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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 248/95

Leitsatz: Nach vollständiger Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe tritt Führungsaufsicht gem § 68 f Abs. 1 StGB nur dann ein, wenn der Gesamtstrafe auch zumindest eine Einzelstrafe von mindestens 2 Jahren zugrunde liegt, die wegen einer vorsätzlichen Tat verhängt worden ist; dass allein die Gesamtstrafe 2 Jahre beträgt, reicht nicht aus (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Normen: 68 f Abs. 1 StGB

Stichworte: Führungsaufsicht, Gesamtfreiheitsstrafe, Einzelstrafe

Fundstelle: NStZ-RR 1996, 31

Beschluss: Beschluss vom 08.06.1995

Zum Sachverhalt:
Durch Urteil des AG - SchöffenGer. - vom 21.12.1992 ist gegen den Verurteilten wegen Diebstahls in 8 Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch in 3 Fällen unter Auflösung der in dem Urteil des AG vom 05.10.1992 erkannten Gesamtfreiheitsstrafe und unter Einbeziehung der Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt worden. Die höchste Einzelstrafe beträgt 6 Monate. Der Verurteilte hat diese Gesamtfreiheitsstrafe vollständig verbüßt; er ist am 09.05.1995 aus der Strafhaft entlassen worden.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die StVK festgestellt, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug gem. § 68 f Abs. 1 StGB Führungsaufsicht eintrete und deren Dauer auf 3 Jahre festgesetzt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Aus den Gründen:
Im vorliegenden Fall ist entgegen der Auffassung der StVK mit der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug keine Führungsaufsicht eingetreten. Dies ist nach § 68 f Abs. 1 StGB nur dann der Fall, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckt worden ist. Hat der Verurteilte - wie hier - eine Gesamtstrafe verbüßt, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob es für den Eintritt der Führungsaufsicht ausreicht, dass die Gesamtstrafe mindestens 2 Jahre beträgt (so OLG Hamburg, JR 1979, 116 und MDR 1982, 689; OLG Nürnberg, MDR 1978, 858; OLG Düsseldorf, MDR 1981, 70 und 336; OLG Frankfurt a.M., MDR 1982, 164; OLG München, NStZ 1984, 314; OLG Hamm, MDR 1979,601; OLG Schleswig, SchlHA 1995, 2; Dreber/Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 68 f. Rdnr. 2 a) oder ob der Gesamtstrafe wenigstens eine wegen einer Vorsatztat verhängte Einzelstrafe von mindestens 2 Jahren zugrunde liegen muss (so OLG Celle, StV 1982, 227; OLG Koblenz, MDR 1980, 71; OLG Bremen, MDR 1980, 512; OLG Karlsruhe, NStZ 1981, 182; OLG Stuttgart, NStZ 1992, 101; OLG Schleswig, MDR 1981, 1034; KG, JR 1979, 421; OLG Zweibrücken, MDR 1986, 870; OLG Naumburg, MDR 1995, 85; Hanack, in: LK, StGB, 11. Aufl., § 68 f. Rdnr. 14; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 68 f. Rdnr. 4; Nomos-Frehsee, StGB, 24. Aufl., § 68 f. Rdnr. 4). Der Senat schließt sich - unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung - der letztgenannten Auffassung an. Für diese Meinung spricht in erster Linie der eindeutige Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB ( ö...Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat vollständig vollstreckt.... ). Zwar kommt es bei der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung nicht allein auf deren Wortlaut an; maßgeblich ist vielmehr der in der fraglichen Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 79,106 (121) = NJW 1989, 1599; BGHSt 29, 196 (198) = NJW 1980, 1175). Den Materialien zu § 68 f Abs. 1 StGB lässt sich aber gerade nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber auch die vollständige Verbüßung einer zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe für den automatischen Eintritt der Führungsaufsicht genügen lassen wollte und dass von daher die Formulierung des § 68 f Abs. 1 StGB lediglich mißglückt wäre. Da sich der Wille des Gesetzgebers zu der hier entscheidenden Frage den Materialien nicht entnehmen lässt, kann sich die Auslegung des § 68 f Abs. 1 StGB nur an dessen Wortlaut orientieren.

Für die hier vertretene Ansicht spricht des weiteren der Umstand, dass der nahezu identisch lautende § 66 Abs. 1 StGB ("Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt...") fast einhellig dahin ausgelegt wird, dass bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur dann in Betracht kommt, wenn in der Gesamtstrafe wenigstens eine vorsätzliche Tat betreffende Einzelstrafe von mindestens zwei Jahren enthalten ist. Eine andere Auslegung der hier in Rede stehenden Vorschrift des § 68 f Abs. 1 StGB erscheint angesichts der wortgleich formulierten Gesetzesbestimmungen, die darüber hinaus noch in einem engen systematischen Zusammenhang stehen (sowohl die Sicherungsverwahrung als auch die Führungsaufsicht sind Maßregeln der Besserung und Sicherung), nicht vertretbar. Dafür, dass der Eintritt der Führungsaufsicht bei vollständiger Verbüßung einer Gesamtstrafe voraussetzt, dass wenigstens eine wegen einer Vorsatztat verhängte Einzelstrafe mindestens zwei Jahre beträgt, spricht auch die Überlegung, dass die Führungsaufsicht eine erhebliche und langdauernde Belastung für den Verurteilten bedeutet, die sich an die vollständige Verbüßung der Strafe anschließt. Nach § 68 b StGB können dem Verurteilten - in erster Linie zum Schutz der Allgemeinheit - Weisungen erteilt werden, die seine Freiheitsrechte massiv beschränken und seine Lebensführung tiefgreifend reglementieren; bei Zuwiderhandlungen gegen solche Weisungen muss der Verurteilte mit Bestrafung rechnen (vgl. § 145 a StGB). Derart gravierende Folgen lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn der Unwert- und Schuldgehalt zumindest einer der vom Verurteilten begangenen Taten so erheblich war, dass sie mit einer Einzelfreiheitsstrafe von wenigstens zwei Jahren geahndet werden mußte.

