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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 251/94 OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, die vom amtlich bestellten Vertreter des Verteidigers erklärt worden ist, BtM-Gesetz, nicht geringe Menge, Besonders schwerer Fall bei Regelbeispiel, Strafzumessung, Vollmacht zur Berufungsbeschränkung, Ausreichende Feststellungen bei Verstoß gegen BtM-Gesetz

Normen: StPO 318, StPO 302, StGB 21, BtMG 29


Beschluss: Strafsache gegen W.N. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hagen vom 5. November 1993 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. März 1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe:
Das Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - Iserlohn hat den Angeklagten am 14. Juli 1993 wegen "fortgesetzten Erwerbs von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen, teilweise in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht u.a. festgestellt:
(UA 7)
"Die "Drogenkarriere" des Angeklagten begann als 13-jähriger mit dem Konsum von Haschisch, LSD und Alkohol. Ab 1984/1985 schnupfte er gelegentlich, ab 1990 regelmäßig Kokain. Zuletzt betrug seine tägliche Dosis 2 bis 3 Gramm. Daneben rauchte er auch noch regelmäßig Haschisch. Eigenen Angaben zufolge lebt er seit seiner Festnahme in dieser Sache am 06.06.1991 drogenfrei.
Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Iserlohn vom 28.02.1990 lernte N. Mitte 1990 in der JVA Oberems den gesondert Verfolgten Ne. und über diesen den gesondert Verfolgten Armenier A. aus Aachen kennen. Der Kontakt zu A. vertiefte sich, nachdem der Angeklagte am 11.10.1990 in den offenen Vollzug der JVA Attendorn verlegt wurde. Dort verblieb er bis zum 22.01.1991. An diesem Tage wurde er in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt, weil der Verdacht aufgekommen war, dass er Rauschgiftkonsument sei.
(UA 8).

Zwischen Oktober 1990 und dem 06.06.1991 erwarb N. aufgrund eines auf eine gleichartige fortgesetzte Begehungsweise gerichteten Tatentschlusses rund 14 kg Haschisch, 640 g Kokain, 280 g Heroin und 310 g Amphetamin in der teilweisen Absicht, die Betäubungsmittel selbst zu konsumieren, überwiegend aber, um sie mit Gewinn an Dritte weiterzuveräußern. Einen großen Teil des Rauschgifts schmuggelte er in die JVA Attendorn im Darm bzw. durch Werfen von Behältnissen, in denen sich Haschisch befand, über den Zaun ein und verkaufte es dort.

1. Im Tatzeitraum erwarb er von A. und Ne. zusammen 14 kg Haschisch zu einem Grammpreis von 4,50 bis 5,00 DM. Die einzelnen Lieferungen erfolgten zuletzt kiloweise, vorher in etwas geringeren Mengen. Soweit der Angeklagte das Haschisch nicht selbst konsumierte, veräußerte er es gewinnbringend an nachstehende Abnehmer:
(Es folgt eine Aufzählung von 8 namentlich bezeichneten Erwerbern, denen der Angeklagte insgesamt mindestens 7 kg 755 g Haschisch zu Grammpreisen zwischen 5,00 DM und 8,00 DM verkauft hat, vgl. UA 8/9).
2. Ebenfalls zwischen Oktober 1990 und Anfang Juni 1991 erwarb N. in einer Vielzahl von Einzelfällen von A. insgesamt 560 g Kokain in Teilmengen von 10 bis 50 Gramm zu einem Grammpreis von 130,00 DM, von M. in der JVA Attendorn in zwei Fällen zusammen rund 40 g Kokain zu einem Grammpreis von 150,00 DM und von Dieter Nebel Mitte Mai 1991 40 g Kokain ebenfalls zu einem Grammpreis von 150,00 DM. Soweit er es nicht selbst konsumierte, veräußerte er es gewinnbringend an nachstehende Abnehmer:
(Es folgt eine Aufzählung von 6 namentlich bezeichneten Erwerbern, denen der Angeklagte insgesamt mindestens 247,5 g Kokain zu Grammpreisen zwischen 150,00 DM und 180,00 DM verkauft hat, vgl. UA 9/10).
3. Ab Dezember 1990 kaufte N. von A. in mehreren Teilakten zusätzlich 280 Gramm Heroin zu einem Grammpreis von 100,00 bis 130,00 DM.
Höchstens 2 Gramm konsumierte er selbst, den Rest veräußerte er gewinnbringend weiter, und zwar..(Es folgt eine Aufzählung von 6 namentlich bezeichneten Erwerbern, denen der Angeklagte insgesamt "rund" 284 Gramm Heroin zu Grammpreisen zwischen 130,00 DM und 160,00 DM verkauft hat, vgl. UA 10).
(UA 11)
Schließlich erwarb der Angeklagte im Mai 1991 von den gesondert Verfolgten A. und Ne. 340 g Amphetamin zu einem Grammpreis von 50,00 DM. 70 Gramm veräußerte er gewinnbringend an einen Bekannten, dessen Namen er nicht nennen will, 10 bis 20 Gramm erhielt R. M., Hagen, ohne Entgelt."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt, die Rechtsanwalt P. mit Schriftsatz vom 6. September 1993 auf das Strafmaß beschränkt hat. Mit Urteil vom 5. November 1993 hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen das Rechtsmittel des Angeklagten verworfen. Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und macht insbesondere geltend, die Strafkammer habe sich "bei der Findung des Strafrahmens rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob überhaupt der Strafrahmen aus § 29 Abs. 3 BtMG oder nicht aufgrund der besonderen Umstände aus § 29 Abs. 1 BtMG zu entnehmen ist".

