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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 BL 102/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Zum wichtigen Grund im Sinn von § 121 StPO bei Überlastung des Gerichts, wenn Entlastungsmaßnahmen (noch) möglich sind.

Senat: 1

Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG; BL 6

Stichworte: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, Fluchtgefahr, wichtiger Grund, vorübergehende Belastung, Entlastungsmaßnahmen

Normen: StPO 112, StPO 121

Beschluss: Strafsache gegen H.G.,
wegen gewerbsmäßigen Betruges,
(hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung gemäß §§ 121, 122 StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
Dem Angeschuldigte ist am 11.08.1999 vorläufig festgenommen worden. Aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Siegen vom 12.08.1999 (45 Gs 1632/99) befand er sich zunächst in der Zeit vom 12.08.1999 bis zum 21.08.1999 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Am 21.08.1999 wurde er aufgrund des Haftverschonungsbeschlusses vom 18.08.1999 - u.a. gegen Zahlung einer Kaution in Höhe von 50.000,- DM - vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Der Verschonungsbeschluss musste am 21.12.1999 aufgehoben werden, da der Angeschuldigte nach seiner Haftentlassung weitere einschlägige Straftaten beging. Er wurde am 22.12.1999 festgenommen und befindet sich seit dem 23.12.1999 ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Unter dem 03.04.2000 wurde gegen den Angeschuldigten Anklage wegen gemeinschaftlichem gewerbsmäßigem Betruges in 96 Fällen erhoben. Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist bislang nicht erfolgt. Das Landgericht hat jedoch durch Beschluss vom 17.05.2000 den Haftbefehl entsprechend der Anklage neu gefasst und diesen - erneut - unter verschiedenen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Unter anderem wurde dem Angeschuldigten aufgegeben, eine Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- DM zu stellen. Dieser Auflage ist er bislang nicht nachgekommen.

Der Angeschuldigte ist der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig. Den äußeren Geschehensablauf hat er eingeräumt. Danach warben er und seine Mitangeschuldigten nach außen hin für die Vermittlung von Leasingfahrzeugen - ohne "entsprechende Bankauskunft". Tatsächlich waren sie jedoch aufgrund ihrer eigenen finanziellen Situation und der Ausgestaltung ihrer Firma weder willens noch in der Lage, dem von ihnen bewusst angesprochenen Kundenkreis Leasingverträge zu vermitteln oder gar Leasingfahrzeuge zu verschaffen. Ihnen kam es von vornherein vielmehr allein auf die in Rechnung gestellten Bearbeitungsgebühren und den Erhalt von sogenannten Leasingsonderzahlungen an, ohne dabei ernsthafte Vermittlungsbemühungen an den Tag legen zu wollen. Dies hat der Angeschuldigte bei seiner ersten verantwortlichen Vernehmung am 11.08.1999 im Beisein seiner Verteidigerin und nach umfassender Beratung mit ihr auch eingeräumt. Dort hat er u.a. wörtlich ausgeführt: "Die Firma F. Automobil GmbH wurde mit dem Zweck betrieben, Bearbeitungsgebühren und einmalige Sonderzahlungen zu kassieren, ohne dafür eine Leistung zu erbringen, sprich ein Fahrzeug zu vermitteln bzw. zu verleasen. Diese Arbeitsweise sollte nach meiner Vorstellung zumindest so lange Bestand haben, bis die Firma ausreichend Kapital angesammelt hatte, um ein "richtiges" Leasing aufzuziehen. Hierzu ist es jedoch nie gekommen, da sich Herr F. weigerte, den entsprechenden Kreditrahmen aufzunehmen." Weiter hat er angegeben: "Zusammenfassend erkläre ich nochmals, dass die Geschäftstätigkeit in der Hauptsache dem Zweck diente, vom Kunden die Gebühren und die Sonderzahlungen zu kassieren. Die Vermittlung der Fahrzeuge war in erster Linie nicht angedacht."

