aus RVGreport 2019, 402
(Ich bedanke mich bei der Schriftleitung von "RVGreport" für die freundliche Genehmigung, diesen Beitrag aus "RVGreport" auf meiner Homepage einstellen zu dürfen.)
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
Ich habe in den vergangenen Jahren über die Fragen, die in meinem bis Ende Mai 2018 betriebenen gebührenrechtlichen Forum auf www.burhoff.de, im Rechtspflegerforum auf www.rechtspflegerforum.de, ggf. auf Facebook diskutiert, aber auch direkt an mich immer wieder gestellt worden sind, berichtet.[1] Die nachfolgenden Ausführungen knüpfen daran an und behandeln weitere Fragen und Antworten, die die Praxis bewegt haben.
Für einen Kollegen ergab sich folgende Problemstellung: Eine zwischen ihm und seinem Mandanten geschlossene Vergütungs-/Honorarvereinbarung sah vor, dass ein Pauschalhonorar an die Stelle von Grund- und (Vor-)Verfahrensgebühr treten soll und das eigentliche Verfahren „zu den gesetzlichen Gebühren“ betrieben wird. Während des Verfahrens machte der Kollege sukzessive als „Vorschüsse“ bezeichnete Gebühren „für die Terminswahrnehmung am …" geltend, mit denen er Mittelgebühren und Auslagen liquidiert hat. Inzwischen ist das Verfahren abgeschlossen, die letzte Vorschussrechnung des Kollegen ist nicht bezahlt. Der RA möchte nun das gesamte Verfahren abrechnen und hat Gründe, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung gem. § 14 Abs. 1 RVG für einige Termine die Höchstgebühr anzusetzen. Er fragt, ob seine Vorschussrechnungen, die sich nur auf die Mittelgebühren beliefen, den Ansatz der Höchstgebühren ausschließen.
Meine Antwort: Ich bin der Auffassung, dass durch den Ansatz der Mittelgebühr in einer Vorschussrechnung grds. keine Bindungswirkung hinsichtlich der Höhe der Gebühren eintritt.[2] Es lässt sich bei Erstellung der Vorschussrechnung ja nicht sicher sagen, welche Kriterien abschließend für die Bemessung der Terminsgebühr(en) von Bedeutung sein werden, insbesondere wie lange sie dauern. Die Dauer des Termins ist aber ein ganz wesentliches Kriterium für die Bemessung der Terminsgebühr.[3] Zur Sicherheit sollte bei Erteilung der Vorschussrechnung aber immer deutlich gemacht werden, dass es eben keine endgültige Bestimmung der Gebührenhöhe ist, sondern nur eine vorläufige Bewertung, ein „Vorschuss“ eben.[4]
Im Rechtspflegerforum fragte ein Mitglied u.a. nach der Höhe der Verfahrensgebühr. Sie war mit 290,-- € angesetzt worden. Die Höhe war mit der „immensen Länge des Verfahrens und den damit verbundenen Rückfragen“ begründet worden.
Die Antwort: Wegen der Höhe der Gebühr sind die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG von Bedeutung.[5] In dem Katalog ist die „lange Verfahrensdauer“ kein eigenes Kriterium, das bei der Bemessung der angemessenen Gebühr im vorgegebenen Rahmen heranzuziehen wäre. Aber: Die Verfahrensdauer hat natürlich Auswirkungen auf den Umfang der erbrachten Tätigkeiten und ggf. auch auf die Schwierigkeit des Verfahrens. Denn häufige Anfragen/Rückfragen, immer wieder erforderliches Einarbeiten usw. erhöhen den Arbeitsumfang und sind daher beim „Umfang“ zu berücksichtigen. Und die lange Dauer des Verfahrens kann das Verfahren bzw. die Tätigkeit auch „schwierig(er)" machen und damit Einfluss auf die Höhe der Verfahrensgebühr haben. Zu all diesen Fragen sollte/muss der RA in seinem Festsetzungsantrag vortragen.
