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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 BL 306/98 OLG Hamm

Gericht: OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: BL6

Stichworte: vorübergehende starke Belastung, Berechnung der 6-Monats-Frist, Erweiterung des Haftbefehls, Haftverschonung, mehrere Taten, neuer Haftbefehl aufgrund neuer Tat, Totschlag

Beschluss: Strafsache gegen W. E.,
wegen Totschlags u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten (6 Bände Zweitakten) zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht Jürgensen nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: Der Angeklagte ist zunächst in dem damaligen - inzwischen verbundenen - Verfahren 41 Js 408/98 StA Hagen am 31. Mai 1998 in Hagen vorläufig festgenommen und aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 1. Juni 1998 (66 Gs 725/98) an diesem Tage in Untersuchungshaft genommen worden.
Mit diesem Haftbefehl ist dem Angeklagten vorgeworfen worden, am 31. Mai 1998 in Norddeich ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben. Nachdem dieses Verfahren an die Staatsanwaltschaft Aurich abgegeben und die weiteren richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich auf die Untersuchungshaft beziehen, dem Amtsgericht Aurich übertragen worden waren, hat dieses am 10. Juli 1998 den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und den Angeklagten vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Der Angeklagte wurde noch am selben Tage aus der JVA Emden, in die er inzwischen verlegt worden war, entlassen.
Aufgrund des neuen Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 13. Juli 1998 (66 Gs 881/98) ist der Angeklagte am 14. Juli 1998 erneut festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft in der JVA Hagen.
Mit diesem Haftbefehl wird ihm zur Last gelegt, seine ehemalige Lebensgefährtin Anneliese Nolte in Hagen in der Nacht zum 13. Juli 1998 mittels eines Halstuches erdrosselt zu haben (§ 212 StGB).
Nachdem die Staatsanwaltschaft Hagen das ursprüngliche Verfahren 41 Js 408/98 (wegen schwerer Brandstiftung) wieder übernommen hatte und dieses sowie das weitere Verfahren 382 Js 74/98 (wegen am 29. Mai 1998 begangener Taten) mit dem neuen Verfahren 41 Js 513/98 (wegen Totschlags) verbunden hatte, hat sie am 20. November 1998 vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hagen Anklage erhoben. Entsprechend dieser Anklage hat die Schwurgerichtskammer am 30. November 1998 unter Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 1. Juni 1998 den Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 13. Juli 1998 ergänzt und neu gefaßt und diesen dem Angeklagten am 4. Dezember 1998 verkündet.
Mit dem neu gefaßten Haftbefehl vom 30. November 1998 wird dem Angeklagten nunmehr zur Last gelegt, seine frühere Lebensgefährtin Anneliese Nolte am 29. Mai 1998 nach einer verbalen Auseinandersetzung ca. 2 Stunden gegen ihren Willen am Verlassen ihrer Wohnung gehindert zu haben und, nachdem sie dann doch habe fliehen können, aus Verärgerung über dieses Verhalten die gesamte Wohnungseinrichtung mittels Lackfarbe verwüstet, Kleidungsstücke mit einem Messer zerstört sowie zwei in der Garage befindliche Fahrzeuge ebenfalls mit nicht abwischbarer Farbe verschmiert zu haben, wodurch ein Schaden von mindestens 50.000,- DM angerichtet worden sei (Ursprungsverfahren 382 Js 74/98).
Ferner soll der Angeklagte in den Morgenstunden des 31. Mai 1998 nach vorheriger Zerstörung von Einrichtungsgegenständen mittels eines Brandbeschleunigers das im Eigentum des getrenntlebenden Ehemannes der Frau Nolte stehende Ferienhaus in Norddeich in Brand gesetzt und dadurch einen Schaden an Gebäudeteilen von mindestens 60.000,- DM verursacht haben (Ursprungsverfahren 41 is 408/98).
In der Nacht zum 13. Juli 1998 soll er mittels eines Halstuchs Anneliese Nolte in deren Wohnung in Hagen erdrosselt und anschließend aus der Garage einen dort abgestellten PKW entwendet haben und mit diesem unter erheblichem Alkoholeinfluß sowie ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein über öffentliche Straßen nach Essen gefahren sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch wegen des dem Angeklagten im einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den Haftbefehl des Landgerichts Hagen vom 30. November 1998 sowie auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hagen vom 20. November 1998 Bezug genommen.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.
