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aus StRR 10/2020,5

(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "StRR" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "StRR" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)

Die Änderungen im Beweisantragsrecht in 2019 (§§ 219, 244, 245 StPO)

Nachfolgend stellen wir Ihnen weitere Änderungen durch das „„Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) vor, und zwar die im Beweisantragsrecht.

I. Allgemeines

Rufe aus der Justiz

Zuletzt war das Beweisantragsrecht durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017" (BGBl. I S. 3202, 3630; krit. dazu R. Hamm StV 2018, 525, 528 ff.) geändert worden. Durch die damaligen Änderungen ist in § 244 Abs. 6 Satz 2 und 3 StPO die Möglichkeit eingeführt worden, dass der Vorsitzende nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine Frist setzen kann, nach deren Ablauf weitere Beweisanträge grds. erst im Urteil beschieden werden können. Schon diese Möglichkeit erleichtert€ es den Gerichten, Beweisanträge zum Zwecke der Verfahrensverzögerung – die Gesetzesbegründung meint: „ohne Rechtsverlust des Angeklagten wirksam“ (Vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 33 und zur Ablehnung von Beweisanträgen nach § 244 Abs. 6 Satz 2 und 3 StPO Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn. 981 ff., 1091 ff. m.w.N.) - zu begegnen. Diese Änderungen sind aber insbesondere der Justiz nicht weit genug gegangen. Von dort ist behauptet worden, dass viele Beweisanträge nur rechtsmissbräuchlich aus Gründen der Verfahrensverschleppung gestellt werden. Der Gesetzgeber hat auf diese Rufe gehört und hat die §§ 244 ff. StPO erneut durch das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121). Mit den vorgenommenen Änderungen hat der Gesetzgeber nicht nur das Beweisantragsrecht insgesamt systematisiert, sondern es soll Gerichten der Umgang mit missbräuchlich gestellten Beweisanträgen erleichtert werden, gerade diese Änderungen sollen der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung dienen (vgl. dazu BT-Drs. 19/14747, S. 16 f.)

II. Änderungen im Überblick:

Überblick

Folgende Änderungen sind vorgenommen worden:

  • Der Begriff des Beweisantrags ist in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO jetzt erstmals gesetzlich bestimmt worden.
  • Die Ablehnungsgründe sind in § 244 Absatz 3 StPO neu strukturiert worden.
  • Es sind Änderungen hinsichtlich (angeblich) aus Gründen der Prozessverschleppungsabsicht gestellter Beweisersuchen vorgenommen worden.
  • Diese werden nach § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nicht mehr als Beweisantrag behandelt.
  • Die Anforderungen an die Prozessverschleppungsabsicht sind in objektiver Hinsicht abgesenkt worden (§ 244 Abs. 6 Satz 2 StPO).
  • Die §§ 219, 245 StPO sind redaktionell angepasst worden.

Hinweis:

Weitere Änderungen sind nicht erfolgt. Insbesondere sind § 244 Abs. 4 und 5 StPO und die bisherige Regelung der Fristsetzung in § 244 Abs. 6 StPO unberührt geblieben (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1081 ff., 2656 ff., jeweils m.w.N.).

III. Legaldefinition des Begriffs des Beweisantrags (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO)

Übernahme der Rechtsprechung des BGH

In der Vergangenheit war der Begriff des „Beweisantrags“ in der StPO nicht legal definiert. Die Begriffsbestimmung war vielmehr der Rechtsprechung überlassen (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 956 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung, vor allem des BGH.). Das hat die Neuregelung geändert und in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO den Begriff des Beweisantrags legal bestimmt. Die StPO hat in der Legaldefinition des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO die (vornehmlich) in der Rechtsprechung des BGH entwickelte Begriffsbestimmung übernommen.

Danach ist ein Beweisantrag durch das ernsthafte Verlangen des Antragstellers gekennzeichnet, Beweis über eine bestimmt behauptete, die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende, konkrete Tatsache durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben (vgl. Burhoff, HV, Rn 958 m.w.N.). § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO definiert den Beweisantrag wie folgt:“

„Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll.“

Hinweis:

Wegen der Einzelheiten zu diesen Voraussetzungen kann – wegen der Übernahme der Rechtsprechung des BGH – verwiesen werden auf Burhoff, HV, 958 ff.; und zum Inhalt eines Beweisantrages auf Burhoff, HV, Rn 1113 ff.

