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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 144/00 OLG Hamm

Leitsatz:

  1. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei falscher Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich eines Kostenfestsetzungsbeschlusses.
  2. Zur angemessen gebühr für die Vertretung eines Nebenklägers im Verfahren gegen dessen Mutter, die wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers verurteilt worden ist.


Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, falsche Rechtsmittelbelehrung, Wochenfrist, Kostenfestsetzung, Nebenkläger, Gebühren, Mittelgebühr

Normen: RPflG 11 Abs. 1; BRAGO 6, BRAGO 95, BRAGO 83 ff, BRAGO 12 Abs. 1 Satz 2

Beschluss: Strafsache gegen Silvia H., ,
Nebenkläger:
1. Lukas H., gesetzlich vertreten durch den Vater Achim H., beide wohnhaft
2. Achim H., wohnhaft ebenda,
beide vertreten durch Rechtsanwälte,
wegen gefährlicher Körperverletzung,
hier: Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen der Nebenkläger gegen die Verurteilte.

Auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten vom 20. März 2000 gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Detmold vom 7. März 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.05.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Nebenkläger bzw. ihrer Verfahrensbevollmächtigten beschlossen:

1. Der Verurteilten wird von Amts wegen auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Detmold vom 7. März 2000 gewährt.

2. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die von der Verurteilten an den Nebenkläger Lukas H. zu erstattenden Kosten auf 3.299,50 DM nebst 4% Jahreszinsen seit dem 8. Dezember 1999 festgesetzt werden.

Der weitergehende Festsetzungsantrag wird zurückgewiesen.

3. Der Beschwerdewert wird auf 1.212,20 DM festgesetzt.

4. Ein jeder der Nebenkläger trägt die Kosten des gegen ihn gerichteten Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Verurteilten.

Gründe :
I. Im vorliegenden Verfahren sind der Verurteilten mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Detmold vom 29. Juli 1999 eine Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil ihrer Tochter Jennifer Ronja (Tatzeit: 5. Mai 1997) und gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen zum Nachteil ihres am 3. Februar 1998 geborenen Sohnes Lukas (Tatzeiten: 11. August und 18. September 1998) zur Last gelegt worden. Dem Strafverfahren hatten sich Lukas H., gesetzlich vertreten durch seinen Vater Achim H., und Achim H. als Nebenkläger angeschlossen. Durch das Schwurgericht Detmold ist die Verurteilte unter Freisprechung im übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen - es handelt sich hierbei um die beiden Taten zum Nachteil des Lukas H. - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Zugleich ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe und der Maßregel sind zur Bewährung ausgesetzt worden.

Die handschriftlich aufgesetzte Urteilsformel lautet hinsichtlich der Kosten- und Auslagenentscheidung u.a.:

"Die Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen, soweit sie verurteilt worden ist."

Eine gleichlautende Kostenentscheidung befindet sich auch in der Urschrift des Urteils und in deren Ausfertigungen.

Dagegen ist im Hauptverhandlungsprotokoll als verkündete Entscheidung protokolliert:

"Die Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen, soweit sie verurteilt worden ist."

Beide Nebenkläger haben einen "modifizierten" Kostenfestsetzungsantrag unter dem 15. Februar 2000 gestellt, mit dem Kosten in Höhe von 4.901,46 DM (unter Berücksichtigung der Gebührenerhöhung des § 6 BRAGO) festgesetzt werden sollten. Zuvor war unter dem 7. Dezember 1999 die Festsetzung von Kosten in Höhe von 3.815,70 DM und Festsetzung deren Verzinslichkeit ab Antragseingang beantragt worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. März 2000 sind die "von der Verurteilten an die Nebenkläger Lukas und Achim H. zu erstattenden Kosten" antragsgemäß auf 4.901,46 DM nebst 4% Zinsen seit dem 16. Februar 2000 festgesetzt worden. Dieser Beschluss ist dem Wahlverteidiger der Verurteilten am 8. März 2000 zugestellt worden.

