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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 230/98 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Ein Antrag auf Vernehmung eines bekannten Zeugen ist nicht allein deshalb als Beweisermittlungsantrag anzusehen, weil dieser unbekannten Aufenthalts ist. Ggf. kann der Beweisantrag dann aber wegen "Unerreichbarkeit" des Zeugen abgelehnt werden.
2. Bei der Ablehnung eines Beweisantrages wegen eigener Sachkunde des Gerichts muss deren Vorhandensein zwar nicht unbedingt im Ablehnungsbeschluß, zumindest aber in den Urteilsgründen dargelegt werden, wenn es sich um Fachwissen handelt, das in der Regel nicht Allgemeingut der erkennenden Richter ist. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines langjährig Drogenabhängigen erfordert derartiges spezielles Sachwissen, dessen Vorhandensein nicht ohne weiteres beim Amtsgericht unterstellt werden kann .

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts, unbekannter Aufenthalt, Abgrenzung Beweisantrag/Beweisermittlungsantrag, BtM, eigene Sachkunde, Schuldfähigkeit, Sprungrevision

Normen: StPO 244, StPO 346, StPO 112

Beschluss: Strafsache gegen D.H.,
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
(hier: 1. Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts,
2. Sprungrevision des Angeklagten,
weitere Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 02.09.1997 sowie auf seinen Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.01.1998 und auf seine weitere Haftbeschwerde vom 31.03.1998 gegen den Beschluss der VIII. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 17.03.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.04.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.01.1998 wird aufgehoben.

2. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

3. Die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und den Verfall des sichergestellten Geldbetrages von 5.620,- DM angeordnet. Nach den zugrundeliegenden Feststellungen soll der Angeklagte von Anfang März 1997 bis zum 12. Juni 1997 wöchentlich mindestens 50 g reines Heroin von dem gesondert Verfolgten B. bezogen und nach Streckung auf die 2 - 3-fache Menge teilweise selbst verbraucht und den Rest gewinnbringend am "Pavillon"" in Bielefeld an Heroinabhängige veräußert haben. In zwei der vorgenannten 13 Fällen habe der Angeklagte von dem gesondert Verfolgten B. nicht nur 50 g, sondern jeweils 150 g Heroin bezogen. Das um die 2 - 3-fache Menge gestreckte Heroin habe er, soweit es zum Weiterverkauf bestimmt war, in einzelne Portionen von 5 g Heroin gebracht, die er dann zum Preise von 170,- bis 180,- DM gewinnbringend weiterverkauft habe. So habe er im Zeitraum von März 1997 bis Mitte Mai 1997 in mindestens 13 Fällen jeweils 5 g Heroin an den Zeugen K. bzw. die Zeugen H. und im Zeitraum von Mitte März bis Anfang Mai 1997 in vier bis fünf Fällen jeweils 5 g Heroin an den Zeugen C. veräußert. Zuletzt habe er am 04.06.1997 ca. 57 g Heroingemisch an den Zeugen C. übergeben, den er als Unterverkäufer für das Heroin angeworben habe. C. habe aus dieser Menge heraus insgesamt 37,2 g an den Zeugen K. weitergegeben, damit dieser es auf Kommissionsbasis veräußere. Vier sogenannte "Bubbles mit jeweils 5 g Heroingemisch habe C. an diesem Tage am "Pavillon" im Auftrag des Angeklagten weiterverkauft. Die 37,2 g Heroingemisch hätten später bei dem Zeugen K. sichergestellt werden können. Das Heroin habe einen Wirkstoffgehalt von 2,3 g Heroin-Hydrochlorid aufgewiesen. Anläßlich der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten hätten am 12.06.1997 noch 9,6 g Heroin sowie 5.620,- DM Dealgeld sichergestellt werden können.
Der Angeklagte hatte sich nach den Urteilsfeststellungen in der Hauptverhandlung nicht eingelassen. Das Amtsgericht hat ihn durch die Angaben der Zeugen K., C. und W., der den Angeklagten und die gesondert Verfolgte V. vernommen hatte, als überführt angesehen.