Sog. Konnexität

In der Rechtsprechung des BGH war nicht abschließend geklärt, ob für die Annahme eines Beweisantrages das Vorliegen einer bestimmten Beweisbehauptung/Beweistatsache und das Beweismittel ausreicht, oder ob ggf. noch eine dritte Voraussetzung erfüllt sein muss, nämlich die sog. Konnexität (dazu eingehend Burhoff, HV, Rn 1086 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Gemeint ist damit, dass in den Fällen, in denen es sich nicht von selbst ergibt, der erforderliche Zusammenhang zwischen Beweismittel und Beweistatsache dargelegt werden muss (zur Kritik an dieser Rechtsprechung s. die Nachweise bei Burhoff, HV, Rn 1086 f.). Die Neuregelung hat den insoweit bestehenden Streit beendet, indem in der StPO für die Annahme eines Beweisantrages nun verlangt wird, dass „dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Das wird damit begründet, dass man so „solchen Beweisbehauptungen begegnen [wolle), die überhaupt nicht erkennen lassen, in welcher Weise das benannte Beweismittel zur Klärung der Beweisbehauptung beitragen kann“ (dazu BT-Drs. 19/14747, S. 34). Deshalb ist die Rechtsprechung des BGH zur sog. „Konnexität“ an dieser Stelle übernommen worden.

Hinweis:

Das bedeutet für den Verteidiger: Ein Beweisantrag muss den erforderlichen Zusammenhang („Konnexität“) zwischen Beweismittel und Beweistatsache erkennen lassen. In der Begründung des Beweisantrags muss also ein „nachvollziehbarer Grund“ dafür angegeben werden, weshalb mit dem bezeichneten Beweismittel die Beweisbehauptung nachgewiesen werden kann (u.a. BGH NStZ 2011, 169 f. m.w.N.). In der Gesetzesbegründung ist zwar formuliert „wenn sich dies nicht ohnehin von selbst versteht.“ (BT-Drs. 19/14747, S. 34) Der Verteidiger sollte die Konnexität aber aus „Gründen der Sicherheit“ jetzt immer darlegen, um von vornherein kein „Einfallstor“ für eine Ablehnung des Beweisantrages mit der (formellen) Begründung: Konnexität ist nicht dargelegt, zu bieten. Dem Beweisantrag muss also z.B. zu entnehmen sein, weshalb ein Zeuge die Beweisbehauptung aus eigener Wahrnehmung bestätigen können soll. Dadurch soll den Gerichten schon von Gesetzes wegen insbesondere der Umgang mit solchen Beweisersuchen erleichtert werden, die die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnen, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder die keinen konkreten Zusammenhang des bezeichneten Beweismittels mit der Beweistatsache aufweisen.

„Aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ gestellte Beweisanträge

Die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/14747, S. 34) führt in Zusammenhang mit der Einführung der Legaldefinition des Beweisantrages aus: „Ferner sollen Beweisbehauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“, denen es an der gebotenen Ernsthaftigkeit des Verlangens mangelt, von den Gerichten nach § 244 Absatz 3 Satz 1 StPO-E nicht als Beweisanträge behandelt werden müssen.“ Was damit gemeint ist, ist unklar. Zutreffend ist, dass ein Beweisantrag nach der Rechtsprechung des BGH (Burhoff, HV, Rn 958 ff.) die sichere Behauptung einer bestimmten Tatsache voraussetzt. Nach h.M. in der Rechtsprechung kann der Verteidiger aber auch dann einen Beweisantrag stellen, wenn er die von ihm behauptete Tatsache nur für möglich hält (Burhoff, HV, Rn 964 ff.). Es scheint, als ob davon abgewichen werden soll (Krit. die Stellungnahme der BRAK Nr. 30/2019 v. November 2019, S. 7 f. unter https://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/november/stellungnahme-der-brak-2019-30.pdf). Aus der Formulierung in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO folgt das aber nicht.

Hinweis:

Der Verteidiger sollte in entsprechenden Fällen – wie schon bisher – auf jeden Fall eingehend darlegen, warum und wieso eine „sichere Behauptung“ der Beweistatsache ggf. nicht möglich ist. Das zwingt das Gericht dazu, sich mit der Frage auseinander zu setzen und sie damit durch die Revision überprüfbar zu machen. Einfach übergangen werden darf im Übrigen auch ein solcher Antrag nicht.

