht aus § 903 BGB – beeinträchtigt werden. Hingegen würde eine vom Rechtsgut des § 246 StGB losgelöste Interpretation den zulässigen Anwendungsbereich des Strafrechts überdehnen, denn der Unterschlagungstatbestand könnte in Folge des Wegfalls des Gewahrsamserfordernisses Konstellationen erfassen, in denen Eigentümerinteressen nicht einmal abstrakt gefährdet würden.

Soweit es hingegen die Rspr. (BGH, Urt. v. 19.6.1951 – 1 StR 42/51, BGHSt 1, 262, 264; Beschl. v. 5.3.1971 – 3 StR 231/69, BGHSt 24, 115, 119; Urt. v. 17.3.1987 – 1 StR 693/86, BGHSt 34, 309, 311; BGH, Urt. v. 6.9.2006 – 5 StR 156/06, NStZ-RR 2006, 377) bisher für eine Zueignung i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB habe ausreichen lassen, dass sich der Zueignungswille des Täters in einer nach außen erkennbaren Handlung manifestiert („weite Manifestationstheorie“, für eine Beschränkung auf „eindeutige“ Handlungen Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl., § 246 Rn 4), überzeuge dies aus den zuvor ausgeführten Gründen nicht. Auch wenn ein solcher Manifestationsakt häufig mit einer Eigentumsbeeinträchtigung einhergehen dürfte und als Beweisanzeichen für den subjektiven Tatbestand gewertet werden kann, so seien doch Fälle denkbar, in denen der jeweilige Täter sich als Eigentümer „geriert“, gleichwohl aber keinerlei Verkürzung der Positionen des Berechtigten droht. Eine Bestrafung wegen vollendeter Unterschlagung würde zu einem Wertungswiderspruch zu den allgemeinen Grundsätzen der – nach § 246 Abs. 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB möglichen – Versuchsstrafbarkeit führen, die regelmäßig voraussetzt, dass das geschützte Rechtsgut (bereits) durch den Tatplan unmittelbar gefährdet wird.

Trotz der Divergenz war nach Auffassung des 6. Strafsenats ein Anfrageverfahren gem. § 132 Abs. 3 S. 1 GVG nicht veranlasst. Denn nach beiden Auffassungen liege in Bezug auf den Tieflader weder ein Zueignungserfolg noch ein Manifestationsakt vor. So liege in dem bloßen Unterlassen der geschuldeten Rückgabe sicherungsübereigneter Gegenstände keine vollendete Zueignung, denn dies beeinträchtige die Eigentümerbefugnisse nicht weitergehend, als bereits durch die im Rahmen des Miet- oder Leasingvertrags erfolgte Gebrauchsüberlassung geschehen. Verbirgt oder verkauft der Täter allerdings Gegenstände, die sich in seinem Besitz befinden oder gebraucht er sie in einer Weise, mit der ein erheblicher Wertverlust einhergeht, liege ein nach der Ansicht des Senats notwendiger Zueignungserfolg vor, denn der Täter verleibe sich hierdurch die jeweiligen Sachen bzw. deren Sachwert wenigstens vorübergehend in sein Vermögen ein und schließe den Berechtigten – hier der jeweilige Sicherungsnehmer – insoweit von seinen Nutzungsmöglichkeiten aus. In Bezug auf den Tieflader habe der Angeklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder den Insolvenzverwalter über die Existenz und den Standort in Kenntnis gesetzt noch gegenüber der T-AG vorbehaltlos die Herausgabe angeboten, sondern diesen weiterhin in Besitz behalten, wobei die Sicherstellung erst ein knappes Jahr später durch einen für die T-AG tätigen Sichersteller gelang. Eine Beeinträchtigung der Eigentümerbefugnisse der T-AG, die einen Zueignungserfolg i.S.d. § 246 Abs. 1 StGB begründen könnte, ergebe sich aus diesem „bloßen“ Unterlassen der Herausgabe nicht. Auch nach Ansicht der bisherigen Rspr. sei für eine Unterschlagung sicherungsübereigneter Gegenstände erforderlich, dass der Täter – über ihr „Behalten“ hinaus – ein Verhalten an den Tag legt, aus dem geschlossen werden kann, dass er sich als Eigentümer „geriert“, wobei ein Verbergen, ein Verkauf (BGH, Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23, NJW 1962, 116, 117), aber auch ein Gebrauch der Gerätschaften ausreichen kann, wenn mit ihm ein erheblicher Wertverlust einhergeht (BGH, Urt. v. 17.3.1987 – 1 StR 693/86, BGHSt 34, 309, 311). Insbesondere ergebe sich ein solches nicht aus der E-Mail des Angeklagten, in der er mit der T-AG über die Herausgabe des Tiefladers verhandelte, weil er zu diesem Zeitpunkt – das Insolvenzverfahren wurde erst später eröffnet – seine Verfügungsbefugnis noch nicht verloren hatte (§ 80 Abs. 1 InsO). Auf das ihm unterbreitete Angebot einer Ablösesumme habe der Angeklagte nicht mehr reagiert.

