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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 5 Ws 201/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zu Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung und zur Zulässigkeit der Beschwerde, wenn die Strafvollstreckung inzwischen erledigt ist.

Senat: 5

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung, Auslieferung, Beiordnung eines Pflichtverteidiger im Strafvollstreckungsverfahren, fortwirkendes Feststellungsinteresse

Normen: StPO 458, StPO 140

Beschluss: Strafsache gegen B.W.,
wegen Betruges u.a. (hier: Zurückweisung von Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung und Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Vollstreckungsverfahren).

Auf die sofortige Beschwerde und die Beschwerde des Verurteilten vom 12. Juli 2000 gegen den Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 27. Juni 2000 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

1. Dem Verurteilten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.

2. Die sofortige Beschwerde und die Beschwerde werden verworfen.

3. Die Kosten der Wiedereinsetzung und des Verfahrens über die sofortige Beschwerde und die Beschwerde trägt der Verurteilte.

4. Entscheidung des Senatsvorsitzenden: Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Verfahren über die sofortige Beschwerde und die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Unna hat mit Beschluss vom 6. Januar 1997 - 9 Cs 43 Js 908/96 (583/96) - aus den mit Strafbefehl des Amtsgerichts Kamen vom 29. Dezember 1995, Urteil des Amtsgerichts Menden vom 25. April 1996 und Strafbefehl des Amtsgerichts Unna vom 2. September 1996 gegen den Verurteilten verhängten Geldstrafen nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen zu je 18,- DM gebildet. Dieser Gesamtstrafenbeschluss ist dem Verurteilten am 23. Januar 1997 zugestellt worden.

Die von der Staatsanwaltschaft Dortmund wegen Uneinbringlichkeit der Geldstrafe beabsichtigte Vollstreckung von 210 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe ist zunächst unterblieben, weil der Verurteilte flüchtig war und sich nach Spanien abgesetzt hatte. Nachdem der Verurteilte im Februar 1999 aufgrund eines von der Staatsanwaltschaft Dortmund in einem anderweitigen Verfahren gestellten Auslieferungsersuchens aus Spanien nach Deutschland ausgeliefert worden war, ist - in Unterbrechung der Untersuchungshaft für das genannte anderweitige Verfahren - die Ersatzfreiheitsstrafe von 210 Tagen im vorliegenden Verfahren in der Zeit vom 2. Juli 1999 bis zum 27. Januar 2000 vollständig vollstreckt worden.

Mit am 21. Oktober 1999 bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingegangenem Antrag vom 20. Oktober 1999 hat der Verurteilte Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe erhoben und diese im Wesentlichen damit begründet, dass er bei seiner Auslieferung aus Spanien nach Deutschland nicht auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichtet habe, weswegen die Vollstreckung im vorliegenden Verfahren unzulässig sei, und dass ihm weder die Strafbefehle der Amtsgerichte Kamen und Unna noch das Urteil des Amtsgerichts Menden noch der Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Unna vom 6. Januar 1997 wirksam zugestellt worden seien, so dass mangels Rechtskraft des Gesamtstrafenbeschlusses die Voraussetzungen für die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe nicht erfüllt seien. Mit Schreiben vom 21. Februar 2000 hat der Verurteilte ferner beantragt, ihm für das Verfahren, in welchem über die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe entschieden werde, einen Pflichtverteidiger zu bestellen.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat (erst) mit Verfügung vom 20. April 2000 den Einwendungen des Verurteilten gegen die Zulässigkeit der Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung nicht abgeholfen und die Sache der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zur Entscheidung gemäß § 458 Abs. 1 StPO vorgelegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Juni 2000 hat die Strafvollstreckungskammer die Anträge des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung und auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am 12. Juli 2000 wirksam zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit Schreiben vom selben Tage, das am 26. Juli 2000 bei dem Landgericht Dortmund eingegangen ist, sofortige Beschwerde bzw. Beschwerde eingelegt und beantragt, ihm auch für das Beschwerdeverfahren einen Pflichtverteidiger zu bestellen.

