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aus ZAP 2023, S. 671

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "ZAP" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "ZAP" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die Nebenklage – Voraussetzungen, Rechte, Beistand

Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

I. Einführung

II. Übernahme des Mandats

III. Anschlussberechtigung

  1. Allgemeines

  2. Besondere Verfahrensarten

  3.Anschlussberechtigte

    a) Allgemeines

    b) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 1 StPO

    c) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 2 StPO

    d) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 3 StPO

IV. Anschlussverfahren

  1. Zeitpunkt der Antragstellung

  2. Anschlusserklärung

  3. Anschlussverfahren

  4. Rechtsmittel

V.Nebenklägerbeistand

  1. Nebenklägerbeistand nach § 397a StPO

    a) Privilegierte Nebenkläger (§ 397a Abs. 1 StPO)

    b) „Normaler“ Nebenkläger (§ 397a Abs. 2 StPO)

  2. Gemeinschaftlicher Beistand (§ 397b StPO)

VI.Rechte und Pflichten des Nebenklägers

  1. Akteneinsicht

  2. Dolmetscher

  3. Rechte in der Hauptverhandlung

  4. Rechtsmittel

VII. Honorierung des Nebenklägervertreters

  1. Wahlanwalt

  2. Nebenklägerbeistand/Verletztenbeistand

I. Einführung

Das Recht der Nebenklage steht seit Längerem unter dem Stichwort „Opferschutz“ im Fokus des Gesetzgebers. In den letzten Jahren ist vor allem der Kreis der Nebenklageberechtigten beträchtlich erweitert worden (zur Entwicklung des Nebenklagerechts Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 3163 [im Folgenden kurz: Burhoff/Burhoff, EV]). Zuletzt ist durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) neben einer nochmaligen Erweiterung des Tatbestandskatalogs des § 397a Abs. 1 StPO in § 397b StPO die sog. Gruppenvertretung bei der Nebenklage bzw. der gemeinschaftliche Beistand eingeführt worden (dazu V., 2).

Hinweis:

Durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ v. 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) ist mit Wirkung vom 1.7.2021 in § 373b StPO der Begriff des Verletzten definiert worden. Diese Änderung hat aber keine Auswirkungen auf die Nebenklagebefugnis (BT-Drucks 19/27654, S. 99; zum Begriff des Verletzten Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4702 ff.).

II. Übernahme des Mandats

Bei der Übernahme eines ihm angetragenen Nebenklagemandats muss der Rechtsanwalt neben den allgemein bei der Übernahme des Mandats zu beachtenden Grundsätzen auf Folgendes besonders achten:

  • Der Rechtsanwalt wird sich sorgfältig überlegen, ob er ein ihm angetragenes Nebenklagemandat überhaupt übernimmt. Selbstverständlich sollte sein, dass er das Institut der Nebenklage nicht missbraucht, d.h. „militant“ und ohne Blick für die Unschuldsvermutung, die unabhängig von der prozessualen Stellung des Mandanten für Beschuldigten gilt, führt. Das gilt besonders für Sittlichkeitsprozesse, aber auch für Verkehrsstrafsachen.
  • Der Rechtsanwalt kann grds. mehrere Nebenkläger vertreten. Das Verbot der Mehrfachverteidigung gilt nicht (OLG Düsseldorf Streit 2000, 75; zur Mehrfachverteidigung Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4925 ff.). In § 397b StPO ist jetzt die Möglichkeit der sog. gemeinschaftlichen Nebenklagevertretung vorgesehen (dazu V, 2).
  • Häufig wünscht der Mandant, dass gegen den Beschuldigten sofort (auch) Strafanzeige erstattet wird. Diesem Wunsch wird sich der Rechtsanwalt meist nicht verschließen können. Er muss aber besonders sorgfältig darauf achten, dass er nicht ungeprüft Informationen des Mandanten übernimmt und sich dadurch, da diese ggf. falsch sind, möglicherweise selbst strafbar macht.
  • Die Nebenklage wird vom Nebenkläger häufig nicht nur mit dem Ziel geführt wird, eine Bestrafung des Täters zu erreichen, sondern auch, um einen Schadensersatzprozess vorzubereiten. Der Rechtsanwalt muss also immer (auch) darauf achten, ob ggf. zivilrechtliche Ansprüche vor Verjährung zu sichern sind.

III. Anschlussberechtigung

1. Allgemeines

Zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt sind zunächst die in § 395 Abs. 1 und 2 StPO Genannten. § 373b StPO gilt nicht (BT-Drucks 19/99, S. 99; Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4712). Die Berechtigung zum Anschluss als Nebenkläger besteht schon dann, wenn nach der Sachlage die Verurteilung des Beschuldigten/Angeklagten wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380; NStZ-RR 2008, 352 m.w.N.; OLG Celle StraFo 2017, 195; OLG Hamm, Beschl. v. 9.3.2021 – 4 Ws 35/21; OLG Rostock, Beschl. v. 25.4.2016 – 20 Ws 75/16; OLG Schleswig, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 42/22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023 § 395 Rn 4 [im Folgenden kurz. Meyer-Goßner/Schmitt); es muss z.B. nicht die Anklage auf das Delikt gestützt sein (für Tötungsdelikt OLG Schleswig, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 42/22). Voraussetzung ist weder ein dringender noch ein hinreichender Tatverdacht für das Vorliegen eines Nebenklagedelikts (OLG Celle, a.a.O.). Ausreichend ist eine auch nur wenig erfolgversprechende Aussicht dafür, dass der Angeklagte nach der Sachlage oder aufgrund des Vorbringens des Antragstellers wegen einer Nebenklagestraftat verurteilt wird (OLG Celle, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O.; OLG Schleswig, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 42/22; wegen weiterer Einzelh. Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3172).