Hinweis:

Man fragt sich, warum sich der 6. Strafsenat so umfänglich in einem obiter dictum mit dem Begriff der Zueignung abweichend von der bisherigen Handhabung des BGH auseinandersetzt und die bloße Manifestation des Zueignungswillens nicht genügen lassen will. Auf die „feinsinnige“ Unterscheidung des 6. Strafsenats dürfte es nämlich, wie der entschiedene Fall zeigt, in der Praxis nur selten ankommen.

IV. Verkehrsstrafrecht

1. Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr (§ 315 StGB)

Verfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr gem. § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind in der Praxis seltener anzutreffen. Deshalb lohnt es sich ggf. einmal, einen Blick in eine dazu jetzt ergangene Entscheidung des OLG Köln (Beschl. v. 19.3.2024 – III-1 ORs 45/24) zu werfen. Das OLG wendet in dieser Entscheidung die Rechtsprechungsgrundsätze zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315c StGB) entsprechend an. Danach erfordert also auch ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Es gilt also auch hier die umfangreiche „Beinahe-Unfall-Rspr.“ des BGH (dazu auch unter IV. 2.). Zur Fahrlässigkeit hat das OLG dann festgestellt, dass die allgemeine Erwägung des Tatrichters, in einer Großstadt müsse stets damit gerechnet werden, dass hinter einem Zaun auch Schienen verlaufen können, nicht ausreicht, um einen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich eines gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr zu begründen.

2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB)

Der Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b StGB beschäftigt die Rspr. häufig. Hinzuweisen ist auf folgende Entscheidungen:

a) Täter

Ein sog „verkehrsfeindlicher Inneneingriff“, der zur Annahme eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b StGB führt, kann auch durch einen Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs in Mittäterschaft begangen werden. Das hat der BGH noch einmal bestätigt (BGH, Beschl. v. 15.8.2023 – 4 StR 227/23) und damit bereits vorliegende Rspr. fortgeführt (BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – 4 StR 145/13; OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.2017 – III-4 RVs 159/16, NStZ-RR 17, 224). Denn § 315b Abs. 1 StGB stellt kein eigenhändiges Delikt dar, bei dem der Täter nur durch ein eigenes Handeln persönlich den Tatbestand erfüllen kann. Hier war der Angeklagte zusammen mit seinem Bruder, der den Pkw steuerte, zu einem mit einem Dritten vereinbarten Treffpunkt gefahren. Dort war der Bruder des Angeklagten auf diesen Dritten zugefahren. Der Angeklagte und sein Bruder hatten dabei in Kauf genommen, dass der Dritte tödliche Verletzungen erleiden konnte. Der BGH hat die Verurteilung auch des Angeklagten nach § 315b StGB nicht beanstandet.

b) Tathandlung

Der BGH hat in seinem Beschl. v. 23.4.2024 (4 StR 87/24) noch einmal zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr wegen Schießens im Straßenverkehr Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen eines Verstoßes gegen § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt, weil das Fahrzeug des Geschädigten infolge der Schussabgabe durch den Angeklagten beschädigt worden war. Der BGH sieht das anders. Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB setze nämlich voraus, dass durch die Beschädigung eines fremden Fahrzeugs die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt worden sei. Die Beschädigung des Fahrzeugs müsse mithin das Mittel der Gefährdung gebildet haben und dieser also zeitlich und ursächlich vorausgehen (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 26.7.2011 – 4 StR 340/11 m.w.N.). Erschöpfe sich die Beeinträchtigung hingegen in der Beschädigung des fremden Kraftfahrzeugs, scheide die Anwendung von § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB aus.

