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aus AGS 2023, 147

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGS" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Der (Haft-)Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV

Beiträge//Straf- und Bußgeldsachen//Detlef Burhoff//Der (Haft-)Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Das VV RVG sieht an vielen Stellen Gebühren mit Zuschlag vor, so z.B. in den Nrn. 4101, 4103, 4105, 4107 VV usw. Wann der Rechtsanwalt diese gegenüber der normalen Gebühr mit einem erhöhten Gebührenrahmen ausgestattete Gebühr erhält, regelt die Vorbem. 4 Abs. 4 VV. Über das Entstehen dieses Zuschlags kommt es in der Praxis immer wieder zum Streit. Der nachfolgende Beitrag stellt die Anwendung dieser Regelung – als Update zu dem Beitrag in RVGreport 2011, 242 – vor.[1]

I. Allgemeines

Die Gebühren mit Zuschlag sind gegenüber der „normalen“ Gebühr im Gebührenrahmen erhöht. Wann der Rechtsanwalt diese Gebühr mit einem erhöhten Gebührenrahmen erhält, regelt Vorbem. 4 Abs. 4 VV. Danach verdient der Rechtsanwalt/Verteidiger diese erhöhte Gebühr, wenn sich der Beschuldigte/sein Mandant nicht auf freiem Fuß befindet. Durch diese erhöhten Gebühren sollen diejenigen Mehrarbeiten des Rechtsanwalts abgegolten werden, die durch die Verteidigung eines inhaftierten Mandanten entstehen.[2]

II. Persönlicher Geltungsbereich

Der Zuschlag steht ggf. sowohl dem Wahlanwalt als auch dem gerichtlich beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt, also i.d.R. dem Pflichtverteidiger, zu. Für den Rechtsanwalt, der nur mit Einzeltätigkeiten beauftragt worden ist, wird ein Zuschlag nicht gewährt (vgl. Nrn. 4300 ff. VV).

Die Vorbem. 4 Abs. 4 VV gilt für den Vertreter/Beistand des Nebenklägers „entsprechend“. Daraus folgt, dass es in diesen Fällen nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuß befindet, sondern darauf, ob der Nebenkläger in Haft ist.[3] Befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß und entstehen dadurch für den Nebenklägervertreter Erschwernisse, so z.B. wenn die Hauptverhandlung wegen einer Erkrankung des Beschuldigten in der Justizvollzugsanstalt stattfinden muss, sind diese Erschwernisse ggf. bei der Terminsgebühr über § 14 RVG erhöhend zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für die in Vorbem. 4 Abs. 1 VV genannten anderen Verfahrensbeteiligten. Entscheidend ist also für das Entstehen des Zuschlags, dass sich der Mandant des Rechtsanwalts nicht auf freiem Fuß befindet.

III. Sachlicher Geltungsbereich

1. Allgemeines

Gebühren mit Zuschlag können in allen Verfahrensabschnitten entstehen, also im vorbereitenden Verfahren (s. Nr. 4105 VV) und im gerichtlichen Verfahren in jedem Rechtszug. Auch die Grundgebühr kann mit Zuschlag anfallen (vgl. Nr. 4101 VV). Die Gebühr mit Zuschlag entsteht für jeden Hauptverhandlungstag (vgl. z.B. Nr. 4109 VV).[4] Endet das Verfahren durch Einstellung oder anderweitig, erhält der Rechtsanwalt die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV i.H.d. jeweiligen Verfahrensgebühr allerdings ohne Zuschlag (vgl. Anm. Abs. 3 S. 3 zu Nr. 4141 VV).

Der Zuschlag fällt i.Ü. auch bei den Gebühren in der Strafvollstreckung nach den Nrn. 4200 ff. VV an.

 

Der Zuschlag soll die Erschwernisse abgelten, die dadurch entstehen, dass sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befindet. Ob tatsächlich Erschwernisse entstanden sind oder entstehen, ist ohne Bedeutung.[5] Die Gebühr entsteht also immer dann mit Zuschlag, wenn der Beschuldigte in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt nicht auf freiem Fuß war. Das folgt schon daraus, dass die Regelung nicht mehr wie § 83 Abs. 3 BRAGO als Ermessensregelung ausgebildet ist. Diese Regelung hat zur Folge, dass der Verteidiger den Zuschlag nicht näher begründen muss.