Hinweis:

Der Widerruf der Zulassung kann in jeder Lage des Verfahrens erfolgen, wenn ihr von vornherein die rechtliche Grundlage gefehlt hat; er scheidet allerdings aus, wenn sich in der Hauptverhandlung im Verlauf der Beweisaufnahme ergibt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des Nebenklagedelikts nicht nachweisbar sind oder sich die tatsächlichen Behauptungen des Nebenklägers als unrichtig erweisen (OLG Celle, a.a.O., m. abl. Anm. Eisenberg, StraFo 2017, 283; zur Aufhebung auch noch KG, Beschl. v. 6.2020 – 4 Ws 37/20).

2. Besondere Verfahrensarten

Die Nebenklage kann gem. § 80 Abs. 3 JGG auch teilweise gegen einen zur Tatzeit Jugendlichen geführt werden. Anschließen kann sich im JGG-Verfahren derjenige (wegen der Einzelh. Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl. 2020, Bühler, StraFo 2016, 365; zum Anschluss im JGG-Verfahren auch noch OLG Celle StraFo 2016, 195), der durch ein Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder nach §§ 239 Abs. 3, 239a oder 239b StGB, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, durch einen besonders schweren Fall eines Vergehens nach § 177 Abs. 6 StGB, durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, oder durch ein Verbrechen nach § 251 StGB, auch i.V.m. § 252 StGB oder § 255 StGB, verletzt worden ist.

Gegen Heranwachsende ist die Nebenklage zulässig (zum Widerruf der Zulassung im JGG-Verfahren, wenn sich im Laufe des Verfahrens ergibt, dass der Angeklagte unter 18 Jahre alt war/ist, OLG Celle StraFo 2016, 195 m. abl. Anm. Eisenberg, StraFo 2017, 283). Im gem. § 103 JGG verbundenen Verfahren gegen Jugendliche und Erwachsene ist eine Nebenklage gegen letztere zulässig (BGHSt 41, 288; 48, 34; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 395 Rn 6 m.w.N. auch zur a.A., wie z.B. OLG Zweibrücken StV 2009, 88).

Nach der Neufassung des § 395 Abs. 1 StPO ist die Nebenklage auch im Sicherungsverfahren zulässig (so schon BGHSt 47, 202 m.w.N. aus der Rspr. zu der früher umstr. Frage). Im Jugendverfahren ist der Anschluss im Sicherungsverfahren aber nach wie vor nicht zulässig (Diemer/Schatz/Sonnen, a.a.O., § 80 Rn 11). Unzulässig ist sie auch im Verfahren zur nachträglichen Sicherungsverwahrung (BGH NStZ-RR 2008, 68 [Be]).

3. Anschlussberechtigte

a) Allgemeines

Durch das 2. OpferRRG ist 2009 der Katalog der Anschlussberechtigungen erheblich umgestaltet worden. Einerseits sind in § 395 Abs. 1 StPO nur noch erhebliche (insbesondere) Aggressionsdelikte enthalten, andererseits ist der Deliktskatalog durch den Auffangtatbestand des § 395 Abs. 3 StPO erheblich erweitert worden (dazu BT-Drucks 16/12098, S. 45 ff.; zur Reform Barton, JA 2009, 753; ders., StRR 2009, 404; zur Kritik Schroth, NJW 2009, 2916).

b) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 1 StPO

Zum Anschluss berechtigt sind nach § 395 Abs. 1 StPO (vgl. a. Burhoff/Burhoff, EV, 3174 ff.):

  • Nr. 1, 2, 3 und 4 die durch bestimmte rechtswidrige Taten (sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Körperverletzungs- und versuchte Tötungsdelikte, Förderung der Prostitution und Zuhälterei; Straftaten gegen die persönliche Freiheit, also auch „Stalking“ (§§ 232 – 238, 239 Abs. 3, 239a, 239b, 240 Abs. 4) verletzten Personen, und zwar auch dann, wenn die Tat nur Rauschtat eines Vollrausches nach § 323a StGB ist (BGH, Beschl. v. 16.7.2019 – 4 StR 131/19, NStZ-RR 2019, 353) sowie dann, wenn der Nebenkläger wegen einer anderen Tat in demselben Verfahren mitangeklagt ist (BGH StraFo 2005, 427); ob unbenannte schwere Fälle nach § 240 Abs. 4 S. 1 StGB Katalogtaten iS. von Nr. 4 darstellen, ist umstr (verneint von LR-Wenske, StPO, 26. Aufl., § 395 Rn 3 ff; OLG Hamburg, Beschl. v. 13.1.2021 – 2 Rev 32/20; bejaht von MüKo-StPO/Valerius, § 395 Rn 53),
  • Nr. 5 die durch Verstöße gegen § 4 GewaltschutzG Verletzten,
  • Nr. 6 u.a. die durch einen Wettbewerbsverstoß (gewerblicher Rechtsschutz oder Urheberrechtsverletzung) Verletzten (dazu Daimagüler Rieks, NStZ 2019, 643; krit. Barton, StRR 2009, 404; ders., JA 2009, 753; Meyer-Goßner/Schmitt, § 395 Rn 6 [systemfremd]; zur Nebenklagebefugnis von Unternehmen Bott/Kohlhof, StraFo 2019, 413).
c) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 2 StPO