Der BGH (Beschl. v. 23.4.2024 – 4 StR 87/24) hat jedoch den Tatbestand des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB als erfüllt angesehen. Dieser Tatbestand könne auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung (hier: Abgabe des Schusses) unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung (Sachschäden am Kraftfahrzeug des Geschädigten) führt. Dies gelte allerdings nicht uneingeschränkt. Nicht jede Sachbeschädigung oder auch Körperverletzung im Straßenverkehr sei tatbestandsmäßig i.S.d. § 315b StGB. Vielmehr gebiete der Schutzzweck insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 215/22; Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.; Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124). Dies sei der Fall, wenn die konkrete Gefahr jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist (u.a. BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 215/22; Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.; Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02). Nach diesen Maßgaben ist der BGH von einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr ausgegangen. Anders als in den bisher entschiedenen Fällen, in denen der BGH ohne eingetretenen „Beinahe-Unfall“ eine verkehrsspezifische Gefahr durch Pistolenschüsse auf Kraftfahrzeuge verneint habe (vgl. BGH, Beschl. v. 30.8.2017 – 4 StR 349/17; Beschl. v. 16.7.2015 – 4 StR 117/15; Beschl. v. 4.11.2008 – 4 StR 411/08), habe der vom Angeklagten abgegebene Schuss hier nicht die Seitenfläche, sondern die Stirnseite des vorwärts bewegten fremden Pkws getroffen. Bei der Schadensentstehung habe die Dynamik des Straßenverkehrs hier zumindest dadurch gefahrerhöhend gewirkt, dass im Auftreffen des Projektils zu dessen kinetischer Energie – anders auch als bei einem stehenden Fahrzeug als Ziel – jene Bewegungsenergie hinzukam, die mit der gegenläufigen Bewegung der Trefferfläche an dem nachfolgenden Kraftfahrzeug des Geschädigten verbunden war (vgl. auch zu Steinwürfen BGH, Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 m.w.N.). Dieser synergistische Effekt begründe ungeachtet der hohen Eigendynamik des auftreffenden Projektils unter den festgestellten Umständen die erforderliche, aber auch ausreichende innere Verbindung der eingetretenen konkreten Gefahr mit der Dynamik des Straßenverkehrs (vgl. allgemein BGH, Urt. v. 4.12.2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124 f.).

Nach der Rspr. des BayObLG ist aber der erforderliche Eintritt einer konkreten Gefahr bei einer Einwirkung auf ein im Straßenverkehr bewegtes Pferd nicht gegeben, wenn das Tier zwar kurzzeitig in Aufregung gerät, aber sogleich von dem Reiter unter Kontrolle gebracht werden kann (BayObLG, Beschl. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22).

3. Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB)

Zur Annahme geistiger bzw. körperlicher Mängel i.S.v. § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB hat das LG Wuppertal Stellung genommen. Danach kann ein altersbedingter Abbau in Verbindung mit Ausfallerscheinungen die Annahme geistiger bzw. körperlicher Mängel begründen. Jedoch muss der etwaige altersbedingt hervorgerufene Mangel i.S.d. Norm hierfür zunächst konkret benannt und sodann weiter festgestellt werden, dass der Angeschuldigte diesen konkreten Mangel auch hätte erkennen können, mithin diesbezüglich mindestens fahrlässig handelte (LG Wuppertal, Beschl. v. 15.5.2023 – 25 Qs 33/23, NZV 2024, 404). Ob der Angeschuldigte tatsächlich aufgrund geistiger bzw. körperlicher Mängel (im Zusammenhang mit durch Zeugen berichteten Fahrfehlern) fahruntüchtig war, lässt sich dabei mangels medizinischer eigener Sachkunde des Gerichts nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hinreichend beantworten (LG Wuppertal, a.a.O.).

Bei einer Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) tun sich die Tatgerichte immer wieder mit der Feststellung eines tatbestandlichen Gefährdungsschadens schwer. Dazu hat das KG (Beschl. v. 12.4.2024 – 3 ORs 31/24) noch einmal darauf verwiesen, dass die Feststellung eines nach § 315c StGB tatbestandlichen Gefährdungsschadens zwei Prüfschritte erfordert: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert gehandelt hat. Wird dies bejaht, so ist weiter zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der allein maßgebliche „überschießende“ Gefährdungsschaden (so auch BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23 und dazu grundlegend schon BGH, NJW 2017, 743; NStZ 2019, 677 m.w.N.; NStZ-RR 2019, 125).

Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern. Die st. Rspr. hat jetzt der BGH noch einmal bestätigt (Beschl. v. 24.4.2024 – 4 StR 90/24).

Eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) scheidet aus, wenn bei einer Straßenverkehrsgefährdung durch die Tat nur das eigene Kraftfahrzeug des Beschuldigten oder eine fremde Sache ohne bedeutenden Wert gefährdet wird. Insoweit ist von einem Grenzwert zwischen 750 € und 1.300 € auszugehen, wobei die Grenze eher im oberen Bereich liegen soll (AG Wuppertal, Beschl. v. 12.12.2023 – 20 Gs 159/23, NZV 2024, 405).

4. Trunkenheits-/Drogenfahrt (§ 316 StGB)

a) Öffentlicher Verkehrsraum

Der Autozug „Sylt Shuttle“ ist öffentlicher Verkehrsraum i.S.v. § 316 StGB (LG Flensburg, Beschl. v. 3.3.2023 – II Qs 9/23, zfs 2023, 527).

b) Blutprobe

Vor einiger Zeit haben die mit der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a Abs. 2 StPO) zusammenhängenden Fragen die Praxis beschäftigt. Dabei ging es insb. meist um die Frage des sog. Richtervorbehalts. Die Problematik hat sich dann durch die Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens v. 17.8.2017 (BGBl 2017 I, S. 3202; dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025 Rn 1513 ff.) weitgehend erledigt. Sie hat nun aber dann doch noch einmal ein AG beschäftigt.

In dem vom AG Ratzeburg (Beschl. v. 22.12.2023 – 31a OWi 46/23 jug) entschiedenen Fall hatte der Fahrer eines Pkw bei einer Standkontrolle auf einem BAB-Rastplatz sehr nervös gewirkt. Er konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte er häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal um in seine Hosentaschen zu greifen. Zudem war der Betroffene redselig und aus Sicht des kontrollierenden Polizeibeamten unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der Beamte den Verdacht ab, dass der Betroffene eine Drogenfahrt gem. § 24a StVG begangen haben könnte. Da der Pkw-Fahrer einen Urintest verweigerte, wurde eine Blutprobe angeordnet. Nach deren Ergebnis befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Der Verteidiger hatte mit seinem Rechtsmittel beim AG Ratzeburg (a.a.O.) keinen Erfolg. Nach Auffassung des AG haben die Voraussetzungen des § 81a Abs. 2 S. 1 StPO vorgelegen. Die Blutentnahme habe nicht durch einen Richter angeordnet werden müssen. Der Gesetzeswortlaut fordere einen „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setze nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG) vorliegen. Das AG hat dem Verteidiger zwar zugestanden, dass die von dem Polizeibeamten geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Tat (gem. § 24a StVG) nicht begründen könnten. Entscheidend sei indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen gelegen habe, die eben diesen Verdacht begründen. Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, so gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären.

c) Fahrtüchtigkeit

Eine Umrechnung von Atemalkohol (AAK) in Blutalkohol (BAK) ist wissenschaftlich nicht gesichert und daher ist erst recht keine exakte Konvertierung möglich. Das hat das KG in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung, die das LG bejaht hatte, zu den amtsgerichtlichen Feststellungen ausgeführt (KG, Beschl. v. 6.9.2023 – 2 ORs 29/23). Das AG hatte ohne nähere Erläuterung festgestellt, der Angeklagte habe eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration aufgewiesen. Dies war für das KG nicht nachvollziehbar, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung die in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 14.12.2022 – 6 StR 449/22 und v. 18.9.2019 – 2 StR 187/19). Das AG hatte also nach Auffassung des KG entweder nicht das konkrete Messergebnis (zur Frage einer direkten Konvertierbarkeit von AAK- in BAK-Werte auch BGH, Beschl. v. 3.4.2001 – 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358, 362 ff.) oder aber irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und seiner (impliziten) Beurteilung der Schuldfähigkeit damit nicht ausschließbar einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt. Denn wenngleich eine AAK von 0,25mg/l normativ einer BAK von 0,5 ‰ entspricht (§ 24a StVG), ist eine Umrechnung von Atemalkohol in Blutalkohol wissenschaftlich nicht gesichert und daher erst recht keine exakte Konvertierung möglich (u.a. auch KG, Beschl. v. 3.3.2016 – (3) Ws (B) 106/16, juris).