Für einen RA stellte sich folgendes Problem: Der RA war vom erstinstanzlichen Gericht als Beistand für seine jugendliche Mandantin nach § 69 Abs. 1 JGG bestellt worden. Nach Beendigung des Verfahrens wollte er seine Gebühren „analog zum Pflichtverteidiger“ geltend machen. Das ist vom Bezirksrevisor beanstandet worden; diese Gebühren würden nicht dem RVG unterliegen. Der Kollege war irritiert. Nach seiner Auffassung fällt die Beistandsbestellung unter § 45 Abs. 3 RVG als „sonstige gerichtliche Beistandsbestellung“. Er fragt sich, ob er Pflichtverteidigergebühren „analog (RVG)“ abrechnen kann? Falls nicht, was er sonst abrechnen darf/kann?
In der Antwort auf die Frage konnte ich nicht auf Rechtsprechung oder Literatur verweisen, da die Problematik dort nicht behandelt ist. M.E. ist (derzeit) wie folgt zu argumentieren: Der gem. § 69 JGG bestellte Beistand fällt zwar unter § 45 Abs. 3 RVG. Allerdings passt die Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG nicht, weil der Beistand des Beschuldigten dort nicht ausdrücklich genannt ist. Da der Beistand im Fall des § 69 JGG aber auch kein „Verteidiger“ i.S.d. Teil 4 VV RVG ist, sind die Nrn. 4100 ff. VV RVG auch nicht unmittelbar anwendbar. Man wird sie aber analog anwenden können, denn der Beistand des Jugendlichen wird in § 69 JGG (zumindest) wie ein Verteidiger behandelt. Legt man das zugrunde, entstehen die Gebühren wie bei einem Verteidiger und es handelt sich nicht nur um eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG.
Die Problematik sollte in einem 3. KostRMoG aufgegriffen und entsprechende Regelungen ergänzt werden.
Folgende Frage stammt aus dem Rechtspflegerforum: Der RA vertritt den Angeklagten. Seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger erfolgt in I. Instanz. Nach der Beiordnung werden Adhäsionsanträge vom Geschädigten gestellt. Eine Erstreckung der Beiordnung auf das Adhäsionsverfahren erfolgt nicht. Der Angeklagte wird verurteilt, es wird auch über die Adhäsionsanträge entschieden. Der RA legt für den Angeklagten Berufung ein und beantragt, seine Beiordnung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Dem Antrag wird stattgegeben. Der RA fragt sich, ob diese „Erstreckung“ auf die I. Instanz zurückwirkt?
Die Antwort: Nein. Eine „Rückwirkung“ der Erstreckung ist nur innerhalb des Rechtszuges bzw. in erster Instanz auch für das Vorverfahren vorgesehen. Das folgt aus § 48 Abs. 6 Satz 1 und 2 RVG.[6] Eine andere Frage ist, ob nicht durch die ursprüngliche Bestellung zum Pflichtverteidiger automatisch auch das Adhäsionsverfahren umfasst war, wodurch sich die Problematik der „Rückwirkung“ nicht (mehr) stellen würde. Ob sich die Beiordnung zum Pflichtverteidiger ohne Weiteres auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.[7] Die Frage wird allerdings von der wohl h.M. verneint. Schließt man sich jedoch der zutreffenden Auffassung an, die diese Frage bejaht, dann war von der Pflichtverteidigerbestellung in der 1. Instanz auch das Adhäsionsverfahren umfasst, so dass es auf eine gesetzliche Erstreckung nach § 48 RVG nicht mehr ankommt.
Ein Kollege hatte folgendes Problem: Er hat (zunächst) den Betroffenen im Bußgeldverfahren wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes im Verfahren vor Verwaltungsbehörde und im gerichtlichen Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung verteidigt. Er verteidigt ihn weiter, nachdem vom Bußgeldverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft ins Strafverfahren übergegangen worden ist (§ 81 OWiG). Im Strafverfahren wird der Kollege nach § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger bestellt. Bei der Abrechnung stellt sich die Frage: Erfasst die Wirkung der Beiordnung im Strafverfahren auch die zuvor erbrachte Tätigkeit im Bußgeldverfahren? Wie weit reicht also § 48 Abs. 6 RVG?