IV. Systematisierung der Ablehnungsgründe (§ 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO)

Allgemeines

In der Vergangenheit waren die Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrages u.a. in § 244 Abs. 3 Satz und 2 StPO a.F. enthalten. Diese Ablehnungsgründe sind nun, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen und die Zitierfähigkeit in der Praxis zu erleichtern in § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO neu systematisiert worden. Entfallen ist allerdings wegen der Erweiterung des § 244 Abs. 6 StPO der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht. Dieser Ablehnungsgrund ist gestrichen worden, weil – so jetzt die StPO - Beweisersuchen, die in der Absicht der Prozessverschleppung gestellt werden, keine Beweisanträge im Sinn des § 244 Abs 3 Satz 1 StPO sind und deshalb gemäß § 244 Absatz 6 Satz 2 StPO keiner förmlichen Ablehnung mehr bedürfen.

System der Ablehnungsgründe

In § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO sind folgende Ablehnungsgründe (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 985 ff.) systematisiert/vorgesehen:

  • Satz 2: Unzulässigkeit,
  • Satz 3 Nr. 1: Wegen Offenkundigkeit überflüssig,
  • Satz 3 Nr. 2: Für die Entscheidung ohne Bedeutung,
  • Satz 3 Nr. 3: Schon erwiesen,
  • Satz 3 Nr. 4: Völlig ungeeignet
  • Satz 3 Nr. 5: unerreichbar,
  • Satz Nr. 6: Wahrunterstellung.

Hinweis

Eine inhaltliche Änderung ist durch diese Systematisierung nicht erfolgt. Die bisher vorliegende Rechtsprechung zu den Ablehnungsgründen (Burhoff, HV, Rn 981 ff.) kann also weiter verwendet und muss vom Verteidiger weiter beachtet werden.

Es sind im Übrigen auch keine Änderungen hinsichtlich eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Sachverständigen (§ 244 Abs. 4 StPO), der Einnahme eines Augenscheins (§ 244 Abs. 5 Satz 1 StPO) und der Vernehmung eines Auslandszeugen (§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO) vorgenommen worden. Die insoweit vorliegende Rechtsprechung zu den Anforderungen an einen entsprechenden Beweisantrag und an dessen Ablehnung bleibt also gültig, ist anzuwenden und vom Verteidiger zu beachten (dazu für den Sachverständigenbeweis Burhoff, HV, Rn 1056 ff. und 2656 ff., für die Augenscheinseinnahme Burhoff, HV, 422 ff. und 1051 ff. und für den Auslandszeugen Burhoff, HV, 468 ff., jeweils m.w.N..

V. „Beweisersuchen“ mit dem Ziel der Prozessverschleppungsabsicht

Allgemeines

Nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO erfolgt die Ablehnung eines Beweisantrags durch Gerichtsbeschluss (Burhoff, HV, Rn 970 ff). Das Gericht ist verpflichtet, den Beschluss unter Bezug auf die einschlägigen Ablehnungsgründe des Abs. 3 zu begründen. Davon ist die StPO in § 244 Absatz 6 Satz 2 nun teilweise abgerückt. Sog. Beweisersuchen mit dem Ziel der „Prozessverschleppung müssen jetzt nicht mehr durch förmlichen Gerichtsbeschluss nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO beschieden werden. Die StPO geht in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO nun nämlich davon aus, dass es sich bei solchen „Beweisersuchen“ nicht um einen Beweisantrag i.S. des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt und deshalb eine Zurückweisung durch Gerichtsbeschluss nicht erforderlich sei.

Eingeschränkter Begriff der Prozessverschleppung

Die Begriffsmerkmale der Prozessverschleppungsabsicht waren bisher in der StPO nicht bestimmt, sondern sind durch die Rechtsprechung (des BGH) ausgebildet worden (Vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1014 ff. m.w.N.). Diese Rechtsprechung zu § 244 Abs. 3 Satz 2 Alt. 6 StPO a.F. ging davon aus, dass Prozessverschleppungsabsicht anzunehmen war, wenn die beantragte Beweiserhebung nach Überzeugung des Gerichts nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen konnte und der Antragsteller den Beweisantrag ausschließlich zum Zwecke der Verzögerung des Verfahrens gestellt war (Burhoff, HV, Rn 1015 ff. m.w.N.). Erforderlich war eine wesentliche Verzögerung, wobei in der Rechtsprechung bis zuletzt nicht klar entschieden war, was unter dem Begriff der „wesentlichen Verzögerung“ zu verstehen war (Burhoff, HV, Rn 1017 ff. m.w.N.). Nun enthält § 224 Abs. 6 Satz 2 StPO als Bestimmung für den Begriff der Verfahrensverzögerung, dass „die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt“.