Die Gerichte haben sich in der letzten Zeit häufiger mit Nachtrunkeinlassungen befassen müssen (vgl. u.a. BayObLG, Beschl. v. 15.8.2023 – 203 StRR 317/23; LG Oldenburg, Beschl. v. 24.5.2022 – 4 Qs 155/22, DAR 2022, 705 = VRR 7/2022, 21 = StRR 10/2022, 28). So u.a. jetzt auch das LG Itzehoe (Beschl. v. 19.2.2024 – 14 Qs 9/24). Dieses geht ebenso wie das LG Oldenburg (a.a.O.) davon aus, dass ein Rückschluss von einer gemessenen BAK zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante BAK zum Zeitpunkt einer potentiellen (Trunkenheits)Fahrt grds. dann möglich ist, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann. Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten. In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden. Allerdings muss für einen solchen Rückschluss die Entnahme der ersten Blutprobe spätestens 45 Minuten nach Trinkende erfolgen. Das war in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren nicht gegeben, sodass das LG einen dringenden Tatverdacht für eine Trunkenheitsfahrt verneint hat.

d) Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB)

Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt sind im Verkehrsstrafrecht derzeit einer der verkehrsrechtlichen Dauerbrenner, wenn die Fahrt mit einem E-Scooter unternommen worden ist (§ 316 StGB). Dazu hat inzwischen auch das OLG Braunschweig Stellung genommen (vgl. Beschl. v. 30.11.2023 – 1 ORs 33/23) danach kann zur Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit jedenfalls der für Fahrradfahrer geltende BAK-Grenzwert herangezogen werden. Die Nutzung eines E-Scooters an sich kann nach Auffassung des OLG Braunschweig weder ein Absehen von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründen noch ist sie stets als mildernder Umstand für die Annahme eines Ausnahmefalls von dieser zu werten. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hängt jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Das dürfte der überwiegenden Rspr. entsprechen (vgl. KG, Beschl. v. 31.5.2022 – (3) 121 Ss 40/22 (13/22), DAR 2022, 465 [Ls.]; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 8.5.2023 – 1 Ss 276/22; 639; OLG Hamburg, Urt. v. 16.3.2022 – 9 Rev 2/22; LG Köln, Beschl. v. 12.7.2023 – 117 Qs 59/23, DAR 2023, 638; LG Mannheim, Urt. v. 8.11.2022 – 12 Ns 404 Js 11650/22; LG Osnabrück, Urt. v. 17.8.2023 – 5 NBs 59/23; AG Dortmund, Urt. v. 2.11.2023 – 729 Ds-124 Js 946/23-114/23; AG Osnabrück, Urt. v. 2.2.2023 – 203 Ds (540 Js 61573/22) 643/22, DAR 2023, 639; a.A. AG Essen, Beschl. v. 12.1.2022 – 43 Cs-39 Js 1578/21-422/21; ähnlich LG Hildesheim, Beschl. v. 20.9.2022 – 13 Ns 40 Js 25077/21; LG Leipzig, Urt. v. 24.6.2022 – 9 Ns 504 Js 66330/21, StRR 12/2022, 28 = VRR 10/2022, 16; AG Heidelberg, DAR 2022, 47).

Soll von der Entziehung der Fahrerlaubnis in diesen Fällen abgesehen werden, muss das im Einzelnen begründet werden. Ausführungen, die sich im Wesentlichen auf die allgemeine Betrachtung der Besonderheiten von sog. E-Scootern beschränken und die Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung vermissen lassen, werden den Anforderungen an die Begründung eines Abweichens vom Regelfall betreffend die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter nicht gerecht (OLG Dresden, Beschl. v. 4.11.2023 – 1 OLG 21 Ss 297/22).

5. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

a) Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“

Vor einiger Zeit hat die Rspr. kontrovers die Frage diskutiert, wie der Begriff des „Unfalls im Straßenverkehr“ in § 142 Abs. 1 StGB zu verstehen ist. Nachdem sich eine h.M. herausgebildet hatte, war zu der Frage länger nichts mehr zu hören. Nun ist mal wieder auf zwei neuere Entscheidungen hinzuweisen:

Das OLG Naumburg hatte im Beschl. v. 6.5.2024 (1 ORs 38/24) über einen sog. Parkplatzunfall zu entscheiden. Auf dem Parkplatz eines Supermarkts hatte der Angeklagte den Griff seines Einkaufswagens losgelassen, um seinen Hund, der sich losgemacht hatte, wieder anzuleinen. Der Einkaufswagen geriet daraufhin auf dem leicht abschüssigen Parkplatz ins Rollen und beschädigte einen Pkw.

Das OLG ist von einem Verstoß gegen § 142 Abs. 1 StGB ausgegangen. Ein allgemein zugänglicher privater Parkplatz gehöre zum räumlichen Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs. Es sei aber nicht jeder Unfall schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr“ i.S.d. § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setze die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus. In dem „Verkehrsunfall“ müssen sich gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben. Dieser erforderliche straßenverkehrsspezifische Zusammenhang sei aber auch dann gegeben, wenn sich die Gefahr verwirklicht habe, die dadurch entstehe, dass sich ein Fußgänger auf einem Supermarktparkplatz im räumlichen Bereich der dort abgestellten Kraftfahrzeuge bewege, etwa um zu seinem Fahrzeug zu gelangen. Davon ist OLG in dem entschiedenen Fall ausgegangen.

In einem vom AG Calw entschiedenen Fall (Urt. v. 7.3.2024 – 8 Cs 33 Js 364/24) ging es um einen Schaden, der beim Öffnen der Tür eines in einem Parkhaus stehenden, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs entstanden war. Die Angeklagte hatte bei geschlossener Türe auf dem Rücksitz eines Pkw gesessen. Mit dem wollten sie und die Eigentümerin später nach Hause fahren. Der Pkw befand sich in Ruhestellung und war vollständig ausgeschaltet und mit Handbremse gesichert. Plötzlich vermeinte die Angeklagte, die an einer schweren Arachnophobie leidet, auf ihrem Körper ein Krabbeln zu spüren, welches sie einer Spinne zuordnete. In Panik stieß sie darauf die hintere rechte Fahrzeugtür auf, die gegen den daneben abgestellten Pkw stieß.

Das AG hat einen „Unfall im Straßenverkehr“ verneint. Bei einem Schaden durch „panisches“ – hier: infolge einer schweren Arachnophobie getätigtes – Öffnen der Türe eines in einem Parkhaus stehenden, ausgeschalteten Kraftfahrzeugs liege ein Bezug zum Bild des Unfalls im Straßenverkehr fern; in diesem Sinn hat sich keine straßenverkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. Das Fahrzeug habe sich weder in Bewegung befunden noch war es zu diesem Zweck noch in Betrieb oder bereits gestartet.

M.E. kann man das auch anders sehen. Es kommt nicht darauf an, dass das Fahrzeug in Betrieb ist. In dem Fall gab es auch einen „Verkehrsvorgang“ in Bezug auf den Straßenverkehr, nämlich das Aussteigen aus einem Pkw.

b) Vorsatz

In Rspr. und Lit. ist anerkannt, dass sich der Vorsatz des Täters nach § 142 StGB darauf beziehen muss, dass ein Unfall stattgefunden hat und dass der Schaden nicht ganz unerheblich war (zuletzt BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23; st. Rspr., u.a. KG, Beschl. v. 21.12.2011 – (3) 1 Ss 389/11 (127/11); Beschl. v. 8.7.2015 – (3) 121 Ss 69/15 (47/15); OLG Jena, Beschl. v. 7.7.2005 – 1 Ss 161/04). Entscheidend ist, welche Vorstellung der Täter von dem Umfang des entstandenen Schadens hatte, als er die Unfallstelle verließ (KG, Beschl. v. 21.12.2011 – (3) 1 Ss 389/11 (127/11). Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Unfallverursachers lassen etwa die Stärke des Aufpralls, aber auch die Lautstärke einer Kollision zu. Das bedeutet z.B.: Das Tatgericht muss tatsächliche Feststellungen dazu treffen, welche Vorstellungen der Angeklagte hinsichtlich des angerichteten Schadens tatsächlich hatte, als er die Unfallstelle verließ. Alleine die getroffenen Feststellungen eines mehrfachen Touchierens einer Leitplanke durch einen nicht unerheblich alkoholisierten Fahrer und eine im Urteil nicht nachvollziehbar dargelegte Bezifferung eines Fremdschadens i.H.v. 665,15 € lassen keinen sicheren Schluss auf das Vorstellungsbild des Angeklagten vom Umfang des Fremdschadens zu. Erforderlich ist vielmehr eine Beschreibung des Schadensbildes, Feststellungen zur Wucht und Länge des Streifens, zur gefahrenen Geschwindigkeit, zu den Sichtverhältnissen und zur Geräuschentwicklung (BayObLG, a.a.O.).

