aus AGS 2023, 487
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGSPStR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
Neben den klassischen Rechtsmitteln, wie Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde und Beschwerde, sehen StPO und OWiG für das Straf- bzw. Bußgeldverfahren eine ganze Reihe förmlicher aber auch formloser Rechtsbehelfe vor, die der Verteidiger für seinen Mandanten erheben bzw. einlegen kann. In der Praxis besteht große Unsicherheit, wie diese abzurechnen sind. Die nachfolgenden Ausführungen stellen die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit in diesem Bereich vor.[1]
Förmliche Rechtsbehelfe sieht die StPO bzw. das OWiG insbesondere vor
Daneben kennen Straf- und Bußgeldverfahren noch formlose Rechtsbehelfe wie
Für die Abrechnung dieser Rechtsbehelfe stellt sich immer die Frage, ob für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im RVG ggf. besondere Gebühren vorgesehen sind (dazu II., 1.). Ist das nicht der Fall, erhebt sich die Anschlussfrage, wie die Tätigkeiten dann abgerechnet werden können (dazu II., 2.). Zudem hängt die Abrechnung davon ab, ob der Rechtsanwalt den vollen Verteidigungsauftrag erhalten hat oder ob er in Zusammenhang mit dem Rechtsbehelf nur im Rahmen einer sog. Einzeltätigkeit im Strafverfahren nach Teil 4 Abschnitt 3 VV oder im Bußgeldverfahren Nr. 5200 VV tätig wird (vgl. III.).
Für fast alle unter I., 1. aufgeführten Rechtsbehelfe lässt sich feststellen: Für die vom Rechtsanwalt in dem Zusammenhang jeweils erbrachten Tätigkeiten sind keine besonderen Gebühren vorgesehen, und zwar weder in Teil 4 VV, wenn es um das Strafverfahren geht, noch in Teil 5 VV für das Bußgeldverfahren. Eine Ausnahme gilt nur für das Klageerzwingungsverfahren (vgl. IV.) und die Anträge nach §§ 23 ff. EGGVG (dazu V.).
Für die Abrechnung der Rechtsbehelfe bleibt daher i.d.R. nur die Abrechnung über die Verfahrensgebühr, die für den Verfahrensabschnitt anfällt, in dem der Rechtsbehelf erhoben bzw. eingelegt wird. Das ergibt sich aus der allgemeinen Regelung für den Abgeltungsbereich der (jeweiligen) Verfahrensgebühr, wie sie in Vorbem. 4 Abs. 2 VV bzw. in Vorbem. 5 Abs. 2 VV enthalten ist. Danach verdient der Rechtsanwalt die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Abgegolten wird dadurch die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt.[2] Das bedeutet, dass darunter auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts in Zusammenhang mit den förmlichen und formlosen Rechtsbehelfen fällt, also z.B. für Anträge auf gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren[3] oder für Dienstaufsichtsbeschwerden.[4]
Die jeweilige Verfahrensgebühr deckt alle Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Einreichung/Erstellung des Rechtsbehelfs und/oder einer etwaigen Beistandsleistung im Verfahren ab.[5] Dies können sein die Entgegennahme der Information des Mandanten, die Fertigung und Einreichung des Rechtsbehelfs bei der zuständigen Stelle, die Beratung des Mandanten, Stellungnahmen usw. Abgegolten durch die jeweilige Verfahrensgebühr werden ggf. auch die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Hinblick auf eine ggf. statthafte Beschwerde gegen einen den Rechtsbehelf/Antrag ablehnenden Beschluss (s. aber III., 2.).
Beim Wahlanwalt sind die erbrachten Tätigkeiten im Rahmen der jeweiligen Verfahrensgebühr über § 14 Abs. 1 S. 1 RVG gebührenerhöhend geltend zu machen.[6] Beim Pflichtverteidiger ist das, da er Festbetragsgebühren erhält, nicht möglich. Ihm bleibt daher nur die Möglichkeit, ggf. eine Pauschgebühr nach § 51 RVG zu beantragen, wenn die gesetzlichen Gebühren wegen des Umfangs der von ihm erbrachten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar sind.
