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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws-L-5/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, wann ausnahmsweise auch bei Ablehnung der bedingten Entlassung nicht von der Heranziehung eines Sachverständigen abgesehen werden kann.
Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: bedingte Entlassung, lebenslange Freiheitsstrafe, Erforderlichkeit der Zuziehung eines Sachverständigen, Vollzugslockerungen

Normen: StGB 57 a, StGB 57, StPO 454 Abs. 2 Satz 1

Beschluss: Strafvollstreckungssache gegen A.K. wegen Mordes u. a., (hier: Sofortige
Beschwerde des Verurteilten gegen die Versagung der bedingten Entlassung gemäß § 57 a StGB).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 5. April 2000 gegen den Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn vom 23. März 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.07.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.

Gründe:
Die 16. große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf hat gegen den Verurteilten am 19. Dezember 1980 wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe und wegen Vergewaltigung eine weitere von vier Jahren verhängt. Beide Strafen wurden durch Beschluss der Strafkammer vom 2. Juni 1986 auf eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Verurteilte in der Nacht zum 14. Oktober 1979 in der gemeinsam mit dem Tatgenossen D.O. bewohnten Unterkunft in Düsseldorf-Wersten die damals 21 Jahre alte D.K., die O. zuvor auf dem Heimweg überfallen und gewaltsam in die Wohnung verbracht hatte, vergewaltigt und sie anschließend zur Verdeckung dieser Straftat sowie der vorausgegangenen Vergewaltigung durch O. gemeinsam mit diesem erdrosselt.

Die durch Beschluss des Senats vom 21. Oktober 1993 (1 Ws-L- 17/93) wegen der besonderen Schwere der Schuld gebotene Mindestvollstreckungsdauer von 19 Jahren hat der Betroffene seit dem 18. Oktober 1998 verbüßt.

Die Strafvollstreckungskammer hat, nachdem sie bereits zuvor mit Beschluss vom 23. Februar 1999 (52 StVK 1317/97) eine gleichlautende Entscheidung getroffen hatte, die bedingte Entlassung des Verurteilten nach Einholung einer die Aussetzung des Strafrestes ablehnenden Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft und einer gleichfalls negativen Äußerung der Justizvollzugsanstalt Rheinbach abgelehnt, weil unter Berücksichtigung des Sicherungsinteresses der Allgemeinheit noch nicht verantwortet werden könne, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzuges keine neuen Straftaten mehr begehen werde. Die Kammer ist der Auffassung, dass trotz einer zuletzt positiven Entwicklung des Verurteilten im Vollzug zunächst seine Erprobung in Lockerungen, insbesondere im Rahmen der Urlaubsgewährung vor einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung unabdingbar seien. Beanstandungsfrei absolvierte Fachdienstausführungen seien im Hinblick auf die Schwere der dem Verurteilten zur Last gelegten Straftaten nicht ausreichend, um das Erprobungsrisiko eingehen zu können. Grundlage dieser Entscheidung war auch das von der Strafvollstreckungskammer bereits im Verfahren 52 StVK 1317/97 eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. P. vom 11. Mai 1998 und das von eben dieser Sachverständigen erstellte weitere kurze Zusatzgutachten vom 26. Januar 1999.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er im Wesentlichen beanstandet, dass die nicht rechtzeitige Gewährung von Vollzugslockerungen auf einer zögerlichen Vollzugsgestaltung beruhe, deren Ursache nicht in seiner Person liege.

Das Rechtsmittel hat einen - zumindest vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sowie zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer.

Die Strafvollstreckungskammer hat bei der von ihr gemäß §§ 57 a Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 2 StGB zu treffenden Entscheidung verabsäumt, entsprechend § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten einzuholen.

Allerdings zwingt die letztgenannte Bestimmung das Strafvollstreckungsgericht nicht ausnahmslos, einen Sachverständigen zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 57 a StGB heranzuziehen. Dies ist nur dann unerlässlich, wenn das Gericht eine Entlassung erwägt. Ist demgegenüber davon auszugehen, dass eine Entlassung ohnehin aufgrund bestimmter Umstände nicht in Betracht kommen kann, bedarf es der Heranziehung eines Sachverständigen nicht (BGH NJW 2000, 1663; vgl. auch Senatsbeschluss 1 Ws 209/99 OLG Hamm).

Die Voraussetzungen, von der Mitwirkung eines Sachverständigen abzusehen, sind jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben, da hier die Strafvollstreckungskammer nicht ohne weiteres davon ausgehen durfte, dass eine bedingte Entlassung ohnehin nicht in Betracht kommen konnte. Dies folgt insbesondere nicht aus der früheren sachverständigen Begutachtung des Verurteilten.

Zwar ist der Verurteilte - trotz durchgehend guter Führung und guten Arbeitsleistungen im Vollzug - zuletzt noch von der Sachverständigen Dr. P. am 11. Mai 1998 sozialprognostisch ungünstig beurteilt worden: Es seien zwar keine aggressiven Neigungen zu erkennen. Der Verurteilte sei aber emotional kaum ansprechbar, möchte in Ruhe gelassen werden und lehne jede therapeutische Hilfe ab, so dass auch keine merkliche Auseinandersetzung mit der Tat erfolge. Dies deckte sich mit den damaligen Beobachtungen der Justizvollzugsanstalt.