Zur Frage der Anwendung des § 21 StGB auf den nach den Urteilsfeststellungen selbst drogenabhängigen Angeklagten hat das Amtsgericht folgendes ausgeführt:

"Das Gericht (hat) dem Angeklagten aufgrund seiner Drogenabhängigkeit eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB nicht zugebilligt. Denn der Angeklagte hat gezielt sich anderer Leute bedient, - Zeugen C. und K., - um über das Dealen von Heroin Geschäfte abzuwickeln. Er nutzte soweit die drogenabhängige Krankheit der Zeugen C. und K. hemmungslos aus, um auf diese Weise einen erhöhten Absatz an Drogen für sich in Anspruch zu nehmen. Demnach konnte das Gericht aufgrund dieses Vorgehens eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 21 StGB nicht annehmen."
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht als unbestimmtes Rechtsmittel eingelegte und ebenso form- und fristgerecht als solche begründete Revision des Angeklagten mit der Sachrüge sowie mit Verfahrensrügen.

Das Amtsgericht hat die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 21.01.1998 gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil die Revisionsbegründungsfrist nicht eingehalten sei. Insoweit hatte das Amtsgericht den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zwar zutreffend auf den 17.11.1997 errechnet und auch zutreffend erkannt, dass die per Telefax eingereichte Revisionsbegründungsschrift den Eingangsstempel vom 18.11.1997 - einen Tag nach Fristablauf - trug, zwischenzeitlich durchgeführte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld haben insoweit jedoch ergeben, dass die Revisionsbegründungsschrift nach Auswertung des Journals der Wachtmeisterei des Amtsgerichts Bielefeld für den 17.11.1997 noch an diesem Tage um 16.37 Uhr dort eingegangen war.

Weiterhin hatte das Amtsgericht mit der Urteilsverkündung in vorliegender Sache beschlossen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 10.06.1997 gegen den Angeklagten aus den Gründen seiner Anordnung aufrechterhalten bleibe.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.01.1998 hat der Angeklagte gegen diesen Haftfortdauerbeschluß Beschwerde eingelegt und gleichzeitig gegen den Verwerfungsbeschluß des Amtsgerichts vom 21.01.1998 auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO beantragt.

Die Haftbeschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.11.1997 als unbegründet verworfen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit der weiteren Beschwerde vom 31.03.1998.

II. 1. Die Revision des Angeklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere auch innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO als Revision begründet worden. Dies steht aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld fest. Bereits deshalb war der Verwerfungsbeschluß des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.01.1998 aufzuheben. Im übrigen war für eine Verwerfung der Revision ohnehin kein Raum; das unbestimmt eingelegte Rechtsmittel hätte allenfalls als Berufung behandelt werden können (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auflage, § 335 Rn. 4 m.w.N.).

2. Die Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld.

a) Zunächst greift die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugin H. zu Unrecht abgelehnt, durch.

Der Verteidiger des Angeklagten hatte ausweislich der Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll der Sitzung des Schöffengerichts vom 02.09.1997 folgende Beweisanträge gestellt:

"2. Zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge K. nie Heroin von mehr als 5-g-Mengen von dem Angeklagten erhalten hat, beantrage ich die Ladung und Vernehmung der Zeugin H..

3. Zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge K. regelmäßig in Begleitung der Zeugin H. bei dem Angeklagten erschien und nur BtM zum Eigenverbrauch erwarb, beantrage ich die Ladung und Vernehmung der Zeugin H..

4. Zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte am 04.06.1997 dem Zeugen C. als Unterverkäufer nicht 57 g Heroingemisch gegeben hat, beantrage ich die Ladung und Vernehmung der Zeugin H.."