Soweit der Angeschuldigte nunmehr durch seinen Verteidiger geltend machen lässt, ein Betrug läge deshalb nicht vor, weil - auch - die Kunden jeweils gegenüber der Firma F. GmbH falsche Angaben gemacht hätten, so dass der Firma in Höhe der geleisteten Sonderzahlungen ein Schadensersatzanspruch zugestanden habe, ist dies ersichtlich für die strafrechtliche Beurteilung unzutreffend. Eine Täuschung des Angeschuldigten und seiner Mittäter durch die Kunden konnte schon deshalb nicht erfolgen, da ihr gesamtes Geschäftsgebaren gerade darauf abgestellt war, Leasingabschlüsse mit Kunden zu tätigen, die im Rahmen einer normalen Geschäftsabwicklung nicht solvent waren. Dabei gingen sie davon aus, dass diese Kunden unrichtige Angaben machen würden, um dies auszunutzen. Dies hat der Angeschuldigte bei seiner verantwortlichen Vernehmung auch eingeräumt. So hat er wörtlich angegeben: "Wenn mir vorgehalten wird, dass diese Kunden doch für uns die einfachsten waren, da der Ausstieg aus dem Vertrag so doch leicht zu begründen war, muss ich antworten, dass dies so stimmt. Wir haben einfach damit gerechnet, dass die Kundenangaben von Anfang an falsch waren und lagen mit dieser Einschätzung zu 100 % richtig.

Das zeigt sich ja auch darin, dass die Einnahmen der Firma ausschließlich auf diesen Kundenzahlungen basierten. Durch das echte Leasinggeschäft wurde nichts eingenommen."

Angesichts dieses Tatplans war dem Angeschuldigten auch die Strafbarkeit seines Vorgehens bewusst. Es vermag ihn auch nicht zu entlasten, dass in dem vom Verteidiger vorgelegten Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26. August 1999 (302 O 216/98) der Firma F. Automobil GmbH aufgrund eines solch abgeschlossenen Leasingvertrages die geleistete Sonderzahlung in Höhe von 20.175,64 DM als Schadensersatz zugesprochen wurde. In diesem Verfahren waren die Hintergründe des Geschäftsbetriebs der Firma F. GmbH dem Gericht nicht bekannt. Vielmehr ging es - aufgrund des wahrheitswidrigen Vortrages der Firma, sie habe den zu verleasenden PKW Mercedes-Benz 500 SL Rooster zu einem Kaufpreis von 170.000,- DM bereits bestellt, die Finanzierung durch ihre "Hausbank" sei sichergestellt - davon aus, es handele sich um ein "normales" Leasinggeschäft.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, wobei bereits die hohe Straferwartung den erheblichen Fluchtanreiz begründet. Im vorliegenden Verfahren wird dem Angeschuldigten gewerbsmäßiger Betrug (Mindeststrafe sechs Monate) in 96 Einzelfällen vorgeworfen. Der Gesamtschaden beträgt 688.984,54 DM. Zudem sind zwei weitere Umfangsverfahren gegen den Angeschuldigten, der sich zumindest seit 1994 in immer wieder der gleichen Weise einschlägig strafrechtlich betätigt, anhängig. In dem Verfahren 35 Js 547/96 wird ihm Kreditvermittlungsbetrug vorgeworfen. Mitangeklagt ist - wie auch im vorliegenden Verfahren - seine Ehefrau. Die Anklage ist am 19. April 2000 beim Landgericht eingegangen. In dem Verfahren KLs 351 Js 180/2000 StA Siegen wird ihm Leasingbetrug vorgeworfen. Die Tatbegehung erfolgte in gleicher Weise wie im vorliegenden Verfahren. Mit anderen Beteiligten hat der Angeschuldigte die Vermittlungstätigkeit fortgesetzt, nachdem der Mitangeschuldigte F. nicht mehr willens war, an den weiteren Taten teilzunehmen. Hierbei stellte der Angeschuldigte die für die Tatbegehung entworfenen Formulare und Formschreiben zur Verfügung. Diese Taten setzte er auch dann noch fort, als er im vorliegenden Verfahren vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden war und nachdem er im September 1999 durch Strafbefehl wegen der Beihilfe zum Kreditvermittlungsbetrug in 52 Fällen (Tatzeit war Sommer 1994) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde. Da somit die neuen Straftaten teilweise in die Bewährungszeit fallen, hat er auch mit dem Widerruf der Strafaussetzung zu rechnen.

Erhärtet wird die Fluchtgefahr, die durch die Bindung an seine ebenfalls angeklagte Ehefrau und deren aus erster Ehe stammenden, von ihm adoptierten Sohn, nicht ausgeräumt werden kann, durch die anstehenden erheblichen Rückforderungen der Geschädigten, die einen legalen Verdienst über der Pfändungsfrei-
grenze nicht ermöglichen werden. Über eine außerhalb des Bereichs der Finanzdienstleistungen liegende berufliche Alternative verfügt der Angeschuldigte zur Zeit nicht.