Die vorstehenden Ausführungen unter II. gelten nur für den Rechtsanwalt, dem der volle Verteidigungsauftrag übertragen worden ist.
Im Übrigen:
Die nachfolgenden Ausführungen gelten im Wesentlichen für alle unter I. erwähnten straf- bzw. bußgeldverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfe. Soweit sich Abweichungen ergeben, sind diese unter IV. und V. dargestellt
Ist der Rechtsanwalt nicht Vollverteidiger und hinsichtlich des Rechtsbehelfs (nur) im Rahmen einer Einzeltätigkeit beauftragt, gilt im Strafverfahren Teil 4 Abschnitt 3 VV. Im Einzelnen ist auf folgende Gebühren hinzuweisen:
Eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV oder Nr. 5100 VV entsteht nicht zusätzlich.[7] Bei mehreren Einzeltätigkeiten ist auf die Beschränkung der Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 2 VV i.V.m. § 15 Abs. 6 RVG zu achten.[8]
Ist der Rechtsanwalt von vornherein gleichzeitig mit der Rechtsbehelfseinlegung und -begründung beauftragt, entsteht nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4302 Nr. 2 VV.[9] Denn bei gleichzeitiger Auftragserteilung gilt die Verfahrensgebühr gem. Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 2 VV, § 15 Abs. 1 RVG die Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit ab.[10] Ein durch Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs entstandener erhöhter Aufwand muss bei der Bemessung der Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV innerhalb des vorgesehenen Rahmens nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG berücksichtigt werden.[11] Ist hingegen auftragsgemäß vom Rechtsanwalt zunächst der Rechtsbehelf eingelegt und dieser dann später auftragsgemäß begründet worden, fallen gem. Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 1 VV die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV für die Einlegung und nach Nr. 4302 Nr. 2 VV für die Begründung des Rechtsbehelfs gesondert an. Anders als in den Anm. zu Nrn. 4300 und 4301 ist zu Nr. 4302 VV insoweit nichts anderes bestimmt worden.[12]
Erhält der Rechtsanwalt den Auftrag, gegen einen den Rechtsbehelf ablehnenden Beschluss eine ggf. statthafte Beschwerde einzulegen, wie z.B. bei der Wiedereinsetzung nach § 46 Abs. 3 StPO, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 2 VV: Das Verfahren über die Beschwerde ist ein besonderes. Das bedeutet, dass ggf. noch einmal die Gebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV entsteht.[13]
Erhält der Rechtsanwalt nach einem erfolgreichen Rechtsbehelf den vollen Verteidigungsauftrag, wird er also nun für den Mandanten im eigentlichen Verfahren tätig, wird gem. Vorbem. 4.3 Abs. 4 VV bzw. Anm. Abs. 4 zu Nr. 5200 VV die für die Einzeltätigkeit entstandene Verfahrensgebühr auf die weiteren Gebühren angerechnet.
Ist dem Rechtsanwalt im Bußgeldverfahren die Einlegung des Rechtsbehelfs nur als Einzeltätigkeit übertragen worden, gilt Nr. 5200 VV. Wird er darüber hinaus mit der Begründung des Rechtsbehelfs beauftragt, kann er dafür nach Anm. Abs. 2 S. 1 zu Nr. 5200 VV ggf. noch eine weitere Verfahrensgebühr nach Nr. 5200 VV abrechnen. Ist der Rechtsanwalt nur damit beauftragt, einen Rechtsbehelf, z.B. den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, zurückzunehmen, entsteht ebenfalls die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV.
Im Bußgeldverfahren fehlt in Teil 5 VV eine der Vorbem. 4 Abs. 3 S. 3 VV entsprechende Regelung. Das hat zur Folge, dass im Bußgeldverfahren die Tätigkeit in einem ggf. eingeleiteten Beschwerdeverfahren durch die Verfahrensgebühr Nr. 5200 VV mitabgegolten wird.