II.
Die Beschwerden waren als unbegründet zu verwerfen; der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren war zurückzuweisen (Insoweit handelt es sich um eine Entscheidung des Vorsitzenden).

1. Soweit sich der Verurteilte gegen die Zurückweisung seiner Anträge auf gerichtliche Entscheidung wendet, ist das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde gemäß § 459 h i.V.m. §§ 459 e, 458, 462 Abs. 1 u. 3 StPO anzusehen.

Allerdings ist dieses Rechtsmittel nicht innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden. Dem Verurteilten ist jedoch von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da seine Beschwerdeschrift ohne sein Verschulden verspätet bei dem Landgericht Dortmund eingegangen ist. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 15. September 2000 zutreffend ausgeführt hat, ist die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde als unverschuldet anzusehen, weil die gemäß § 35 a S. 1 StPO erforderliche Rechtsmittelbelehrung ausweislich der Akten unterblieben ist. Es kann dem Verurteilten daher nicht angelastet werden, dass er die sofortige Beschwerde zwar noch innerhalb der Frist, aber bei dem nicht zuständigen Oberlandesgericht Hamm (Eingang des Beschwerdeschreibens dort: 15. Juli 2000) eingelegt hat, und sein von dort weitergeleitetes Beschwerdeschreiben erst am 26. Juli 2000 bei dem Landgericht Dortmund eingegangen ist. Die sofortige Beschwerde ist daher als rechtzeitig eingelegt zu behandeln.

2. Sowohl die sofortige Beschwerde als auch die Beschwerde haben in der Sache keinen Erfolg.

a) Die sofortige Beschwerde ist hier nicht etwa deswegen unzulässig, weil sich die Vollstreckungsmaßnahme, gegen die sich der Verurteilte wendet, während des Laufs des Verfahrens durch die vollständige Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 27. Januar 2000 erledigt hat. In der neueren Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass auch durch Vollzug erledigte Verfolgungsmaßnahmen bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses nachträglich gerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden können (vgl. BVerfG NJW 1997, 2163; OLG Frankfurt/Main NJW 1998, 1165 m.w.N.). Die Statthaftigkeit eines derartigen Begehrens ist zunächst für vollzogene Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfsbeamten entwickelt und dann auf sämtliche, mit einem (Grundrechts-)Eingriff verbundene Verfolgungsmaßnahmen ausgedehnt worden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 98 Rdnr. 23). Gefolgert wird dies aus der Rechtschutzgarantie des § 19 Abs. 4 GG, der einen umfassenden, lückenlosen und effektiven Rechtsschutz des Bürgers gegen staatliche Hoheitsakte insbesondere dann gebietet, wenn diese einen Grundrechtseingriff beinhalten. Ausgehend hiervon ist bei Eingriffen in die persönliche Freiheit ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und damit ein nachwirkendes Bedürfnis für eine richterliche Überprüfung nicht nur in Fällen anzunehmen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann, sondern auch dann, wenn bei länger andauernden freiheitsentziehenden Maßnahmen der rechtzeitig gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht in angemessener Zeit beschieden worden und allein aus diesem Grunde eine prozessuale Überholung eingetreten ist.

So verhält es sich hier. Der Verurteilte hatte mit Schreiben vom 20. Oktober 1999, das der Staatsanwaltschaft Dortmund bereits am Folgetag vorgelegen hatte, Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung erhoben und insoweit Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat, nachdem sie die Akten zunächst dem nicht zuständigen Amtsgericht Unna, dann der nicht zuständigen Beschwerdekammer des Landgerichts Dortmund und schließlich der nicht zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vorgelegt hatte, erst mit Verfügung vom 20. April 2000 die ihr obliegende Nichtabhilfeentscheidung getroffen und die Akten im Anschluss daran an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund weitergeleitet, die später den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Von der Erhebung der Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe bis zur Erledigung dieser Maßnahme am 27. Januar 2000 durch vollständige Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe standen somit mehr als drei Monate zur Verfügung, innerhalb derer der Verurteilte hätte beschieden werden können und müssen.

Die danach zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Die Einwendungen des Verurteilten gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe sind nicht begründet.

