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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 296/97 OLG Hamm

Leitsatz: Zum wichtigen Grund bei § 121 StPO und zur Kompensation verzögerter Behandlung durch nachfolgende besonders beschleunigte Behandlung

Senat: 2

Gegenstand: BL6

Stichworte: Verlängerung der U-Haft um 2 Monate, zwei Monate, hohe Straferwartung, Fluchtgefahr, sexueller Missbrauch, Verdunkelungsgefahr, Türke, Getrenntleben von Ehefrau, Urlaub, andere Termine, unklar, ob andere Haftsachen, vermeidbare Verzögerung, Kompensation durch anschließende besondere Beschleunigung, kein Eröffnungsbeschluss, Termin erst 3 bis 4 Monate nach Eingang bei Gericht

Normen: StPO 112 Abs. 2 Nr. 2; StPO 121 Abs. 1

Beschluss: Strafsache gegen N.Ü.
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a.
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht)

Auf die Vorlage der (Zweit-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. August 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht Wellmann nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten z w e i Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: I. Der Angeschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 13. Februar 1997 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 14. Februar 1997 (6 Gs 67/97) seit diesem Tag in Untersuchungshaft.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts legt dem Angeschuldigten u.a. zur Last, in Plettenberg und anderen Orten seit 1994 sexuelle Handlungen an seinem noch nicht 18 Jahre alten, leiblichen Kind vorgenommen zu haben. Dem entspricht im wesentlichen die Anklage der Staatsanwaltschaft Hagen vom 3. Juli 1997, in der allerdings der Tatzeitraum auf die Zeit von Anfang des Jahres 1993 bis zum 4. Februar 1997 ausgedehnt und die Anzahl der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Fällen mit 200 angegeben wird. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des dem Angeschuldigten zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 14. Februar 1997 sowie auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hagen vom 3. Juli 1997 Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft Hagen hat, nachdem das Amtsgericht Lüdenscheid im Beschluss vom 18. Juli 1997 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen hat, die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.

Es besteht gegen den Angeschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm im Haftbefehl vom 14. Februar 1997 zur Last gelegten Taten, die auch Gegenstand der Anklage vom 3. Juli 1997 sind. Der Tatverdacht gegen den Angeschuldigten ergibt sich insbesondere aus den Angaben seiner Tochter N.Ü., deren Angaben von der Sachverständigen J. auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht worden sind. Die Sachverständige ist in ihrem Gutachten vom 18. Juli 1997 zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben der Tochter keine Bedenken bestehen. Dem tritt der Senat bei und nimmt auf das Gutachten, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, Bezug.

Als Haftgrund ist der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Der Angeschuldigte hat wegen der ihm zur Last gelegten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Diese hohe Straferwartung stellt erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar, der vorliegend durch andere Umstände nicht gemildert wird. Der Angeschuldigte ist zwar verheiratet, lebt aber aufgrund der ihm zur Last gelegten Vorfälle von seiner Ehefrau, die sich von ihm scheiden lassen will, getrennt. Nach allem ist der Senat daher davon überzeugt, dass er sich dem Verfahren durch Flucht in seinen Heimatland Türkei entziehen würde, wenn er auf freien Fuß käme.

Zusätzlich ist auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr i.S. des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO gegeben. Der Angeschuldigte hat bereits gegenüber seiner Ehefrau geäußert, "es müsse Blut fließen". Diese Äußerung zwingt zu dem Schluss, dass der Angeschuldigte, wenn er auf freien Fuß kommt, in unlauterer Weise auf seine Ehefrau und/oder Tochter einwirken wird, damit diese ihre ihn belastenden Angaben zurücknehmen, wodurch die Gefahr besteht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird.

Demgemäss war der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO zu erreichen. Insbesondere konnte der bestehende Fluchtanreiz nicht durch eine Kaution ausgeräumt oder gemildert werden.

