aus AGS 2023, 1
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "AGS" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "AGS" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
Verbindung von mehreren Strafverfahren berichtet. Die nachfolgenden Ausführungen schließen daran an. Der Beitrag stellt die bei der (Ab-)Trennung von Verfahren entstehenden Probleme dar.
Die nachfolgenden Ausführungen gelten für das Strafverfahren (Teil 4 VV). Sie gelten auch für das Bußgeldverfahren nach Teil 5 VV.
Die Ausführungen gelten für den Wahlanwalt, i.d.R. also für den (Wahl-)Verteidiger, und auch für den bestellten/beigeordneten Rechtsanwalt, i.d.R. also der Pflichtverteidiger (vgl. auch III., 3.).
Wird ein einheitliches Straf- bzw. Bußgeldverfahren in unterschiedliche Verfahren getrennt bzw. wird ein Verfahren abgetrennt, stellt sich die Frage, welche Gebühren der Rechtsanwalt ab Trennung der Verfahren noch im Ursprungsverfahren erhält und ob ihm die bereits bis dahin entstandenen Gebühren ggf. verloren gehen. Außerdem ist von Bedeutung, welche Gebühren nun noch im abgetrennten Verfahren entstehen.
Hinweis
Als Faustregel gilt: Durch die Trennung gehen dem Rechtsanwalt keine bereits entstandenen Gebühren verloren. Das ist der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 RVG.[1]
Wird ein einheitliches Straf- bzw. Bußgeldverfahren in unterschiedliche Verfahren getrennt, erhält der Rechtsanwalt ab der Trennung der Verfahren für jedes Verfahren gesonderte Gebühren. Es liegen dann mehrere Angelegenheiten i.S.d. § 15 RVG vor, die gebührenrechtlich eigenständig behandelt werden.[2] Das gilt auch für die Auslagen nach Teil 7 VV.[3] Es handelt sich nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG, d.h. um die bloße Fortführung des Ursprungsverfahrens, sondern um eine andere Angelegenheit, es sei denn die Verfahrensgegenstände sind identisch.[4] Vielmehr werden mit der Abtrennung die abgetrennten Verfahren selbstständige Verfahren, was sich i.d.R. daran zeigt, dass sie ein eigenes Aktenzeichen führen. Dies hat gebührenrechtlich zur Folge, dass mehrere Verfahrensgebühren (nach der Zahl der getrennten Verfahren) entstehen und mehrere Terminsgebühren anfallen können.[5]
Das gilt allerdings nur für die nach der Trennung in den jeweiligen Verfahrensabschnitten noch anfallenden Verfahrens- und Terminsgebühren.[6] Für die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV gilt das grds. nicht, da insoweit bereits die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall erfolgt ist.[7]
Für die Trennung von Verfahren ist umstritten, ob eine im Ursprungsverfahren erfolgte Bestellung bzw. Beiordnung des Rechtsanwalts, z.B. als Nebenklägerbeistand oder Pflichtverteidiger, für die nach der Trennung vorliegenden eigenständigen Verfahren fort gilt.[8] Wegen der unterschiedlichen Auffassungen sollte der Rechtsanwalt auf eine klarstellende Beiordnung und Bestellung in allen Verfahren hinwirken. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf eine ggf. zwischenzeitlich erfolgte Rechtsänderung. Zwar sieht § 60 Abs. 1 S. 4 RVG für Rechtsänderungen vor, dass für die Vergütung ggf. neues Recht anzuwenden ist, wenn die Beiordnung oder Bestellung auch eine Angelegenheit erfasst, in der der Rechtsanwalt erst nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erstmalig beauftragt oder tätig wird. Die Formulierung in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG Erfasst die Bestellung legt aber nahe, dass damit nur die Fälle gemeint sind, in denen sich eine Beiordnung oder Bestellung auf andere Angelegenheiten erstreckt, was in den Fällen der Trennung nicht ohne Weiteres der Fall ist.[9]
Beispiel 1
Das Verfahren 1 richtet sich gegen die Angeklagten A und B, gegen die Anklage erhoben wird. In der Hauptverhandlung wird das Verfahren gegen den A abgetrennt und gegen den B, der nur von einem Anklagevorwurf betroffen war, durch Urteil beendet. Nach der Urteilsverkündung wird das Verfahren gegen den A fortgesetzt. Auch er wird am selben Tag verurteilt.
