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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 368/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zum Höchstmaß der Verlängerung der Bewährungszeit (gegen 2 Ws 147-149/2000)

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, Aufhebung, Zurückgabe zur Entscheidung über den Straferlass, Verlängerung der Bewährungszeit, Höchstmaß der Verlängerung, Straftaten nicht in Bewährungszeit, nachträgliche Verlängerung der Bewährungszeit, Lücke in der Bewährungszeit

Normen: StGB 56 f Abs.1, StGB 56 f Abs. 2

Beschluss: Strafsache gegen A.S.,
wegen Landfriedensbruchs,
(hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23./25. Juli 2000 gegen den Beschluss der 3. Strafvollstreckungskammer das Landgerichts Essen vom 10. Juli 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.09.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Zur Entscheidung über den Straferlass sind die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Essen erneut vorzulegen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Remscheid hat den Verurteilten am 22. Juli 1993 - rechtskräftig seit demselben Tage - wegen Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Am 26. Mai 1995 verlängerte das Amtsgericht die Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate, weil der Verurteilte sich am 21. Dezember 1993 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gemacht hatte und deshalb am 6. Juni 1994 durch das Amtsgericht Düsseldorf zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden war. Mit Beschluss vom 11. September 1996 verlängerte das Amtsgericht Remscheid die Bewährungszeit um weitere sechs Monate auf nunmehr insgesamt fünf Jahre, nachdem das Landgericht Düsseldorf gegen den Verurteilten am 3. April 1996 wegen Beihilfe zum Diebstahl in zwei besonders schweren Fällen (Tatzeit: Dezember 1993) eine Freiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt hatte. Von einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung sah das Amtsgericht ab, weil das Landgericht Düsseldorf aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Verurteilten in der Hauptverhandlung zu einer positiven Legalprognose gelangt war. Nach Ablauf der Bewährungszeit am 21. Juli 1998 erließ das Amtsgericht Remscheid mit Beschluss vom 23. Juli 1998 die Freiheitsstrafe. Diesen Erlassbeschluss hob das Landgericht Wuppertal auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 22. Januar 1999 auf, weil nachträglich bekannt geworden war, dass der Verurteilte in der Bewährungszeit (Tatzeit: 4. Juni 1998) wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung erneut straffällig geworden und deswegen am 19. August 1998 vom Amtsgericht Düsseldorf zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden war. Wegen dieser neuen Straftat verlängerte das Amtsgericht Remscheid schließlich mit Beschluss vom 17. März 1999 die Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate auf insgesamt sechseinhalb Jahre bis zum 21. Dezember 1999.

Am 18. November 1999 verurteilte das Landgericht Düsseldorf den Verurteilten, der am 5. März 1999 vorläufig festgenommen worden und am 6. März 1999 zur Untersuchungshaft gebracht worden war, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 62 Fällen, begangen in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 5. März 1999, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Das nahm die Strafvollstreckungskammer - der Verurteilte befindet sich seit dem 16. September 1999 in Strafhaft - zum Anlass, auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wuppertal durch den angefochtenen Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung im vorliegenden Verfahren zu widerrufen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten mit weiteren Ausführungen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II.
Das nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist begründet und führt zur Aufhebung der Widerrufsentscheidung.

Die von der Strafvollstreckungskammer herangezogenen Anlasstaten in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 5. März 1999 können den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nicht begründen.

1. Entgegen der Auffassung des Verurteilten ergibt sich das allerdings nicht bereits daraus, dass die letzte, über fünf Jahre hinausgehende Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate auf insgesamt sechseinhalb Jahre etwa rechtlich nicht möglich gewesen wäre.