2. Katalog der erfassten Tätigkeiten

Abgegolten werden durch den (Haft-)Zuschlag u.a. die Schwierigkeiten bzw. Erschwernisse, die der Rechtsanwalt hat, um Zugang zu seinem Mandanten zu bekommen, um sich mit diesem zu besprechen, insbesondere also Besuche in der Justizvollzugsanstalt. Es werden aber auch die besonderen Verfahren, die ggf. durch eine Inhaftierung ausgelöst werden, wie also z.B. Haftbeschwerden, Beschwerden bzw. Verfahren in Zusammenhang mit den Bedingungen der Untersuchungshaft usw. abgegolten. Durch den Zuschlag nicht ausgeglichen wird allerdings der Zeitaufwand, der dem Rechtsanwalt durch die Teilnahme an Haftprüfungsterminen entsteht. Der dadurch entstehende Zeitaufwand wird ggf. vielmehr durch die eigene Terminsgebühr erfasst (Nr. 4102 Nr. 3 VV). Schließlich ist auch die psychologische Situation des sich in Haft befindenden Mandanten für die Verteidigung von Bedeutung.

IV. Voraussetzungen für das Entstehen des Zuschlags

1. Allgemeines

Der Rechtsanwalt verdient die erhöhte Gebühr, wenn sich der Beschuldigte / sein Mandant nicht auf freiem Fuß befindet. Weitere Voraussetzungen hat die Gebühr nicht. Der Begriff „nicht auf freiem Fuß“ ist weit auszulegen. Gemeint ist jede (behördliche) Anordnung, die den Betroffenen in der Wahl seines Aufenthaltsortes beschränkt.[6] Dieser Sinn und Zweck der Regelung erfasst aber auch die Fälle, in denen sich der Beschuldigte selbst Beschränkungen „anordnet“, deren Übertreten für ihn persönlich Nachteile hat, wie z.B. den Abbruch einer Therapie (vgl. IV., 2.).

Der Mandant muss sich nach allgemeiner Meinung nicht in der Sache/in dem Verfahren in Haft befinden, in der/dem ihn der Rechtsanwalt verteidigt.[7] Auch wenn er sich in anderer Sache in (Untersuchungs-)Haft befindet, entstehen nämlich die beschriebenen Erschwernisse für den Rechtsanwalt, die die Anwendung der Zuschlagsgebühr rechtfertigen.

Die Voraussetzungen für den Haftzuschlag müssen nicht bei Entstehen der jeweiligen Gebühr, für die der Zuschlag bestimmt ist, vorliegen.[8] Da der Zuschlag die durch die Inhaftierung entstehenden Erschwernisse abgelten soll, ist entscheidend, dass der Mandant in dem Zeitraum, der durch die geltend gemachte Gebühr abgegolten werden soll, inhaftiert war.[9] Ob er schon bei Auftragserteilung inhaftiert war, ist unerheblich.[10] Wird der Mandant nachträglich inhaftiert, hat das auf das Entstehen des Haftzuschlags für Gebühren, die für bereits abgeschlossene Verfahrensabschnitte anfallen, keinen Einfluss (mehr).[11]

2. Nicht auf freiem Fuß

Die Gebühr mit Zuschlag setzt nur voraus, dass der Beschuldigte sich nicht auf freiem Fuß befindet. Weshalb der Mandant nicht auf freiem Fuß ist, ist für das Entstehen der Zuschlagsgebühr unerheblich (s. IV., 1.).