Welche Gebühren sind für den Rechtsanwalt R, der den A von Anfang an vertreten hat, entstanden?
Für die Abrechnung gilt:
Entstanden sind für den R die Grundgebühr Nr. 4100 VV und die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV für die Vertretung im vorbereitenden Verfahren. Außerdem sind die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV und die Terminsgebühr Nr. 4108 VV entstanden. Mit der Abtrennung des Verfahrens gegen den A ist nicht noch eine zweite Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV entstanden. Es handelt sich bei dem A, bei dem sich der Verfahrensgegenstand nicht geändert hat, um dieselbe Angelegenheit, sodass nach § 15 Abs. 2 RVG die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV nicht noch einmal entstehen kann.[10]
Beispiel 2
Gegen den Beschuldigten B wird wegen drei Diebstahlstaten und wegen Hehlerei ermittelt. Wegen dieser Taten wird er beim AG angeklagt. Dieses trennt vor der Hauptverhandlung das Verfahren wegen der Hehlerei ab und stellt das Verfahren später aufgrund der Einwendungen des Verteidigers ein. Wegen der Diebstahlstaten wird die Hauptverhandlung durchgeführt. Das ergehende Urteil wird rechtskräftig. B ist von Anfang an von Rechtsanwalt R verteidigt worden. Alle Merkmale des § 14 Abs. 1 RVG sind durchschnittlich.
Bei der Abrechnung der beiden Verfahren folgt jedes Verfahren seinen eigenen Regeln. Entstanden sind daher folgende Gebühren:
Bis zu Trennung sind im vorbereitenden Verfahren mit beiden Vorwürfen die Grundgebühr Nr. 4100 VV, die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren Nr. 4104 VV sowie die Postentgeltpauschale entstanden.
Nach der Trennung sind im gerichtlichen Verfahren 1 mit dem Hehlereivorwurf, das eingestellt worden ist, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren Nr. 4106 VV und die Verfahrensgebühr Anm. 1 Ziff. 1 zu Nr. 4141 VV i.V.m. Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV entstanden.
Die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV entsteht in dem Ursprungsverfahren nach Trennung nicht noch einmal. Nach der Anm. 1 zu Nr. 7002 VV RVG kann diese Pauschale in derselben Angelegenheit nur einmal entstehen. Sie ist aber im Ursprungsverfahren 1 bereits einmal entstanden. Die Trennung führt nicht zu einer neuen/weiteren Angelegenheit nach Trennung.[11] Allerdings können weitere Auslagen, die nach der Trennung entstanden sind, zusätzlich zu den Auslagen, die schon vor der Trennung in dem führenden Verfahren angefallen sind, abgerechnet werden,[12] so z.B. weitere Fotokopien.
Im gerichtlichen Verfahren 2 mit den Diebstahlstaten, in dem die Hauptverhandlung stattgefunden hat, sind die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG (gerichtliches Verfahren) Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG (gerichtliches Verfahren) sowie die Postentgeltpauschale entstanden.
Im gerichtlichen Verfahren 2 entsteht nicht noch einmal eine Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV. Der Verfahrensabschnitt Vorbereitendes Verfahren ist nach der Anm. zu Nr. 4104 VV mit Anklageerhebung beendet. Im Verfahren 2 entsteht, da es sich um eine eigenständige Angelegenheit handelt, die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV jedoch (noch einmal).
Wird die Hauptverhandlung in den getrennten Verfahren am selben Kalendertag fortgesetzt, hat das auf die Entstehung der Terminsgebühr keinen Einfluss. Denn es wird nicht etwa dieselbe Hauptverhandlung in zwei getrennt aufgerufenen Terminen an einem Hauptverhandlungstag durchgeführt, sondern es findet jeweils ein Hauptverhandlungstag in jedem der selbstständigen Verfahren statt.[13]
In der Praxis ist bei der Bemessung der gerichtlichen Verfahrensgebühren zu berücksichtigen, dass die in den Verfahren verbliebenen Tatvorwürfe unterschiedliches Gewicht haben. Das Verfahren 2 enthält noch zwei Tatvorwürfe. Das darf bei der Bemessung der konkreten Gebühr nicht übersehen werden.[14]
Beispiel 3
Im Beispiel 2 wird das Verfahren 2 nicht erst nach Anklageerhebung abgetrennt, sondern bereits von der Staatsanwaltschaft, die dann in beiden Verfahren Anklage erhebt. Im Ursprungsverfahren wird dann vom Amtsrichter eine eintägige Hauptverhandlung durchgeführt. Das Verfahren 2 wird später eingestellt.