Obwohl der Verlängerungsbeschluss selbst nicht angefochten ist, hat der Senat die Frage der Zulässigkeit der maßgeblichen Verlängerung der Bewährungszeit bei der Entscheidung über den Widerruf nachzuprüfen (vgl. Beschluss des Senats vom 4. August 1998 in 4 Ws 248/98; so auch der hiesige 2. Strafsenat, Beschluss vom 14. Juni 2000 in 2 Ws 147 bis 149/2000; OLG Zweibrücken StV 1993, 429 ff. m.w.N.). Ebenso wie Verstöße gegen Weisungen und Auflagen (§ 56 b und c StGB) nur dann zum Widerruf führen können, wenn letztere rechtlicher Nachprüfung standhalten, gilt dies auch für eine dem Widerruf vorausgehende Verlängerung der Bewährungszeit. Denn nach dem Rechtsstaatsprinzip können auch insoweit einschneidende Entscheidungen nur auf rechtlich einwandfreier Grundlage getroffen werden (vgl. insoweit OLG Zweibrücken, a.a.O.). Daran fehlt es aber, wenn die in Rede stehende Verlängerung überhaupt, etwa wegen Erreichens der Höchstdauer der Bewährungszeit, oder auch nur hinsichtlich des Umfangs des einzelnen Verlängerungsschritts ganz oder teilweise ausgeschlossen war. Für die hier ausgesprochene nochmalige Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate trifft dies jedoch nicht zu.

Zwar wird nunmehr von dem hiesigen 2. Strafsenat (Beschluss vom 14. Juni 2000 in 2 Ws 147 bis 149/.00) unter Hinweis auf den Wortlaut von § 56 f Abs. 2 Satz 2 StGB die Auffassung vertreten, im Rahmen dieser Vorschrift (unbeschadet des Höchstmaßes des § 56 a Abs. 2 Satz 2 StGB) sei eine Verlängerung der Bewährungszeit - wenn auch in mehreren Schritten - nur insgesamt um nicht mehr als die Hälfte der ersten, bei der Strafaussetzung festgelegten Bewährungszeit zulässig. Ebenfalls unter Argumentation aus dem Wortlaut hat kürzlich das Oberlandesgericht Stuttgart (NStZ 2000, 478, 479) entschieden, eine Überschreitung der Fünfjahresgrenze für die gesamte Bewährungszeit sei nur dann und insoweit möglich, als das 1 1/2-fache der ersten Bewährungszeit diese Grenze übersteigt. Auch in Kenntnis dieser Rechtsprechung verbleibt der Senat jedoch bei seiner Rechtsauffassung, dass § 56 f Abs. 2 Satz 2 StGB und die darin enthaltene Beschränkung (Verlängerung der Bewährungszeit höchstens um die Hälfte ihrer zunächst festgesetzten Dauer) nur anwendbar ist, wenn die Bewährungszeit über das in § 56 a Abs. 1 StGB bestimmte Höchstmaß von fünf Jahren hinaus verlängert werden soll. Diese Auffassung, die sich auf die Entstehungsgeschichte des am 1. Mai 1986 mit dem 23. Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft getretenen § 56 f Abs. 2 S. 2 StGB n.F. und die gesetzgeberische Zielsetzung gründet, den Verurteilten vor dem drohenden Widerruf auch dann noch zu bewahren, wenn die Höchstgrenze des § 56 a Abs. 1 StGB bereits erreicht ist, entsprach bisher der Rechtsprechung auch der Strafsenate des hiesigen Oberlandesgerichts (vgl. Beschluss vom 24. September 1986 in 3 Ws 381/85, JMBl. NW 1987, S. 6; Beschluss vom 7. November 1991 in 2 Ws 42/91 und ihm folgend die Beschlüsse in 2 Ws 117 u. 118/91 sowie in 2 Ws 51/92; Beschluss vom 10. Dezember 1987 in 4 Ws 602/87, NStZ 1988, 291, 292; Beschluss vom 10. August 1999 in 5 Ws 21 - 22/99). Hiervon abzugehen, sieht der Senat unter Berücksichtigung der Argumentation der Gegenmeinung keinen Anlass.