In der Praxis wird am häufigsten der Fall der Untersuchungshaft des Beschuldigten sein. Die Vorschrift gilt jedoch – wie schon § 83 Abs. 3 BRAGO – auch dann, wenn der Beschuldigte/Mandant sich in Strafhaft, Haft nach § 230 Abs. 2 StPO,[12] Sicherungsverwahrung, (einstweiliger) Unterbringung, Unterbringung nach dem PsychKG, Auslieferungs- oder Abschiebehaft,[13] Polizeigewahrsam, Unterbringung nach § 72 Abs. 4 i.V.m. § 71 Abs. 2 JGG[14] befindet, und wohl auch, wenn Anordnungen zum Aufenthaltsort des Jugendlichen nach § 71 Abs. 1 JGG getroffen werden. Wird ein Vorführungshaftbefehl (z.B. § 230 StPO) vollstreckt,[15] befindet sich der Angeklagte ebenso „nicht auf freiem Fuß“ wie der nach §§ 127 Abs. 1, 127b StPO vorläufig Festgenommene.[16] Der Zuschlag fällt auch dann an, wenn sich der Beschuldigte/Mandant im sog. offenen Vollzug befindet.[17] Auch dann liegen nämlich grds. Erschwernisse vor, da auch dieser Mandant sich z.B. nicht ungehindert zum Verteidiger begeben kann. Der Mandant ist kein „freier Mann“. Befindet sich der Mandant im „offenen Vollzug“, sollte der Verteidiger/Rechtsanwalt ggf. auf die Rspr. des BGH hinweisen. Dieser geht in NStZ 2005, 265 f. davon aus, dass ein Freigang im Rahmen des offenen Vollzugs als Verwahrung in der Anstalt zu werten ist.[18]

Der Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV soll nicht entstehen, wenn sich der Mandant einer (freiwilligen stationären) (Drogen-/Alkohol-)Therapie (s. z.B. § 35 BtMG) unterzieht.[19] Das ist m.E. nicht zutreffend,[20] da sich der Mandant ebenfalls nicht frei bewegen kann und sich der Verteidiger/Rechtsanwalt, wenn er ihn besucht, strengen Kontrollen – wie in der JVA – unterziehen muss. Dass der Mandant die Therapie ggf. jederzeit abbrechen kann, spielt eine untergeordnete Rolle.[21] Zutreffend ist es allerdings, wenn davon ausgegangen wird, dass der Haftzuschlag nicht anfällt, wenn ein in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter bereits dauerhaft in einem externen Pflegeheim wohnt (betreutes Wohnen).[22] Befindet sich ein Untergebrachter allerdings im Rahmen von Lockerungen (noch) in einem Übergangswohnheim, steht dem Verteidiger im Unterbringungsverfahren der Haftzuschlag zu.[23]

3. Dauer der Freiheitsbeschränkung

Für das Entstehen einer Zuschlagsgebühr ist es unerheblich, wie lange der Beschuldigte/Mandant sich nicht auf freiem Fuß befunden hat.[24] Entscheidend ist allein, dass er in dem Verfahrensabschnitt, für den die Zuschlagsgebühr entstehen soll, überhaupt irgendwann nicht auf freiem Fuß, also i.d.R. inhaftiert oder untergebracht war.[25] Das ist auch der Fall, wenn der Mandant zunächst „nur“ vorläufig festgenommen war, dann aber vor Erlass eines Haftbefehls wieder auf freien Fuß gesetzt wird.[26] Dann entsteht z.B. die jeweilige Verfahrensgebühr mit Zuschlag.

Es ist auch nicht erforderlich, dass der Mandant während des gesamten Verfahrensabschnitts, für den eine Gebühr mit Zuschlag geltend gemacht wird, nicht auf freiem Fuß gewesen ist. Wird der Mandant während des Verfahrensabschnitts aus der Haft entlassen, hat das allenfalls Einfluss auf die Höhe der mit Zuschlag entstandenen Gebühr; die Gebühr mit Zuschlag entfällt hingegen nicht nachträglich.