Zum Anschluss berechtigt sind nach § 395 Abs. 2 StPO

  • nach Nr. 1 Eltern, Kinder, Geschwister und Ehegatten/eingetragenen Lebenspartner eines Getöteten, wobei es auf die Regelungen im BGB ankommen dürfte, also z.B. auf § 1592 BGB (auch BGHSt 22, 187 zu § 52); nach dem Tod des ursprünglich originären Verletzten infolge der Tat sind von diesem Zeitpunkt an die Angehörigen selbstständig anschlussberechtigt (a.A. Meyer-Goßner/Schmitt, § 395 Rn 4 m.w.N.), was sowohl aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut als auch aufgrund der Zulässigkeit der Angehörigennebenklage nach § 395 Abs. 2 StPO folgt (BeckOK-StPO/Weiner, § 402 Rn 2; a.A. für die Angehörigen des Opfers einer Körperverletzung, das an den Folgen der Körperverletzung verstorben ist, BGHSt 44, 97; ähnlich BGH StraFo 2012, 67; zum – verneinten – Anschluss bei einem nur versuchten Tötungsdelikt BGH NStZ 2006, 351). Von § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO werden auch die durch einen Todeserfolg qualifizierten Delikte erfasst (BGHSt 52, 153; Beschl. v. 17.2.2021 – 4 StR 225/20 für § 315d StGB, NJW 2021, 1173; dazu Barton, StRR 2008, 304 in der Anm. zu BGHSt 52, 153).
  • Nicht anschlussberechtigt sind jedoch der geschiedene Ehegatte (Meyer-Goßner/Schmitt, § 395 Rn 8; BGH NJW 2012, 3524), die Großeltern des Getöteten (BGH NJW 1967, 454; OLG Celle VRS 130, 113; LG Hamburg MDR 1979, 251), der Enkel (OLG Celle VRS 130, 113; OLG Köln, Beschl. v. 28.10.2008 – 2 Ws 525/08), Nichten/Neffen (OLG Celle VRS 130, 113), der Stiefvater/die Stieftochter des Getöteten (BGH, Beschl. v. 15.9.1995 – 3 StR 328/95; Beschl. v. 14.2.2012 – 3 StR 7/12) oder die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (BVerfG NJW 1993, 3316 [für eine nach „Sinti-Art“ geschlossene Ehe]), Pflegeeltern oder Pflegekinder (OLG Celle VRS 130, 113). § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO begründet auch dann keine Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger bei einem lediglich leiblichen Geschwisterverhältnis, wenn aufgrund der Aufhebung der bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse infolge einer Adoption nach § 1755 BGB im rechtlichen Sinne ein Verwandtschaftsverhältnis des leiblichen Geschwisterteils zum Geschädigten nicht bestand (OLG Bremen, Beschl. v. 18.4.2023 – 1 Ws 26/23). Im Übrigen muss das Angehörigenverhältnis im Zeitpunkt des Verfahrens noch bestehen bzw. bis zur Tötung des Geschädigten bestanden haben (OLG Bremen, Beschl. v. 18.4.2023 – 1 Ws 26/23).
d) Anschlussberechtigung nach § 395 Abs. 3 StPO

Das 2. OpferRRG hat in § 395 Abs. 3 StPO einen „Auffangtatbestand“ eingeführt, der den Anwendungsbereich der Nebenklage erheblich erweitert hat (dazu [krit.] Bung, StV 2009, 430, 435; Barton, StRR 2009, 404 f.; Rieks, NStZ 2019, 643; Bott/Kohlhof, StraFo 2019, 413; auch noch Meyer-Goßner/Schmitt, § 395 Rn 10). Insoweit gilt im Einzelnen:

In § 395 Abs. 3 werden in einem Katalog verschiedene Delikte genannt, und zwar die Beleidigungsdelikte (§§ 185 –189 StGB), die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), der Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB), Raub und Erpressung (§§ 249 –255 StGB) und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB). Die Aufzählung ist aber nicht abschließend, da mit „insbesondere“ formuliert worden ist. Grundsätzlich zulässig ist der Anschluss daher auch bei jeder anderen „rechtswidrigen Tat“ (grds. BGH NJW 2012, 2601 m. Anm. Barton, StRR 2012, 343; Urt. v. 28.1.2021 – 3 StR 279/20 [unterlassene Hilfeleistung]: Rieks, NStZ 2019, 643 f.; Bott/Kohlhof, StraFo 2019, 413, 414; Jahn/Bung StV 2012, 754).

Der Anschluss muss allerdings aus besonderen Gründen zur Wahrnehmung der Rechte des (schutzbedürftigen) Verletzten geboten sein. Bei der Frage, ob besondere Gründe und/oder ein Schutzbedürfnis vorliegen, wird vor allem auf die Schwere der Tatfolgen für das Opfer abgestellt. Die Formulierung orientiert sich damit an der Fassung des § 395 Abs. 3 StPO a.F. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks 16/12098, S. 49) sollen schwere Folgen insb. dann vorliegen, wenn beim Verletzten körperliche oder seelische Schäden mit einem gewissen Grad an Erheblichkeit bereits eingetreten oder zu erwarten sind (BGH NJW 2012, 2601; Urt. v. 28.1.2021 – 3 StR 279/20; auch OLG Koblenz NStZ 2012, 655 für versuchte Anstiftung zum Mord nach den §§ 30, 211 StGB). Es können also Gesundheitsschädigungen, Traumatisierungen oder erhebliche Schockerlebnisse von Bedeutung sein (LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 12.9.2013 – 2 Qs 77/13). Der wegen einer Sexualstraftat falsch Verdächtigte wird ebenfalls – wie das Opfer – als schutzwürdig angesehen (AG Bad Mergentheim StraFo 2018, 29).

Allein das wirtschaftliche Interesse eines möglichen Verletzten an der effektiven Durchführung zivilrechtlicher Ansprüche ist zur Begründung eines besonderen Schutzbedürfnisses nach h.M. aber unzureichend (BGH NJW 2012, 2601; LG Hamburg StraFo 2017, 422; Jahn/Bung, StV 2012, 75; ähnlich OLG Jena NJW 2012, 547; Rieks, NStZ 2019, 643 f.; Bott/Kohlhof, StraFo 2019, 413 f.), was zur Folge hat, dass Taten nach den §§ 242, 263, 266 StGB i.d.R. als den Anschluss begründende Taten ausgeschlossen sind (BGH, a.a.O.; s. aber AG Duisburg, Beschl. v. 11.3.2020 – 93 Ls 642 Js 100/17-74/19, StraFo 2020. 248 m. Anm. Nassif für Untreue).

