(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2121; im Folgenden kurz: Gesetz) ist mit Wirkung vom 13.12.2019 das Recht der Besetzungsrüge und Besetzungsmitteilung in den §§ 222a, 222b StPO grundlegend geändert worden.(dazu und zu weiteren Änderungen Burhoff, Modernisierung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2019 - ein erster Überblick und Synopse altes/neues Recht der Pflichtverteidigung, Ebook 2019; zu den Änderungen im Ablehnungsrecht s. Burhoff StRR 5/2020, 5 ).
Der Einwand vorschriftswidriger Besetzung, im Folgenden kurz: Besetzungseinwand, war in erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG/OLG nach § 222b StPO a.F. bis zu Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache geltend zu machen (vgl. Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn 911 ff. m.w.N. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]). Nach Auffassung des Gesetzgebers führte diese Frist/Regelung dazu, dass die Hauptverhandlung insbesondere in umfangreichen Strafverfahren unter dem Damoklesschwert einer Aufhebung wegen eines möglicherweise fehlerhaft besetzten Spruchkörpers stand. Um die hierin liegende Verfahrensunsicherheit zu entschärfen, die der Hauptverhandlung im Unterschied zu anderen Revisionsgründen schon zu Beginn anhafte, ist nun der sog. Besetzungseinwand in einem neu eingeführten Vorabentscheidungsverfahren vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung zu überprüfen. Ziel dieser Änderung soll es sein, dem Angeklagten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Anspruch auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) schon vor Ende der Hauptverhandlung abschließend überprüfen zu lassen. Zugleich soll die Regelung aber auch die Urteilsaufhebung wegen vorschriftswidriger Besetzung in land- und oberlandesgerichtlichen Verfahren reduzieren und hierdurch das Strafverfahren von unnötigem Aufwand sowie erheblichen Verfahrensverzögerungen entlasten (vgl. hierzu auch BVerfG NStZ 1984, 370, 371).
Diese Ziele sind wie folgt umgesetzt worden (zur Kritik u.a. die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 6 f. unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019-30.pdf und auch das Papier der Strafverteidigervereinigungen: Aus dem Gleichgewicht, abrufbar unter: https://www.strafverteidigertag.de/Material/aus%20dem%20gleichgewicht.pdf.; Lantermann HRRS 2020, 19):
Nach § 222a Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 StPO a.F. war die Besetzungsmitteilung für den Angeklagten formlos an dessen Verteidiger zu richten. Dies ist geändert worden. Zudem ist die Möglichkeit der Unterbrechung (§ 222a Abs. 2 StPO a.F.) geändert worden.
Nach dem neuen § 222a Abs. 1 Satz 2 StPO ist grundsätzlich die förmliche Zustellung der Besetzungsmitteilung vor der Hauptverhandlung vorgesehen. Durch das Erfordernis der Zustellung wird der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Besetzungsmitteilung sicher feststellbar, um den Beginn der einwöchigen Rügefrist nachvollziehen zu können. Zudem knüpfen sich an die Besetzungsmitteilung (Ausschluss-)Fristen, die für das Vorabentscheidungsverfahren über Besetzungsrügen sowie für die Änderungen des Befangenheitsrechts (vgl. dazu Burhoff StRR 4/2020, 5) von Bedeutung sind.
Auf die Zustellung finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung (Vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 30). Das bedeutet, dass der Verteidiger unter den Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 StPO als ermächtigt gilt, die Zustellung der Besetzungsmitteilung für den Angeklagten in Empfang zu nehmen.
Die Besetzungsmitteilung ist im Übrigen grds. auch den übrigen zur Rüge der Gerichtsbesetzung und zur Stellung von Befangenheitsanträgen berechtigten Verfahrensbeteiligten zuzustellen.
Hinweis:
Die Frist für den Besetzungseinwand läuft für jeden Verfahrensbeteiligten gesondert. Soweit eine förmliche Zustellung an einzelne Beteiligte unterbleibt, wird die Frist für den jeweiligen Beteiligten nicht in Gang gesetzt.
Die Möglichkeit der Unterbrechung war in § 222a Abs. 2 StPO a.F. so geregelt, dass dann, wenn die Mitteilung der Besetzung oder einer Besetzungsänderung später als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zugegangen war, das Gericht auf Antrag des Angeklagten, des Verteidigers oder der Staatsanwaltschaft die Hauptverhandlung zur Prüfung der Besetzung unterbrechen konnte, wenn dies spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache verlangt wurde. Die Unterbrechung der Hauptverhandlung diente dazu, die Besetzung vor Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zu prüfen, sodass keine Präklusion des Besetzungseinwandes gem. § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. drohte.
An der grundsätzlichen Möglichkeit der Unterbrechung ist in § 222a Abs. 2 StPO festgehalten worden. Die Möglichkeit der Unterbrechung der Hauptverhandlung für den Fall, dass die Besetzung nicht mindestens eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden ist, ist nun wie folgt geregelt:
Hinweis:
Der Verteidiger muss diesen Antrag auf jeden Fall stellen, um so die Vorschriftsmäßigkeit der Besetzung parallel zur laufenden Hauptverhandlung prüfen zu können (vgl. a. § 338 Nr. 1 b cc StPO). Das Gericht entscheidet über den Unterbrechungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen (Burhoff, HV, Rn 911 ff.).