Das Schöffengericht hat daraufhin beschlossen und verkündet:

"Die Anträge zu 2, 3 und 4 werden zurückgewiesen, da die Zeugin nachweislich unbekannten Aufenthalts ist und insoweit der Antrag als Beweisermittlungsantrag anzusehen ist. "

Die Ablehnung der Beweisanträge mit dieser Begründung war rechtsfehlerhaft.
Das Amtsgericht ist zunächst zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich allein aufgrund des ihm unbekannten Aufenthaltes der Zeugin bei den Anträgen lediglich um Beweisermittlungsanträge gehandelt habe. Zwar setzt das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Beweisantrages voraus, dass für die zu beweisende Tatsache ein bestimmtes Beweismittel angegeben wird, insbesondere bei Zeugen genügt aber hierzu bereits der Vortrag derjenigen Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichen, das Beweismittel zu identifizieren und zu ermitteln (BGHR-STOP § 244 Abs. 6 Beweisantrag 11 = Beschluss vom 26.05.1989; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., Rdnr. 21, je m.w.N.). Diesen Anforderungen genügten die abgelehnten Beweisanträge hier ohne weiteres. Die Identität der Zeugin, die bereits im Ermittlungsverfahren vernommen worden war, stand für das Amtsgericht fest. Vor diesem Hintergrund betraf die Frage der nicht bekannten Anschrift bzw. des unbekannten Aufenthalts der Zeugin allein die Möglichkeit, die Beweisanträge gemäß § 244 Abs. 3 S.2 StPO mit der Begründung abzulehnen, das Beweismittel - die Zeugin - sei unerreichbar. Die Unerreichbarkeit der Zeugin hat das Amtsgericht jedoch in dem Ablehnungsbeschluß nicht hinreichend dargetan. Insoweit ist erforderlich, dass in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss dargetan wird, dass und welche Ermittlungen stattgefunden haben, um das Beweismittel zur Hauptverhandlung herbeizuschaffen, damit auf diese Weise für das Revisionsgericht überprüfbar ist, ob das Amtsgericht seiner Verpflichtung, alle der Bedeutung und dem Wert des Beweismittels entsprechenden Bemühungen, das Beweismittel beizubringen, nachgekommen ist und keine begründete Aussicht besteht, es in absehbarer Zeit herbeizuschaffen (BGHR-STPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 1 (= Beschluss vom 28.10.1996); Unerreichbarkeit 5 (= Beschluss vom 12.04.1988); vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdnr. 43 b, Rdnr. 62, je m.w.N.). Dabei ist ein Zeuge im Übrigen nicht bereits dann ohne weiteres unerreichbar, wenn er unbekannt verzogen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdnr. 62 m.w.N.) bzw. unbekannten Aufenthaltes (BGHR-StPO, § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 1) ist.
Vorliegend ging es um die Verhängung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten. Die Zeugin H. war unmittelbare Tatzeugin und war dazu benannt, dass der Angeklagte die vom Amtsgericht festgestellte größte von ihm weitergegebene Heroinmenge von 57 g Heroingemisch am 04.06.1997 tatsächlich nicht an den Zeugen C. weitergegeben hatte. Weiterhin war dem Amtsgericht aufgrund der von ihm protokollierten Aussage des Polizeibeamten und Zeugen W. bekannt, dass die Zeugin H. zwar unbekannten Aufenthalts sei, sich aber im Stadtbezirk Bielefeld aufhalte. Das Amtsgericht hätte daher weitere Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort der Zeugin unternehmen oder aber in dem Ablehnungsbeschluß darlegen müssen, aus welchen Gründen solche Nachforschungen keine Aussicht auf Erfolg boten. Dies hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, so dass bereits deshalb der Schuldspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben kann. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Zeugin H. die in ihr Wissen gestellten, den Angeklagten entlastenden Angaben im Falle ihrer Vernehmung so gemacht hätte, § 337 StPO.

b) Das Amtsgericht hat darüber hinaus den Beweisantrag der Verteidigung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt.
Die Verteidigung hatte ausweislich der Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichts Bielefeld vom 02.09.1997 folgenden Beweisantrag gestellt:

"1. Zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte im Tatzeitraum aufgrund seines Drogenkonsums erheblich beeinträchtigt war, das Unrecht seines Handels zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln (§ 21 StGB), beantrage ich die Einholung eines Sachverständigengutachtens."