Für Verkehrsstrafsachen gilt nach wie vor: Eine Anschlussbefugnis besteht nicht bei mittleren Verletzungen, wenn der Schaden bereits reguliert ist (Beulke, DAR 1988, 116; Barton, StRR 2009, 404 f.) und erst recht nicht bei bloßen Bagatellverletzungen. M.E. besteht sie auch nicht allein wegen der Auswirkung des Strafverfahrens auf einen noch nicht abschließend regulierten Verkehrsunfall (a.A. zum früheren Recht LG Passau NStZ-RR 2007, 382; AG Homburg VRS 74, 43; Meyer-Goßner/Schmitt, § 395 Rn 11; auch die Gesetzesbegründung zu § 395 Abs. 3 a.F. in BT-Drucks 10/5305, S. 12).

Hinweis:

Eine von den o.a. Maßstäben abweichende Nebenklagezulassung ist für das Revisionsgericht bindend (BGH NJW 2012, 2601; OLG Hamm, Urt. v. 11.5.2021 – 4 RVs 7/21; OLG Oldenburg StraFo 2013, 212).

IV. Anschlussverfahren

Für die Anschlusserklärung und das weitere Verfahren ist Folgendes zu beachten:

1. Zeitpunkt der Antragstellung

In der Regel wird der Rechtsanwalt unverzüglich nach Übernahme des Mandats anzeigen, dass er den Nebenkläger vertritt und den Antrag auf Zulassung der Nebenklage stellen. Möglich ist der Antrag in jeder Lage des Verfahrens (§ 395 Abs. 4 S. 1 StPO); die einmal vorgenommene Zulassung wirkt für das weitere Verfahren fort (BGH NStZ-RR 2018, 197 [Ci/Ni]). Die frühzeitige Antragstellung empfiehlt sich insb. deshalb, weil dem Nebenkläger nach §§ 406f, 406g StPO besondere Rechte zustehen können (wegen der Einzelh. Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4685). Nach Rechtskraft des Urteils kann eine Nebenklage nach § 397 Abs. 3 StPO nicht mehr zugelassen werden (BGH StraFo 2005, 513; StraFo 2008, 332; Beschl. v. 4.11.2020 – 6 StR 292/20, NStZ-RR 2021, 25 [Ls.]), auch wenn sie bereits früher beantragt war (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 11; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 335).

2. Anschlusserklärung

Die Anschlusserklärung ist nach § 396 Abs. 1 S. 1 StPO grds. bei Gericht einzureichen. Eine vor Erhebung der Anklage im Ermittlungsverfahren eingereichte Anschlusserklärung wird mit der Erhebung der öffentlichen Klage wirksam. Im Strafbefehlsverfahren wird der Anschluss nach § 396 Abs. 1 S. 3 wirksam, wenn Termin zur Hauptverhandlung anberaumt wird (§§ 408 Abs. 3 S. 2, 411 Abs. 1 StPO) oder der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt worden ist.

Die Anschlusserklärung bedarf der Schriftform (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 396 Rn 2 m.w.N.; Schroth, Rn 279). Wird sie als elektronisches Dokument erstellt, gilt § 32a Abs. 1 StPO (s. im Einzelnen BGH, Beschl. v. 8.9.2022 – 3 StR 251/22, NStZ 2023, 54. m.w.N.; Beschl. v. 16.11.2022 – 3 StR 371/22, StraFo 2023, 54; zur Anschlusserklärung des Nebenklägers ausdrücklich Meyer-Goßner/Schmitt, § 32a Rn 4; BeckOK StPO/Valerius, 45. Ed.; SSW-StPO/Claus, 5. Aufl., § 32a Rn 6). Die Vertretung bei der Abgabe der Erklärung ist zulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, § 396 Rn 3; vgl. auch BGH, Beschl. v. 3.12.2019 – 2 StR 155/19, NStZ-RR 2020, 91).

Die Erklärung muss eindeutig sein. Eine Begründung ist nicht erforderlich. Der Nebenklageberechtigte muss prozessfähig sein (zuletzt KG StV 2011, 402 [Ls.] m.w.N. aus Rspr. und Lit.).

Die Anschlusserklärung eines minderjährigen Verletzten ist daher nur wirksam, wenn der Personensorgeberechtigte ihn bei dieser Prozesserklärung vertritt oder der Erklärung des Minderjährigen zustimmt (BGH, Beschl. v. 26.1.2022 – 3 StR 465/21, NStZ-RR 2022, 123 m.w.N.; KG, a.a.O.). Für die Zustimmungserklärung besteht kein Formerfordernis (BGH, a.a.O.). Für die Entscheidung der Frage, ob sich das minderjährige Kind in dem Strafverfahren gegen einen Elternteil als Nebenkläger anschließt, gelten die allgemeinen Bestimmungen der § 1629 Abs. 2 S. 1 u. 3 BGB i.V.m. §§ 1795, 1796 BGB. Insoweit bedarf es erst noch einer gerichtlichen Entziehung der Vertretungsbefugnis (dazu OLG Bamberg, Beschl. v. 16.3.2020 – 2 UF 27/20, FamRZ 2020, 1382; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 22.10.2008 – 6 UF 174/08, FamRZ 2009, 1227 m.w.N.; Beschl. v. 12.12.2017 – 7 UF 64/17, FamRZ 2018, 827; zu allem eingehend – auch wegen Rechtsmitteln – Cirullies/Cirullies, FamRB 2021, 76).