Hinweis:

Es heißt in § 244 Abs. 6 Satz 2 nur, dass sich der Antragsteller „dessen“, also dem Umstand, dass sein Beweisersuchen nichts Sachdienliches zu seinen Gunsten erbringen kann, bewusst sein muss. Durch diese Formulierung will man vermeiden, neben der Tatbestandsvoraussetzung der fehlenden Sachdienlichkeit ein weiteres Tatbestandsmerkmal gesetzlich festzuschreiben, das für die Feststellung der Prozessverschleppungsabsicht nicht erforderlich sei (BT-Drs. 19/15161, S. 12). Es genüge, dass der Antragsteller sich der fehlenden Sachdienlichkeit seines Antrags bewusst sei.

Objektives Merkmal entfallen

Entfallen bzw. nicht übernommen worden aus der früheren Rechtsprechung ist das objektive Merkmal, dass die verlangte Beweiserhebung geeignet ist, den Abschluss des Verfahrens „wesentlich“ oder „erheblich“ zu verzögern. Begründet wird dies damit, dass „dieses im Einzelnen unklare Erfordernis einer objektiv erheblichen Verfahrensverzögerung … in der Praxis dazu [führt], dass der Ablehnungsgrund der Prozessverschleppungsabsicht trotz Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen häufig nicht von den Gerichten angenommen werden kann“ und dem Ablehnungsgrund deshalb in der Gerichtspraxis nur eine geringe Bedeutung zukomme (BT-Drs. 19/14747, S. 35). U.a. deshalb ist auf dieses Merkmal verzichtet worden. Zudem werde, das „Begriffsverständnis der Prozessverschleppungsabsicht“ in der StPO vereinheitlicht, dass weder bei der Ablehnung eines zum Zweck der Prozessverschleppung gestellten Befangenheitsgesuchs (§ 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO) noch bei der Ablehnung eines Beweisantrags bei präsenten Beweismitteln (§ 245 Abs. 2 Satz 3 5. Variante StPO) verlangt werde, dass das Verfahren durch das Gesuch objektiv erheblich verzögert wird.

Hinweis:

In § 244 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 StPO ist ausdrücklich klargestellt, dass ein Beweisersuchen in Prozessverschleppungsabsicht auch angenommen werden kann, wenn der Antragsteller in einem Motivbündel neben dem Ziel der Verfahrensverzögerung auch ein oder mehrere weitere verfahrensfremde Ziele verfolgt. Die Prozessverschleppungsabsicht muss also nicht das einzige Motiv für das Beweisersuchen sein.

Antragstellung

Für die Antragstellung gilt im Hinblick auf die Voraussetzungen der Prozessverschleppungsabsicht in § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO:

  • Bei „spät“ im Verfahren gestellten Anträgen sollte der Verteidiger nach Möglichkeit immer darlegen, warum sie „so spät“ gestellt werden bzw. warum sie nicht eher gestellt werden konnten.
  • Im Hinblick auf das Merkmal“ „ ….. nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann“, sollte dargelegt werden, welches (sinnvolle) (Beweis)Ziel mit dem Antrag verfolgt wird.
  • Das gilt zugleich auch im Hinblick auf das Merkmal „Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt“. Denn aus einem „sinnvollen Beweisziel“ kann sich nie die Nutzlosigkeit der beantragten Beweiserhebung ergeben. Das hat nichts damit zu tun, dass das Beweisziel ggf. nicht erreicht worden ist.

Hinweis:

Durch entsprechende Antragsbegründung wird der Vorsitzende/das Gericht gezwungen, die ihnen obliegende Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) bei der Bescheidung des Antrags stärker in den Blick zu nehmen.

Verfahren der Ablehnung

Der Neuregelung liegt das Verständnis des Gesetzgebers zugrunde, dass Beweisersuchen mit dem Ziel der Prozessverschleppung – entgegen dem früheren Recht – keine Beweisanträge sind. Deshalb sollen solche Beweisersuchen nicht mehr unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 Satz 2 und 3 StPO als Beweisantrag abgelehnt werden müssen. Das bedeutet jedoch nicht, dass entsprechende „Beweisersuchen“ vom Gericht einfach übergangen werden können/dürfen. Vielmehr gilt (BT-Drs. 19/14747, S. 35).