c) Entziehung der Fahrerlaubnis

Insbesondere beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort spielt die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis in der Praxis eine große Rolle (§§ 69, 69a, 142 StGB; 111a StPO), wobei vor allem die Wertgrenze für den bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in der Praxis erhebliche Bedeutung hat. Diese dürfte derzeit jedenfalls nicht unter 1.800 € anzusetzen sein (so zuletzt auch LG Bielefeld, Beschl. v. 2.2.2024 – 10 Qs 51/24; s. auch LG Hamburg, Beschl. v. 9.8.2023 – 612 Qs 75/23; LG Dresden, Beschl. v. 15.9.2023 – 17 Qs 66/23). Lässt sich aus der Verfahrensakte nicht ermitteln, wie die Schadenshöhe eines bei einem Verkehrsunfall verursachten Schadens ermittelt wurde, lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass der Schaden über der Erheblichkeitsgrenze liegt. Damit entfällt dann eine Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis (dazu AG Itzehoe, Beschl. v. 27.2.2024 – 40 Gs 579/24). Für die Annahme, dass dem Beschuldigten nach einer Unfallflucht die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§ 111a StPO i.V.m. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB), muss sicher feststehen, dass der Beschuldigte wusste oder wissen konnte, dass ein bedeutender Fremdsachschaden durch ihn verursacht wurde (AG Itzehoe, Beschl. v. 30.12.2023 – 40 Gs 1774/23). Das hat das AG verneint, wenn die Polizei den Schaden an einer Leitplanke, die bei dem Verkehrsunfall beschädigt worden war, zunächst auf 1.500 € geschätzt hatte, die Straßenmeisterei den Schaden dann auf 4.000–5.000 € geschätzt hat und später dann die Kosten sogar auf 9.340 € beziffert wurden.

Das AG Itzehoe hat in einem Beschl. v. 27.2.2024 (40 Gs 579/24) auch zur Frage der charakterlichen Ungeeignetheit des Beschuldigten Stellung genommen. In dem Fall hatte sich der Beschuldigte zwar zunächst – aus Panik – vom Unfallort entfernt, hatte dann aber die Leitstelle der Polizei sehr zeitnah über den Unfall informiert und sich zum Unfallort zurückbegeben. Dort hatte er dann gegenüber der Polizei den Unfall und seine Beteiligung eingeräumt. Nach Ansicht des AG (a.a.O.) liegt in einem solchen Fall eine charakterliche Ungeeignetheit, die die Entziehung der Fahrerlaubnis notwendig macht, nicht vor. Für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist im Übrigen dann kein Raum mehr, wenn seit dem Unfall längere Zeit, z.B. mehr als sechs Monate, verstrichen ist, in der keine weiteren verkehrsrechtsrelevanten Vorkommnisse verursacht durch den Angeklagten bekannt geworden sind und der Angeklagte als Berufskraftfahrer auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist (AG Bautzen, Beschl. v. 25.2.2024 – 40 Ds 620 Js 31577/22).

Hinweis:

Dem Beschuldigten ist in einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB ein Pflichtverteidiger wegen der Schwere der zu erwartende Rechtsfolge (§ 140 Abs. 2 StPO) zu bestellen, wenn die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten wegen eines Verstoßes gegen § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB angeklagt hat, ihm im Falle der Eröffnung des Verfahrens die Entziehung der Fahrerlaubnis droht, der Beschuldigte aber beruflich dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist (LG Itzehoe, Beschl. v. 2.11.2023 – 14 Qs 160/23).