3. Anschlussverfahren

Über die Berechtigung zum Anschluss wird gem. § 396 Abs. 2 StPO nach Anhörung der Staatsanwaltschaft entschieden. Der Beschuldigte/Angeklagte wird nur im Fall des § 395 Abs. 3 StPO (oben III., 3 d) gehört.

Will das Gericht das Verfahren gem. §§ 153 ff. StPO einstellen, muss der Nebenkläger dazu gehört werden. Die Einstellung ist aber grds. nicht von seiner Zustimmung abhängig (vgl. aber BGH, Beschl. v. 12.6.2001 – 1 StR 190/01; OLG Hamm, Beschl. v. 1.6.2017 – 1 Ws 151/17 [so lange Anschlussbefugnis besteht, ist für eine Verfolgungsbeschränkung nach § 154a StPO Zustimmung erforderlich]). Vor der Einstellung des Verfahrens muss das Gericht jedoch über die Zulassung des Nebenklägers entschieden haben (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 396 Rn 18).

Der Anschlusserklärung muss stattgegeben werden, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des Vorbingens des den Anschluss Erklärenden die Verurteilung des Beschuldigten/Angeklagten wegen eines Nebenklagedelikts rechtlich möglich erscheint (BGHSt 52, 153; OLG Celle StraFo 2017, 195; OLG Rostock, Beschl. v. 25.4.2016 – 2 Ws 75/16; auch OLG Brandenburg NStZ 2010, 654), und zwar auch dann, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung wegen des Nebenklagedelikts nur gering ist (LG Koblenz NJW 2004, 305). Auf die Einschätzung der Staatsanwaltschaft kommt es insoweit nicht an (BGHSt 29, 216; OLG Celle, a.a.O.). Diese kann also nicht dadurch, dass das Nebenklagedelikt nicht angeklagt wird, den Anschluss verhindern.

4. Rechtsmittel

Im Zusammenhang mit dem Anschluss stehen folgende Rechtsmittel zur Verfügung. Wird die Nebenklage nicht zugelassen, können dagegen der Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft einfache Beschwerde nach § 304 StPO einlegen (auch OLG Celle NJW 2012, 3558 [Ls.]). Gegen die Zulassung können die Staatsanwaltschaft und auch der Angeschuldigte einfache Beschwerde nach § 304 StPO einlegen (KG StV 2011, 402 [Ls.]; OLG Celle, a.a.O.). § 305 S. 1 steht nicht entgegen (KG, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 396 Rn 19 m.w.N.).

Im Fall der Zulassung der Nebenklage nach § 395 Abs. 3 StPO ist die Entscheidung über das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 395 Abs. 3 StPO gem. § 396 Abs. 2 S. 2 StPO unanfechtbar (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 310 m.w.N.; OLG Oldenburg StraFo 2013, 212). Wegen der formellen Voraussetzungen des Anschlusses kann hingegen die (Nicht)Zulassung angefochten werden (LG Braunschweig StraFo 2015, 248).

Nach den Änderungen durch das sog. StORMG sind jetzt auch die Entscheidungen über die PKH anfechtbar, und zwar im selben Umfang wie bei Entscheidungen nach § § 397a Abs. 1 (KG NStZ-RR 2014, 295). Gegen die Ablehnung können also der Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft einfache Beschwerde nach § 304 StPO einlegen, wird PKH gewährt kann allerdings nur der die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegen, nicht hingegen der Beschuldigte, da er nicht unmittelbar beschwert ist (OLG Hamm NJW 2006, 2057).

V. Nebenklägerbeistand

1. Nebenklägerbeistand nach § 397a StPO

Nach § 397a StPO kann dem Nebenkläger ein Beistand beigeordnet werden Es ist zu unterscheiden: Für die privilegierten Nebenkläger gilt § 397a Abs. 1 StPO (dazu IV. 1. a). Für den „normalen“ Nebenkläger verweist § 406h Abs. 3 StPO i.V.m. § 397a Abs. 2 StPO hingegen auf die Voraussetzungen der PKH (dazu IV. 1. b; wegen des Beiordnungsverfahrens Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3203).

a) Privilegierte Nebenkläger (§ 397a Abs. 1 StPO)

Den nach § 397a Abs. 1 StPO privilegierten Nebenklägern ist auf Antrag stets ein Beistand zu bestellen, auch wenn sie nicht bedürftig i.S.d. PKH sind, und ohne Rücksicht darauf, ob ihnen eine Eigenwahrnehmung zuzumuten ist oder ob sie ihre Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen können. Es handelt sich also um einen „kostenlosen Opferanwalt“.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i.S.v. § 397a Abs. 1 StPO (wegen der Einzelh. des Katalogs der Anschlussberechtigung in § 397a Abs. 1 StPO Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3200) begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint (BGH NJW 1999, 2380; NStZ 2000, 552; NStZ-RR 2008, 353; OLG Hamm, Beschl. v. 9.3.2021 – 4 Ws 35/21; LG Kiel, Beschl. v. 26.1.2022 – 5 Qs 2722). Nicht relevant ist hingegen, ob die vorgeworfene Tat in der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss als Nebenklagedelikt gewertet wurde. Auch nicht erforderlich ist ein dringender oder hinreichender Tatverdacht (OLG Celle StraFo 2017, 195, 196; OLG Hamm, a.a.O.; BT-Drucks 10/5305, S. 11). Die Beistandsbestellung kann nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder – nach allgemeinen Grundsätzen – die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist (OLG Hamm, a.a.O.).