Zutreffend geht die angefochtene Entscheidung davon aus, dass der Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Unna vom 6. Januar 1997 wirksam zugestellt worden und mangels Anfechtung seit dem 1. Februar 1997 rechtskräftig ist. Ausweislich der über die Zustellung gefertigten Postzustellungsurkunde erfolgte die Niederlegung des Gesamtstrafenbeschlusses am 23. Januar 1997 an den Verurteilten unter der Personen- und Wohnungsbezeichnung "pp.". Selbst wenn, wie dies der Verurteilte unter Vorlage von Kopien aus seinem Familienbuch geltend macht, sein Familienname zum Zeitpunkt der Zustellung des Gesamtstrafenbeschlusses "pp." gelautet hat, bestand und besteht an der Identität der Person, an die die Zustellung bewirkt worden ist, keinerlei Zweifel. Die Zustellung war daher wirksam.

Zu Unrecht wendet der Verurteilte auch ein, er habe sein Einverständnis mit der vereinfachten Auslieferung nicht erklärt und nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet. Ausweislich des Protokolls des Zentralen Ermittlungsgerichts Nr. 4 in Madrid vom 11. Januar 1999 ist der Verurteilte gemäß Art. 6 des Schengener Durchführungsabkommens in Anwesenheit der Rechtsanwältin Montserrat Alba vernommen und in deutscher Sprache befragt worden, ob er mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden sei und auf die Möglichkeit einer speziellen Auslieferung verzichte. Darauf hat er geantwortet, er sei einverstanden und verzichte auf eine spezielle Auslieferung.

b) Die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ebenfalls nicht begründet. Bei den von dem Verurteilten erhobenen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung handelte es sich um einen im Ausgangspunkt zunächst rechtlich einfach gelagerten Sachverhalt. Zwar hat sich anschließend das Verfahren über die Einwendungen des Verurteilten durch deren prozessuale Behandlung schwierig gestaltet. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft Dortmund nach vorheriger Vorlage der Akten bei unzuständigen Gerichten erst am 20. April 2000, d.h. einige Monate nach Erledigung der angegriffenen Vollstreckungsmaßnahme, die ihr obliegende Nichtabhilfeentscheidung getroffen und anschließend die Akten zur gerichtlichen Entscheidung gemäß § 458 Abs. 1 StPO weitergeleitet. Wegen dieser schwierigen Gestaltung des Verfahrens benötigte der Verurteilte jedoch aus maßgeblicher heutiger Sicht keinen Rechtsbeistand. Denn insoweit hat der Senat dadurch, dass er die sofortige Beschwerde des Verurteilten trotz prozessualer Überholung als zulässig behandelt hat, zu dessen Gunsten entschieden. Mehr hätte - was diese allein schwierige prozessuale Frage angeht - auch ein Verteidiger für ihn nicht erreichen können.

3. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und bezüglich des Verfahrens über die sofortige Beschwerde und die Beschwerde beruht auf § 473 Abs. 1 u. 7 StPO.

4. Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet (Entscheidung des Vorsitzenden).

Im Vollstreckungsverfahren ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger nur dann zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgerecht wahrzunehmen, die Bestellung gebietet (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdnr. 33). Daran fehlt es hier jedoch. Der Verurteilte hat selbst alle Einwendungen vorgetragen und diese auch mit einer Begründung versehen, die seinem Rechtsmittel zwar letztlich nicht zum Erfolg verhilft, immerhin aber erkennen lässt, dass die Sach- und Rechtslage aus seiner Sicht nicht so schwierig ist, dass er sie ohne Hilfe eines Verteidigers nicht einigermaßen zutreffend beurteilen könnte. Denn für ihn war und ist unschwer nachvollziehbar, dass er die im Gesamtstrafenbeschluss bezeichnete verurteilte Person und dass der Gesamtstrafenbeschluss an ihn zugestellt worden ist. Dasselbe gilt für Inhalt und Auswirkung der Erklärung, die er hinsichtlich des Verzichts auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität gegenüber dem Zentralen Ermittlungsgericht in Madrid abgegeben hat.


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