2.
Die angefochtene Entscheidung kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil die Straftaten des Verurteilten in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 5. März 1999, die dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. November 1999 zugrunde liegen, und die die Strafvollstreckungskammer zum Anlass für den Widerruf der Strafaussetzung genommen hat, nicht in der Bewährungszeit begangen worden sind, die im vorliegenden Verfahren galt. Diese endete - nach ihrer zweiten Verlängerung auf fünf Jahre durch den Beschluss des Amtsgerichts Remscheid vom 11. September 1996 - am 21. Juli 1998.

Die weitere Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate durch Beschluss des Amtsgerichts Remscheid vom 17. März 1999 ändert nichts daran, dass der Verurteilte nach dem 21. Juli 1998 bis zum Erlass des erneuten Verlängerungsbeschlusses tatsächlich nicht "unter Bewährung"" stand (vgl. Tröndle, StGB, 49. Aufl., § 56 f Rdnr. 3 a und Rdnr. 18 jeweils m.w.N.).

Soweit die Strafvollstreckungskammer unter Hinweis auf den Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 1995 (StV 1996, 160 ff) den Widerruf gleichwohl deshalb für gerechtfertigt er achtet, weil der Verurteilte kein schutzwürdiges Vertrauen in den Ablauf der Bewährungszeit zum 21. Juli 1998 habe entwickeln können, gehen ihre Erwägungen fehl. Zum einen ist in jener Entscheidung lediglich ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde eines Verurteilten gegen einen ihn betreffenden Widerrufsbeschluss nicht vorlagen. Im Rahmen der Begründung ist ausgeführt, dass es unter dem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab des Vertrauensschutzes keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, wenn die Gerichte dem damaligen Beschwerdeführer in seinem konkreten Fall einen Vertrauenstatbestand nicht zugesprochen haben. Daraus lässt sich für den vorliegenden Fall umso weniger ein Entscheidungsargument herleiten, als der Ausgangsfall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, mit dem hier gegebenen Sachverhalt nicht vergleichbar war. Während hier die Anlasstaten für den Widerruf nach dem Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit und vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen worden sind, ging es in jenem Fall um eine Anlasstat, die nach Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen worden war, von dem der Verurteilte zum Zeitpunkt der Begehung der neuen Tat lediglich keine Kenntnis hatte. Es war ihm allerdings mitgeteilt worden, dass nach Abschluss eines weiteren Verfahrens über den Fortbestand der Strafaussetzung entschieden werden würde.

Im Übrigen geht auch die Erwägung der Strafvollstreckungskammer fehl, dass der Verurteilte nicht darauf habe vertrauen können, dass die Bewährungszeit mit dem 21. Juli 1998 abgelaufen sei. Immerhin war am 23. Juli 1998 der Beschluss über den Straferlass ergangen. Dass der Verurteilte zum Zeitpunkt der Begehung der neuen Straftaten Kenntnis von dessen Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft oder gar von der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Wuppertal vom 22. Januar 1999 - bezüglich der vor diesem Zeitpunkt liegenden Taten ist dies ohnehin nicht möglich - über die Aufhebung des Erlassbeschlusses hatte, ist nicht ersichtlich. Ausweislich Bl. 126 BewHeft ist bei dem Landgericht Wuppertal am 8. Februar 1999 ein Rückbrief mit der Benachrichtigung eingegangen, dass der Verurteilte unbekannt verzogen sei. Ob ihm der Beschluss vom 22. Januar 1999 später noch bekanntgegeben wurde, lässt sich den Akten nicht entnehmen.

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Verlängerungsbeschlusses vom 17. März 1999 befand sich der Verurteilte, der am 5. März 1999 vorläufig festgenommen worden war, bereits in Untersuchungshaft.

Unter diesen Umständen kann der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung keinen Bestand haben. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben.

Die Akten sind zur Prüfung des Straferlasses erneut der Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Essen vorzulegen.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO.


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