Für meine Antwort an den Kollegen habe ich in allen mir vorliegenden RVG-Kommentaren nachgelesen, aber der Fall wird nirgendwo behandelt. Vom Wortlaut her lässt sich m.E. beides begründen – nämlich sowohl Erstreckung als auch Nicht-Erstreckung. „Für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung…“ spricht für Erstreckung auch auf das Bußgeldverfahren. Und „in Angelegenheiten nach den Teilen 4 bis 6 des … im ersten Rechtszugs“ könnte man dahin verstehen, dass die Erstreckung sich auf die jeweiligen Teile beschränkt, also nicht „übergreifend“ gilt. Für letzteres spricht m.E. auch, dass die Pflichtverteidigungsbestellung ja im Strafverfahren erfolgt ist und sich darauf beschränkt, ja beschränken muss, da das Bußgeldverfahren durch die Überleitung beendet ist. Das führte zu dem Rat, den ich in solchen Fällen immer gebe: Festsetzung beantragen und schauen, was passiert. Kostet ja nichts.
Eine Kollegin hatte folgende Frage: Sie hatte mit einem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung – ausdrücklich nur für die erste Instanz – getroffen. Die Kollegin war zunächst Wahlverteidigerin, wurde dann aber kurz vor Ende der ersten Instanz noch zur Pflichtverteidigerin bestellt. Der Mandant hat inzwischen einen anderen RA mit seiner Verteidigung beauftragt. Die Kollegin hat (noch) Berufung gegen die Verurteilung des Mandanten eingelegt. Sie beabsichtigt, für die erste Instanz nicht gegenüber der Staatskasse abzurechen. Sie fragt, ob sie aus ihrer Vergütungsvereinbarung gegen den Mandanten vorgehen kann und ob sie Tätigkeit in der zweiten Instanz, also die Berufungseinlegung, gegenüber der Staatskasse als Pflichtverteidigerin abrechnen kann.
Ich habe wie folgt geantwortet: M.E. kann die Kollegin aus der Vergütungsvereinbarung gegen den Mandanten vorgehen, wenn diese wirksam ist, was sich so nicht beurteilen lässt.[8] Die Bestellung zur Pflichtverteidigerin hat darauf keinen Einfluss.[9]
Für die Berufungseinlegung kann sich die Kollegin nicht die Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG gegen die Staatskasse festsetzen lassen. Die Berufungseinlegung gehört für sie als Verteidigerin der 1. Instanz gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG zum Rechtszug, ist also durch die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG mitabgegolten.[10] Erst nach der Einlegung erbrachte Tätigkeiten führen zum Anfall der Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV RVG. Die sind aber wohl nicht erbracht. D.h., die Kollegin müsste die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG gegen die Staatskasse geltend machen, was aber im Zweifel wegen der Anrechnung der aus der Vergütungsvereinbarung erhaltenen Beträge (s. § 58 Abs. 3 RVG) nichts bringen wird.
Einem Kollegen stellte sich folgendes Problem: Der Kollege war einem Zeugen als Vernehmungsbeistand gem. § 68b StPO „für die Dauer der Vernehmung“ beigeordnet worden. Im Hauptverhandlungstermin wird festgestellt, dass der Verteidiger des Angeklagten nicht erschienen ist. Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt. Der erschienene Zeuge wird nicht vernommen. Der Kollege fragt, ob er die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG liquidieren kann oder ob sein Anspruch auf Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder für den Termin beschränkt ist.
In meiner Antwort habe ich den Kollegen darauf hingewiesen, dass m.E. der Zeugenbeistand nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet, und zwar auch der nach § 68b StPO beigeordnete Zeugenbeistand.[11] Geht man davon aus, ergibt sich für die Abrechnung kein Problem. Dann sind die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG entstanden. Und es gilt die Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 VV RVG, so dass der RA also auch Gebühren für den „geplatzten Termin“ bekommen/geltend machen kann.