Die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV) entsteht i.Ü. auch dann mit Zuschlag, wenn die Anklage zwar ursprünglich schon erhoben war, bevor der Verteidiger für den inhaftierten Mandanten tätig wurde, dann aber zurückgenommen und nach erneuten Ermittlungen eine neue Anklage erhoben worden ist.[27] Pflichtverteidigergebühren mit Haftzuschlag sind unter Anwendung des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch dann anzusetzen, wenn der Mandant sich lediglich vor Antragstellung und Pflichtverteidigerbestellung, aber während der Tätigkeit des Verteidigers nicht auf freiem Fuß befunden hat.[28]

Für das Entstehen einer Terminsgebühr mit Zuschlag ist es ausreichend, wenn der Angeklagte erst am Ende des Verhandlungstages, aber vor Beendigung des Hauptverhandlungstermins, in Haft genommen wird.[29] Die Terminsgebühr entsteht auch mit Zuschlag, wenn der Haftbefehl, z.B. ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO, während der Hauptverhandlung aufgehoben wird. Entscheidend ist, dass der Mandant dann zumindest während eines Teils der Hauptverhandlung nicht auf freiem Fuß war; der einmal entstandene (Haft-)Zuschlag entfällt nicht durch die Aufhebung des Haftbefehls (§ 15 Abs. 4 RVG). Die Terminsgebühr mit Zuschlag entsteht immer nur für die Termine, während derer der Angeklagte sich nicht auf freiem Fuß befunden hat (s. das Beispiel 6 unter VII.).

V. Höhe des Zuschlags

Bei einer Gebühr mit Zuschlag ist die Höchstgebühr des Betragsrahmens bzw. der Festbetrag der gesetzlichen Gebühr des Pflichtverteidigers jeweils um 25 % angehoben. Der Gebührenrahmen ist also gegenüber der jeweiligen „Grundgebühr“ erhöht. Die Gebühr entsteht, wenn Mandant nicht auf freiem Fuß ist, immer aus dem erhöhten Rahmen. Damit wird (unnötiger) Streit im Kostenfestsetzungsverfahren darüber vermieden, ob der Gebührenrahmen der jeweiligen Gebühr ausreichend ist/war oder nicht. Der Gesetzgeber ist zutreffend davon ausgegangen, dass dadurch, dass sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befindet, immer Erschwernisse entstehen, die durch den jeweiligen Zuschlag ausgeglichen werden sollen.

VI. Höhe der jeweiligen Gebühr

Die jeweils angemessene Gebühr mit Zuschlag ist innerhalb des jeweiligen von der Gebühr mit Zuschlag vorgegebenen Gebührenrahmens unter Anwendung der Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu finden. Der Umstand der Inhaftierung oder Unterbringung an sich wird bei der Bemessung der konkreten Gebühr innerhalb des Rahmens nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG nicht (mehr) besonders berücksichtigt.[30]

Grds. ist auch hier von der Mittelgebühr der um den Zuschlag erhöhten Gebühr auszugehen, wenn es sich um eine durchschnittliche Haftsache handelt. Ergeben sich aufgrund der Inhaftierung besondere Schwierigkeit oder ein höherer Umfang, kann das zum Überschreiten der Mittelgebühr herangezogen werden.[31] Insoweit können die Grundsätze für die Berücksichtigung von U-Haft bei der Pauschgebühr entsprechend herangezogen werden.[32] Beim Wahlanwalt ist auch die Länge des Zeitraums von Bedeutung, während dessen sich der Mandant nicht auf freiem Fuß befunden hat. Einfluss haben dann insbesondere auch die sonstigen durch die Haft verursachten Tätigkeiten, wie Beschwerden in Zusammenhang mit der U-Haft, Anzahl der Besuche usw. Insoweit kommt es ggf. zu einer gewissen Schlechterstellung des Wahlanwalts gegenüber dem Pflichtverteidiger. Denn bei diesem kann z.B. eine nur kurze Zeit der Inhaftierung nicht gebührenmindernd berücksichtigt werden, da er Festgebühren erhält.[33]

VII. Beispielsfälle

Beispiel 1

Gegen den Beschuldigten ist ein Sicherungsverfahren anhängig. In diesem bestellte der Vorsitzende der Strafkammer den Rechtsanwalt am 24.9.2022 zum Pflichtverteidiger. Der Rechtsanwalt nimmt am 6.10.2022 Akteneinsicht. Nachdem der Beschuldigte aufgrund eines Unterbringungsbefehls der Strafkammer vom 31.10.2022 am 28.11.2022 festgenommen und anschließend im Maßregelvollzug einstweilig untergebracht worden war, suchte ihn der Rechtsanwalt dort erstmals am 13.12.2022 auf, um ein erstes Informationsgespräch mit dem Beschuldigten zu führen.[34]