Eine Grundgebühr Nr. 5100 VV entsteht auch im Bußgeldverfahren nicht zusätzlich.[14]
Erhält der Rechtsanwalt nach einem (erfolgreichen) Rechtsbehelf den vollen Verteidigungsauftrag, wird er also nun für den Mandanten im eigentlichen Verfahren tätig, wird die für die Einzeltätigkeit entstandene Verfahrensgebühr auch im Bußgeldverfahren nach Anm. Abs. 4 zu Nr. 5200 VV auf die weiteren Gebühren angerechnet. Bei mehreren Einzeltätigkeiten ist auf die Beschränkung der Anm. Abs. 2 S. 2 zu Nr. 5200 VV i.V.m. § 15 Abs. 6 RVG, zu achten.
Für die Abrechnung des sog. Klageerzwingungsverfahrens (§§ 172 ff. StPO)[15] ist zu unterscheiden zwischen dem Vertreter des Antragstellers (dazu IV., 1.) und dem Vertreter/Verteidiger des Beschuldigten (dazu IV., 2.). Außerdem kommt es auch hier darauf an, ob der Rechtsanwalt jeweils bereits (schon) den Auftrag zur vollen Vertretung/Verteidigung erhalten hatte, oder ob er im Rahmen einer Einzeltätigkeit tätig geworden ist.
Für den Rechtsanwalt des Antragstellers im Klageerzwingungsverfahren gilt:
Soll der Rechtsanwalt für den Antragsteller nicht nur im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 StPO tätig werden, sondern hat von vorneherein den vollen Auftrag den Antragsteller als Verletzten, der sich ggf. einer erhobenen Anklage als Nebenkläger anschließen will, zu vertreten, gilt Vorbem. 4 Abs. 1 VV.[16] Der Rechtsanwalt ist dann Vertreter eines Verletzten/Nebenklägers und rechnet nach Teil 4 Abschnitt 1 VV ab. Für ihn entstehen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV und die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV.
Weitere Gebühren entstehen für diesen Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Klageerzwingungsverfahren nicht. Dieses ist mit dem Beschluss nach § 175 StPO beendet. Die vom OLG beschlossene Erhebung der Anklage wird von der Staatsanwaltschaft durchgeführt (§ 175 S. 2 StPO). Das vorbereitende Verfahren ist nach der Anm. zu Nr. 4104 VV erst mit dem Eingang der Anklage beim Gericht beendet.[17] Erst dann entsteht ggf. die gerichtliche Verfahrensgebühr.
Wird der Rechtsanwalt dem Antragsteller nach § 172 Abs. 3 S. 2 StPO im (gesamten) vorbereitenden Verfahren als Beistand bestellt, fallen keine Gebühren für Einzeltätigkeiten an (vgl. IV. 1. b)), sondern die Abrechnung erfolgt nach Teil 4 Abschnitt 1 VV.[18] In Betracht kommt dann auch die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG.[19]
Hat der Rechtsanwalt nicht den vollen Auftrag erhalten, sondern wird für den Antragsteller nur im Rahmen von Einzeltätigkeiten tätig, gilt:
Soll der Rechtsanwalt nur die sog. Einstellungsbeschwerde (§ 172 Abs. 1 StPO) einlegen, entsteht dafür die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 1 VV.[20] Soll der Rechtsanwalt die Einstellungsbeschwerde ggf. (auch) begründen, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 2 VV. Ist er mit der Beistandsleistung im Einstellungsbeschwerdeverfahren beauftragt, entsteht die Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 3 VV. Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV entsteht nicht zusätzlich.[21]
Hinsichtlich der Frage, welche Gebühren entstehen, wenn dieser Rechtsanwalt von vornherein gleichzeitig mit der Beschwerdeeinlegung und -begründung beauftragt wird bzw. die Aufträge nacheinander erteilt werden, gelten die allgemeinen Regeln (dazu die Ausführungen bei III., 2. a)). Es handelt sich jeweils um selbstständige Angelegenheiten.[22] Es gilt über Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV § 15 Abs. 6 RVG.