Rechnet man entsprechend dem Vorschlag des Kollegen, was der wohl h.M. in der umstrittenen Frage entsprechen würde,[12] die Tätigkeiten hingegen nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ab, also als eine Einzeltätigkeit, dann ist die Verfahrensgebühr Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG angefallen. Eine der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG vergleichbare Regelung – „geplatzter Termin“ – gibt es in Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG allerdings nicht. Aber das hat m.E. keine Auswirkungen. Denn es geht in der Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG um die Beistandsleistung in der Hauptverhandlung. Und in der Hauptverhandlung ist der Kollege offensichtlich gewesen, als sich das Ausbleiben des Verteidigers herausstellte. Wenn sich das „Platzen“ des Hauptverhandlungstermins vorher herausgestellt hat, muss man m.E. damit argumentieren, dass es sich bei der Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG um eine Verfahrensgebühr handelt, die alle Tätigkeiten abdeckt, die mit der Beistandsleistung zusammenhängen. Dazu gehören auch das Warten auf den Beginn des Termins, Gespräche in Zusammenhang mit dem Termin betreffend das Ausbleiben des Verteidigers usw.
Eine Kollegin hatte folgende Frage: Sie war Nebenklägervertreterin. Für sie waren durch Beschl. v. 28.11.2017 die Gebühren Nrn. 4101, 4105, 4107, 4109 VV RVG festgesetzt worden. Nun hatte die Bezirksrevisorin dagegen am 25.9.2018 Erinnerung eingelegt und beantragt, den Festsetzungsbetrag zu reduzieren auf die Nrn. 4100, 4104, 4106, 4108 VV RVG. Begründung: Die Gebühren seien für den Nebenklagevertreter ohne Haftzuschlag anzusetzen, auch wenn sich der Angeklagte nicht auf freiem Fuß befindet.
Ich habe der Kollegin geantwortet, dass die Bezirksrevisorin m.E. mit ihrer Erinnerung Recht hat. Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG fällt beim Nebenklägervertreter nur an, wenn sich der Nebenkläger in Haft befindet.[13] Denn der Haftzuschlag soll die Erschwernisse abgelten, die z.B. durch den erschwerten Zugang zum Inhaftierten entstehen. Die liegen aber beim Nebenkläger nicht vor, wenn sich der Angeklagte in Haft befindet.[14] N. Schneider sieht das zwar im AnwKomm-RVG/N. Schneider noch anders.[15] Er bezieht sich dazu auf ältere Rechtsprechung des OLG Düsseldorf.[16] Die ist allerdings noch zur BRAGO ergangen. Die hat das OLG Düsseldorf aber inzwischen zum RVG aufgegeben.[17]
Für einen Pflichtverteidiger stellte sich folgendes Problem: Der Mandant ist unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung beim AG verhaftet und zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in die Justizvollzugsanstalt gebracht worden. Der Kollege fragt sich, ob bei Einlegung einer Berufung die amtsgerichtliche Verfahrensgebühr Nr. 4107 VV RVG mit Haftzuschlag nach Nr. 4108 VV RVG entsteht.
Die Antwort: Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entsteht immer dann, wenn in dem Verfahrensabschnitt, um den es geht, eine Tätigkeit erbracht worden ist.[18] Das bedeutet hier, dass der Haftzuschlag auf die amtsgerichtliche Verfahrensgebühr zu gewähren ist, denn es wird bis zur Beendigung der 1. Instanz das Geschäft beim AG betrieben (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG). Im Zweifel ist auch die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit Zuschlag entstanden, denn unmittelbar nach Urteilsverkündung ist noch im Termin, so dass der Abgeltungsbereich der Terminsgebühr noch greift.[19]
Zum Geltungsbereich hat mich eine weitere Frage erreicht: Gegen den Mandanten war Haftbefehl erlassen worden, weil er flüchtig sei. Der RA erfährt davon, bevor der Mandant verhaftet wird. Er ruft den zuständigen Richter an und vereinbart mit ihm, dass der Haftbefehl unmittelbar nach Verkündung außer Vollzug gesetzt wird, wenn der Mandant freiwillig zur Verkündung erscheint. So geschieht es. Im Haftprüfungstermin verkündet der Richter den Haftbefehl, anschließend wird kurz zur Sache Stellung genommen, dann wird der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Der Kollege fragt, ob der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG für die Grundgebühr, die Verfahrensgebühren und die Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG entstanden ist.