Die Beiordnung nach § 397a Abs. 1 StPO geht der nach Abs. 2 vor (BGH NJW 1999, 2380). Die Beiordnung nach Abs. 1 gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens (BGH NJW 2000, 3222; StraFo 2008, 131; 2009, 349), also auch noch für die Revisions-Hauptverhandlung (BGH NJW 2000, 3222; Beschl. 10.8.2020 – 5 StR 616/19 [Ls.] für Erforderlichkeit der Reise des Nebenklägervertreters zur Revisions-Hauptverhandlung).

Die Beiordnung erstreckt sich nach h.M. nicht auf Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren (BGH NJW 2001, 2486; StraFo 2008, 131; 2009, 349; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 351; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4143 VV Rn 17 f.). Insoweit muss nach § 404 Abs. 5 PKH beantragt werden. Deren Bewilligung gilt aber nur für die jeweilige Instanz (BGH, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 397a Rn 17b), so dass also ein neuer Antrag gestellt werden muss (BGH, a.a.O.; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2015, 381).

b) „Normaler“ Nebenkläger (§ 397a Abs. 2 StPO)

Für den „normalen“ Nebenkläger verweist § 397a Abs. 2 StPO auf die Voraussetzungen der PKH (wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 406hg Rn 5 ff.; Volpert, AGS 2020, 365, 366 ff.). Ausreichend für eine Beiordnung ist i.Ü., dass der Nebenkläger seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung i.S.d. § 397a StPO stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit des Nebenklägers durch die Tat ab, dass diese ihn also unvertretbar belasten würde (LG Stade, Beschl. v. 20.2.2023 – 102 Qs 55/22). Eine schwierige Sach- oder Rechtslage ist nicht erforderlich. Bei schwieriger Sach- oder Rechtslage wird aber i.d.R. eine Beiordnung vorzunehmen sein (vgl. dazu OLG Schleswig, Beschl. v. 8.3.2022 – 1 Ws 42/22).

Die Bewilligung von PKH gilt nur für die jeweilige Instanz (§ 397a Abs. 2 StPO i.V.m. § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO; BGH StraFo 2008, 131; 2009, 349; NStZ-RR 2015, 351; KG RVGreport 2011, 142). PKH muss also in jeder Instanz neu beantragt werden. Die Bewilligung von PKH kann für den Rechtszug nur einheitlich ergehen und nicht einzelne Teile des Verfahrens, insb. einzelne HV-Tage oder einzelne Tatvorwürfe, hiervon ausnehmen (OLG Naumburg, Beschl. v. 16.3.2021 – 1 Ws (s) 60/21, AGS 2021, 232). Bei der Antragstellung ist jeweils die Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers für jede Instanz erforderlich, wobei der Antragsteller sich grds. des vorgeschriebenen Vordrucks zu bedienen hat (BGH StraFo 2017, 258; NStZ-RR 2015, 351). Eine Bezugnahme auf eine in einer früheren Instanz abgegebene Erklärung reicht nur in besonderen Fällen aus (BGH, a.a.O.). Eine gerichtliche Hinweispflicht auf diese Sachlage sowie eine Pflicht auf ein Zuwarten mit der abschließenden Entscheidung besteht nicht (BGH NStZ-RR 2015, 351).

Hinweis:

Die h.M. in der Rspr. lehnt eine rückwirkende Bewilligung der PKH grds. ab (st.Rspr. des BGH; zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 18.3.2021 – 5 StR 222/20, AGS 2021, 232; OLG Celle StRR 2015, 461; OLG Hamm, Beschl. v. 13.6.2017 – 4 Ws 90/17; vgl. a. Volpert, AGS 2020, 365, 366 ff.). Eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende Entscheidung kommt nach der Rspr. nur dann in Betracht, wenn der Antrag nicht rechtzeitig beschieden worden ist und der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der PKH Erforderliche getan hat (vgl. BVerfG NStZ-RR 1997, 69; zuletzt BGH, OLG Celle und OLG Hamm, jew. a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 397a Rn 15). Es scheidet auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BGH, a.a.O.).

2. Gemeinschaftlicher Beistand (§ 397b StPO)

In § 397b StPO ist inzwischen ausdrücklich die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Nebenklagevertretung vorgesehen. Das soll u.a. der Verfahrensvereinfachung dienen (s. BT-Drucks 19/14747, S. 38). Die Neuregelung knüpft an die frühere Rechtsprechung an, die das Verbot der Mehrfachverteidigung gem. § 146 StPO nicht auch als ein Verbot der Mehrfachvertretung angesehen hat (wegen der Einzelh. Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3205 ff. m.w.N.).

Die gemeinschaftliche Nebenklagevertretung setzt nach § 397b Abs. 1 S. 1 StPO voraus, dass die Nebenkläger gleichgelagerte Interessen verfolgen. Gleichgelagerte Interessen werden nach § 397b Abs. 1 S. 2 StPO i.d.R. bei Nebenklägern anzunehmen sein, die nahe Angehörige desselben Getöteten (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) sind. Dies wird insb. in den Fällen in Betracht kommen, in denen sich mehrere minderjährige Kinder eines Getöteten als Nebenkläger anschließen. Gleichgelagerte Interessen i.S.d. Neuregelung setzen keine Interessensgleichheit oder vollständige Einigkeit der Nebenkläger voraus (BT-Drucks 19/14747, S. 38; KG, Beschl. v. 26.4.2021 – 2 Ws 33/21; Beschl. v. 6.8.2021 – 5 Ws 171/21, StraFo 2021, 359; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.5.2020 – 2 Ws 94/20). Es handelt sich insoweit aber nur um ein nicht abschließendes Regelbeispiel.

§ 397b Abs. 1 S. 1 StPO ist als Kann-/Ermessens-Vorschrift ausgestaltet. Das Gericht hat auf der Rechtsfolgenseite sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen (wegen der Einzelh. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.5.2020 – 2 Ws 94/20, Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3212 ff.).