Die Grundgebühr Nr. 4100 VV ist mit Haftzuschlag entstanden, auch wenn der Beschuldigte sich bei Übernahme des Mandats (noch) nicht in Haft befunden hat.[35]

Beispiel 2

Der Angeklagte wird vom AG in Abwesenheit (§ 231 Abs. 2 StPO) verurteilt. Außerdem wird Untersuchungshaft angeordnet. Zwei Tage nach der Hauptverhandlung wird der Angeklagte verhaftet. Rechtsanwalt R, der ihn verteidigt hat, hat noch kein Rechtsmittel eingelegt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr für die I. Instanz aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV, da es sich auch nach Urteilsverkündung noch um „den ersten Rechtszug vor dem AG“ handelt. Die gerichtliche Verfahrensgebühr entsteht i.Ü. auch dann mit Zuschlag nach Nr. 4107 VV, wenn der Angeklagte ggf. erst am Schluss der Hauptverhandlung in Haft genommen wird.[36] Er ist dann (noch) im Verfahrensabschnitt „gerichtliches Verfahren“[37] „nicht auf freiem Fuß“ gewesen.

Beispiel 3

Gegen den Angeklagten wird ein Strafverfahren durchgeführt. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint der Angeklagte nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO. Es wird ein neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt.

Rechtsanwalt R erhält die gerichtliche Verfahrensgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4107 VV. Er hat sich während der Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, „nicht auf freiem Fuß“ befunden. Auf die Länge des Zeitraums und darauf, ob Erschwernisse entstanden sind, kommt es nicht an.

Beispiel 4

Das AG hat die Hauptverhandlung auf drei Tage terminiert. Der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft. Nach dem ersten Hauptverhandlungstag wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Rechtsanwalt R hat an allen drei Hauptverhandlungsterminen teilgenommen.

Rechtsanwalt R stehen drei Terminsgebühren zu. Die erhöhte Gebühr nach Nr. 4109 VV erhält er aber nur für den ersten Hauptverhandlungstag. Für die beiden weiteren Termine hat er jeweils nur die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV verdient.

Beispiel 5

Gegen den Angeklagten A wird ein Strafverfahren durchgeführt. Zur ersten terminierten Hauptverhandlung erscheint er nicht. Das AG erlässt daher Vorführungshaftbefehl nach § 230 StPO, es wird neuer Termin angesetzt. Zu diesem wird der Angeklagte vorgeführt. Die Hauptverhandlung wird aufgerufen. Danach werden die Vorführungsbeamten entlassen.

Der Verteidiger des A erhält die Terminsgebühr aus dem erhöhten Betragsrahmen nach Nr. 4109 VV. Der A hat sich während der gesamten Zeit, in der ihn die Vorführungsbeamten in Gewahrsam hatten, „nicht auf freiem Fuß“ befunden. Dieser Zeitraum hat über den „Aufruf der Sache“ hinaus angedauert.

Beispiel 6

Gegen den Angeklagten ist ein umfangreiches Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz anhängig. A ist (zunächst) auf freiem Fuß. Es findet dann beim LG an zwei Tagen die Hauptverhandlung statt. Am Ende des zweiten Hauptverhandlungstages beantragt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer eine fünfjährige Freiheitsstrafe und beantragt den Erlass eines Haftbefehls. Der Verteidiger plädiert auf Freispruch. Das Gericht berät und beschließt, das Urteil erst am nächsten Tag zu verkünden. Es erlässt Haftbefehl gegen den Angeklagten. Der wird noch im Sitzungssaal festgenommen. Am nächsten Tag wird in einem dritten Hauptverhandlungstermin das Urteil gegen den Angeklagten verkündet. Welche Gebühren sind mit Zuschlag entstanden?