Es gilt für die Abrechnung:
Gegenüber der Abrechnung im Beispiel 2 tritt insoweit eine Änderung ein, als nun auch im Verfahren 2 die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV entsteht. Der Verfahrensabschnitt vorbereitendes Verfahren ist noch nicht beendet (s. die Anm. zu Nr. 4104 VV).
I.Ü. bleibt es bei der Abrechnung wie im Beispiel 1: Im Ursprungsverfahren 1 entsteht die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV und dann eine Terminsgebühr Nr. 4108 VV für die Teilnahme an der Hauptverhandlung. Im Verfahren 2 entsteht neben der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV die zusätzliche Gebühr Anm. 1 Ziff. 1 zu Nr. 4141 VV.
Beispiel 4
Dem Beschuldigten wird in einem Verfahren sowohl ein Diebstahl als auch eine Trunkenheitsfahrt zur Last gelegt. Es wird wegen beider Taten Anklage erhoben. Er beauftragt Rechtsanwalt R mit seiner Verteidigung. Vom AG wird später das Verfahren wegen der Trunkenheitsfahrt abgetrennt.
Rechtsanwalt R erhält für das Ausgangsverfahren eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV. Nach Trennung des Verfahrens erhält er für das abgetrennte Verfahren nicht noch eine weitere Grundgebühr, da er sich in diesem Verfahren nicht mehr erstmalig in den Rechtsfall Diebstahl einarbeiten muss.[15] Die Einarbeitung ist bereits in dem Verfahren, das beide Vorwürfe zum Gegenstand hatte, erfolgt.
Etwas anderes kann gelten, wenn die Verfahren noch vor oder während der Einarbeitung durch den Rechtsanwalt getrennt werden. Dann ist noch keine (abschließende) Einarbeitung erfolgt, der von der Grundgebühr honorierte Tätigkeitsbereich[16] ggf. noch nicht verlassen.[17] Und: Ggf. kann es im abgetrennten Verfahren aber auch noch einmal zum Anfall der Grundgebühr Nr. 4100 VV kommen, und zwar dann, wenn die Verfahren noch vor oder während der Einarbeitung durch den Rechtsanwalt getrennt werden. Dann ist noch keine (abschließende) Einarbeitung erfolgt und es kann dann auch im abgetrennten Verfahren noch eine Grundgebühr entstehen.[18]
Beispiel 5
Rechtsanwalt R vertritt die F im Verfahren wegen einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil ihres Ex-Mannes M. M ist im gleichen Verfahren wegen Hausfriedensbruch und Körperverletzung zulasten der F angeklagt. Die beiden Verfahren werden getrennt und nach Trennung der Verfahren ist R im Verfahren gegen den Ex-Mann M als Nebenklägervertreter der F tätig. Kann er noch einmal die Grundgebühr abrechnen?
Diese Frage ist bislang in der Rspr. noch nicht entschieden. M.E. kann man hier die Argumentation der Obergerichte in den Fällen, in denen der Verteidiger nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens des dann in anderen Verfahren als Zeuge vernommenen Angeklagten tätig ist, anführen. Da wird von unterschiedlichen Angelegenheiten und davon ausgegangen, dass die Einarbeitung in ein Verfahren als Verteidiger eine andere ist als die als Zeugenbeistand.[19]
Beispiel 6
Im Beispiel 2 wird das Verfahren 2 nicht schon vor der Hauptverhandlung abgetrennt, sondern erst in der Hauptverhandlung, als ein Zeuge nicht erscheint. Im Ursprungsverfahren 1 wird die Hauptverhandlung fortgesetzt, im Verfahren 2 wird später an einem anderen Tag die Hauptverhandlung durchgeführt.