Des weiteren besteht der Haftgrund der Verdunklungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Der Angeschuldigte hat bereits in dem Verfahren KLs 351 Js 180/2000 LG Siegen belastende Unterlagen vor dem Zugriff der Polizei versteckt. Es besteht der dringende Verdacht, dass er auch in Zukunft die gegebenenfalls noch vorhandenen Geschäftsunterlagen beiseite schafft oder vernichtet.

Zu Recht hat die Strafkammer auch darauf hingewiesen, dass falls die Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr ausgeräumt werden können, der subsidiäre Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben ist, da der Angeschuldigte trotz anstehender Strafverfahren und drohender Untersuchungshaft sein strafbares Verhalten fortgesetzt hat. Dies gilt umso mehr, da er - zumindest nach dem Vorbringen seines Verteidigers - seine "geschäftliche Tätigkeit" für erlaubt hält.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO liegen derzeit noch vor. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

Nach der erneuten Verhaftung des Angeschuldigten wurde aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Siegen vom 21.12.1999 seine Wohnung durchsucht und umfangreiches Beweismaterial, welches er zunächst verborgen hatte, sichergestellt. Vor Anklageerhebung in dieser Sache hatten die Ermittlungsbehörden zunächst dieses Beweismaterial auszuwerten. Zwar ergab diese Auswertung, dass die versteckten Unterlagen alle nur für das weitere Verfahren 35 Js 888/99 StA Siegen, welches sich ebenfalls gegen den Angeschuldigten richtet, von Bedeutung sind. Doch auch im vorliegenden Verfahren waren eine Vielzahl von Geschädigten zu vernehmen und Kontounterlagen auszuwerten. Unter diesen Voraussetzungen ist der Schlussbericht der Polizei vom 21.03.2000 mit der gebotenen Beschleunigung fertiggestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hat auch unter dem 03.04.2000 unverzüglich Anklage vor der Strafkammer des Landgerichts erhoben.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist allerdings noch nicht beschlossen worden, da eine Terminierung der Sache aufgrund einer Überlastung der 2. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Siegen zur Zeit nicht erfolgen kann. Dies kann jedoch aufgrund folgender Umstände noch hingenommen werden: Zwar ist die Überlastung infolge Häufung anhängiger Sachen grundsätzlich kein wichtiger Grund i.S.d. § 121 StPO, wenn diese schon länger andauert und durch Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischer Mittel und Möglichkeiten, insbesondere durch Geschäftsverteilungsmaßnahmen des Präsidiums des Gerichts hätte beseitigt werden können (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 121 RN 22 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der Stellungnahme des Vorsitzenden der 2. Strafkammer des Landgerichts Siegen lässt sich jedoch entnehmen, dass die Überlastung seines Spruchkörpers erst seit Anfang dieses Jahres eingetreten ist und nicht voraussehbar war. Er hat auch unverzüglich Maßnahmen zur Entlastung des Spruchkörpers eingeleitet. So hat er auf die Geschäftslage der Kammer mit Bericht an den Präsidenten des Landgerichts Siegen vom 12. Mai 2000 hingewiesen. Das Präsidium hat mit Beschluss vom 5. Juni 2000 reagiert und die 2. Strafkammer von den Jugendberufungssachen entlastet. Ob diese Entlastung ausreicht, der Strafkammer die Terminierung der vorliegenden Haftsache in angemessener Zeit zu ermöglichen, kann der Senat derzeit nicht beurteilen. Unter anderem hängt dies auch vom weiteren Fortgang der beiden bei der Kammer anhängigen umfangreichen weiteren Haftsachen ab. Ggf. hat der Vorsitzende sich erneut an das Präsidium zu wenden, um eine weitere Entlastung (ggf. die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer) zur vorrangigen Erledigung der vorliegenden Haftsache zu schaffen. Da der Senat davon ausgeht, dass dies möglich ist, hat er die weitere Haftfortdauer gemäß §§ 121, 122 StPO angeordnet und gemäß § 122 Abs. 3 S. 3 StPO die Haftprüfung für die folgenden 3 Monate dem Landgericht übertragen. Da ein wesentlich späterer Beginn der Hauptverhandlung mit dem Beschleunigungsgebot nicht mehr vereinbar wäre, hat das Landgericht ggf. auch schon vor Ablauf der Dreimonatsfrist den Haftbefehl aufzuheben, wenn abzusehen ist, dass innerhalb angemessener Frist durch organisatorische Maßnahmen eine Verhandlung im vorliegenden Verfahren nicht ermöglicht werden kann.


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