Für das Entstehen des Haftzuschlags gilt:

Grundgebühr

Nr. 4100 VV

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat

Verfahrensgebühr

vorbereitendes Verfahren

Nr. 4104 VV

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte in dem Verfahrensabschnitt nicht in Haft befunden hat

Verfahrensgebühr

gerichtliches Verfahren

Nr. 4112 VV

mit Zuschlag, da der Angeklagte noch während des gerichtlichen Verfahrens in Haft genommen worden ist

Terminsgebühr

1. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4114 VV

ohne Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins nicht in Haft befunden hat

Terminsgebühr

2. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4114 VV oder Nr. 4115 VV

ggf. mit Zuschlag; es kommt darauf an, ob der Angeklagte noch vor der Schließung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden in Haft genommen worden ist

Terminsgebühr

3. Hauptverhandlungstermin

Nr. 4115 VV:

mit Zuschlag, da sich der Angeklagte während dieses Termins in Haft befunden hat


[1] Vgl. auch Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4 VV Rn 105 ff.

[2] Vgl. dazu BT-Drucks 15/1971, 146, 221.

[3] So die h.M. zum RVG wie OLG Düsseldorf RVGreport 2006, 389 = AGS 2006, 435 = JurBüro 2006, 534; OLG Hamm Rpfleger 2007, 502 = JurBüro 2007, 528; OLG Köln RVGreport 2010, 146 = AGS 2010, 72; LG Flensburg AGS 2008, 340; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl., 2021, VV Vorb. 4 Rn 45.

[4] Dazu die dortige Kommentierung bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4109 VV Rn 1 ff.

[5] KG RVGreport 2007, 149; StraFo 2007, 483 = RVGreport 2007, 462 = StRR 2007, 359 = JurBüro 2007, 644; AGS 2008, 32; OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39 m. zust. Anm. Burhoff; OLG Nürnberg AGS 2013, 15 = RVGreport 2013, 18 = StRR 2013, 39; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 44; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 108; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., 2017, VV Vorbem. 4 Rn 43; früher unzutreffend a.A. AG Bochum StRR 2009, 440 m. abl. Anm. Burhoff.

[6] So wohl auch BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – 2 BGs 751/20, AGS 2021, 555 allerdings in Zusammenhang mit der Gewährung von Akteneinsicht im Fall eines im Ausland inhaftierten Beschuldigten; AG Heilbronn AGS 2006, 516.

[7] OLG Hamm AGS 2010, 17 = RVGreport 2010, 27 unter Aufgabe seiner früheren Rspr. in JurBüro 2005, 535; s. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.12.2010 – III-4 Ws 623/10, AGS 2011, 227 = JurBüro 2011, 197 = RVGreport 2011, 143; LG Bochum StRR 2009, 283 (Ls.); Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 46; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, VV Vorb. 53; a.A. AG Bochum AGS 2009, 325 = StRR 2009, 280.

[8] KG RVGprofessionell 2007, 41.

[9] KG RVGprofessionell 2007, 41; OLG Karlsruhe AGS 2017, 504; = RVGreport 2017, 386 = JurBüro 2017, 523; LG Köln, Beschl. v. 28.2.2014 – 117 AR 8/13.

[10] KG RVGprofessionell 2007, 41 für die Grundgebühr, wenn das erste Informationsgespräch nicht zeitnah zur Auftragserteilung erfolgt ist; offen gelassen von LG Köln, Beschl. 28.2.2014 – 117 AR 8/13.

[11] Insoweit zutreffend LG Offenburg AGS 2006, 436 = RVGreport 2006, 350 = NStZ-RR 2006, 358.

[12] Inzidenter LG Berlin, Beschl. v. 8.11.2010 – 524-58/09, RVGreport 2011, 226.

[13] BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – 2 BGs 751/20, AGS 2021, 555 = StraFo 2021, 474.

[14] LG Düsseldorf AGS 2014, 178; so auch schon zur BRAGO OLG Jena StraFo 2003, 219 = AGS 2003, 313; zu allem auch AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 49 ff.

[15] Dazu LG Berlin, Beschl. v. 8.11.2010 – 524-58/09, RVGreport 2011, 226.