Für die Abrechnung gilt:
Im Verfahren 1 entsteht eine Hauptverhandlungsgebühr Nr. 4108 VV. Es entsteht aber nicht etwa noch eine weitere Terminsgebühr Nr. 4108 VV für die nach Abtrennung fortgesetzte Hauptverhandlung. Es handelt sich vielmehr um die Fortsetzung des ursprünglichen Hauptverhandlungstermins, für den bereits eine Terminsgebühr Nr. 4108 VV entstanden ist.[20] Im Verfahren 2 bleibt es bei den im Beispiel 1 (s. o.) dargelegten Gebühren.
Beispiel 7
Im Beispiel 6 wird nach Abtrennung des Verfahrens im Ursprungsverfahren 1 die Hauptverhandlung nicht fortgesetzt. Das geschieht erst in einem weiteren Termin. Im Verfahren 2 wird die Hauptverhandlung dann auch durchgeführt.
Gegenüber der Abrechnung im Beispiel 6 tritt nunmehr eine Änderung ein. Im Ursprungsverfahren 1 entsteht jetzt noch eine weitere Terminsgebühr Nr. 4108 VV für den nach Abtrennung durchgeführten weiteren Hauptverhandlungstermin.[21]
Beispiel 8
Im Beispiel 6 wird die Hauptverhandlung im Verfahren 2 nicht an einem anderen Tag, sondern am selben Kalendertag durchgeführt.
Diese Verfahrensweise hat auf die Abrechnung der anwaltlichen Tätigkeit keinen Einfluss. Denn es wird nun nicht etwa in Verfahren 2 dieselbe Hauptverhandlung in zwei getrennt aufgerufenen Terminen an einem Hauptverhandlungstag durchgeführt, sondern es findet jeweils ein Hauptverhandlungstag in jedem der selbstständigen Verfahren statt. Das hat zur Folge, dass auch im Verfahren 2 eine Terminsgebühr Nr. 4108 VV entsteht.[22]
Beispiel 9
Das Verfahren richtet sich gegen die Angeklagten A, B und C. In der Hauptverhandlung vom 9.5.2022 wird das Verfahren gegen den A abgetrennt und Fortsetzungstermin auf den 10.5.2022, 14:30 Uhr bestimmt. Die Hauptverhandlung gegen B und C wird ebenfalls am 10.5.2022 fortgesetzt. Sie endet um 19:05 Uhr mit einem Urteil. Im Anschluss daran wird ab 19:10 Uhr die Hauptverhandlung gegen den A, deren Beginn an sich auf 14:30 Uhr terminiert war, fortgesetzt. Wie viele Terminsgebühren sind für den Rechtsanwalt R, der als Nebenklägervertreter an beiden Hauptverhandlungsterminen am 10.5.2022 teilgenommen hat, entstanden?
Für die Abrechnung gilt:
R kann zwei Terminsgebühren abrechnen. Es gilt nicht die Beschränkung, dass die Terminsgebühr nur je Hauptverhandlungstag anfällt. Es handelt sich nämlich nach der Abtrennung des Verfahrens gegen A nicht mehr um dieselbe Angelegenheit, sodass am 10.5.2022 in zwei unterschiedlichen Verfahren Hauptverhandlungstermine stattgefunden haben mit der Folge, dass in beiden Verfahren eine Terminsgebühr entstanden ist.[23]
Beispiel 10
Die Straßenverkehrsbehörde hat gegen den Betroffenen neun Bußgeldverfahren wegen Falschparkens eines Pkw eingeleitet. Gegen die Bußgeldbescheide über jeweils 40,00 EUR hat der Betroffene über seinen Verteidiger jeweils rechtzeitig Einspruch eingelegt. Nach Übersendung durch die Straßenverkehrsbehörde an die Staatsanwaltschaft werden von dort dem AG insgesamt neun Aktenvorgänge mit Terminsantrag nach § 69 Abs. 4 OWiG vorgelegt. Jeder Vorgang hat ein eigenes Aktenzeichen. Das AG verbindet zu dem führenden Verfahren 1 die weiteren Verfahren 29 hinzu. Im späteren Hauptverhandlungstermin nimmt der Betroffene nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und Sitzungsunterbrechung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid im führenden Verfahren 1 zurück. Sodann erlässt das AG folgenden Beschluss: Die verbundenen Verfahren 29 werden jeweils abgetrennt und gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.[24] Wie viele Terminsgebühren kann der Verteidiger des Betroffenen abrechnen?
