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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 972/96 OLG Hamm

Leitsatz: Ist der Betroffene nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht nur beruflich, sondern aufgrund der Erkrankung von Familienangehörigen (hier: zwei Kinder) auch privat weitgehend auf die Nutzung seines Kraftfahrzeuges angewiesen und wird außerdem festgestellt, dass er im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes mit der Kündigung durch seinen Arbeitgeber zu rechnen hat, kann ein Absehen vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße in Betracht kommen.

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Absehen von Fahrverbot aufgrund persönlicher Umstände, Geschwindigkeitsüberschreitung

Normen: StVG 25, BKatV 2 Abs. 4

Beschluss: Bußgeldsache gegen I.F.,
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr innerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 24.06.1996 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gütersloh vom 07.06.1996 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. September 1996 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Der Betroffene wird zu einer Geldbuße in Höhe von 400,00 DM verurteilt.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Gütersloh hat gegen den Betroffenen mit dem angefochtenen Beschluss wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, § 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 250,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Rechtsfolgenausspruch unter Festsetzung einer Geldbuße gegen ihn von nicht mehr als 400,00 DM begehrt.

Nach dem aufgrund der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde rechtskräftigen Schuldspruch des angefochtenen Beschlusses und den ihn tragenden Feststellungen hat der verkehrsrechtlich nicht vorbelastete Betroffene am 31. März 1995 gegen 21.22 Uhr auf der Bundesstraße 64 in Herzebrock-Clarholz, Stat.-Kilometer 0,016, die in Höhe des dortigen innerörtlichen Bereichs höchstzulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 48 km/h überschritten. Die Ortseingangsschilder befinden sich 53,5 m vor der bei Kilometer 0,016 stationierten Meßanlage des Typs Traffiphot-s, wobei im vorangehenden Streckenabschnitt eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h durch beidseitig der Fahrbahn angeordnete Verkehrszeichen 274 besteht, die sich 207 m vor der Geschwindigkeitsmeßanlage befinden. Wie das Amtsgericht weiter festgestellt hat, hat der Betroffene infolge Unaufmerksamkeit die Ortseingangsschilder übersehen. Er hatte nicht den Eindruck, sich innerhalb der geschlossenen Ortschaft zu befinden, da Wohnbebauung in diesem Bereich nicht vorhanden ist.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen hat das Amtsgericht festgestellt, dass er verheiratet und Vater von vier Kindern ist, von denen zwei an der Atemwegserkrankung Mucoviszidose leiden und deshalb regelmäßig ärztlich behandelt werden müssen. Infolge dieser Erkrankung komme es bei den Kindern zu Husten- und Erstickungsanfällen. Der Betroffene arbeite als Gerüstbauer in einem etwa 25 km von seinem Wohnort entfernt gelegenen Betrieb, in dem er auch als Fahrer tätig sei. Im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes gegen ihn habe er mit einer Kündigung durch seinen Arbeitgeber zu rechnen. Die Ehefrau des Betroffenen sei nicht berufstätig und auch nicht im Besitz eines Führerscheins.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen die Regelbuße von 250,00 DM gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Tabelle 1 a Ziffer c Nr. 5.3.4 der Bußgeldkatalogverordnung verhängt. Weiter hat das Amtsgericht es abgelehnt, gemäß § 2 Abs. 4 der Bußgeldkatalogverordnung von der Anordnung eines Fahrverbotes unter Verschärfung der Geldbuße ausnahmsweise abzusehen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, dass der Betroffene angesichts des drohenden Arbeitsplatzverlustes hinreichend Gelegenheit gehabt habe, sich mit seinen Urlaubsdispositionen für das Jahr 1995 auf das Fahrverbot einzustellen. Auch die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle rechtfertige kein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots, da der Betroffenen nicht näher dargelegt habe, ob öffentliche Verkehrsmittel, die er benutzen könne, vorhanden seien. Allein die Behauptung, dass solche öffentlichen Verkehrsmittel nicht vorhanden seien, sei nicht ausreichend. Die Erkrankung der Kinder des Betroffenen hat das Amtsgericht deshalb nicht als erheblich angesehen, da zum einen die regelmäßig anfallenden Untersuchungstermine in einer kinderärztlichen Praxis auch mit Hilfe von Taxen erledigt werden könnten und es im Falle von Husten- und Erstickungsanfällen der Kinder möglich sei, einen Notarzt zu benachrichtigen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die - wie ausgeführt - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde mit der allgemeinen Sachrüge. Angegriffen wird allein die Verhängung des Fahrverbotes, und zwar mit näheren Ausführungen sowohl zum Maß der Pflichtwidrigkeit als auch zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.

