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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ws 425 - 428/98 OLG Hamm

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: gemeinsame Zweidrittelentscheidung, widerrufene Strafreste als Anschlußvollstreckung, Widerruf, Anhörung, Antrag des Verurteilten

Normen: StPO 454 b Abs. 2, StrVollstrO 43 Abs. 2


Beschluss: Strafsache gegen P.F.,
wegen Betruges.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 09.10.1998 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26.11.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Verfahren werden zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen, welche auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

Gründe:
Gegen den Verurteilten wurde bis zum 08.05.1998 Freiheitsstrafe in dem Verfahren 31 VRs 1283/96 StA Köln vollstreckt. Die Vollstreckung ist zu diesem Zeitpunkt gemäß § 454 b Abs. 2 StPO unterbrochen worden. Seitdem ist der Verurteilte für das Verfahren 37 VRs 78.4/95 StA Bonn inhaftiert. 2/3 der in diesem Verfahren erkannten Freiheitsstrafe sind am 26.11.1998 verbüßt. Im Anschluß daran sind zwei Restfreiheitsstrafen (45 Tage von ursprünglich 1 Jahr 5 Monaten, 31 VRs 1217/92 StA Köln und 81 Tage von ursprünglich acht Monaten, 37 VRs 954.3/89 StA Bonn) zu verbüßen. Mit Stellungnahme vom 28.08.1998 hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt Attendorn die Aussetzung der Freiheitsstrafen zur Bewährung befürwortet. In der Erklärung des Gefangenen, in welcher er sich mit der bedingten Entlassung einverstanden erklärt, sind sämtliche noch zu verbüßenden Reststrafen angeführt. Die Staatsanwaltschaft Bonn, welche bislang allein angehört wurde, hat die Entlassung des Verurteilten in das Ermessen des Gerichts gestellt. Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer eine Entscheidung über die bedingte Entlassung des Verurteilten abgelehnt und die Staatsanwaltschaft Bonn angewiesen, die Vollstreckung in dem Verfahren 37 VRs 78.4/95 am 26.11.1998 zu unterbrechen. Sie hat die Ansicht vertreten, dass eine Entscheidung über die Strafaussetzung derzeit gemäß § 454 b Abs. 3 StPO noch nicht erfolgen könne, da gemäß § 454 b Abs. 2 S.2 StPO zunächst die Reststrafen in den Verfahren 31 VRs 1217/92 StA Köln und 37 VRs 954.3/89 StA Bonn zu verbüßen sind. Über die Strafaussetzung bezüglich dieser Strafen könne jedenfalls nicht von Amts wegen entschieden werden. Dies ergebe sich aus der Bestimmung des § 454 b Abs. 2 S.2 StPO. Wegen der weiteren Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Bonn mit ihrer sofortigen Beschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaften in Köln und Hamm beigetreten sind.

Die sofortige Beschwerde hatte - zumindest vorläufigen - Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft in Köln hat u.a. folgendes ausgeführt:

"Entgegen der Ansicht der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen begehrt der Verurteilte die Aussetzung des Restes aller Freiheitsstrafen zur Bewährung.
Am 26. November 1998 werden alle noch zu vollstreckenden Strafen zu 2/3 verbüßt sein, so dass an diesem Tag grundsätzlich Aussetzungsreife i.S.v. § 57 StGB eintreten wird. Zwar hat der Verurteilte einen ausdrücklichen Aussetzungsantrag nicht gestellt. Nachdem indes die Justizvollzugsanstalt Attendorn in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen hat, dass nach ihrer Ansicht der Zeitpunkt für eine gemeinsame 2/3-Entscheidung in allen noch zu vollstreckenden Strafen am 26. November 1998 erreicht sein wird, und sie eine entsprechende Aussetzung befürwortet hat, durfte der Verurteilte, der sowohl der Stellungnahme als auch dem Vorschlag zugestimmt hat, davon ausgehen, dass es eines ausdrücklichen Antrags von seiner Seite nicht bedurfte. Zu seinen Gunsten ist seine Zustimmung zur Stellungnahme und zu den Anregungen der Justizvollzugsanstalt daher dahin auszulegen, dass er die Aussetzung der Strafreste zur Bewährung begehrt.

Soweit die Kammer vom Fehlen eines entsprechenden Antrags ausgegangen ist, hätte es sich ihr aufdrängen müssen, den Verurteilten entsprechend zu befragen und auf die ihrer Ansicht nach bestehende Antragspflicht hinzuweisen.