Entstanden sind insgesamt neun Terminsgebühren,[25] und zwar eine in dem ursprünglichen verbundenen Verfahren 1 und acht weitere Terminsgebühren in den acht abgetrennten Verfahren. Denn nach der Abtrennung der acht Verfahren 29 liegen wieder acht verschiedene weitere Angelegenheiten vor, in denen jeweils Gebühren entstehen können (§ 15 Abs. 2 RVG). Das folgt schon aus der Formulierung des Trennungsbeschlusses: Danach werden die Verfahren jeweils abgetrennt. Das bedeutet: Es sind nach der Trennung wieder wie ursprünglich neun Verfahren entstanden,[26] nämlich das führende, in dem der Einspruch zurückgenommen worden ist, und die acht Verfahren, die nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse eingestellt worden sind. In jedem dieser Verfahren hat dann aber eine Hauptverhandlung stattgefunden, wofür eine Terminsgebühr zu erstatten ist.[27]
Und nicht nur das: Auch die in diesen acht Verfahren 29 i.Ü. entstandenen Gebühren Grundgebühr Nr. 5100 VV, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV und Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV sind jeweils achtmal zu erstatten. Diese sind dem Verteidiger durch (zwischenzeitliche) Verbindung und Trennung nicht verloren gegangen.[28]
Beispiel 11
Gegen das amtsgerichtliche Urteil, das den Angeklagten verurteilt hat, legen sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Die Strafkammer beraumt einen Berufungshauptverhandlungstermin an. In dem Termin erscheint der Angeklagte nicht, daher wird seine Berufung abgetrennt und nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird in einem Fortsetzungstermin weiter durchgeführt und hat Erfolg. Der Verteidiger legt sowohl gegen das Verwerfungsurteil als auch gegen das im Fortsetzungstermin ergangene Urteil Revision ein. Welche Gebühren kann er geltend machen?
Für die Lösung ist zunächst von Bedeutung, dass durch die Abtrennung/Trennung der beiden Berufungen zwei Angelegenheiten vorliegen mit der Folge, dass nach § 15 Abs. 2 in jeder dieser Angelegenheiten Gebühren geltend gemacht werden können. Das bedeutet im Einzelnen: Der Verteidiger kann für das ursprüngliche gemeinsame Berufungsverfahren die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und die Terminsgebühr Nr. 4126 VV abrechnen. Für das nach Abtrennung fortgeführte Verfahren über die Berufung der Staatsanwaltschaft kann er, da es sich um eine neue Angelegenheit handelt, noch einmal die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV und, wenn er an dem Hauptverhandlungstermin teilgenommen hat, eine weitere Terminsgebühr Nr. 4126 VV geltend machen. Wird der Verteidiger für den Angeklagten auch in den Revisionsverfahren tätig, entsteht zweimal die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV, da es sich auch insoweit um unterschiedliche Angelegenheiten handelt.
Es entsteht aber in dem Verfahren betreffend die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht noch einmal eine Grundgebühr Nr. 4100 VV. Es handelt sich um denselben Rechtsfall i.S.d. Nr. 4100 VV.
Beispiel 12
Anhängig ist ein Verfahren wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei, in der Anklage wird die Einziehung von Verbrauchssteuern angedroht. In der Hauptverhandlung wird die Einziehungsproblematik (Steuerart, Berechnungsgrundlagen usw.) erörtert. Das AG sieht sich zu einer zeitnahen Einziehungsentscheidung nicht in der Lage und trennt das Verfahren über die Einziehung aus dem Strafverfahren gem. § 422 StPO ab. Nach Urteilsrechtskraft wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 423 StPO über die Einziehung erneut beim AG verhandelt. Im Streit ist nun die Einziehung von Taterlösen, die Einziehung von Verbrauchssteuern wird nicht weiterverfolgt. Das AG trifft eine Einziehungsentscheidung, gegen welche Beschwerde zum LG eingelegt wird. Welche Gebühren kann der Verteidiger in dem separaten Einziehungsverfahren geltend machen, insbesondere ggf. auch noch einmalmal die Nr. 4142 VV und/oder eine Grundgebühr und/oder eine Verfahrensgebühr?