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Die vom Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob der Angeklagte seine Berufung gemäß § 318 StPO wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, führt zu dem Ergebnis, dass das Landgericht letztlich zutreffend eine wirksame Berufungsbeschränkung angenommen hat.

a) Als amtlich bestellter Vertreter von Rechtsanwalt H. ist Rechtsanwalt P. gemäß § 53 Abs. 7 BRAO berechtigt gewesene die anwaltlichen Befugnisse des von ihm Vertretenen wahrzunehmen. Ausweislich der Strafprozeßvollmacht vom 13. Juni 1991 (Band I Bl. 111 d. A.) hat der Angeklagte Rechtsanwalt H. ermächtigt, "Rechtsmittel ganz oder teilweise zurückzunehmen". Die nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung von Rechtsanwalt P. mit Schriftsatz vom 6. September 1993 erklärte Beschränkung auf das Strafmaß ist danach wirksam, weil die darin liegende (Teil-) Rücknahme der Berufung mit ausdrücklicher Ermächtigung des Angeklagten erfolgt ist (vgl. § 302 Abs. 2 StPO).

b) In der Sache setzt eine wirksame Berufungsbeschränkung voraus, dass die im vorangegangenen tatrichterlichen Urteil getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch eine ausreichende Grundlage für die vom Rechtsmittelgericht zu treffende Rechtsfolgenentscheidung bilden. An der maßgeblichen Grundlage dafür fehlt es insbesondere, wenn die Feststellungen zum Tathergang den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen (KK-Ruß, 3. Aufl. (1993) § 318 StPO Rdnr. 7 a m.w.N.).
Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte u.a. wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1, 4 BtMG (a.F.) zur Verantwortung zu ziehen sei (UA 12) und hat ihm strafschärfend angelastet, "dass er die Grenzen der "nicht geringen Menge" (7,5 g Tetrahydrocannabinol, 5 g Kokainhydrochlorid, 1,5 g Heroinhydrochlorid, 10 g Amphetaminbase) bei allen Rauschgiften um ein Vielfaches überschritten hat" (UA 14). Konkretere Feststellungen hat es nicht getroffen, obwohl der Rechtsbegriff der nicht geringen Menge Ermittlungen des Tatrichters nicht nur zum Gewicht, sondern auch zum Wirkstoffgehalt und der Wirkstoffmenge des Rauschmittels voraussetzt (BGH NStZ 1985, 273 (st. Rspr.); vgl. Körner, 3. Aufl. (1990) § 29 BtMG Rdnr. 770 ff.).
Das hindert gleichwohl im vorliegenden Fall die Annahme der den Schuldspruch betreffenden ("horizontalen") Teilrechtskraft nicht, da die tatsächlichen Feststellungen zum nicht angefochtenen Teil eine erschöpfende Nachprüfung des angefochtenen Teils zulassen, so dass der in den Rechtsmittelerklärungen des Angeklagten zum Ausdruck kommende Gestaltungswille im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (vgl. BGHSt 29, 359, 364; KK-Ruß, a.a.O. § 318 StPO Rdnr. 1 m.w.N.).

Mit dem Schöffengericht ist davon auszugehen, dass die Strafe der Vorschrift des § 29 BtMG a.F. zu entnehmen ist, weil die Tat zur Tatzeit als Vergehen (§ 12 Abs. 2, 3 StGB) einzustufen gewesen ist, während zwischenzeitlich der Verbrechenstatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - mit höherem Regelstrafrahmen - in Betracht kommt (vgl. § 2 Abs. 3 StGB). Soweit für die Bestimmung des Strafrahmens, aus dem die Strafe zu entnehmen ist, in Frage steht, ob der Angeklagte gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG a.F. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben hat, geht es - hinsichtlich des Mengenbegriffs - nicht um Umstände, die den Schuldausspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht tragen. Vielmehr handelt es sich insoweit um Strafzumessungserwägungen, die Ergebnis tatrichterlicher Würdigung der festgestellten Tatumstände unter Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo sind (vgl. BGH NStZ 1985, 273; Körner, a.a.O. § 29 BtMG Rdnr. 772 m.w.N.). Es bestehen deshalb keine Bedenken, dass das Berufungsgericht bei einer Strafmaßberufung selbständig die Voraussetzungen des straferhöhenden Merkmals der nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln auf der Grundlage des bindend festgestellten Sachverhalts beurteilt.