Im Übrigen ist entgegen der Ansicht der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen mit dem 26. November 1998 der Zeitpunkt erreicht, zu dem über die Aussetzung des Restes aller noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafen - auch von Amts wegen - zu entscheiden ist, weil § 454b Abs.2 S.2 StPO - jedenfalls bei vorliegender Vollstreckungssituation - die Verbüßung der beiden Restfreiheitsstrafen, die nach Widerruf der gemäß § 57 StGB bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung zu vollstrecken sind, nicht erzwingt.

§ 454 b StPO ist eine reine Ordnungsvorschrift. Mit seiner Einführung durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13. April 1996 (BGBl. I, 393) wurde lediglich eine gleichlautende Regelung aus der Strafvollstreckungsordnung in die Strafprozeßordnung übernommen, um eine Bindung der Gerichte an die ursprüngliche - nur die Staatsanwaltschaften bindende - Verwaltungsvorschrift zu erreichen (vgl. BGH NStZ 1991, 205).

Grundsätzliches Ziel des § 454b StPO ist es, auf einen möglichst frühen gemeinsamen Zeitpunkt hinzuwirken, zu dem über die Strafaussetzung der Reste aller zu verbüßenden Freiheitsstrafen einheitlich entschieden werden kann. Zu Gunsten des Verurteilten wird daher, um diesen Zeitpunkt so früh wie möglich erreichen zu können, bestimmt, dass die Vollstreckung der einzelnen Freiheitsstrafen zu demjenigen Zeitpunkt, zu dem bezüglich der jeweiligen Strafe eine bedingte Aussetzung in Betracht kommen könnte, zu unterbrechen ist. Insoweit wird für die Vollstreckung mehrerer Strafen nur das angeordnet, was sich für die Vollstreckung einer einzelnen Freiheitsstrafe bereits aus § 454 StPO i.V.m. § 57 StGB ergibt. Eine Ausnahme zu Lasten des Verurteilten regelt § 454b Abs.2 S.2 StPO insoweit, als Reste von Freiheitsstrafen, die bereits einmal teilweise vollstreckt worden sind, bei dem Bemühen um einen frühestmöglichen gemeinsamen 2/3-Termin unberücksichtigt bleiben sollen. Diese Ausnahme wird mit der unterschiedlichen Sach- und Interessenlage begründet, weil "hinsichtlich eines wegen Bewährungsversagens zu vollstreckenden Strafrests das Bedürfnis, dem Verurteilten durch Vollstreckungsunterbrechung die Chance für eine erneute Strafaussetzung zu erhalten, zumindest nicht im selben Maße wie bei anderen Freiheitsstrafen gegeben ist" (BGH NStZ 1991, 205).

Theoretisch kann diese Ausnahmeregelung sowohl Fälle betreffen, in denen lediglich das restliche Drittel zur Vollstreckung ansteht, als auch solche, in denen noch mehr als ein Drittel zu verbüßen ist, weil ursprünglich bereits vor einem 2/3-Zeitpunkt, etwa zum Halbstrafenzeitpunkt oder infolge Gnadenerweises eine Aussetzung zur Bewährung gewährt worden ist.

Geht man von der vorgenannten Entstehungsgeschichte des § 454 Abs.2 S.2 StPO sowie dem Normalfall der Vollstreckung aus, wie er in § 43 Abs.2 lit. a Strafvollstreckungsordnung vorgesehen ist, dass nämlich zuerst die nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen von bis zu 2 Monaten und danach die Strafreste, deren Vollstreckung bereits einmal nach § 57 StGB oder im Gnadenwege zur Bewährung ausgesetzt war, zu vollstrecken sind, so kann die Regelung des § 454b Abs.2 S.2 StPO bereits rein tatsächlich (bei regelmäßiger Vollstreckung) nur solche Fälle betreffen, in denen der Rest der ausgesetzten Freiheitsstrafe noch nicht zu 2/3 verbüßt war, weil (im Regelfall) die zu vollstreckenden restlichen Drittel vor den noch nicht verbüßten Freiheitsstrafen vollstreckt werden (so auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl. § 454b Rndnr. 3).