Der Rechtspfleger ist im Rahmen der Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung der Auffassung, die Nr. 4142 VV sei im Strafverfahren nicht festzusetzen. Diese Gebühr sei im Strafverfahren nicht angefallen, da die Einziehung zwar in der Hauptverhandlung abgetrennt wurde, aber der Verteidiger die Gebühr Nr. 4142 VV nur im Einziehungsverfahren (§ 423 StPO) geltend machen könnte.
Die Auffassung des Rechtspflegers ist falsch. Denn die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV ist allein schon deshalb im Strafverfahren angefallen, weil in der Hauptverhandlung darüber gesprochen worden ist. Aber wahrscheinlich war sie sogar auch schon vorher angefallen, da der Verteidiger im Zweifel den Mandanten zu der Einziehung beraten haben wird, was für den Anfall der Nr. 4142 VV ausreicht.[29]
Im selbstständigen Einziehungsverfahren entsteht die Grundgebühr Nr. 4100 VV nicht noch einmal, da es nach Abtrennung der Einziehung (§ 422 StPO) insoweit derselbe Rechtsfall ist/bleibt.
Ob die gerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV (noch einmal) anfällt, hängt davon ab, ob man das abgetrennte Verfahren als eine neue Angelegenheit ansieht (§ 15), was m.E. nicht der Fall ist. Insoweit gelten die Überlegungen die Überlegungen bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 99 ff., zu den §§ 27, 30 JGG entsprechend. Es handelt sich bei der Entscheidung über die Einziehung nach Abtrennung gem. § 423 StPO um die endgültige Erledigung des gem. § 422 StPO abgetrennten Teils des Ursprungsverfahrens betreffend Einziehung. In dem Verfahren ist die Verfahrensgebühr aber bereits entstanden und kann nicht noch einmal entstehen (§ 15 Abs. 2 RVG).
Für die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV gelten die vorstehenden Überlegungen zur gerichtlichen Verfahrensgebühr entsprechend. Auch sie entsteht nicht noch einmal. Daran ändert auch die Auswechselung des Einziehungsgrundes nichts. Die Auswechselung ist ggf. nur insoweit von Bedeutung, als sich möglicherweise der Gegenstandswert erhöht.[30] Allerdings kann, wenn nach Abtrennung im Einziehungsverfahren noch gem. §§ 423, 424 Abs. 3 und 4 StPO ein Hauptverhandlungstermin stattfindet, noch eine (weitere) Terminsgebühr entstehen.
[1] Vgl. für die Verbindung KG AGS 2012, 392 = JurBüro 2012, 482 = RVGreport 2012, 391; StraFo 2012, 305 = AGS 2013, 407 = JurBüro 2013, 362; OLG Celle AGS 2022, 206; LG Leipzig AGS 2022, 257; Burhoff, RVGreport 2008, 444; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2114.
[2] KG RVGprofessionell 2007, 139 = StRR 2007, 4 [Ls.]; LG Dortmund RVGreport 2015, 177 = StRR 2015, 238; LG Itzehoe AGS 2008, 233 = StraFo 2008, 92; AG Tiergarten RVGreport 2010, 140 = AGS 2010, 220 = StRR 2010, 400; Burhoff, RVGreport 2008, 444; Hartung/Schons/Enders/Hartung, RVG, 3. Aufl., 2016, Nr. 41084111 VV Rn 11 ff.; AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., 2021, Vor VV 4104 f. Rn 4, VV 41044105 Rn 27, VV 41064107 Rn 8; a.A. offenbar, zumindest nicht ganz eindeutig LG Kaiserslautern RVGreport 2018, 137; zu den Angelegenheiten Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 99.
[3] KG, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., 2021, VV 7001, 7002 Rn 28; AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 70017002 Rn 45.
[4] Dazu LG Dortmund und LG Kaiserslautern, jeweils a.a.O., und unten Beispiel 1.
[5] KG, a.a.O.; vgl. auch die Fallgestaltung bei LG Bremen RVGreport 2013, 231 = VRR 2012, 357 = StRR 2012, 479 = DAR 2013, 58 = AGS 2013, 279, jeweils m. Anm. Burhoff [für das Bußgeldverfahren].
[6] Auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV Rn 58 f., 83.