[16] KG StraFo 2006, 472 = AGS 2006, 545 = RVGreport 2006, 310; StraFo 2007, 482 = AGS 2008, 31 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 359; AGS 2008, 32; AG Tiergarten AGS 2010, 73.

[17] KG AGS 2007, 619 = RVGreport 2007, 462 = JurBüro 2007, 644 = StraFo 2007, 483; OLG Jena AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224 (Ls.); inzidenter OLG Stuttgart AGS 2010, 429 = RVGreport 2010, 388; LG und AG Aachen AGS 2007, 242 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 40; Burhoff, StRR 2007, 54; Ders., RVGprofessionell 2010, 77; Ders., RVGreport 2011, 242; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 46; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 50; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 112; unzutreffend a.A. AG Osnabrück AGS 2006, 232.

[18] Ähnlich OLG Köln StraFo 2007, 345 = NStZ-RR 2007, 213 = VRR 2007, 349; vgl. auch noch BGH NStZ 2008, 91 = StraFo 2007, 471 = StV 2007, 577.

[19] OLG Bamberg RVGreport 2008, 225 = StRR 2007, 283 (Ls.); OLG Hamm StraFo 2008, 222; LG Berlin AGS 2007, 562; LG Wuppertal StraFo 2009, 532; AGS 2010, 16 = JurBüro 2009, 532 = Rpfleger 2009, 697; AG Koblenz AGS 2007, 138 = JurBüro 2007, 82; AG Neuss, Beschl. v. 25.8.2008 – 7 Ds 30 Js 1509/07 (263/07); AG Osnabrück AGS 2008, 229; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 51; Hartung/Schons/Enders, a.a.O., VV Vorbem. 4 Rn 44.

[20] S. auch Kotz, JurBüro 2010, 403.

[21] S. auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 46; Kotz, a.a.O.; a.A. AG Koblenz AGS 2007, 138.

[22] KG RVGreport 2008, 463 = RVGprofessionell 2008, 212 = NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.10.2022 – 2 Ws 273/22, AGS 2022, 510 = JurBüro 2022, 635 = NStZ-RR 2023, 32; OLG Stuttgart AGS 2010, 429 = RVGreport 2010, 388; LG Berlin AGS 2007, 562 = RVGreport 2007, 463 = StRR 2007, 280.

[23] OLG Jena AGS 2009, 385 = NStZ-RR 2009, 224 (Ls.).

[24] KG RVGprofessionell 2007, 41; OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = RVGreport 2009, 427; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39; 6; AG Heilbronn AGS 2006, 516; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4, Rn 54; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 43; vgl. auch das Beispiel bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4109 VV Rn 6.

[25] KG RVGprofessionell 2007, 41; OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = RVGreport 2009, 427; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39; 6.

[26] Ähnlich AG Heilbronn AGS 2006, 516.

[27] LG Oldenburg, Beschl. v. 25.6.2008 – 5 Qs 230/08.

[28] LG Görlitz AGS 2017, 272.

[29] OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.12.2010 – 4 Ws 623/10, AGS 2011, 227 = JurBüro 2011, 197 = RVGreport 2011, 143 = NStZ-RR 2011, 159 (vor Rechtsmittelbelehrung); OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39 (vor Rechtsmittelbelehrung); s. auch noch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4101 VV Rn 2 ff.; für die Verfahrensgebühr Nr. 4107 VV Rn 3 f. und für die Terminsgebühr Nr. 4109 VV Rn 3 ff.

[30] AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 63; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 116.

[31] Vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV Vorb. 4 Rn 61 ff.

[32] Vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 51 Rn 189 m.w.N.

[33] Zu allem auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 117.

[34] Beispiel nach KG RVGprofessionell 2007, 41.

[35] KG RVGprofessionell 2007, 41.

[36] Vgl. auch OLG Celle StraFo 2008, 443 = AGS 2008, 490 = StRR 2009, 38 = NStZ-RR 2008, 392; OLG Hamm RVGreport 2009, 149 = StRR 2009, 39.

[37] Zu dessen Dauer Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4106 VV Rn 4.


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