Es steht die bisher gegen den Angeschuldigten vollzogene Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls noch gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach der vorläufigen Festnahme des Angeschuldigten waren zunächst haftrechtliche Fragen zu klären. Nachdem dem Verteidiger des Angeschuldigten im März 1997 Akteneinsicht gewährt worden ist, hat die Staatsanwaltschaft unter dem 16. April 1997 Antrag auf richterliche Vernehmung der Tochter gestellt. Diese ist am 9. Mai 1997 erfolgt. Nach Rückkehr der Akten hat die Staatsanwaltschaft dann am 22. Mai 1997 die Sachverständige J. mit der Begutachtung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Tochter beauftragt. Die Sachverständige hat unter dem 20. Juni 1997 das vorläufige Ergebnis ihrer Begutachtung mitgeteilt und den Eingang des schriftlichen Gutachten für Anfang Juli 1997 angekündigt. Als dieses Anfang Juli 1997 nicht einging, hat die Staatsanwaltschaft dennoch schon unter dem 3. Juli 1997 Anklage beim Schöffengericht Lüdenscheid erhoben. Dort sind die Akten Mitte Juli 1997 eingegangen. Das Schöffengericht beabsichtigt, die Hauptverhandlung Ende Oktober/Anfang November 1997 durch zuführen. Ein früherer Termin ist wegen Urlaubs des Richters und anderer Termine nicht möglich.

Nach allem sind damit vermeidbare Fehler und Versäumnisse der Justizbehörden bislang noch nicht festzustellen. Vielmehr haben wichtige Gründe i.S. des § 121 Abs. 1 StPO den Erlass eines Urteils bisher noch nicht zugelassen, so dass der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebende Beschleunigungsgrundsatz ausreichend berücksichtigt ist. Es wäre zwar sachgerechter gewesen, worauf auch die Generalstaatsanwaltschaft hinweist, den Antrag auf richterliche Vernehmung der Tochter nicht erst im April 1997, sondern bereits im zeitlichen Zusammenhang mit der Verhaftung des Angeschuldigten zu stellen. Diese verspätete Antragstellung führt jedoch nicht zur Aufhebung des Haftbefehls. Denn selbst wenn darin ein Versäumnis der örtlichen Staatsanwaltschaft zu sehen wäre, ist dieses durch die nachfolgende beschleunigte Behandlung ausgeglichen worden. Die Sachverständige hat ihr Gutachten innerhalb eines Monats erstattet, die Staatsanwaltschaft hat dann noch vor Eingang des schriftlichen Gutachtens Anklage erhoben.

Der Senat weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass der vom Amtsgericht in Aussicht genommene Termin für den Beginn der Hauptverhandlung erst Ende Oktober/Anfang November 1997 unter Berücksichtigung des bislang bereits erfolgten Zeitablaufs nicht (mehr) hinnehmbar wäre. Die Hauptverhandlung würde dann nämlich mehr als 3 Monate nach Eingang der Akten beim Schöffengericht beginnen, ohne dass dafür ein Grund erkennbar. Für den Senat ist nämlich nicht ersichtlich, ob es sich bei den vom Amtsgericht in seinem Beschluss vom 18. Juli 1997 erwähnten anderen, bereits terminierten Strafsachen ebenfalls um - ältere - Haftsachen oder um Verfahren handelt, bei denen die Angeklagten nicht in Untersuchungshaft einsitzen. Ist das letztere der Fall, hätte das vorliegende Verfahren als Haftsache Vorrang (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 121 StPO Rn. 25 a.E. mit weiteren Nachweisen) und müssten die anderen Verfahren ggf. an späteren Terminen neu terminiert werden.

III. Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO. Wegen des vom Amtsgericht erst für Ende Oktober/Anfang November 1997 in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermins hat der Senat die sonst üblicher Weise auf drei Monate festgesetzte Frist des § 122 Abs. 3 Satz 4 StPO vorliegend auf nur z w e i Monate festgesetzt.


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