[7] OLG Stuttgart AGS 2010, 292; vgl. unten Beispiele 4 und 5.
[8] Vgl. einerseits bejahend Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., § 48 Rn 65 und Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 2301; a.A. OLG Naumburg BRAGOreport 2001, 189.
[9] Vgl. die vorstehenden Nachw.
[10] Dazu LG Berlin, Beschl. 3.7.2007 518 Qs 36/07; LG Dortmund RVGreport 2015, 177 = StRR 2015, 238; ähnlich LG Kaiserslautern RVGreport 2018, 137; zur Terminsgebühr s. die Beispiele 7 und 8.
[11] Enders, JurBüro 2007, 393, 394 für die Verbindung; Burhoff, RVGreport 2008, 405 ff. für die Verbindung.
[12] Enders, a.a.O.
[13] KG RVGprofessionell 2007, 139 = StRR 2007, 4 [Ls.].
[14] § 14 Abs. 1 RVG; Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1771; vgl. auch Burhoff, RVGreport 2008, 444.
[15] OLG Stuttgart AGS 2010, 292 = RVGprofessionell 2010, 119.
[16] Vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV Rn 25 ff.
[17] AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 41004101 Rn 13.
[18] AnwK-RVG/N. Schneider, a.a.O., VV 41004101 Rn 13; Burhoff, RVGreport 2008, 44.
[19] Vgl. OLG Düsseldorf RVGreport 2008, 182 = StRR 2008, 78; OLG Hamm StraFo 2008, 45 = RVGreport 2008, 108 = JurBüro 2008, 83 = StRR 2008, 79; dazu OLG Koblenz RVGreport 2006, 232 = AGS 2006, 598 = NStZ-RR 2006, 254; OLG Köln AGS 2008, 128 = StraFo 2008, 223 = StRR 2008, 439; OLG München AGS 2008, 120; LG Dresden AGS 2008, 120; LG München, Beschl. v. 19.2.2007 2 KLs 247 Js 228539/05.
[20] Vgl. a. LG Kaiserslautern RVGreport 2018, 137.
[21] Vgl. auch LG Hamburg AGS 2020, 273 = RVGreport 2020, 296 = JurBüro 2020, 354, zugleich auch zur Höhe der Terminsgebühr.
[22] KG RVGprofessionell 2007, 139 = StRR 2007, 4 [Ls.]; vgl. auch LG Hamburg AGS 2020, 273 = RVGreport 2020, 296 = JurBüro 2020, 354, zugleich auch zur Höhe der Terminsgebühr; LG Itzehoe AGS 2008, 233 = StraFo 2008, 92.
[23] Dazu auch KG RVGprofessionell 2001, 139 = StRR 2004, 4 [Ls.]; LG Itzehoe AGS 2008, 233 = StraFo 2008, 92; vgl. aber LG Kaiserslautern RVGreport 2018, 137.
[24] Fallgestaltung nach LG Bremen RVGreport 2013, 231 = VRR 2012, 357 = StRR 2012, 479 = DAR 2013, 58 = AGS 2013, 279.
[25] So auch LG Bremen, a.a.O.
[26] Vgl. grds. zu solchen Fallgestaltungen LG Bonn AGS 2012, 176 = RVGreport 2012, 219 = StRR 2012, 200; RVGreport 2016, 255 = AGS 2016, 274 = JurBüro 2016, 474.
[27] Vgl. die ähnlichen Konstellationen bei KG RVGprofessionell 2007, 139 = StRR 2007 4 [Ls.]; LG Itzehoe AGS 2008, 233.
[28] Dazu Burhoff, RVGreport 2008, 405 und 444.
[29] OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.12.2009 1 Ws 654/09; RVGreport 2011, 228 = StRR 2011, 78; OLG Karlsruhe StraFo 2007, 438 = NStZ-RR 2007, 391 = AGS 2008, 30 = StV 2008, 373; OLG Oldenburg RVGreport 2010, 303 = NJW 2010, 884 = AGS 2010, 128 = StraFo 2010, 132; LG Verden RVGreport 2019, 65 = NStZ-RR 2019, 128; AG Minden AGS 2012, 66: wegen weiterer Nachw. Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4142 VV Rn 23.
[30] Dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4142 VV Rn 29 ff. m.w.N.
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