Erhält der Rechtsanwalt den Auftrag, den Antragsteller nach einer erfolglosen Einstellungsbeschwerde auch im eigentlichen Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO zu vertreten, entsteht dafür eine Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 5 VV.[23] Diese Verfahrensgebühr deckt im Verfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO sämtliche vom Rechtsanwalt erbrachte Tätigkeiten ab. Das können sein Erstellung, Unterzeichnung und Einreichung des Klageerzwingungsantrags, Beratung des Antragstellers im weiteren Verfahren und sonstige Beistandsleistungen, wie z.B. bei gerichtlichen Ermittlungen.[24] Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV entsteht auch in diesem Fall nicht zusätzlich.[25]
Die Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 5 VV kann, wenn der Rechtsanwalt zunächst auch mit der Einstellungsbeschwerde beauftragt war (dazu IV. 1. b) aa)), neben der Verfahrensgebühr Nr. 4302 Nr. 1 VV entstehen. Es handelt sich um unterschiedliche Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG.[26] Über Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV gilt § 15 Abs. 6 RVG. In jeder Angelegenheit kann dann nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 7002 VV auch die Auslagenpauschale entstehen.
Erhält der Rechtsanwalt später den vollen Auftrag, den Antragsteller im Strafverfahren zu vertreten, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 4 VV. Die für die Einzeltätigkeit erhaltenen Gebühren werden angerechnet.[27]
Für den Rechtsanwalt des Beschuldigten im Klageerzwingungsverfahren gilt:
Hat der Rechtsanwalt von vorneherein den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zu verteidigen, gilt Vorbem. 4 Abs. 1 VV.[28] Der Rechtsanwalt ist dann (Voll-)Vertreter eines Verletzten/Nebenklägers und rechnet nach Teil 4 Abschnitt 1 VV ab. Für ihn entstehen die Gebühren, die auch für den Vertreter des Antragstellers entstehen, wenn ihm der volle Auftrag erteilt ist (dazu IV., 1. a)).
Erhält der Rechtsanwalt nicht den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Ermittlungsverfahren als Verteidiger zu verteidigen, sondern soll er im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO nur Beistand leisten, entsteht für diese Beistandsleistung nur die Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 5 VV.[29] Die Verfahrensgebühr deckt sämtliche vom Rechtsanwalt im Verfahren nach § 172 Abs. 2 bis 4 StPO für den Beschuldigten erbrachte Tätigkeiten ab. Das können sein Abgabe einer Erklärung nach § 173 Abs. 2 StPO oder sonstige Beistandsleistungen, wie z.B. bei gerichtlichen Ermittlungen.[30] Eine Grundgebühr Nr. 4100 VV entsteht nicht zusätzlich.[31] Erhält der Rechtsanwalt später den vollen Auftrag, den Beschuldigten im Strafverfahren zu verteidigen, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 4 VV. Die für die Einzeltätigkeit erhaltenen Gebühren werden angerechnet.[32]
Bei der Anfechtung von Justizverwaltungsakten nach den §§ 23 ff. EGGVG handelt es sich gebührenrechtlich um ähnliche Verfahren i.S.d. Überschrift zu Teil 3 VV.[33] Für sie hat das RVG in Teil 6 VV keine besondere Regelung getroffen. Die Abrechnung erfolgt daher nach Teil 3 VV.[34]
In den Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG kann nach § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe (PKH) gewährt werden. Die Ablehnung von PKH mit der Begründung mangelnder Erfolgsaussicht ist stets − unabhängig vom Streitwert unanfechtbar.[35]
Die Gebühren, die der Rechtsanwalt nach Teil 3 VV für seine Tätigkeit im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG verdient, entstehen zusätzlich zu den Gebühren, die ggf. für die Tätigkeit im Strafverfahren nach Teil 4 VV entstehen. Darauf hat ausdrücklich das OLG Zweibrücken[36] für das Verfahren betreffend die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG hinsichtlich betäubungsmittelabhängiger Straftäter hingewiesen. Es ist nur konsequent, diese Rspr. auf andere §§ 23 ff. EGVG-Verfahren als solche aus dem Bereich der Strafvollstreckung entsprechend anzuwenden. Das bedeutet: Der Rechtsanwalt erhält ggf. als Verteidiger die Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 VV und für den Antrag nach den § 23 ff. EGGVG die Gebühren nach Teil 3 VV.