Das Schöffengericht hat beschlossen und verkündet:

"Der Antrag zu 1 wird zurückgewiesen, da das Gericht sachverständig genug ist, diese Frage selbst zu beantworten."

Bei der Ablehnung eines Beweisantrages wegen eigener Sachkunde des Gerichts muss deren Vorhandensein zwar nicht unbedingt im Ablehnungsbeschluß, zumindest aber in den Urteilsgründen dargelegt werden, wenn es sich um Fachwissen handelt, das in der Regel nicht Allgemeingut der erkennenden Richter ist (vgl. BGHSt 12, 18; BGH NStZ 1983, 325; BGH, StV 1984, 232; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdnr. 73; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 5. Aufl., Rdnr. 327). Die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines langjährig Drogenabhängigen erfordert aber derartiges spezielles Sachwissen, dessen Vorhandensein nicht ohne weiteres beim Amtsgericht unterstellt werden kann (vgl. Dahs/Dahs, a.a.O., Rdnr. 347; vgl. auch BGH NStZ 1983, 357; Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., § 244 Rdnr. 305 m.w.N.). Insoweit ist anerkannt, dass die Frage der Schuldfähigkeit nur dann, wenn keine Anzeichen dafür bestehen, dass der Angeklagte in geistiger Hinsicht von der Norm abweicht, aufgrund der Beobachtung in der Hauptverhandlung vom Gericht mit seinem medizinischen Allgemeinwissen beurteilt werden kann (BGH, VRS 39, 101). Sonst darf sich das Tatgericht die zur Beurteilung des Geisteszustands erforderlichen Fachkenntnisse in der Regel nicht zutrauen (BGH NJW 1964, 2213; BGH NStTZ 1983, 357; BGH NStZ 1985, 14; BGH NStZ 1990, 27; BGH, VRS 34, 274; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rdnr. 10 a m.w.N.).
Hier hat das Amtsgericht seine eigene Sachkunde zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des nach den Urteilsfeststellungen heroinabhängigen Angeklagten in den Urteilsgründen an keiner Stelle näher dargelegt. Es hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Anwendung des § 21 StGB zugunsten des Angeklagten mit Schulderwägungen abzulehnen. Dies war bereits deshalb fehlerhaft, weil aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung des Amtsgerichts mit der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht einmal sicher festgestellt werden kann, ob dieser überhaupt schuldfähig i.S.v. § 20 StGB gewesen ist. Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte der Angeklagte zusammen mit der Zeugin V. wöchentlich etwa 50 g - gestrecktes - Heroin, ohne dass nähere Feststellungen dazu getroffen worden sind, welche Teilmenge hiervon auf den Angeklagten selbst entfiel. Damit bleibt die Möglichkeit, dass der Angeklagte selbst täglich mehrere Gramm Heroin konsumiert hatte. Darüber hinaus ist nach den Urteilsfeststellungen davon auszugehen, dass der Angeklagte mit Heroin allein deshalb handelte, um seinen eigenen erheblichen Heroinkonsum auf diese Art und Weise zu finanzieren. Zwar liegt trotz dieser Sachlage das Vorliegen bzw. die Nichtausschließbarkeit völliger Schuldunfähigkeit bei dem Angeklagten eher fern, das Amtsgericht hätte sich angesichts der möglicherweise schweren Drogenabhängigkeit hiermit aber näher auseinandersetzen müssen. Auch deshalb konnte das angefochtene Urteil insgesamt - auch im Schuldspruch - keinen Bestand haben. Nahe lag hier aber in jedem Fall eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Drogenabhängigkeit, wobei insbesondere auch sein planmäßiges Vorgehen durchaus Ausdruck eines solchen Zustandes sein kann, in dem sein gesamtes Bestreben aufgrund der Drogenabhängigkeit darauf ausgerichtet war, sich neue Rauschmittel zu beschaffen, und er deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war(vgl. BGHR-StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 (= Beschluss vom 10.04.1990)). Erst dann, wenn auf diese Weise nach Klärung der medizinischen Hintergründe festgestellt ist, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.v. § 21 StGB aufgrund seiner Drogenabhängigkeit gemindert war, ist auf dieser Grundlage die Rechtsfrage zu beurteilen, ob von der Milderungsmöglichkeit des § 21 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu machen ist (vgl. zum Ganzen Dreher/Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 21 Rdnr. 6 ff.).