6. Verbotenes Rennen (§ 315d StGB)

Zur Erfüllung des Absichtsmerkmals des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB muss der Täter nicht das Ziel verfolgen, die Möglichkeiten seines Fahrzeugs „voll auszureizen“. Ein solches Erfordernis würde den Täter, der ein hochmotorisiertes Fahrzeug führt und sehr hohe Geschwindigkeiten erreichen kann, ohne an das Limit der technischen Leistungsfähigkeit zu gehen, unangemessen und sinnwidrig begünstigen (KG, Beschl. v. 8.5.2023 – 3 ORs 22/23, zfs 2023, 578). Vor dem Hintergrund einer tatsächlich sehr kurzen gefahrenen Strecke ist allein die Absicht des Angeklagten maßgeblich, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten (Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse) maximal mögliche Geschwindigkeit auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke zu erreichen (KG, Beschl. v. 12.6.2023 – 3 ORs 30/23 – 161 Ss 74/23).

Zum Tötungsvorsatz beim verbotenen Alleinrennen hat bei einem Kraftfahrzeugrennen mit tödlichem Ausgang noch einmal der BGH im Urt. v. 7.12.2023 (4 StR 302/23) Stellung genommen (vgl. dazu schon u.a. BGH, Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 und Urt. v. 1.3.2018 – 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 91).

7. Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB, § 111a StPO)

Sowohl die vorläufige als auch die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO, § 69 StGB setzen voraus, dass der hiervon Betroffene eine Fahrerlaubnis hat. So hat das LG Mönchengladbach entschieden (Beschl. v. 28.3.2024 – 24 Qs 34/24). Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem dem Betroffenen eine ausländische Fahrerlaubnis „vorsorglich“ entzogen worden war. Für den Fall der Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 3 S. 2, Abs. 6 StPO und § 69b StGB gilt dieser Grundsatz entsprechend. Eine „vorsorgliche“ Entziehung der Fahrerlaubnis beim Vorliegen eines auch nur vagen Verdachts, der Täter könne im Besitz einer ausländischen Fahrerlaubnis sein, ist also nicht zulässig (s. auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.10.2010 – 5 Ss 471/10, DAR 2010, 710). Nach Auffassung des LG ist die Konstellation vergleichbar mit der Situation, dass der Betroffene nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, weil ihm diese bereits vorher, z.B. im Verwaltungswege, entzogen worden ist. Auch in diesem Fall ist eine vorläufige Maßnahme nach § 111a StPO unzulässig (KG, Beschl. v. 21.6.1999 – 1 AR 681/993 Ws 315/99).

8. Sperrfrist (§ 69a StGB)

Auch für die Anordnung einer (isolierten) Sperrfrist für die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis ist Voraussetzung, dass die Anlasstat zu der Führung eines Kraftfahrzeugs durch den Täter oder zumindest einen anderen Beteiligten in Beziehung steht und daraus gewichtige Umstände abzuleiten sind, die den Schluss auf charakterliche Ungeeignetheit erlauben (s. BGH, Beschl. v. 31.1.2024 – 4 StR 205/23). Wird also gegen den Angeklagten als Beifahrer eine isolierte Sperrfrist verhängt, darf die nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 StGB vorliegen, die rechtswidrige Tat somit bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen worden ist und sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Tat müsse damit in Beziehung stehen zu der Führung eines Kraftfahrzeugs durch den Täter oder zumindest einen anderen Tatbeteiligten (vgl. BGH, Beschl. v. 1.2.2020 – 4 StR 443/22). Bei der Maßregelanordnung gegen einen Beifahrer seien besonders gewichtige Hinweise auf seinen Einfluss auf die Führung des Kraftfahrzeugs oder die Fahrweise zu fordern, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergebe (vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2004 – 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617 m.w.N.). Die hat der BGH in dem mit Beschl. v. 31.1.2024 entschiedenen Fall vermisst. Zwar hatte das LG festgestellt, dass der Angeklagte als Beifahrer die gesondert verfolgte Fahrzeuglenkerin veranlasst hatte, sich einer Polizeikontrolle durch Flucht vor einem Polizeistreifenwagen zu entziehen, um sich im Besitz von zum Handel bestimmter Betäubungsmittel zu erhalten. Jedoch sei ein über die Aufforderung zur Flucht hinaus gehender Einfluss des Angeklagten auf die Fahrweise der gesondert Verfolgten bei der anschließenden Fahrt in einer Weise, die seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen belegen könnte, nicht festgestellt.


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