Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 378/98 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, wann unter Berücksichtigung der Straferwartung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt und damit die weitere Haft unverhältnismäßig ist.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbefehl, weitere Haftbeschwerde, Unverhältnismäßigkeit

Normen: StPO 117, StPO 310

Beschluss: Strafsache gegen O.G.,
wegen versuchten Diebstahls u.a.,
hier: weitere Haftbeschwerde des Angeklagten.

Auf die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten vom 31. Juli 1998 gegen den Beschluss der Strafkammer I des Landgerichts Essen vom 29. Juli 1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 1. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Auf die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Essen vom 6. Mai 1997 - 51 Ls 6 Js 530/95 - 51 (18/96) in Verbindung mit dem Haftfortdauerbeschluß desselben Gerichts vom 9. Dezember 1997 auf Kosten der Staatskasse aufgehoben.

Gründe:
I. Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom 6. Mai 1997 - 51 Ls 6 Js 530/95 - 51 (18/96) - seit dem 5. Juli 1997 in Untersuchungshaft. In dem vorbenannten Haftbefehl ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 19. Februar 1996 in Essen durch drei selbständige Handlungen vorsätzlich andere körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt zu haben, indem er in der Gaststätte "Zur Talburg" in Essen zunächst mit Faustschlägen auf den Zeugen Zenz und später mit einem Barhocker auf den Zeugen B. eingeschlagen habe. Schließlich soll er einen Barhocker gegen die Zeugen B. und J. geworfen haben. Außerdem ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 31. Juli 1995 am S-Bahn-Haltepunkt Essen-Holthausen einen Fahrkartenautomaten aufzubrechen versucht zu haben, um das darin befindliche Geld zu entwenden.

In der Folgezeit sind weitere Verfahren mit diesem Verfahren verbunden und schließlich vor dem Schöffengericht Essen in der Hauptverhandlung vom 2. und 9. Dezember 1997 gemeinsam verhandelt worden. Eine Anpassung des Haftbefehls ist bis dahin nicht erfolgt.

Am 9. Dezember 1997 ist das Verfahren gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden, soweit dem Angeklagten die drei Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung vom 19. Juli 1996, die Gegen stand des Haftbefehls vom 6. Mai 1997 waren, zur Last gelegt worden sind. Im übrigen ist der Angeklagte wegen "versuchten Diebstahls im schweren Fall in 2 Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Dabei ist gegen den Angeklagten wegen des versuchten Diebstahls vom 31. Juli 1995 (versuchter Fahrkartenautomatenaufbruch in der S-Bahn-Haltestelle Essen-Holthausen) eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten, wegen eines versuchten Einbruchdiebstahls in das Haus der Zeugen R. vom 8. Juni 1997 eine solche von ebenfalls acht Monaten und wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung vom 30. November 1996 zum Nachteil des Geschädigten W., der dabei eine Jochbein-Orbiterbodenfraktur links davontrug, eine Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten festgesetzt worden.

Das Schöffengericht hat sodann im Termin folgenden Beschluss verkündet:

"Der Haftbefehl des Amtsgerichts Essen vom 06.05.97, Az 51 Ls 6 Js 530/95 = 51 (18/96), bleibt aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten."

Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 18. Juni 1998 - 3 Ss 481/98 - das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchten Diebstahls zum Nachteil der Zeugen R., Tatzeit 8. Juni 1997, verurteilt worden ist. Weiter ist das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Entscheidung über die Gesamtstrafe mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben worden.

Mit Schreiben vom 2. Juni 1998 und erneut mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 1. Juli 1998 hat der Angeklagte die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden, der Angeklagte habe in der Untersuchungshaft bereits zwei Drittel des ursprünglichen Strafausspruchs verbüßt, so dass der weitere Vollzug der Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 14. Juli 1998 zurückgewiesen. Dabei hat es auf die bestehende prozessuale Situation mit der rechtskräftigen Verurteilung zu Einzelstrafen von zehn und acht Monaten und die Wahrscheinlichkeit der Verhängung einer weiteren Einzelstrafe wegen der Tat, deren Feststellungen in der Revision aufgehoben worden sind, hingewiesen. In Hinblick darauf, dass in der neuen Hauptverhandlung erneut die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von 18 Monaten möglich sei, und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine im Jahre 1994 verhängte und zunächst zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten noch nicht rechtskräftig widerrufen worden sei, sei weiter von Fluchtgefahr auszugehen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit komme eine Aufhebung des Haftbefehls nicht in Betracht.

Der Beschwerde des Angeklagten vom 20. Juli 1998 hat das Amtsgericht nicht abgeholfen. Das Landgericht Essen - Strafkammer I - hat die Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 3. Juli 1998 (richtig: 14. Juli 1998) verworfen. Der weiteren Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft die Verwerfung der weiteren Beschwerde beantragt.

II. Auf die gemäß § 310 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige weitere Haftbeschwerde war der Haftbefehl des Amtsgerichts Essen vom 6. Mai 1997 - 51 Ls 6 Js 530/95 - 51 (18/96) in Verbindung mit dem Haftfortdauerbeschluß desselben Gerichts vom 9. Dezember 1997 aufzuheben.

1. Es ist schon zweifelhaft, ob alle Straftaten, derer der Angeklagte am 9. Dezember 1997 schuldig gesprochen worden ist, Gegenstand des Haftbefehls sind. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts vom 9. Dezember 1997 sind nur die Taten vom 19. Februar 1996 (vorsätzliche Körperverletzung in drei Fällen zum Nachteil Z., B. und J.), die aber in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, und der versuchte Automatenaufbruch vom 31. Juli 1995, für den gegen den Angeklagten eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verhängt worden ist, erfaßt. Ob die Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts vom 9. Dezember 1997, möglicherweise auch unter Berücksichtigung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 14. Juli 1998, dahin ausgelegt werden kann, der Haftbefehl des Amtsgerichts Essen vom 06.05.97 sei "nach Maßgabe des heute verkündeten Urteils" aufrechterhalten worden, kann indes letztlich dahin stehen.

Zwar ist der Angeklagte der ihm im Urteil des Amtsgerichts Essen vom 9. Dezember 1997 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig, und es besteht ersichtlich auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist jedoch nicht mehr verhältnismäßig. Selbst wenn man zugrundelegt, der Angeklagte würde in der neuen Hauptverhandlung erneut zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von etwa einem Jahr und sechs Monaten verurteilt werden, kann der Haftbefehl nicht aufrechterhalten bleiben. Der ursprünglich für den 3. September 1998 vorgesehene Hauptverhandlungstermin ist nämlich nach telefonischer Auskunft der zuständigen Geschäftsstelle des Amtsgerichts Essen auf den 15. Oktober 1998 verlegt worden. Zu diesem Zeitpunkt befände sich der Angeklagte aber bereits seit mehr als 15 Monaten in Untersuchungshaft, so dass unter Berücksichtigung der Straferwartung, die aufgrund des Verschlechterungsverbotes auf ein Jahr und sechs Monate begrenzt ist, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 473 Abs. 3 und 4 StPO.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".