Meine Antwort: Ja. Denn auch wenn der Mandant freiwillig mit seinem Verteidiger zum Verkündungstermin gegangen ist, war er zwischen Verkündung des Haftbefehls und dessen Außervollzugsetzung nicht auf freiem Fuß i.S.d. Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG.[20] Denn nach der Verkündung war der Haftbefehl in Vollzug. Der ist erst durch die gesonderte Außervollzugssetzungsentscheidung aufgehoben worden. Auf die Dauer der Inhaftierung kommt es für das Entstehen des Zuschlags nicht an.[21]
Allerdings: Die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG ist nicht mit Zuschlag entstanden. Deren Abgeltungsbereich war zum Zeitpunkt der Inhaftierung des Mandanten bereits überschritten.[22]
Auch beim BGH wird nur mit Wasser gekocht. Das beweist der BGH im Beschl. v. 15.1.2019 (4 StR 56/16).[23] In diesem Beschluss hat der BGH einen Fehler in seinem Beschl. v. 17.3.2016 korrigiert. In dem Beschluss hatte er nämlich das angefochtene Urteil des LG im Adhäsionsausspruch ergänzt, die weiter gehende Revision als unbegründet verworfen und der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittels auferlegt. Allerdings hatte der BGH vergessen, der Angeklagten auch die Kosten der Nebenklägerin aufzuerlegen. Das hatte dann nachträglich die Nebenklägerin beantragt. Sie ist damit beim BGH gescheitert. Der BGH räumt in seinem Beschluss v. 15.1.2019 zwar seinen Fehler ein. Er habe es versehentlich versäumt, der Angeklagten auch die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Neben- und Adhäsionsklägerin aufzuerlegen. Dieser Fehler, der die Entscheidung selbst und nicht nur deren Verlautbarung betrifft, sei aber einer Berichtigung nicht zugänglich.[24] Eine nachträgliche inhaltliche Änderung der Kostenentscheidung des – grds. nicht abänderbaren - Senatsbeschlusses vom 17.3.2016 sei jedoch rechtlich ausgeschlossen.[25]
An die Problematik knüpften sich nun aber noch gebührenrechtliche Fragen an, und zwar des Verteidigers des Angeklagten. Denn im Ausgangsverfahren war vom LG nach dem Revisionsverfahren die vom Nebenkläger beantragte Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG festgesetzt worden. Dagegen hatte der Verteidiger Beschwerde eingelegt, weil im Revisionsbeschluss eben nichts zu den Kosten der Nebenklägerin gesagt war. Das OLG gibt dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren Recht und legt die Kosten und notwendige Auslagen der Nebenklägerin auf. Dann hatte die Nebenklägerin einen Berichtigungsantrag beim BGH gestellt, der zu dem o.a. Ergebnis geführt hat. In dem Zurückweisungsbeschluss ist eine Kostenentscheidung nicht enthalten.
Der Verteidiger fragt sich nun: Wie rechne ich was ab? Reicht die Kostenentscheidung des OLG oder muss der BGH auch noch über Kosten entscheiden? Und was rechne ich ab? Eine Einzeltätigkeit oder ggf. eine Verfahrensgebühr entsprechend Nr. 4130 VV RVG?