Die Rechtsbeschwerde hat in vollem Umfang Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Rechtsfolgenausspruch sowie zu der erstrebten Erhöhung der gegen den Betroffenen verhängten Geldbuße unter Wegfall des Fahrverbotes gemäß § 2 Abs. 4 BKatV. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in der Sache selbst zu entscheiden, § 79 Abs. 6, 1. Alternative OWiG, da die vom Amtsgericht sowohl zu den persönlichen Verhältnissen als auch zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen erkennbar vollständig und erschöpfend sind und von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen werden. Die Rechtsbeschwerde wendet sich vielmehr allein gegen die Bewertung des vom Amtsgericht insoweit festgestellten Sachverhaltes durch den Tatrichter.

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält der Nachprüfung durch den Senat nicht stand. Das Amtsgericht hat zu Unrecht von der Möglichkeit des § 2 Abs. 4 BKatV keinen Gebrauch gemacht und gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt. Im vorliegenden Fall besteht nämlich eine Vielzahl zumindest gewöhnlicher und durchschnittlicher Milderungsgründe, die in Verbindung mit den sich aus der Verhängung eines Fahrverbots für den Betroffenen ergebenden, erheblichen Härten das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes unter entsprechender Erhöhung der Geldbuße (§ 2 Abs. 4 BKatV) rechtfertigen.
Im Unterschied zu dem Regelfahrverbot in den Anwendungsfällen des § 24 a StVG, in denen nur Härten ganz außergewöhnlicher Art oder sonstige, das äußere und innere Tatbild beherrschende, außergewöhnliche Umstände ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes rechtfertigen können, reichen in den Fällen des § 2 Abs. 1 BKatV möglicherweise schon erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände aus, um eine Ausnahme zu begründen (BGH NZV 1992, 117, 119, OLG Hamm, Beschluss vom 12.10.1995, JMBl NW 1996, 77; Senat, Beschluss vom 7. März 1996, - 3 Ss OWi 1304/95 - vgl. auch OLG Naumburg, NZV 1995, 161). Die Fallbeschreibungen der Katalogverordnung entfalten nämlich entsprechend der dort angewendeten Regelbeispielstechnik nur Indizwirkung und entbinden den Richter nicht von der Pflicht, dem Schuldprinzip (Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 20 Abs. 3 GG) und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG) durch eine Gesamtwürdigung zu entsprechen, in die alle Umstände der Tat und die Sanktionsempfindlichkeit des Betroffenen einzustellen sind (BVerfG, Beschluss vom 24. März 1996, NStZ 1996, 391, 392; vgl. auch BVerfGE 90, 145, 173).Der Richter ist an die Indizwirkung des Regelbeispiels nicht gebunden. Ihm bleibt vielmehr, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine unverhältnismäßige Reaktion auf objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv vorwerfbares Verhalten darstellt (BVerfG, Beschluss vom 24. März 1996, a.a.O., m.w.N.).
Die damit erforderliche Abwägung nach Verhälnismäßigkeitsgesichtspunkten (BVerfG, Beschluss vom 24. März 1996, a.a.O.) ist Rechtsanwendung und unterliegt der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Insoweit hat der Senat bereits mit Beschluss vom 7. März 1996 (3 Ss OWi 1304/95) ausgeführt, dass die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der konkrete Einzelfall Ausnahmecharakter hat, in erster Linie der Würdigung des Tatrichters unterliegt (vgl. hierzu BGH NZV 1992, 286, 287 a. E.), dem insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt ist. Vielmehr ist der dem Tatrichter so verbleibende Entscheidungsspielraum durch die gesetzlich niedergelegten oder von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insofern auch hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der BKatV zu zählen ist (Senat a.a.O., m.w.N.).