Für die Tätigkeit im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV i.V.m. Vorbem. 3.1 VV.[37] Diese Verfahrensgebühr entsteht nach Vorbem. 3.2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Diese Formulierung entspricht der aus Teil 4 Abs. 2 VV, sodass auf die allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr verwiesen werden kann.[38] Die Verfahrensgebühr deckt also sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Verteidigers im Zusammenhang mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ab. Dazu gehören die Informationserteilung ebenso wie die Vorbereitung, Fertigung und Erstellung des Antrags. Auch die Entgegennahme der Entscheidung des OLG und deren Besprechung mit dem Mandanten werden von der Gebühr erfasst.[39]
Endigt der Auftrag, bevor der Rechtsanwalt den Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG eingereicht hat, gilt Nr. 3101 VV. Der Gebührensatz reduziert sich auf 0,8. In den Nrn. 3104 ff. VV sind zwar Terminsgebühren vorgesehen. Diese können jedoch in den §§ 23 ff. EGGVG-Verfahren nicht entstehen, da das OLG nach § 29 Abs. 2 EGGVG i.V.m. §§ 304 ff. StPO ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Die Höhe der Verfahrensgebühr richtet sich nach dem Gegenstandswert. Insoweit gilt § 36 GNotKG. Der Gegenstandswert wird damit nach § 36 Abs. 1 GNotKG grds. nach freiem Ermessen bestimmt. I.d.R. beträgt der Gegenstandswert 5.000,00 EUR. Er kann je nach Lage des Falls niedriger oder höher festgesetzt werden, darf jedoch die Grenze von 1.000.000 EUR nicht überschreiten.
Der Gegenstandswert wird vom OLG festgesetzt. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 81 Abs. 3 S. 3 GNotKG).
Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Straf- oder Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit Verfahrensverzögerungen im Hinblick auf die sog. Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG[40] erbringt, haben folgende gebührenrechtlichen Auswirkungen:
Ist der Rechtsanwalt Vollverteidiger i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 bzw. Teil 5 Abschnitt 1 VV, sind besondere Gebühren für seine Tätigkeiten nicht vorgesehen. Diese werden vielmehr von der jeweiligen Verfahrensgebühr abgegolten.[41] Das gilt insbesondere für die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG. Es handelt sich bei diesen Tätigkeiten um Betreiben des Geschäfts i.S.d. Vorbem. 4 Abs. 2 bzw. Vorbem. 5 Abs. 2 VV.
Ist der Rechtsanwalt nicht (Voll-)Verteidiger, sondern nur mit der Erhebung der Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG beauftragt, entsteht für diese Einzeltätigkeit im Strafverfahren die Nr. 4302 Nr. 2 VV und im Bußgeldverfahren die Nr. 5200 VV. Es gelten die allgemeinen Regeln (vgl. III., 2.).
Kommt es nach Abschluss des Straf- oder Bußgeldverfahrens zum Entschädigungsprozess, gelten für diesen die allgemeinen Regeln. D.h., dass die Abrechnung nach Teil 3 VV erfolgt. Abgerechnet wird nach Teil 3 Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 VV, also nach den besonderen erstinstanzlichen Verfahren. Nach § 3 Abs. 1 S. 3 RVG werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet.[42]
[1] Vgl. auch Burhoff/Kotz (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtlichen Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl., 2016, Teil D Rn 49 ff.
[2] Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4 VV Rn 35 ff.; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, VV Vorb. 4 Rn 21; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV Vorb. 4 Rn 9 f.; Burhoff, AGS 2021, 443; BT-Drucks 15/1971, 220.
[3] AG Betzdorf AGS 2009, 390; AG Sinzig JurBüro 2008, 249.
[4] LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 26.2.2020 2 Qs 18/20; LG Köln JurBüro 2001; AG Bielefeld AGS 2006, 439 = VRR 2006, 358 m. zust. Anm. N. Schneider, AGS 2006, 440.
