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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 182/00 OLG Hamm

Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen, wenn der Tatrichter eine "andere schwere seelische Abartigkeit" ausschließen will.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: schwere seelische Abartigkeit, Feststellungen im Urteil, lückenhafte Ausführungen, Persönlichkeitsstörung, Sachverständigengutachten

Normen: StGB 20, StGB 21, StPO 267

Beschluss: Strafsache gegen B.L. wegen Sachbeschädigung u.a..

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 21.09.1999 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, jedoch. mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die aufrechterhalten bleiben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kasten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Grunde:
I.
Das Landgericht Bielefeld hat die Berufung des Angeklagten gegen die Berufung des Schöffengerichts Herford vom 11. Dezember 1998 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen übler Nachrede in 11 Fällen, davon sechs Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, ;n zwei Fällen in Tateinheit mit gemeinschädlicher Sachbeschädigung sowie wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wird.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 22.09.1999, am 23.09.1999 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangen, Revision eingelegt- Nach Urteilszustellung an den Verteidiger am 16.11.1999 hat er mit am 10.12.1999 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangenen weiteren Schreiben seines Verteidigers die Revision. begründet.

Die Revision hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Diesen
Antrag hat sie mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet und hierzu vornehmlich Ausführungen zu der ihrer Ansicht nach fehlerhaften Anwendung der §§ 20, 21 StGB gemacht.

Die Revision rügt mit näheren Ausführungen, dass die Kammer die Frage der Schuldunfähigkeit nicht erörtert habe, obgleich sie vom Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei dem Angeklagten ausgegangen. sei. Sie habe insoweit die gebotene
Gesamtbetrachtung von Täterpersönlichkeit und Straftaten unterlassen und sich in den Urteilsgründen nicht hinreichend mit dem von ihr verwerteten Gutachten des Sachverständigen Dr. S. auseinandergesetzt.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache weitgehend einen zumindest vorläufigen Erfolg Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren. Tatgeschehen. Das angefochtene Urteil hat
sich nämlich unzureichend mit der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten~ §§ 20, 21 StGB auseinandergesetzt. Dagegen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen nicht von Rechtsfehlern beeinflusst. Insoweit erweist sich die Revision als offensichtlich unbegründet i.S.3v. § 349 Abs. 2 StPO (vgl. BGHR, StPO, § 353 Abs. 2 Teilaufhebung 1).

1.
Das Landgericht hat zur Frage der geistig-seelischen Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit folgende Feststellungen getroffen:

,,Bei den Angeklagten liegt eine Störung der Impulssteuerung vor. Er kann sich plötzlich intensiv aufregen und es kann zu überschießenden Reaktionen kommen, insbesondere wenn er sich gekränkt fühlt; Dabei geht es maßgeblich um die Verteidigung seines Selbstwertgefühls. Darüber hinaus liegt auch eine Persönlichkeitsstörung des Angeklagten vor. In Bezug auf das Verhältnis zu seiner Tochter Rita hat sich bei ihm eine leicht wahnhafte Entwicklung in Richtung Querulanz herausgebildet. Seine Steuerungsfähigkeit wird hierdurch zwar etwas beeinträchtigt, jedoch nicht in erheblichem Umfang vermindert."

Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer sodann ausgeführt:

Bei der Strafzumessung war von dem Regelstrafrahmen auszugehen. Eine fakultative Minderung der Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht, da bei dem Angeklagten bei Ausführung der Taten keine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB vorgelegen hat.

Zwar hat der Angeklagte erneut eine umfassende Exploration durch den Sachverständigen Dr. S. verweigert. Aufgrund seiner Einlassung in der Berufungshauptverhandlung und, da im Rahmen der Beweisaufnahme eingehend das Verhältnis des Angeklagten zu seinen Tochter hat erörtert werden können, hat der Sachverständige aber immerhin eine ausreichende Beurteilungsgrundlage vermittelt bekommen, die es ihm ermöglicht hat, ein ausreichend fundiertes Gutachten zu erstatten. Den überzeugenden Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen Dr. S. schließt sich die Kammer an.

Bei dem Angeklagten liegt danach zwar eine Persönlichkeitsstörung vor, auch eine leichte Störung der Impulssteuerung verbunden mit der Verteidigung seines Selbstwertgefühls sowie eine leichte wahnhafte Entwicklung in Richtung querulatorische Züge bezogen auf das Verhältnis zu seiner Tochter und deren Ehemann. Die umfassende Würdigung dieser Auffälligkeiten führt zwar zum Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit, die jedoch nicht die für § 21 StGB erforderliche Erheblichkeit erreicht."