Über die Bestellung/Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters entscheidet gem. § 396 Abs. 1 S. 1 StPO das Gericht, nicht etwa der Vorsitzende allein. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Wird ein gemeinschaftlicher Nebenklagevertreter bestellt/beigeordnet, muss das Gericht diesen benennen. Der Beschluss muss im Hinblick darauf, dass das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben ist, begründet werden. Dabei muss zu erkennen sein, dass das Gericht sein Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeübt hat (wegen der Einzelh. des Bestellungsverfahrens Burhoff/Burhoff, EV, 3217 ff.).

VI. Rechte und Pflichten des Nebenklägers

1. Akteneinsicht

Besonders hinzuweisen ist auf das Akteneinsichtsrecht des Nebenklägers, das dieser aber grds. nur durch einen Rechtsanwalt ausüben kann. Nach den Änderungen durch das 2. OpferRRG ist das AER in § 406e StPO geregelt. Dort sind das Akteneinsichtsrecht des Nebenklägers, des Nebenklagebefugten und das des Verletzten zur besseren Verständlichkeit gemeinsam geregelt (vgl. Barton, StRR 2009, 404, 406; ders., JA 2009, 753, 755; Baumhöfener, StraFo 2012, 2). Wegen der Einzelh. wird verwiesen auf Burhoff/Burhoff, EV, Rn 348 ff.).

2. Dolmetscher

Nach § 187 Abs. 4 GVG steht einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Nebenkläger ein Anspruch auf unentgeltliche Dolmetscherleistung zu, und zwar auch außerhalb der Hauptverhandlung für deren Vorbereitung sowie für die Vorbereitung damit in Zusammenhang stehender Verfahrenshandlungen (OLG Hamburg NJW 2005, 1135). Der Anspruch ist jedoch auf das zur Wahrnehmung der strafprozessualen Rechte erforderliche Maß beschränkt. Die erforderliche Dolmetscherleistung i.S.d. § 187 GVG umfasst eine Übersetzungshilfe bei der Hauptverhandlung sowie eigene Verfahrenshandlungen vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger oder Vertreter. Dazu gehört die – wörtliche – Übersetzung der gesamten Akte oder einzelner Aktenbestandteile regelmäßig nicht (OLG Hamburg, a.a.O.). Durch das 3. OpferRRG v. 21.12.2015 ist in § 397a Abs. 3 StPO zudem ausdrücklich angeordnet, dass der, der deutschen Sprache nicht mächtige Nebenkläger nach Maßgabe des § 187 Abs. 2 GVG eine Übersetzung schriftlicher Unterlagen erhält, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Erforderlich ist ein Antrag des Nebenklägers.

3. Rechte in der Hauptverhandlung

Der Nebenkläger(-vertreter) hat in der Hauptverhandlung folgende Rechte (dazu eingehend a. Fabricius, NStZ 1994, 257):

  • Der Nebenkläger hat nach § 397 Abs. 1 S. 1 StPO das Recht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung, selbst wenn er später als Zeuge vernommen werden soll (Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 2338). Der Nebenkläger ist aber nicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung verpflichtet (RGSt 31, 37). Sein persönliches Erscheinen kann nicht angeordnet werden.
  • Der Nebenkläger hat nach § 397 Abs. 2 StPO das Recht, sich des Beistandes eines Rechtsanwalts zu bedienen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen (zum Beistand V.).
  • Das Gericht muss den Nebenkläger(-vertreter) nach § 397 Abs. 1 S. 2 StPO zur Hauptverhandlung laden.
  • Nach § 397 Abs. 1 S. 4 StPO ist immer dann anzuhören, wenn die Anhörung der Staatsanwaltschaft nach § 33 Abs. 1, 2 StPO erforderlich ist. Das gilt insb. vor einer beabsichtigten Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153 ff. StPO, die aber von einer Zustimmung des Nebenklägers nicht abhängig ist (BVerfG wistra 2003, 419; BGHSt 28, 272 ff.).
  • Der Nebenkläger hat das Recht einen Richter abzulehnen (§§ 24, 31 StPO). Er hat ebenfalls das Recht, einen Sachverständigen abzulehnen (§ 74).
  • Der Nebenkläger kann den Angeklagten, Zeugen und Sachverständige befragen (§ 240 StPO; Lemke-Küch, StraFo 2018, 369), er kann Fragen beanstanden (§ 242 StPO).
  • Der Nebenkläger kann Erklärungen abgeben (§§ 257, 258) und Anordnungen des Vorsitzenden zu beanstanden (§ 238 Abs. 2 StPO).
  • Der Nebenkläger kann Beweisanträge stellen, allerdings nur im Rahmen seiner Anschlussberechtigung (wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 397 Rn 5 m.w.N.; zur Ablehnung eines Beweisantrags des Nebenklägers wegen Bedeutungslosigkeit BGH NJW 1997, 2762). Er kann „ein präsentes Beweismittel“ laden.
  • Der Nebenkläger ist im Rahmen von Absprachen/einer Verständigung mit Gericht und Staatsanwaltschaft zu beteiligen. Er ist „Verfahrensbeteiligter“ i.S.v. § 257c StPO, sodass ihm gem. § 257c Abs. 3 S. 3 StPO der mögliche Inhalt einer Verständigung bekannt zu geben und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Entsprechendes gilt für Erörterungen des Standes des Verfahrens nach § 257b StPO. Auch an diesen ist der Nebenkläger(-vertreter) zu beteiligen. Der Nebenkläger muss aber einer Verständigung nach § 257c StPO nicht zustimmen.
  • Schließlich hat der Nebenkläger das Recht, einen Schlussvortrag zu halten, und zwar nach der Staatsanwaltschaft und vor dem Angeklagten/Verteidiger. Dazu gehört auch das sich aus §§ 258 Abs. 2 Hs. 2, 397 Abs. 1 S. 3 StPO ergebende Recht auf Erwiderung.