[5] Vgl. auch Burhoff/Kotz/Burhoff, a.a.O., Teil D Rn 443 ff.
[6] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1747 ff.
[7] OLG Düsseldorf AGS 2009, 14 = MDR 2009, 654 = AnwBl 2009, 312; OLG Köln AGS 2007, 452 = RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287; OLG Schleswig JurBüro 2005, 252 = RVGreport 2005, 70 = StV 2006, 206; zur Grundgebühr Burhoff, AGS 2023, 441.
[8] Dazu Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 Rn 73 ff.
[9] Vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV Rn 68; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4.3 Rn 22.
[10] Vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV Rn 68.
[11] Vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O.; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O.
[12] Wie hier für die Beschwerde Burhoff, AGS 2023, 241 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4.3 Rn 16; a.A. wohl LG Mühlhausen, Beschl. v. 26.5.2010 3 Qs 87/10 für die Beschwerde.
[13] Vgl. dazu auch Burhoff, AGS 2023, 241.
[14] Vgl. die Nachweise bei Fn 7.
[15] Dazu a. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1302 ff.; Burhoff, RVGreport 2016, 2.
[16] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 25; AnwK-RVG/N. Schneider, VV 4301 Rn 24.
[17] S. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4104 VV Rn 4 ff.
[18] OLG Stuttgart RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 = Justiz 2008, 229 = Rpfleger 2008, 441.
[19] OLG Stuttgart, a.a.O.
[20] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4301 Rn 25; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 4301 Rn 24, Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4301 Rn 17.
[21] OLG Düsseldorf AGS 2009, 14 = MDR 2009, 654 = AnwBl 2009, 312; OLG Köln AGS 2007, 452 = RVGreport 2007, 306 = NStZ-RR 2007, 287; OLG Schleswig JurBüro 2005, 252 = RVGreport 2005, 70 = StV 2006, 206; zur Grundgebühr Burhoff, AGS 2023, 441.
[22] Hartung/Schons/Enders/Hartung, RVG, 3. Aufl., 2017, Nr. 4301 VV Rn 29.
[23] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 25; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4.3 Rn 26; Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 27.
[24] Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 27; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 4301 Rn 26.
[25] Vgl. die Nachweise bei Fn 7.
[26] Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4301 Rn 16 m.w.N.
[27] Vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV Rn 77.
[28] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 24; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 4301 Rn 24.
[29] Burhoff/Volpert/Volpert, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 24; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4.3 Rn 24; Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 27.
[30] Hartung/Schons/Enders/Hartung, a.a.O., Nr. 4301 VV Rn 27; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 4301 Rn 27.
[31] S. die Nachweise bei Fn 7.
[32] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, a.a.O., Vorbem. 4.3 VV Rn 77.
[33] OLG Jena RVGreport 2017, 23 m. Anm. Burhoff, StRR 4/2017, 27; OLG Zweibrücken StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140 = StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116; LG Wiesbaden, Beschl. v. 11.9.2014 2 Qs 69/14.
[34] Burhoff, RVGreport 2020, 82.
[35] KG, Beschl. v. 16.2.2019 5 Ws 20/18 Vollz; Beschl. v. 18.2. 2022 2 Ws 29/22; Beschl. v. 14.4.2022 2 Ws 67/22 Vollz.
[36] Vgl. StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140 = StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116.
[37] OLG Zweibrücken StraFo 2010, 515 = RVGreport 2011, 140 = StRR 2010, 480 = NStZ-RR 2011, 32 = Rpfleger 2011, 116; LG Wiesbaden, Beschl. v. 11.9.2014 2 Qs 69/14.
[38] Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 35 ff.
[39] Burhoff/Volpert/Burhoff/Volpert, a.a.O., Teil A Rn 2332.
[40] Dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 5088, und Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3293; Burhoff, StRR 2012, 4; Ders., VRR 2012, 44; Ders., ZAP F. 22, S. 591.
[41] Burhoff, StRR 2012, 4; Ders., VRR 2012, 44.
[42] Eingehend zur Abrechnung des Entschädigungsprozesses H. Schneider, AGS 2012, 53.
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