Hinweis:
Die Einschätzung, ob die Hauptverhandlung vor Ablauf der Wochenfrist beendet sein könnte, obliegt nach der Gesetzesbegründung dem Tatgericht (vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 30).
Entspricht das Gericht dem Unterbrechungsantrag nicht und erlässt es gleichwohl vor Ablauf der Wochenfrist ein Urteil, so kann die Besetzung gem. § 338 Nr. 1 Buchst. b Unterbuchst. cc StPO mit der Revision überprüft werden.
IV. Besetzungseinwand (§ 222b StPO)Nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO a.F. konnte der Einwand vorschriftswidriger Besetzung des Gerichts bisher bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden (Burhoff, HV, Rn 911 ff.) Dies ist in § 222b StPO geändert worden. Zudem sieht die StPO jetzt ein sog. (abschließendes) Vorabentscheidungsverfahren vor (vgl. unten IV, 4).
Hintergrund dieser Regelung ist es, einerseits dem Angeklagten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Anspruch auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) schon vor Ende der Hauptverhandlung abschließend überprüfen zu lassen. Vornehmlich dürfte es aber darum gehen, durch diese neue Verfahrensweis die Urteilsaufhebungen wegen vorschriftswidriger Besetzung in land- und oberlandesgerichtlichen Verfahren zu reduzieren (dazu auch BVerfG NStZ 1984, 370, 371).
Nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO muss der Besetzungseinwand grds. nun stets innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung der Besetzungsmitteilung (siehe oben II) erhoben werden.
Hinweis:
Es handelt sich um eine Ausschlussfrist (vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 30). Eine Fristverlängerung ist nicht möglich. Nach Ablauf der Frist ist der Einwand ausgeschlossen (Burhoff, HV, Rn 913). Ob diese Frist ausreicht, um die Besetzung zu prüfen, erscheint fraglich, sie erscheint vor allem bei auswärtigen Verteidigern zu kurz (vergleiche aber BGH NJW 1980, 2364, 2365; s. auch die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 7 unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019-30.pdf.).
Ist die Besetzungsmitteilung nicht förmlich zugestellt oder ist die Zustellung an einen Verfahrensbeteiligten gescheitert und der Zustellungsfehler nicht rechtzeitig behoben worden, beginnt für den betroffenen Verfahrensbeteiligten die Frist erst mit Bekanntmachung der Besetzung in der Hauptverhandlung (§ 222b Abs. 1 Satz 1 StPO).
Hinweis:
Dieser Zeitpunkt ist auch maßgeblich, wenn das Gericht die Besetzung erst zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilt (§ 222a Abs. 1 Satz 1 StPO).
Der Besetzungseinwand nach § 222b StPO ist in der gleichen Form geltend zu machen wie die als Verfahrensrüge ausgestaltete Besetzungsrüge der Revision nach Maßgabe von §§ 344 Abs. 2, 309 Abs. 2 StPO (OLG Celle StRR 3/2020, 15; vgl. schon zum bisherigen Recht BGHSt 44, 161; Meyer-Goßner-Schmitt, a.a.O., § 222b Rn 6 und § 338 Rn 21). Ebenso wie bei der Verfahrensrüge der Revision müssen hierbei alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen im Einzelnen und konkret rechtzeitig und vollständig vorgebracht werden; die Begründungsanforderungen entsprechen weitgehend denjenigen des § 344 Abs. 2 StPO (LR-Jäger, StPO, 27. Aufl., § 222b Rn. 17; MK-StPO-Arnoldi, § 222b Rn 13; KK-StPO-Gmel, 8.Aufl., § 222 Rn. 8). Hieran hat sich auch auf der Grundlage der Vorschrift des § 222b StPO und dem hiernach möglichen Rechtsbehelf des Besetzungseinwands in der Fassung vom 10.12.2019 nichts geändert. Der Besetzungseinwand muss demnach - und zwar innerhalb der in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO benannten Frist und ohne Bezugnahmen und Verweisungen - aus sich heraus Inhalt und Gang des bisherigen Verfahrens so konkret und vollständig wiedergeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht werde. Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (OLG Celle StRR 3/2020, 15).
Der Ablauf des Verfahrens über den Besetzungseinwand ist wie bisher grundsätzlich in § 222b Abs. 2 StPO geregelt. Neu ist das jetzt in § 222b Abs. 3 StPO nun vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren.
Nach § 222b Abs. 2 StPO ist das Gericht, dessen Besetzung angegriffen wird, für die Erstprüfung des Besetzungseinwands zuständig. Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Prozessbeteiligten zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 222b Rn 10).