Meine Antwort: Der Verteidiger ist mit der Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG nach § 464b StPO tätig geworden. Das ist einer der wenigen Fälle, in denen die Tätigkeit in einem Beschwerdeverfahren in Teil 4 VV RVG nicht gem. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10a RVG von der (allgemeinen) Verfahrensgebühr erfasst wird. Dafür gibt es vielmehr die Regelung in Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 1 VV RVG, die auf den Teil 3 VV RVG und dort auf Nr. 3500 VV RVG verweist.[26] Der Gegenstandswert für die dort geregelte Verfahrensgebühr richtet sich nach den Kosten/Gebühren, die im Streit sind, hier also im Zweifel die zugunsten der Nebenklägerin festgesetzten Gebühren und Auslagen. Festgesetzt werden die auf der Grundlage der für den Angeklagten günstigen Kostengrundentscheidung im OLG-Beschluss.
Die Tätigkeit des Verteidigers im Berichtigungsverfahren beim BGH wird hingegen nicht gesondert vergütet. Die wird mit der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG als sog. Nachbereitungstätigkeit im Revisionsverfahren abgegolten.
Folgende Fragestellung eines Kollegen: Der Kollege verteidigt einen Angeklagten wegen mehrerer Ladendiebstähle. Der Angeklagte erscheint nicht zur Hauptverhandlung. Das AG erlässt einen Haftbefehl nach § 230 StPO. Danach wird der Angeklagte inhaftiert zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in einer anderen Sache. Das AG bestimmt Termin zur Eröffnung des Haftbefehls, den der RA wahrnimmt. Kurz vor Beginn des Termins zur Eröffnung des Haftbefehls schlägt ihm der Amtsrichter vor, gleich die Hauptverhandlung zu beginnen. Der RA und der Mandant stimmen zu. Der Kollege meinte: Der Termin zur Eröffnung des Haftbefehls habe nicht stattgefunden, es liege aber ein Fall der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG vor. Ferner sei für den Hauptverhandlungstermin die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG entstanden. Er sehe keine Norm, die das Entstehen der Gebühren nebeneinander ausschließe, insbesondere lese er Satz 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG so, dass die Beschränkung nur für Termine i.S.d. Nr. 4102 VV RVG gelte, also gerade nicht für den Hauptverhandlungstermin. Der Kollege fragt dann, ob er die Gebühr für den entfallenen Termin zur Haftbefehlseröffnung in Ansatz bringen kann.
Meine Antwort: Es ist richtig, bei der Abrechnung an die beiden Terminsgebühren Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG und Nr. 4108 VV RVG zu denken. Von diesen beiden Terminsgebühren bereitet die Abrechnung der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit Sicherheit keine Probleme. Schwieriger könnte die Abrechnung der Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG werden. Zutreffend ist es aber, wenn die ggf. angefallene Terminsgebühr Nr. 4102 NR. 3 VV RVG nicht im Hinblick auf die Beschränkung in der Satz 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG mit der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG zusammengefasst wird. Das hat das AG Münster schon 2007 entschieden, jedoch in einer etwas anderen Konstellation.[27]
Hier stellt sich aber möglicherweise ein anderes Problem, nämlich die Frage der „Erscheinens“.[28] Allerdings dürfte es da an sich keinen Streit mit der Staatskasse geben, da nach (weiterer) Auskunft des Kollegen der Haftprüfungstermin „konkludent aufgehoben“ worden sei, bevor er begonnen hatte. Der Kollege war im Vorführzimmer anwesend, von dort ist man dann in den Sitzungssaal gewechselt und hat dort mit der Hauptverhandlung begonnen. Damit war der Kollege im Sitzungssaal erschienen. Somit ist die Terminsgebühr auch nach Auffassung in der Rechtsprechung, die für die Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG die körperliche Anwesenheit des RA fordert, entstanden.[29]
Ein Kollege hatte folgende Frage zur Gebührenhöhe bei der Abrechnung mehrerer (Vernehmungs-)Terminsgebühren Nrn. 4102, 4103 VV RVG. Der Kollege hatte im Ermittlungsverfahren an insgesamt vier (Haftprüfungs-/Vernehmungs-)Terminen i.S.d. Nr. 4102 VV RVG teilgenommen. Beim ersten Termin, einer Haftprüfung, war der Mandant nicht auf freiem Fuß, bei den weiteren drei Terminen war er haftverschont. Inzwischen ist der Angeklagte freigesprochen worden. Der Kollege möchte bei der Kostenerstattung zumindest einmal die Höchstgebühr ansetzen. Er fragt: Zählen die von ihm wahrgenommenen ersten drei Termine zusammen, so dass hierfür die Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG mit Zuschlag anzusetzen ist oder zählt der Haftprüfungstermin allein und die übrigen Termine dann zusammen für die Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG, also ohne Haftzuschlag?