Der Nebenkläger(-vertreter) hat nicht das Recht,

  • den Antrag auf Aussetzung der HV nach §§ 246 Abs. 2, 265 Abs. 4 StPO zu stellen (s.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 397 Rn 6 a.E.; OLG Karlsruhe, Beschl. 1.2.2016 – 2 Ws 572/15),
  • eine Einstellungsentscheidung des Gerichts anzufechten (BVerfG NJW 1995, 317; LG Mönchengladbach StV 1987, 335),
  • auf ein sog. Opening-Statement,
  • den Antrag nach § 255 StPO auf Protokollierung des Grundes für die Urkundenverlesung zu stellen,
  • den Antrag nach § 273 Abs. 3 StPO auf vollständige Niederschreibung von Vorgängen, Aussagen und Äußerungen im zu stellen,
  • nach § 249 Abs. 2 StPO dem Urkundenbeweis in Form des sog. Selbstleseverfahrens zu widersprechen,

Anträge auf Vereidigung eines Sachverständigen zu stellen (§ 79 Abs. 1 S. 2 StPO).

Hinweis:

Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, die Zustimmung oder den Verzicht des Nebenklägers einzuholen, soweit bestimmte Prozesshandlungen oder ihr Unterlassen von Zustimmung oder Verzicht des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft abhängig sind.

4. Rechtsmittel

Für den Fall, dass der Nebenkläger ein Rechtsmittel gegen das in der HV verkündete Urteil erwägt, ist § 400 Abs. 1 StPO von Bedeutung. Danach kann der Nebenkläger nur den Schuld-, nicht aber den Rechtsfolgenausspruch anfechten. Insbesondere im Revisionsverfahren genügt daher nicht nur die allgemeine Sachrüge (vgl. aus der st.Rspr. u.a. BGH NStZ-RR 2005, 262; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 20 [Ls.]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 400 Rn 5 f. m.w.N.). Vielmehr muss der Nebenkläger begründen und z.B. darlegen, dass er ggf. die Verurteilung des Angeklagten zu einer zur Nebenklage berechtigenden Straftat begehrt (wegen der Einzelh. die Kommentierung bei Meyer-Goßner/Schmitt, zu § 400).

VII. Honorierung des Nebenklägervertreters

1. Wahlanwalt

Die Abrechnung des Nebenklägervertreters richtet sich grds. nach den allgemeinen Regeln (vgl. dazu eingehend Burhoff RVGreport 2016, 82 ff.). Der Rechtsanwalt verdient also die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die entsprechenden (gerichtlichen) Verfahrensgebühren und, wenn ein Hauptverhandlungstermin stattfindet, die (Hauptverhandlungs)Terminsgebühr. Daneben können grds. auch die zusätzlichen Verfahrensgebühren aus Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 VV RVG anfallen. Im Rechtsmittelverfahren spielen dann die ggf. sich aus der Rücknahme eines Rechtsmittels ergebenden Probleme mit der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG eine Rolle.

Besondere Bedeutung hat für den als Nebenklägervertreter/Opferanwalt tätigen Rechtsanwalt die Gebühr Nr. 4143 VV RVG, wenn für den Mandanten als Verletzten vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden. Die damit zusammenhängenden komplexen Fragen sind dargestellt bei Burhoff, RVGreport 2018, 282). Das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO ab. Vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden (OLG Jena NJW 2010, 455; OLG Nürnberg StraFo 2014, 37; LG Braunschweig RVGreport 2012, 299; LG Hamburg, Beschl. v. 29.11.2019 – 628 Qs 37/19 u. 628 Qs 40/19; LG Kiel RVGreport 2020, 428).

2. Nebenklägerbeistand/Verletztenbeistand

Auch die Gebühren Nebenklägerbeistands richten sich grds. nach den allgemeinen Regeln (vgl. dazu eingehend Burhoff, RVGreport 2016, 82 ff. und vorstehend VII., 1). Die Regelung in § 51 RVG gilt im Übrigen auch für den Nebenklägerbeistand. Es gelten auch insoweit die allgemeinen Regeln (vgl.im Übrigen oben II, 3 und Burhoff, RVGreport 2016, 82 ff.; zum Vergütungsanspruch des Nebenklägervertreters bei PKH gegen die Staatskasse Klüsener, JurBüro 2021, 617).

Auf Folgendes muss der Beistand besonders achten. Ist der Rechtsanwalt dem Nebenkläger/Verletzten im Wege der PKH beigeordnet worden, kann er, wenn er für den Nebenkläger auch vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Angeklagten, z.B. im Adhäsionsverfahren, geltend macht, gesetzliche Gebühren gegenüber der Staatskasse nur geltend machen, wenn er dem Nebenkläger im Rahmen der Gewährung von PKH gem. §§ 404 Abs. 5 S. 2 StPO, 121 Abs. 2 ZPO ausdrücklich auch gesondert für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden ist (BGH StraFo 2001, 306 = NJW 2001, 2486; NStZ-RR 2009, 253 = StraFo 2009, 349; KG RVGreport, 2011, 142; OLG Dresden AGS 2007, 404; OLG Hamm AGS 2002, 252; OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider). Das gilt auch für den Abschluss eines Vergleichs (OLG Jena, a.a.O.).

Die Frage, ob der beigeordnete/bestellte Rechtsanwalt von seinem Mandanten Gebühren verlangen kann ist in § 53 RVG geregelt.

Der Vergütungsanspruch bei gemeinschaftlicher Nebenklagevertretung richtet sich nach §§ 397b Abs. 3 StPO, 53a RVG (eingehend dazu Volpert, AGS 2020, 209 und RVGreport 2020, 282; Burhoff, Sonderheft StRR 11/2020, 2).


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