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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 1360/97 Hamm

Leitsatz: Zur notwendigen Verteidigung wegen "Schwere der Tat"

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger, notwendige Verteidigung, Schwere der Tat, Freiheitsstrafe von zwei Jahren

Normen: StPO 140, StPO 338 Nr. 5

Beschluss: Strafsache gegen D.H.,
wegen Misshandlung Schutzbefohlener

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten vom 22. Juli 1997 gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 22. Juli 1997 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.11.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten im angefochtenen Urteil "wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren" verurteilt. Hiergegen wendet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Sache ohne Antragstellung vorgelegt.

II.
Die formelle Rüge des Angeklagten hat - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Der Angeklagte macht mit seiner in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge zu Recht den absoluten Revisionsgrund nach den §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO geltend, weil die Hauptverhandlung gegen ihn ohne den Beistand eines Verteidigers und somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Insoweit ist es unerheblich, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 22. Juli 1997 die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht beantragt und das Amtsgericht somit über die Notwendigkeit der Verteidigung nicht entschieden hat. Denn der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, ein Verteidiger aber nicht bestellt worden ist (vgl. KK-Laufhütte, StPO, 3. Aufl., § 140 Rn. 27 mit weiteren Nachweisen).

Die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung am 22. Juli 1997 war gem. § 140 Abs. 2 StPO notwendig. Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten u.a. dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn dies wegen der "Schwere der Tat" geboten erscheint. Die "Schwere der Tat" beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, nämlich ob die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend für den Angeklagten ist (vgl. u.a. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., 1997, § 140 Rn. 23 mit weiteren Nachweisen aus der Rspr.; siehe auch OLG Hamm StV 1993, 180; ständige Rechtsprechung des Senats, siehe u.a. Beschlüsse vom 21. Februar 1995 in 2 Ss 136/95 und vom 11. September 1995 in 2 Ss 1018/95), von Bedeutung sind aber auch die Verteidigungsfähigkeit und sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu erwarten hat (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 24 f. mit weiteren Nachweisen).

Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der auch die ständige Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. die bereits erwähnten Senatsbeschlüsse), ist eine Tat in der Regel dann als "schwer" i.S. des § 140 Abs. 2 StPO anzusehen, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 23 m.w.N.). Dabei kommt es bei mehreren Taten auf den Umfang der Rechtsfolgen insgesamt und nicht auf die Höhe der Einzelstrafen an (OLG Hamm NStZ 1982, 298). Hier ist der Angeklagte wegen der ihm zur Last gelegten Vergehen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Hinzu kommt, dass der Angeklagte wegen dieser Verurteilung mit dem Bewährungswiderruf der am 11. Oktober 1994 gegen ihn ebenfalls wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Körperverletzung verhängten Freiheitsstrafe von 7 Monaten, der Vollstreckung zu Bewährung ausgesetzt worden ist, rechnen muß. Schließlich darf auch nicht übersehen werden, dass es bei den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten entscheidend auf die Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit der Aussage des Opfers ankommt und der Angeklagte als juristischer Laie bei der Beurteilung dieser Fragen überfordert sein dürfte. Nach allem war damit die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung erforderlich. Mithin ist, da ein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht anwesend war, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben.

Deshalb war das angefochtene Urteil mit den der Verurteilung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und die Sache gem. §§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts, die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, zurückzuverweisen.

III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass nach den zu den strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten getroffenen tatsächlichen Feststellungen der Angeklagte am 10. November 1970 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten - 3 Ls 103/70 - wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des schweren Diebstahls freigesprochen worden ist. Damit wird sich das nun zur Entscheidung berufene Gericht auseinandersetzen und, wenn die Gründe dieser Entscheidung dazu Anlass geben, ggf. im Hinblick auf die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Angeklagten beauftragen müssen.


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