Die Antwort: Zutreffend ist der Ansatz des Kollegen, dass er wegen der Beschränkung in Satz 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG nur zweimal die Vernehmungsterminsgebühr abrechnen kann. Alle vier Termine haben im Ermittlungsverfahren stattgefunden, so dass drei Termine durch eine einzige Terminsgebühr abgegolten werden.[30] Dabei ist m.E. in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, es werden also zunächst der Haftprüfungstermin und dann die zeitliche folgenden zwei (Vernehmungs-)Termine zusammengefasst. Diese Terminsgebühr entsteht aus dem Rahmen der Nr. 4103 VV RVG, obwohl der Mandant nur bei dem Haftprüfungstermin inhaftiert war.[31] Daneben entsteht dann eine Terminsgebühr Nr. 4102 VV RVG für den vierten Termin, an dem der RA teilgenommen hat.
Bei der bei der Bemessung der Terminsgebühr Nr. 4103 VV RVG wird man den Umstand berücksichtigen müssen, dass einerseits nur einer der Termin ein Hafttermin war, wobei allerdings die durch die Haft ggf. entstehenden Erschwernisse bereits durch den gem. Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG gewährten Zuschlag abgegolten sind. Zu berücksichtigen ist aber auf jeden Fall, dass drei Termine zusammengefasst worden sind.[32] Ob die Höchstgebühr berechtigt ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls. Ihr Ansatz liegt in dieser Konstellation aber nahe.
Ein Kollege hat nach folgender Problematik gefragt: Der RA hat vor der Strafkammer verhandelt. Die war wegen einer drohenden Unterbringung nach § 63 StGB in Dreier-Besetzung besetzt (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 GVG). Verhandelt worden ist zunächst nur wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB). Am 1. Hauptverhandlungstag ergeht sodann nach § 265 StPO der rechtliche Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags (§§ 212, 22, 23 StGB) in Betracht kommen könnte. Es stellt sich die Frage, aus welcher Gebührenstufe die Gebühren entstanden sind: Nrn. 4112 ff. VV RVG oder Nrn. 4118 ff. RVG.
Die Lösung: Eine Verweisung des Verfahrens kam nicht mehr in Betracht, das Schwurgericht ist kein Gericht höherer Ordnung,[33] sondern eine Strafkammer mit besonderer Zuständigkeit. Es gilt also die (Fristen-)Regelung in § 6a StPO. Danach war in dem Verfahren eine Rüge der Unzuständigkeit nicht mehr möglich.[34] Folge ist, dass damit die (allgemeine) Strafkammer „von Rechts wegen zuständig“ wurde/war. Sie hat also als Schwurgericht verhandelt. Folge davon ist m.E., dass damit auch die „Schwurgerichtsgebühren“ anfallen, also die Gebühren Nrn. 4118 ff. VV RVG.
Die Staatskasse wird diesen Ansatz im Zweifel nicht „kampflos“ hinnehmen und Einwände erheben. Man wird sich wahrscheinlich auf einen rein formalistischen Standpunkt zurückziehen und sagen: Verhandlung bei der allgemeinen Strafkammer führt auch nur zu Strafkammergebühren. Das ist m.E. aber nicht richtig, denn es ist nicht bei der allgemeinen Strafkammer verhandelt worden, sondern bei einer allgemeinen Strafkammer, die aufgrund verfahrensrechtlicher Vorgaben zur Strafkammer als Schwurgericht geworden ist.[35]
[1] Vgl. zuletzt RVGreport 2018, 322 u. 362; RVGreport 2018, 82 m.w.N. zu früheren Beiträgen.