Demgegenüber lassen sich gegen die Auffassung, auch bei der vollständigen Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren, bei der keine Einzelstrafe zwei Jahre erreicht, trete Führungsaufsicht ein, gewichtige Argumente ins Feld führen. Die Vertreter dieser Meinung verweisen zur Begründung ihrer vom Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB abrückenden - Ansicht auf den Sinn und Zweck des § 68 f Abs. 1 StGB, der gefährliche oder gefährdete Täter, denen keine günstige Sozialprognose gestellt werden kann, nach einer längeren Strafverbüßung mit dem Mittel der Führungsaufsicht über einen gewissen Zeitraum sowohl unterstützen als auch überwachen will. Angesichts dieser kriminalpolitischen Zielsetzung könne es keinen Unterschied machen, ob ein Verurteilter wegen einer vorsätzlichen Straftat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren oder wegen mehrerer vorsätzlicher Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe in dieser Höhe verbüßt habe. Dieses isolierte Abstellen auf die Dauer des Freiheitsentzuges überzeugt jedoch nicht: Hat sich beispielsweise ein Verurteilter mit ungünstiger Sozialprognose wegen einer Fahrlässigkeitstat oder weil gegen ihn aus verschiedenen Urteilen nacheinander im Wege der Anschlußvollstreckung mehrere jeweils unter zwei Jahre liegende Strafen vollstreckt worden sind, zwei Jahre oder länger im Strafvollzug befunden, besteht sicherlich ebenfalls ein kriminalpolitisches Bedürfnis, dem Verurteilten beim Übergang in die Freiheit Hilfestellung zu geben. Gleichwohl wird in solchen Fällen unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB von niemandem in Zweifel gezogen, dass Führungsaufsicht nicht eintritt.
Es erscheint des weiteren auch nicht nachvollziehbar, dass die Vertreter der hier abgelehnten Auffassung bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sogar dann gem. § 68 f Abs. 1 StGB Führungsaufsicht eintreten lassen wollen, wenn der Verurteilte die Strafe erst in vollem Umfang verbüßt hat, nachdem die zunächst gem. § 57 Abs. 1 StGB gewährte Aussetzung des Strafrestes widerrufen worden war (so Dreher/Tröndle, StGB 47. Aufl., § 68 f Rdnr. 2 a). In einem solchen Fall, in dem sich der Verurteilte gerade nicht ununterbrochen in Strafhaft befunden hat, dürfte der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Wiedereingliederungshilfe für den Verurteilten die Abweichung vom Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB wohl kaum noch rechtfertigen. Schließlich führt die hier abgelehnte Ansicht in Fällen, in denen gegen einen Verurteilten eine aus jeweils unter zwei Jahren befragenden Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe von mehr als zwei Jahren vollständig vollstreckt worden ist, der teils Vorsatz- und teils Fahrlässigkeitstaten zugrunde liegen, zu unlösbaren Schwierigkeiten. Es lässt sich dann nämlich nicht feststellen, ob der Verurteilte allein wegen der Vorsatztaten zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt hat. Die vom OLG München (NStZ 1984, 314) für eine solche Fallkonstellation vertretene Auffassung, die StVK müsse in analoger Anwendung der §§ 458 Abs. 1, 463 Abs. 1 StPO aus den auf die Vorsatztaten entfallenden Einzelstrafen in Anlehnung an die im Urteil zum Ausdruck gekommenen Gesamtstrafenzumessungsgründe eine fiktive Gesamtstrafe bilden, wenn diese mindestens zwei Jahre betrage, trete gem. §68 f Abs. 1 StGB Führungsaufsicht ein, ist abzulehnen. Zum einen dürfte die Festsetzung der fiktiven Gesamtstrafe angesichts der in den meisten tatrichterlichen Urteilen eher dürftigen Gesamtstrafenbegründung nur schwer objektiv zu begründen sein. Zum anderen sieht § 68 f Abs. 1 StGB vor, dass die Führungsaufsicht - unter den dort genannten Voraussetzungen - automatisch mit der Entlassung des Verurteilten aus der Haft eintritt. Dann muss aber auch für jedermann insb. für den Verurteilten - eindeutig feststehen, ob die Voraussetzungen des § 68 f Abs. 1 StGB gegeben sind oder nicht; dies kann nicht erst von einer - konstitutiven - Entscheidung der StVK abhängen, was - falls diese versehentlich unterbleibt - zu einem vom Gesetz gerade nicht vorgesehenen Schwebezustand führen würde.

Alles in allem sprechen gegen die Meinung, auch die vollständige Vollstreckung einer Gesamtstrafe von zwei Jahren führe gem. § 68 f Abs. 1 StGB zum Eintritt der Führungsaufsicht, derart gewichtige Argumente, dass allein das kriminalpolitische Bedürfnis, diese Fälle nicht anders zu behandeln als diejenigen, in denen der Verurteilte eine Einzelstrafe von zwei Jahren verbüßt hat, eine Abkehr vom eindeutigen Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB nicht zu rechtfertigen vermag. Angesichts des Streits in Rechtsprechung und Literatur über die Auslegung des § 68 f Abs. 1 StGB wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber in dieser Frage alsbald Klarheit schaffen würde.


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