Die festgestellten Rechtsfehler bei der mangelnden Darlegung der eigenen Sachkunde des Gerichtes im Rahmen der Verneinung erheblicher verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geben im Übrigen auch der Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg (vgl. BGH VRS 34, 274).

III. Dagegen war die weitere Haftbeschwerde des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte ist der ihm durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 10.06.1997 zur Last gelegten Taten jedenfalls nach Maßgabe der Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 02.09.1997 weiterhin dringend verdächtig. Insbesondere hat ihn auch die Zeugin H. im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen, die dem Senat im Verfahren über die weitere Haftbeschwerde als Aktenbestandteil zur Prüfung offenstehen, nicht im Sinne der vom Amtsgericht mit fehlerhafter Begründung abgelehnten Beweisanträge der Verteidigung entlastet. Vielmehr hat sie im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung vom 05.06.1997 angegeben, gemeinsam mit dem K. in mindestens 15 Fällen Beutel mit je 5 g Heroin von dem Angeklagten während des Tatzeitraums gekauft zu haben. Zu den bei K. sichergestellten 37,2 g Heroin hat sie bei dieser Vernehmung lediglich angegeben, dass sie mit dieser größeren Heroinmenge "nichts zu tun" habe, sie hat aber keinesfalls in Abrede gestellt, dass K. dieses Heroin von dem Angeklagten bezogen hatte. Damit übereinstimmend hatte der Zeuge K. bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 05.06.1997 angegeben, dass er gegenüber der Zeugin H. den Besitz der 37,2 g Heroin verschwiegen hatte, da beide wegen bereits zuvor von dem Angeklagten bezogenen Heroins Streit gehabt hätten und die Zeugin ihn nicht begleitet hätte, wenn sie gewußt hätte, dass er eine so große Menge Heroin mit sich führe. Dies wird wiederum von der Zeugin H. im Rahmen ihrer vorgenannten polizeilichen Vernehmung bestätigt. Dort hatte sie nämlich angegeben, dass sie erst nach der Festnahme im Polizeiwagen von K. erfahren habe, welche Menge Heroin er bei sich führe.

Es besteht derzeit auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich bei dem Angeklagten angesichts seiner Drogenabhängigkeit Schuldunfähigkeit zur Tatzeit wird feststellen bzw. nicht ausschließen lassen. Sollten bei ihm die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, würde dies angesichts der erheblichen Menge des Heroins, mit dem er gewerbsmäßig Handel getrieben hat, nach bisheriger Wertung nicht ohne weiteres zu einer Herabsetzung der vom Amtsgericht gegen ihn erkannten Strafe führen, so dass der weitere Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten nach wie vor verhältnismäßig ist.

Bei dem drogenabhängigen und sozial bindungslosen Angeklagten, der vor seiner Festnahme seinen Lebensunterhalt aus dem Handeltreiben mit Heroin bestritt, liegen angesichts der sich vor allem durch das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 02.09.1997 konkretisierten Straferwartung auch weiterhin die Voraussetzungen der Fluchtgefahr gemäß §112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor.

Der Senat geht davon aus, dass die durch die Aufhebung des Urteils vom 02.09.1997 erforderliche neue Hauptverhandlung alsbald gegen den Angeklagten stattfinden wird.


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