[2] S. Burhoff/Volpert, RVG in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Teil A: Vorschuss vom Auftraggeber (§ 9) Rn 2525 und Teil A: Rahmengebühren (§ 14) Rn 1737 ff.; vgl. aber auch AG München AGS 2006, 588.
[3] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 71 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung, wie z.B. KG RVGreport 2007, 180 = StV 2006, 198 = AGS 2006, 278; RVGreport 2014, 111 = JurBüro 2013, 361; OLG Saarbrücken RVGreport 2014, 103 = zfs 2014, 169 m. Anm. Hansens = AGS 2014, 251.
[4] Zur Bindungswirkung i.Ü. OLG Köln RVGreport 2010, 138; OLG Hamburg AGkompakt 2012, 86; AG Koblenz JurBüro 2008, 312; LSG Thüringen RVGreport 2019, 210.
[5] Dazu allgemein Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Rahmengebühren (§ 14) Rn 1687 ff.
[6] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, § 48 Abs. 6 Rn 7 u. 13.
[7] Zum Streitstand Burhoff RVGreport 2018, 282.
[8] Zur Vergütungsvereinbarung Burhoff/Volpert, RVG Teil A: Vergütungsvereinbarung (§§ 3a ff.) Rn 2312 ff.; s. ferner zur Hinweispflicht des Pflichtverteidigers vor Abschluss einer Vergütungsvereinbarung BGH RVgreport 2019, 130 [Hansens].
[9] Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Vergütungsvereinbarung (§ 3a), Rn 2327 f.
[10] Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4124 VV RVG Rn 6.
[11] Zum Zeugenbeistand Burhoff RVGreport 2016, 122 m.w.N. aus der Rechtsprechung.
[12] Wegen der Nachweise Burhoff RVGreport 2016, 122 ff.
[13] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 104.
[14] Vgl. die Nachweise bei Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 104.
[15] AnwKomm-RVG/N. Schneider, 8. Aufl., Vorbem. 4 VV RVG Rn 61.
[16] OLG Düsseldorf NStZ 1997, 605 = AGS 1999, 135.
[17] OLG Düsseldorf RVGreport 2006, 389 = AGS 2006, 435 = JurBüro 2006, 534.
[18] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 112
[19] Vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4109 VV RVG Rn 2 ff. mit Beispielen; zum Haftzuschlag eingehend Burhoff StRR 2007, 54 und RVGreport 2011, 242.
[20] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 108 ff. m.w.N.
[21] Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 112 m.w.N.
[22] Vgl. auch Burhoff/Volpert, RVG, a.a.O.
[23] RVG professionell 2019, 74 = StRR 2019, Nr. 3, 2.
[24] Vgl. BGH NStZ-RR 2000, 39.
[25] BGH NStZ-RR 2012, 159.
[26] Burhoff/Volpert, RVG, Vorb 4 VV RVG Rn 118 ff.
[27] AG Münster RVGreport 2007, 303 = AGS 2007, 350 m. Anm. Volpert.
[28] Vgl. dazu Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4 VV RVG Rn 94 f. m.w.N.
[29] Dazu OLG Frankfurt a.M. RVGreport 2012, 64 = StRR 2012, 118 = JurBüro 2011, 422; OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 = JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; RVGreport 2018, 301 = AGS 2018, 339 = NStZ-RR 2018, 296.
[30] Vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4102 VV Rn 54.
[31] Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4103 VV Rn 3.
[32] KG RVGreport 2009, 231 = StraFo 2009, 260; Burhoff/Volpert, RVG, Nr. 4102 VV RVG Rn 60.
[33] S. BGH BGHSt 26, 191; 27, 99.
[34] S. BGH NStZ 2009, 404.
[35] Vgl. BGH NStZ 2009, 404.
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