Ob in diesen (Regel-) Fällen eine erneute Unterbrechung zu dem Zeitpunkt, in dem die widerrufenen Reste zu 2/3 verbüßt sind, zulässig ist oder nicht, kann indes vorliegend dahinstehen (bejahend: OLG Düsseldorf StV 1993, 257, 258; OLG Hamburg, MDR 1993, 261, 262; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 221; OLG Oldenburg, NStZ 1998, 271, 272; offen gelassen: BGH NStZ 91, 205; ablehnend: OLG Naumburg, NStZ 97, 56).
Denn hier käme allenfalls eine entsprechende - ausweitende - Anwendung des § 454b Abs.2 S.2 StPO in Betracht. Denn vorliegend sind - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise und abweichend von der Regelung des § 43 Abs.2 Strafvollstreckungsordnung - die beiden zu vollstreckenden Freiheitsstrafen vor den noch zu Vollstreckung anstehenden widerrufenen Reststrafen vollstreckt worden. Hieraus hat sich für den Verurteilten eine grundsätzlich andere Situation ergeben, weil er sich über einen längeren Zeitraum im Vollzug befunden hat und sich damit die Sozialprognose bereits vor Verbüßung der widerrufenen Reststrafen geändert haben kann. Eine entsprechende Ausdehnung des § 454b Abs.2 S.2 StPO auf vorliegenden Fall mit der vom BGH für diese Benachteiligung des Verurteilten dargelegten Begründung (s.o.) scheidet daher aus.

Die Strafvollstreckungskammer geht im Übrigen auch insoweit fehl, als sie sich an einer Entscheidung deshalb gehindert sehen will, weil sie sich hiermit in Widerspruch zu den Widerrufsentscheidungen setzen müsste. Denn in dieser Situation befindet sie sich letztlich bei allen positiven Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung, mit denen sie sich immer in Widerspruch zu einer früheren, die Vollstreckung begründenden Entscheidung setzen muss. Die Rechtfertigung für die anders lautende Entscheidung ergibt sich nach § 57 StGB aus dem Zeitablauf und der neuen, nunmehr günstigen Sozialprognose."

Dem tritt der Senat bei. Jedenfalls kann in den Erklärungen des Gefangenen zur Stellungnahme der JVA vom 28.08.1998 ein Antrag gesehen werden, über die Strafaussetzung bezüglich aller noch ausstehenden Freiheitsstrafen zu entscheiden. Schon aus diesem Grunde durfte die Kammer eine solche Entscheidung nicht ablehnen, da auch nach Widerruf zur Verbüßung anstehende Strafreste einer - erneuten - Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich zugänglich sind (OLG Düsseldorf StV 93, 257; OLG Stuttgart Die Justiz 1984, 106; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 221; OLG Oldenburg NStZ 98, 271).

Entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft konnte der Senat jedoch nicht gemäß § 309 Abs. 2 StPO bereits in der Sache entscheiden und die zu verbüßenden Reststrafen zu Bewährung aussetzen. Denn bislang hat die gemäß § 454 Abs. 1 S.3 StPO erforderliche mündliche Anhörung des Verurteilten durch die Strafvollstreckungskammer noch nicht stattgefunden. Diese ist nach Ansicht des Senats auch nicht gemäß § 454 Abs. 1 S.4 Nr. 1 StPO entbehrlich. Zwar hat nunmehr die Generalstaatsanwaltschaft Köln - nachdem die Staatsanwaltschaft Bonn die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts gestellt hatte - eine Strafaussetzung befürwortet. Gleiches gilt für die Justizvollzugsanstalt Attendorn. Deren Stellungnahme ist jedoch wenig aussagekräftig. Sie bezieht sich im wesentlichen auf eine zuvor erstellte Stellungnahme, in der lediglich der Aussetzung nicht widersprochen wurde.
Ob tatsächlich verantwortet werden kann zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, bedarf jedoch eingehender Überprüfung. Es ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte mehrfacher Bewährungsversager ist. Eine der auszusetzenden Strafen war zunächst bereits zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafaussetzung mußte widerrufen werden. Zudem hat er bereits ihm im Rahmen des § 57 StGB gewährte Bewährungschancen nicht durchstehen können. Zur Beurteilung, ob der Verurteilte nunmehr gewillt und in der Lage ist, in Zukunft ein Leben ohne Straftaten zu führen, bedarf es eines persönlichen Eindrucks vom Verurteilten.

Der Senat hat davon abgesehen, die Anhörung selbst durchzuführen, da sich die Strafvollstreckungskammer bislang in der Sache selbst mit der Frage der Entlassung noch nicht befaßt hat und dem Verurteilten ansonsten eine Instanz verlorenginge.


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