  • Die Ersuchen müssen (zunächst) vom Vorsitzenden nach Maßgabe der Amtsaufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO beschieden werden. Ein formeller Gerichtsbeschluss ist nicht erforderlich
  • Ob die Voraussetzungen des § 244 Abs. 6 Satz 2 StPO gegeben sind, prüft der Vorsitzende zunächst im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis (Burhoff, HV, Rn 3152 ff).
  • Lehnt der Vorsitzende das Ersuchen ab, ist gegen die Entscheidung des Vorsitzenden eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO möglich.
  • Über die Beanstandung entscheidet das Gericht „in freier Würdigung“ (BT-Drs. 19/14747, S. 35).
  • Der Verteidiger wird, wenn auch das Gericht das Ersuchen ablehnt, ggf. Gegenvorstellung erheben müssen und darlegen, warum keine Verschleppungsabsicht vorliegt. Allerdings kann der insoweit erforderliche Vortrag möglicherweise die Schweigepflicht tangieren, wenn nämlich dargelegt werden muss, warum das Ersuchen so spät gestellt ist.

Damit hat die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/14747, S. 35) zugleich klargestellt, dass das Revisionsgericht nicht seine eigene Würdigung der Prozessverschleppungsabsicht an die Stelle der Würdigung des Vorsitzenden beziehungsweise des Tatgerichts stellen darf. Deren Würdigung soll in der Revision nur daraufhin überprüft werden können, ob ein Beurteilungsspielraum überschritten wurde. Es wird sich zeigen, wo der BGH die Grenzen des Beurteilungsspielraums bei dem ggf. tangierten Amtsaufklärungsgrundsatz (§ 244 Abs. 2 StPO) ziehen wird. Zudem wird m.E. auch übersehen, dass die Annahme der „Verschleppungsabsicht“ als ein subjektives Merkmal im Fall der Ablehnung des Beweisantrags/-ersuchens durch die Feststellung/Darlegung von ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten untermauert werden muss. Ebenso muss das Gericht die fehlende Sachdienlichkeit des Antrags/Ersuchens darlegen. Wird das unterlassen, wäre die Zurückweisung von vornherein willkürlich. Diese Feststellungen/Darlegungen hat das Revisionsgericht aber zu prüfen, wenn der Angeklagte die Verfügung des Vorsitzenden gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat und einen die Verfügung bestätigenden Gerichtsbeschluss mit der Revision rügt.

Hinweis:

In der Revision sind die Einwände gegen die Ablehnung des Antrags mit der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO!!) geltend zu machen. Der Verteidiger sollte zudem immer auch die Aufklärungsrüge erheben.

Schließlich: Das vorstehend geschilderte „Verfahrensszenario“ zeigt anschaulich, dass das Beschleunigungs- und Vereinfachungspotential – wenn es denn überhaupt gegeben ist – äußerst gering ist und es sicherlich nicht diesen Eingriff in das Beweisantragsrecht rechtfertigt. Es hätte sicherlich ausgereicht, es bei den Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017“ – Stichwort: Fristsetzung, zu belassen.

VI. Sonstige Änderungen

Beweisanträge im Ermittlungsverfahren (§ 219 StPO)

§ 219 StPO ist ebenfalls geändert worden. Es handelt sich aber „nur“ um eine redaktionelle Folgeänderung zur Änderung des Beweisantragsrechts in § 244 Abs. 3 StPO. Früher war in § 219 Abs. 1 Satz 1 StPO eine bruchstückhafte Definition des Beweisantrags enthalten. Diese konnte, nachdem nun der Begriff des Beweisantrags in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO legal definiert ist, entfallen.

Hinweis:

Der Regelungsgehalt der Vorschrift ist im Übrigen erhalten geblieben.

Präsente Beweismittel (§ 245 Abs. 2 StPO)

Ebenfalls geändert ist § 245 StPO. Es handelt sich aber auch „nur“ um eine redaktionelle Folgeänderung zur Änderung des Beweisantragsrechts in § 244 Abs. 3 StPO. Früher war in § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO die Ablehnungsmöglichkeit „oder wenn der Antrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist“. Diese konnte entfallen, nachdem ein zum Zweck der Prozessverschleppung gestelltes Beweisersuchen nicht mehr als „Beweisantrag“ angesehen wird (§ 244 Abs. 6 Satz 2 StPO) und damit nicht (mehr) unter die Anwendung des § 245 Abs. 2 StPO fällt.

Hinweis:

Der Regelungsgehalt der Vorschrift ist im Übrigen erhalten geblieben. Auch hier gilt aber, dass das Gericht ein entsprechendes „präsentes Beweisersuchen“ nicht einfach übergehen kann/darf.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg


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