2.
Den Urteilsgründen lässt sich zunächst nicht eindeutig entnehmen, ob das Landgericht der Ansicht war, dass bereits das Gewicht der von ihm festgestellten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten nicht den für die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht oder ob es hier lediglich an der Erheblichkeit der Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der selbst krankheitswertigen Persönlichkeitsstörung fehlt. Zwar spricht das Landgericht vom Vorliegen einer ,,schweren anderen seelischen Abartigkeit", stellt andererseits aber in den Urteilsgründen deutlich heraus, dass bei dem Angeklagten lediglich eine ,,leichte Störung der Impulssteuerung sowie eine ,,leichte wahnhafte Entwicklung" vorliege. Letzteres deutet aber darauf hin, dass die Kammer bereits das in § 20 StGB aufgeführte biologische Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht hat feststellen können. Das Gewicht der festgestellten Persönlichkeitsstörung ist als Tatfrage aber deutlich von der Rechtsfrage der Erheblichkeit der Beeinträchtigung i.S.d. §§ 20, 21 StGB zu trennen, die ausschließlich vom Tatrichter in eigener Verantwortung beantwortet werden muss (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31 - Urteil vom 06.05.1997).

Angesichts der knappen Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten steht weiterhin zu befürchten, dass die Berufungskammer es unterlassen hat, sich - wozu sie verpflichtet gewesen wäre (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbi1dung 17 Beschluss vom 06.09.1991) - eine eigene Meinung über den Zustand des Angeklagten zu bilden. Die Kammer gibt nämlich lediglich in knapper Form die Befunde des Sachverständigen wieder, ohne ,sich mit diesen auseinander zusetzen, insbesondere ohne sie anhand des in der höchstrichterlichen Rechtsprechung mittlerweile eingehend umschriebenen Begriffs der schweren anderen seelischen Abartigkeit kritisch zu hinterfragen (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 17 -Beschluss vorn 06.09.1991) Dem Senat ist die Prüfung dieser Frage anhand der Urteilsgründe nicht möglich. Dem Urteil fehlt nämlich die von Rechts wegen gebotene verständliche, in sich geschlossene Darstellung den dein Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung (vgl. BGHR StPO § 267~Abs. 1 5. 1, Beweisergebnis 2 - Beschluss vom 08.04.1987), da es, wie bereits ausgeführt, lediglich das Ergebnis des Gutachtens im Sinne der von dem Sachverständigen erhobenen Befunde mitteilt, dagegen über die Anknüpfungstatsachen und über die inhaltliche. Begründung, insbesondere hinsichtlich des Schweregrades der Persönlichkeitsstörung keinerlei Ausführungen macht. Das Landgericht hat bei dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer wahnhaften Entwicklung in Richtung Querulanz festgestellt. Insoweit kommt bei ihm offenbar das Vorliegen einer psychopathologischen Entwicklung (paranoide Entwicklung/querulatorische Entwicklung) in Betracht, mithin ein psychopathologischer Verlauf, der durch Progredienz, durch die wachsende Entfaltung der krankhaften Erscheinungen in der Biographie und die zunehmende Besetzung seiner Persönlichkeit durch das pathologische Tun gekennzeichnet ist (vgl. Rasch, StV 1991, 126', 128 f) . Ob diese Persönlichkeitsstörung so gravierend ist, dass sie in ihrer belastenden Wirkung für den Angeklagten - und damit auch im Hinblick auf seine Fähigkeit zu normgemäßen Verhalten - das Gewicht krankhafter seelischer Störungen i.S.d. §§ 20, 21 StGB - ausgenommen die leichteren - erreicht, muss in einer Ganzheitsbetrachtung von Täter und Tat beantwortet werden (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 31 - Urteil vom 06.05.1997). In die Prüfung sind die Persönlichkeit des Angeklagten, ihre Entwicklung, die Vorgeschichte, der unmittelbare Anlass und die Ausführung der Taten sowie das Verhalten des Angeklagten nach den Taten einzubeziehen (BGHSt 37, 397, 401.f; NStZ 1992, 380 - BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 24, Beschluss vom 19.03.1992). Dass das Landgericht eine solche umfassende Betrachtung vorgenommen hat, lassen die Urteilsgründe ebenfalls nicht erkennen. Auch hier hätte es einer über die Wiedergabe der von dem Sachverständigen erhobenen Befunde hinausgehenden, eingehenderen Darlegung bedurft.

Da der Senat aufgrund der knappen Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten aus eigener Sachkunde nicht sicher auszuschließen vermag, dass der Angeklagte - was allerdings. eher fern liegt - bei der Ausführung. der Taten sogar schuldunfähig gewesen ist, hat er das Urteil auch im Schuldspruch hinsichtlich der Feststellungen zur inneren Tatseite und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben. Der neue Tatrichter wird das Ausmaß der seelischen Störung des Angeklagten und ihre Auswirkungen auf das Denken und Handeln erneut zu prüfen haben und kann in diesem Rahmen die Frage der Schuldfähigkeit umfassend beurteilen.


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