II. 1. Die am 21. März 2000 beim Landgericht Detmold eingegangene sofortige Beschwerde der Verurteilten vom 20. März 2000 ist zwar nicht innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44, Auflage, § 464 b Rdnr. 5 bis 7 m.w.N.) beim Landgericht Detmold eingegangen. Der Verurteilten ist jedoch in analoger Anwendung des § 44 S. 2 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der angefochtene Beschluss eine Rechtsmittelbelehrung mit dem fehlerhaften Hinweis auf eine Beschwerdeeinlegungsfrist von zwei Wochen enthält. Nach der Änderung des Rechtspflegergesetzes durch das Gesetz vom 6. August 1998 ist nämlich gemäß § 11 Abs. 1 RPflG gegen Entscheidungen des Rechtspflegers das Rechtsmittel gegeben, das nach den allgemeinen Vorschriften zulässig ist. Nach §§ 11 Abs. 3 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist gegen Entscheidungen des Rechtspflegers sofortige Beschwerde zulässig, wobei sich das Beschwerdeverfahren nach überwiegender Ansicht, der der Senat folgt, nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung richtet. Danach bestimmt sich die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 311 Abs. 2 StPO.

2. Die nach der Wiedereinsetzung zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Verurteilte wendet sich zu Recht gegen die Festsetzung von notwendigen Auslagen der Nebenkläger, soweit diese den Betrag von 3.299,50 DM übersteigen.

a) Zunächst ist klarzustellen, dass die Verurteilte nach der rechtskräftigen Kostenentscheidung des zugrundeliegenden Urteils nur dem Nebenkläger Lukas H. die notwendigen Auslagen zu erstatten hat. Gleichgültig, ob man die Formulierung aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ("des Nebenklägers") oder aus der handschriftlich niedergelegten Urteilsformel und dem schriftlichen Urteil ("der Nebenkläger") zugrunde legt, wird durch die in beiden Fällen angefügte Einschränkung "soweit sie verurteilt worden ist" deutlich, dass nur die dem Nebenkläger Lukas H. erwachsenen notwendigen Auslagen von der Verurteilten zu tragen sind. Soweit sich nämlich Achim H. als Vater der verstorbenen Jennifer Ronja H. gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen hatte, ist keine Verurteilung, sondern Freispruch der Angeklagten erfolgt. Die dem Nebenkläger Achim H. entstandenen notwendigen Auslagen sind daher nach der Kostengrundentscheidung von ihr nicht zu erstatten.

Als Vater des Verletzten Lukas H. hatte der Nebenkläger Achim H. kein eigenes Recht, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen (vgl. § 395 StPO). Der Umstand, dass er als gesetzlicher Vertreter insoweit die Nebenklagerechte für seinen Sohn Lukas H. wahrgenommen hat, führt nicht dazu, dass deshalb die Erhöhungsgebühr gemäß § 6 BRAGO anfällt (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 14. Auflage, § 6 Anm. 8; Riedel-Sußbauer, BRAGO, 8. Auflage, § 6 Rdnr. 10).

b) Nach §§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO hat die Verurteilte dem Nebenkläger Lukas H. die gesetzlichen Gebühren und Auslagen der Rechtsanwältin zu erstatten, die für ihn als Verfahrensbevollmächtigte tätig geworden ist. Darunter sind bei Rahmengebühren in Strafsachen die Gebühren zu verstehen, die der Nebenklägervertreter nach §§ 95, 83 ff. BRAGO unter Zugrundelegung der Bemessungskriterien des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO berechnen kann. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO ist die von der Nebenklägervertreterin vorgenommene Gebührenbestimmung, die die Rechtspflegerin hier übernommen hat, jedoch dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Wann eine Gebührenbestimmung unbillig ist, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht allgemein festgelegt und braucht auch hier nicht abschließend entschieden zu werden. Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., § 12 Anm. 9), die auch vom 2. Senat des Oberlandesgerichts Hamm (StV 1998, 612 sowie Beschluss vom 7. Juli 1999 - 2 Ws 179/99 -) und vom erkennenden Senat geteilt wird, ist eine die als billig erscheinende Gebühr um zumindest 20% übersteigende Gebührenfestsetzung als unverbindlich anzusehen.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen.

Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist gegen die von der Nebenklägervertreterin in Ansatz gebrachte Gebühr nach §§ 12, 95, 84 BRAGO in Höhe von 600,00 DM weder dem Grunde noch der Höhe nach etwas zu erinnern. Dem Nebenklägervertreter entsteht die Gebühr aus § 84 BRAGO mit der Tätigkeit in Bezug auf die Nebenklage (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O.; § 95 Anm. 2; Riedel-Sußbauer, a.a.O., § 95 Rdnr. 6). Eine derartige Tätigkeit hat die Nebenklägervertreterin soweit aktenkundig zumindest erstmals am 10. November 1998 entwickelt. Dass diese zumindest in knapp durchschnittlichem Umfang frühzeitig in das Verfahren eingebunden war, lässt sich der Vernehmung des Nebenklägers Achim H. vom 16. Dezember 1998 entnehmen, der den Ermittlungsbehörden angeboten hat, weitere Unterlagen bezüglich der Geschehnisse über die Nebenklägervertreterin zur Verfügung zu stellen. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass vorliegend der Gebührenrahmen für Schwurgerichtssachen zugrunde zu legen ist, eine Verurteilung jedoch nicht wegen des Tatvorwurfs erfolgt ist, der die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründet hat, ist der deutlich unter der Mittelgebühr liegende Gebührenansatz für das Vorverfahren nicht als unbillig zu erkennen.

Anders verhält es sich dagegen mit der Gebühr für den ersten Hauptverhandlungstag. Der Ansatz von 1.800,00 DM durch die Nebenklägervertreterin ist deutlich übersetzt und damit nicht verbindlich. Angemessen ist hier die Festsetzung der Mittelgebühr aus §§ 95, 83 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO in Höhe von 1.355,00 DM.

Die Bedeutung der Sache für den Nebenkläger Lukas H. ist zwar für sich genommen als hoch einzuschätzen, unter Berücksichtigung jedoch des Umstandes, dass hier der Gebührenrahmen für Schwurgerichtssachen mit regelmäßig hoher Bedeutung für den nebenklageberechtigten Betroffenen zu Grunde zu legen ist, als durchschnittlich anzusehen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind auch unter Berücksichtigung der kinderärztlichen Stellungnahmen und des umfangreichen gerichtsmedizinischen Gutachtens, das sich auch zu den Straftaten zum Nachteil des Lukas H. verhält, sowie der beiden umfangreichen psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachten zur Schuldfähigkeit der Verurteilten und zur Frage ihrer Unterbringung gemäß § 63 StGB insgesamt ebenfalls als durchschnittlich (im Vergleich zu anderen Schwurgerichtssachen) einzustufen. Die Dauer der Hauptverhandlung des ersten Verhandlungstages betrug nach Abzug der Pausen 6 Stunden 15 Minuten, was ebenfalls für Schwurgerichtssachen als durchschnittlich angesehen werden muß. Gleiches gilt für den Aktenumfang und die dafür erforderliche Bearbeitungszeit. Auch hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist von durchschnittlicher Leistungskraft auszugehen, weil insoweit auf einen entsprechenden Freistellungsanspruch des Nebenklägers Lukas H. gegen seinen Vater abzustellen ist. Insgesamt sind somit keine Umstände zu erkennen, die Anlass dazu geben, von der Mittelgebühr abzuweichen.

Die in Ansatz gebrachte Mittelgebühr für den zweiten Verhandlungstag in Höhe von 720,00 DM ist noch angemessen und wird auch von der Verurteilten nicht angegriffen. Die Dauer war mit 2 Stunden 5 Minuten zwar kurz, an diesem Tage waren jedoch die Schlussvorträge zu halten und die Ausführungen der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers auf Ergänzungs- bzw. Erwiderungsbedürftigkeit zu prüfen.

Die Fotokopiekosten in Höhe von 139,40 DM (das entspricht 348 Kopien) für die Erstellung eines Aktenauszuges sind angemessen.

c) Folgende Gebühren waren daher festzusetzen:
Vorverfahrensgebühr
gemäß §§ 95, 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO

600,00 DM

Gebühr gemäß §§ 95, 83 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO

1.355,00 DM

Gebühr gemäß §§ 95, 83 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO

720,00 DM

Gebühr gemäß § 26 BRAGO

30,00 DM

Fotokopiekosten
gemäß § 27 BRAGO

139,40 DM

Umsatzsteuer
gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO

455,10 DM

insgesamt also
3.299,50 DM.

Diese Kosten waren auf Antrag der Nebenklägervertreterin ab Zugang des Antrages (8. Dezember 1999) verzinslich zu stellen, § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 7 und einer entsprechenden Anwendung von §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 1.


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