Der Betroffene war nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht nur beruflich, sondern aufgrund der Erkrankung seiner Kinder auch privat weitgehend auf die Nutzung seines Kraftfahrzeuges angewiesen. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass er im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes mit der Kündigung durch seinen Arbeitgeber zu rechnen hat (vgl. hierzu OLG Celle, NZV 1996, 291), was ihn als Familienvater mit vier Kindern, von denen zudem zwei Kinder noch offenbar schwerwiegender erkrankt sind, besonders hart treffen wird. Hinzu kommt, dass er als ausländischer Mitbürger erfahrungsgemäß besondere Schwierigkeiten haben wird, im Falle einer Kündigung eine neue Arbeitsstelle zu finden. Weiter zu berücksichtigen sind die gesundheitlichen Probleme der Kinder des Betroffenen, die, wie das Amtsgericht ebenfalls festgestellt hatte, an Husten- und Erstickungsanfällen leiden, die offenbar umgehende ärztliche Hilfe erfordern, wie die Erwähnung der Inanspruchnahme eines Notarztes in den Gründen des angefochtenen Beschlusses verdeutlicht. Auch insoweit würde die Verhängung eines Fahrverbotes den Betroffenen unverhältnismäßig stark belasten, da sie ihm die Möglichkeit nehmen würde, bei derartigen Anfällen der Kinder auf der Stelle selbst in der Weise helfend einzugreifen, dass er die Kinder mit dem PKW zu dem nächstgelegenen Arzt oder Krankenhaus transportiert. Zwar mag sicherlich generell die Möglichkeit bestehen, einen Notarzt zu benachrichtigen. Vor dem Hintergrund, dass der Betroffene aber offenbar in einer kleineren Gemeinde im ländlichen Bereich lebt, kann indes nicht sicher mit der jederzeitigen und sofortigen Verfügbarkeit eines Notarztes gerechnet werden. Hinzu kommen als weitere, wenn auch gewöhnliche Milderungsgründe, dass der Betroffene verkehrsrechtlich nicht vorbelastet ist und sich im unmittelbaren Bereich der Messstelle keine Wohnbebauung befand, so dass sich dem Betroffenen nicht sofort und unmittelbar auch ohne Beachtung der Verkehrsschilder aufdrängen mußte, sich im innerörtlichen Bereich zu befinden und zum anderen auch die abstrakte Gefährdung von Fußgängern im Vergleich zu sonstigen Verkehrsverstößen innerorts herabgesetzt war. Zwar spricht gegen den Betroffenen der erhebliche Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung von immerhin 48 km/h sowie der weitere Umstand, dass er nicht nur die Ortseingangsschilder sondern auch die zuvor aufgestellten Verkehrszeichen 274 mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h übersehen hatte. Gleichwohl überwiegen hier aufgrund der erheblichen Belastung des Betroffenen sowohl im beruflichen wie auch im privaten Bereich durch die Verhängung des Fahrverbotes die für ihn sprechenden Umstände derart, dass die Verhängung eines Fahrverbotes gegen ihn unverhältnismäßig erscheint. Der Senat hat daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Rechtsfolgenausspruch von der Möglichkeit des § 2 Abs. 4 BKatV Gebrauch gemacht und von der Verhängung des Fahrverbotes unter Erhöhung der Geldbuße auf 400,00 DM abgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3 StPO.


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