Aber schon aus einem Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 12. August 1998 ergab sich, dass der Verurteilte danach schnell Bereitschaft zeigte, an therapeutischen Sitzungen teilzunehmen. In einem von der Strafvollstreckungskammer eingeholten Zusatzgutachten vom 26. Januar 1999 kam die Sachverständige Dr. P. - nach Rücksprache mit dem Psychotherapeuten W. - dann auch zu einem ganz anderem Ergebnis: In der Zwischenzeit sei ein merklicher Sinneswandel bei dem Verurteilten festzustellen, der Verurteilte könne sich mitteilen, er sei bereit, sich mit seiner früheren Sexualität auseinander zu setzen und beginne mit der Tataufarbeitung. Die therapeutischen Maßnahmen versprächen Erfolg und stellten die Basis für eine zukünftig günstigere Sozialprognose dar. In der mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 23. Februar 1999 bestätigte die Sachverständige diesen Eindruck, stellte einen großen Fortschritt im Vergleich zur Begutachtung vom 11. Mai 1998 fest und empfahl weitere Therapiesitzungen.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen lehnte die Strafvollstreckungskammer zwar am 23. Februar 1999 eine bedingte Entlassung ab, hielt aber in Ansehung der günstigen Entwicklung eine erneute Überprüfung schon im September 1999 für angebracht. Zuvor hatte auch die Justizvollzugsanstalt auf wesentliche Fortschritte bei der Neuorientierung des Verurteilten und auf dessen eigenes Interesse an der Fortsetzung der therapeutischen Behandlung hingewiesen.

Nach dem Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 17. Dezember 1999 hat sich die positive Entwicklung fortgesetzt. Gegenteiliges ist auch der vom Senat ergänzend eingeholten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 23. Juni 2000 nicht zu entnehmen.

Nach allem bieten weder die bisherigen Sachverständigenäußerungen noch das nunmehrige Verhalten des Verurteilten im Vollzug Anlass, von einer neuerlichen Begutachtung abzusehen. Im Gegenteil lässt die erfreuliche Entwicklung in den letzten beiden Jahren eine nunmehr günstigere Beurteilung der Prognosefrage durch einen Sachverständigen jedenfalls nicht als von vornherein ausgeschlossen erscheinen.

Bei dieser Sachlage rechtfertigt auch der von der Strafvollstreckungskammer als maßgeblich für die ablehnende Entscheidung angeführte Umstand, dass dem Verurteilten noch keine aussagekräftigen Lockerungen gewährt worden sind, kein anderes Ergebnis und kann nicht dazu führen, im Sinne der vorstehend dargelegten Grundsätze von der Beiziehung eines Sachverständigen ausnahmsweise abzusehen.

Der Bewährung eines langfristig einsitzenden Verurteilten bei weitgehenden und länger andauernden Vollzugslockerungen kommt zwar ein ganz erheblicher Stellenwert für die Bejahung einer positiven Legalprognose zu. Sind andere aussagekräftige Erkenntnismöglichkeiten nicht gegeben - etwa weil sonst ein Sachverständiger aufgrund besonderer Umstände in der Person des Verurteilten ein abschließendes Prognoseurteil nicht abgeben kann -, so ist eine längerfristige Lockerungsbewährung unerlässliche Voraussetzung für eine günstige Prognosebeurteilung und damit für eine bedingte Entlassung. Andernfalls muss jedenfalls bei Gewalttätern, von denen im Wiederholungsfall erhebliche Gefahren ausgehen, die Entlassung im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit versagt werden. Dies muss nach Auffassung des Senats in Ansehung dieser Sicherheitsinteressen jedenfalls bei solchen Tätern selbst dann gelten, wenn dem Verurteilten Lockerungen aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen von den Vollzugsbehörden verweigert worden sind, wie es vorliegend möglicherweise in den letzten Jahren der Fall gewesen ist (vgl. hierzu aber auch Bundesverfassungsgericht NStZ 98, 373; NStZ 2000, 109 und diesem folgend OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 187).

Einer solchen Lockerungsbewährung bedarf es jedoch ausnahmsweise dann nicht notwendig, wenn die Möglichkeit anderer ausreichend sicherer Beurteilungsgrundlagen besteht und es - wie im vorliegenden Fall - insbesondere nicht auszuschließen ist, dass eine sachverständige Prognosebeurteilung unter Berücksichtigung der Person des Verurteilten, der Gründe seiner Delinquenz, seiner Entwicklung im Vollzug und seiner Bereitschaft am Vollzugsziel mitzuarbeiten, auch ohne Bewährung bei Lockerungsmaßnahmen zu einem positiven Prognoseergebnis führen könnte.

Ob dies vorliegend der Fall ist, kann ohne sachverständige Beratung nicht sicher beurteilt werden.

Nach allem durfte die Strafvollstreckungskammer die Entscheidung über die bedingte Entlassung nicht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen treffen.

Die Strafvollstreckungskammer wird nunmehr Feststellungen zum weiteren Verhalten und der weiteren Entwicklung des Verurteilten im Vollzug sowie zu seiner Bereitschaft, am Vollzugsziel mitzuarbeiten, zu treffen haben, ein erneutes Gutachten zur Legalprognose einzuholen und sodann nach mündlicher Anhörung auch des Sachverständigen erneut über die Frage einer bedingten Entlassung zu entscheiden haben.

Sollte dann die Prognose günstig ausfallen, dem Verurteilten aber auch in der Zwischenzeit gleichwohl noch keine weiterführenden Lockerungen gewährt worden sein, könnte die Strafvollstreckungskammer von § 454 a StPO Gebrauch machen und eine längere Frist zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen bestimmen. Sollte sich der Verurteilte dabei dann nicht in der vorausgesetzten Weise bewähren und damit eine Korrektur der Prognoseentscheidung nötig werden, könnte die Entlassungsentscheidung von der Strafvollstreckungskammer gemäß § 454 a Abs. 2 StPO wieder aufgehoben werden.


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