Es besteht gegen den Angeklagten, der sich inzwischen weitgehend geständig eingelassen hat, dringender Tatverdacht bezüglich der ihm zur Last gelegten Taten. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Anklage das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend zusammengefaßt, so dass zur Vermeidung von Wiederholungen wegen des dringenden Tatverdachts auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug genommen wird. Ob dabei die Tötungshandlung als Totschlag gemäß § 212 StGB oder als Mord gemäß § 211 StGB rechtlich einzuordnen sein wird, muss letztlich dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.
Jedenfalls besteht gegen den Angeklagten der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO, da ihm die vorsätzliche Tötung eines Menschen zur Last gelegt wird. Nach den Umständen des Falles ist auch nicht auszuschließen, dass der Angeklagte, der bereits erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, der über keine festen sozialen Bindungen verfügt und der mit einer ganz erheblichen langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen hat, sich im Fall seiner Freilassung dem weiteren Verfahren durch Flucht entziehen würde (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 112 Rdnr. 37 m.w.N.).
Der Zweck der Untersuchungshaft lässt sich deshalb auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO erreichen.
Die bisher gegen den Angeklagten vollzogene sowie die weitere Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Tatvorwürfe und der im Verurteilungsfall zu erwartenden Freiheitsstrafe.
Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen.
Der Senat hatte seine Entscheidung darüber, ob die Untersuchungshaft wegen derselben Tat i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden darf, auch erst jetzt zu treffen, da für die Berechnung dieser Frist die Untersuchungshaft vom 1. Juni bis 10. Juli 1998 nicht zu berücksichtigen war, sondern erst die seit dem 14. Juli 1998 vollzogene Untersuchungshaft.
Bei der einem späteren Haftbefehl zugrundeliegenden Tat handelt es sich nur dann um dieselbe i.S.v. § 121 StPO, wenn die spätere bereits in den ersten Haftbefehl hätte aufgenommen werden können. An dieser Möglichkeit fehlt es aber, wenn wie hier die weitere Tat nach der Außervollzugsetzung des ersten Haftbefehls begangen wurde. In diesem Fall rechnet die sechsmonatige Frist nach § 121 StPO erst ab der erneuten Inhaftierung (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1996, 553; OLG Celle - 1. Strafsenat NStZ 1990, 535 und NJW 1969, 1866; KG JR 1967, 231; OLG Karlsruhe, Die Justiz, 1983, 85; OLG Oldenburg, NJW 1967, 2371 = JZ 1968, 341; KK-Boujong, StPO, 3. Aufl., _121 Rdnr. 12; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 121 Rdnr. 15 jeweils m.w.N.).
Bei der vorliegenden Fallkonstellation verschafft allein diese Auslegung des Begriffs derselben Tat i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO Klarheit in der Berechnung und schließt andererseits die Möglichkeit von Manipulationen aus.
Der Gegenmeinung, die - soweit ersichtlich - bislang allein vom 3. Strafsenat des OLG Celle (NStZ 1989, 243) und vom OLG Schleswig (StV 1983, 466) vertreten worden ist, ist daher nicht zu folgen.
Im übrigen entspricht die hier vertretene Auffassung nicht nur der eindeutig herrschenden Meinung, sondern auch der ständigen Rechtsprechung des Senats. Bereits im Beschluss vom 2. Januar 1991 (2 BL 357/90) hatte der Senat in diesem Zusammenhang nämlich folgendes ausgeführt:
"Eine am Schutzzweck des § 121 Abs. 1 StPO orientierte Auslegung dieser Vorschrift (vgl. dazu BVerfG in StV 1990, 555) führt zu dem Ergebnis, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, die aus Anlass einer neuen Straftat veranlaßte Untersuchungshaft des Beschuldigten, der diese neue Straftat nach seiner Haftverschonung begangen haben soll, hinsichtlich ihrer grundsätzlich eng begrenzten zulässigen Höchstdauer von 6 Monaten um die Dauer der bis zur Haftverschonung erlittenen Untersuchungshaft abzukürzen und einem solchen Beschuldigten einen erhöhten Beschleunigungsanspruch zuzubilligen. Verübt der Beschuldigte beispielsweise die neue Tat zusammen mit einem bis dahin nicht in Untersuchungshaft gewesenen Mittäter, gegen den aus diesem Anlass ebenfalls die Untersuchungshaft angeordnet wird, so ist nicht logisch nachvollziehbar begründbar, warum ein solcher Beschuldigter wegen der bis zu seiner Haftverschonung erlittenen Untersuchungshaft im Verhältnis zu seinem Mittäter wesentlich früher als dieser einen Anspruch auf Haftprüfung durch das Oberlandesgericht haben sollte."
Es ist nicht nachvollziehbar, warum den Strafverfolgungsbehörden für die Ermittlungen und die erforderlichen Untersuchungen bis zum Erlass eines Urteils wegen einer nach früherer Haftentlassung begangenen Tat, deren Aufklärung allein sich besonders umfangreich oder schwierig gestalten kann, nicht die vollen sechs Monate bis zur Notwendigkeit der Vorlage an das Oberlandesgericht zur evtl. Anordnung weiterer Untersuchungshaft zur Verfügung stehen soll.
Diese Berechnung der Sechsmonatsfrist gilt auch dann, wenn nach Verfahrensverbindung - wie hier - ein neuer Haftbefehl ergeht, der die sowohl vor als auch nach der Haftunterbrechung begangenen Taten aufführt (vgl. den zuvor zitierten Senatsbeschluss vom 2. Januar 1991, dem bereits ein solcher Sachverhalt zugrundelag; KG a.a.O.).
Unter den genannten Gesichtspunkten ist das Verfahren auch nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes hinreichend gefördert worden. Angesichts der vom Angeklagten begangenen Straftaten, seiner auch aus früheren Verfahren bekanntgewordenen Persönlichkeit und im Hinblick auf die großenteils nicht unerhebliche alkoholische Beeinflussung zum Zeitpunkt der Taten lag die Notwendigkeit der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit auf der Hand. Die Erstattung dieses Gutachtens verzögerte sich zunächst dadurch, dass der Angeklagte anfangs nicht bereit war, an einer Exploration mitzuwirken. Nachdem er seine Meinung jedoch geändert hat, hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren besonders zügig abgeschlossen, indem sie die Anklage nach vorheriger mündlicher Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Untersuchung erhoben hat noch bevor das insgesamt 152 Seiten umfassende schriftliche Gutachten vom 23. November 1998 zu den Akten gereicht worden war.
Nachdem die Schwurgerichtskammer die Haftanordnung dem gegenwärtigen Verfahrensstand angepaßt hatte, hat sie mit Beschluss vom 14. Januar 1999 das Hauptverfahren eröffnet und Termin auf den 10. März 1999 mit fünf Fortsetzungstagen bis zum 26. März 1999 bestimmt. Damit liegen zwischen Eingang der Anklage und Beginn der Hauptverhandlung fast vier Monate, was an sich auf Dauer und in der Pegel nicht hinnehmbar ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 1999 - 2 BL 316/98).
Dies ist hier jedoch letztlich nicht zu beanstanden. Einerseits hat die Schwurgerichtskammer in noch angemessener Zeit durch Erlass und Verkündung des neuen Haftbefehls und den Erlass des Eröffnungsbeschlusses dem Verfahren Fortgang gegeben und in noch vertretbarer Zeit vor allem im Hinblick auf die Anzahl der vorgesehenen sechs Hauptverhandlungstage sowie die große Anzahl der geladenen 26 Zeugen und 2 Sachverständigen den Beginn der Hauptverhandlung festgesetzt. Zudem ist dem Senat aus weiteren Verfahren bekannt, dass die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hagen zur Zeit mit Haftsachen stark belastet ist. Diese vorübergehende starke Belastung beruht u.a. jedoch auch auf einem umfangreichen Verfahren, welches bereits im Herbst 1998 begonnen hat und unvorhergesehenerweise bislang noch nicht abgeschlossen werden konnte. Mit dem Abschluß des vorliegenden Verfahrens Ende März 1999 ist im übrigen nach Mitteilung des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer voraussichtlich das Ende der besonders starken Belastungen mit Haftsachen erreicht.

Die Nebenentscheidung betreffend die Übertragung der weiteren Haftprüfung beruht auf § 122 Abs. 3 S.3 StPO.


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