c ) Von Amts wegen hat das Revisionsgericht auch zu beachten, ob das Berufungsgericht im richtigen Umfang von einer Berufungsbeschränkung ausgegangen ist (KK-Ruß, a.a.O. § 318 StPO Rdnr. 11). Zu Recht hat sich das Landgericht bei der Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs damit beschäftigt, ob der Angeklagte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB gehandelt hat (vgl. OLG Köln NStZ 1981, 63 f). Klarstellend wird für den neuen Tatrichter darauf hingewiesen, dass (nur) die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit in Rede steht.

2. a) Die Sachbeschwerde hat schon deshalb Erfolg, weil es das Berufungsgericht unterlassen hat, die nicht geringe Menge der Betäubungsmittel, mit denen der Angeklagte gehandelt hat, zu bestimmen; insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen. Es kann danach nicht ausgeschlossen werden, dass die Schlußfolgerung "dass er (der Angeklagte) die Grenzen der "nicht geringen Menge" bei allen von ihm gehandelten Drogen um ein Vielfaches überschritten hat" (UA 11) zum Nachteil des Angeklagten auf rechtlich fehlerhafter Grundlage beruht.

b) Außerdem hat die Verteidigung zutreffend darauf hingewiesen, dass das Urteil nicht erkennen lässt, ob sich die Strafkammer der Möglichkeit bewusst gewesen ist, einen besonders schweren Fall trotz des Regelbeispiels gemäß § 29 Abs. 3 BtMG a.F. zu verneinen. Es fehlt jedenfalls die der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugängliche Darstellung der Gesamtwürdigung, ob der erhöhte Strafrahmen trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ausnahmsweise nicht zur Anwendung kommt. Das ist denkbar, wenn in der Tat oder in der Person des Täters außergewöhnliche Umstände vorliegen, die sein Unrecht oder seine Schuld deutlich vom Regelfall abheben und deshalb im Einzelfall die Anwendung des erschwerten Strafrahmens nicht angemessen erscheinen lassen (BGH NStZ 1984, 27). Zwar kann sich eine ausdrückliche Erörterung erübrigen, wenn nach Lage des Falles fernliegt, es könnten die genannten Voraussetzungen vorliegen (BGH NStZ 1988, 367 f), doch ist das hier nicht der Fall.
Unzweifelhaft wiegen die Umstände der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat sehr schwer. Indes kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Tatzeitraum - Oktober 1990 bis Juni 1991 - einige Jahre zurückliegt und die letzte Strafvollstreckung, aus der der Angeklagte am 26. März 1991 bedingt entlassen worden ist, diesen offenbar nachhaltig beeindruckt hat. Ausweislich der Gründe des angefochtenen Berufungsurteils hat sein Leben seit der Entlassung aus der Untersuchungshaft in vorliegender Sache am 18. Dezember 1991 eine positive Wendung genommen. Er lebt seit Juni 1991 drogenfrei nach fast zwanzi.g Jahre andauernder intensiver "Drogenkarriere". Seine Loslösung aus dem früheren Umfeld erscheint endgültig, nachdem er sich nicht nur zu einem umfassenden Geständnis durchgerungen hat, sondern bei seinen Angaben auch geblieben ist und "Drohungen Dritter aushalten mußte" (UA 10). Er hat seit seiner Entlassung eine feste Arbeitsstelle, ist verheiratet und sorgt für seine junge Familie, zu der - außer einer 5-jährigen Tochter der Ehefrau - der gemeinsame Sohn gehört, der feinmotorisch gestört ist und besonders aufwendiger Pflege bedarf. Wenn der Tatrichter - wie geschehen - hervorhebt, dass es für den Angeklagten "eine bemerkenswert positive Entwicklung (ist), dass er erstmals über längere Zeit in einer ungekündigten Stellung im Arbeitsleben aushält" und sich andererseits "ein Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe ... auf sein künftiges Leben in der Gesellschaft ungünstig auswirken kann" (UA 10), dann ist angesichts der weiteren Milderungsgründe gemäß § 31 Nr. 1 BtMG und § 21 StGB nicht auszuschließen, dass die Gesamtwürdigung dazu führt, die Strafe dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG a.F. zu entnehmen. Ein Vergleich mit "anderen, ähnlich gelagerten Fällen" (UA 11) erscheint angesichts der trotz der Tatschwere für den Angeklagten sprechenden Umstände zudem zweifelhaft.

Da - wie dargelegt - nicht auszuschließen ist, dass der Rechtsfolgenausspruch (und damit das angefochtene Urteil insgesamt) auf rechtlich fehlerhafter Grundlage beruht, war die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung war dem neuen Tatrichter vorzubehalten, da der Erfolg der Revision im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.


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