Über den Einwand entscheidet das Gericht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung. Hält es den Einwand für begründet, so stellt es fest, dass es nicht vorschriftsmäßig besetzt ist. Die Hauptverhandlung muss dann neu begonnen werden.
Hält das Tatgericht den Besetzungseinwand für nicht begründet, so ist die Besetzungsrüge gem. § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO nun sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem OLG (§ 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG), wenn das LG erstinstanzlich zuständig ist, oder dem BGH (§ 135 Abs. 2 Nr. 3 GVG), wenn ein OLG erstinstanzlich zuständig ist, zur Entscheidung vorzulegen ((zur Zuständigkeit des OLG bei Fristversäumung OLG Bamberg StRR 8/2020, 17; zur Kritik u.a. die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 7 ff. unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019-30.pdf; s. auch BT-Drs. 19/14747, S. 36).
Hinweis:
Dies gilt nicht, wenn die Hauptverhandlung bereits vor Ablauf der dreitägigen Vorlagefrist durch Verkündung des Urteils beendet ist.
Es ist ... spätestens binnen drei Tagen vorzulegen. Diese Formulierung zeigt, dass es sich bei der normierten Frist nicht um eine Ordnungsvorschrift handelt.
Der weitere Ablauf des Vorabentscheidungsverfahrens in § 222b Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO wie folgt geregelt:
Hinweis:
Verwirft das Rechtmittelgericht den Besetzungseinwand, ist die Entscheidung abschließend; die Revision kann auf den Besetzungseinwand später nicht mehr gestützt werden (vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 31 f.).
Hinweis:
In diesen Fällen kann der Angeklagte den Einwand vorschriftsmäßiger Besetzung wie bisher im Rahmen der Revision (§ 338 Nr. 1 b bb StPO) (vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 36 f.) geltend machen, ohne dass auf die Präklusion ankommt (siehe 4).
Durch die Änderung des Rechts der Besetzungsrüge in den §§ 222a, 222b StPO war eine Änderung des Revisionsrechts, das in § 338 Nr. 1 StPO dazu einen absoluten Revisionsgrund enthält, erforderlich. Allgemein gilt für das Zusammenspiel der §§ 222a, 222b, 338 Nr. StPO insoweit Folgendes:
Hinweis:
An dem früheren Regelungsgefüge von Präklusionswirkung gemäß § 222b StPO einerseits und den in § 338 Nr. 1 StPO a.F. geregelten Ausnahmetatbeständen andererseits hat sich also nichts geändert.
Früher waren die das Verfahren des Besetzungseinwand betreffenden revisionsrechtlichen Ausnahmeregelungen in § 338 Nr. 1 Buchst. a bis d StPO a.F. geregelt. Diese Ausnahmen von der Präklusionswirkung sind infolge der Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens wie folgt umgestaltet worden:
§ 338 Nr. 1 Buchst. a StPO regelt die Fälle, in denen das Tatgericht trotz festgestellter Vorschriftswidrigkeit der Besetzung verhandelt. Dabei ist es ohne Belang, ob das Tatgericht durch eigenen Beschluss gem. § 222b Abs. 2 Satz 2 StPO die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung festgestellt hat, oder ob dem eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts OLG/BGH - im Vorabentscheidungsverfahren gem. § 222b Abs. 3 Satz 4 StPO zugrunde liegt, nach der das Tatgericht weiterverhandelt und ein Urteil erlassen hat. Dieser Fall der Entscheidung trotz festgestellten Besetzungsfehlers wurde früher teilweise von § 338 Nr. 1 Buchst. d StPO a.F. erfasst. Es ist selbstverständlich, dass er eine Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen muss.
Über die Revisionsmöglichkeit nach § 338 Nr. 1 Buchst. a StPO hinaus, sind folgende weitere Fälle mit der Revision überprüfbar:
In § 338 Nr. 1 Buchst. StPO a.F. war als Ausnahme von der Rügepräklusion geregelt, dass das Tatgericht die Vorschriften über die Mitteilung verletzt hat. Diese Ausnahme ist in (§ 338 Nr. 1 1b aa StPO erhalten geblieben. Dies betrifft
In § 338 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO a.F. war der Fall der Übergehung oder Zurückweisung der form- und fristgerecht erhobenen Besetzungsrüge als Ausnahmetatbestand von der Rügepräklusion geregelt. Diese Ausnahme gilt in § 338 Nr. 1b bb StPO unverändert fort.
Unter § 338 Nr. 1b bb StPO fallen aber auch die (weiteren) Fälle,
§ 338 Nr. 1b cc StPO regelt schließlich die Fälle,
Hinweis:
Die Überprüfung der Gerichtsbesetzung mit der Revision bleibt damit insbesondere (auch) in den Fällen möglich, in denen das Tatgericht, etwa weil es zunächst von einer längeren Verfahrensdauer ausgegangen war, eine Unterbrechung auf Antrag nach § 222a Abs. 2 StPO abgelehnt, dann jedoch bereits vor Ablauf der Prüfungsfrist ein Urteil erlassen hat (Vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 37).
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