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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 BL 121/94 OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: BL6

Stichworte: Aufhebung, grober Fehler, Gutachten, Überflüssigkeit des Gutachten, Überwachung, Vorlage des Gutachtens

Normen: StPO 121, StPO 122


Beschluss: Strafsache gegen V. H. wegen versuchten Mordes u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten (Doppelakten) zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. April 1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. Oktober 1993 - AZ: 79 Gs 324.4/93 - in der Fassung vom 8. März oder 8. April 1994 - Az: 78 Gs 404/94 - wird aufgehoben.

Gründe:
Dem Beschuldigten, der am 9. Oktober 1993 vorläufig festgenommen worden ist, wird mit dem inzwischen neu gefaßten Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. Oktober 1993 (Az: 79 Gs 3244/93) zur Last gelegt, am 9. Oktober 1993 in Dortmund durch zwei selbständige Handlungen einen schweren Raub und einen versuchten Mord zur Verdeckung einer Straftat begangen zu haben. Der Beschuldigte soll am Morgen des Tattages die Spielhalle am Wambeler Hellweg 115 in Dortmund überfallen haben, die Aufsicht H.B. durch Vorhalten eines Teppichmessers gezwungen haben zu dulden, dass er der Kasse Bargeld in Höhe von etwa DM 500 entnahm und in seine Kleidung steckte, und sodann den Entschluß gefaßt haben, die Tatzeugin zu töten, um eine Identifizierung zu verhindern. In Ausführung dieses Vorhaben soll er sodann sein Opfer aufgefordert haben, sich auf einen Stuhl zu setzen. Hinter ihr stehend habe er sodann der Zeugin B. mit einem Glasaschenbecher und mit einer teilweise gefällten Mineralwasserflasche mehrfach wuchtig auf den Kopf geschlagen, so dass diese einen Schädelbruch und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten habe.
Dieses Tatgeschehen ergibt sich insbesondere aus den Bekundungen des Tatopfers gegenüber der Kriminalpolizei. Der Beschuldigte hat die Tat als solche nicht in Abrede gestellt, sich anläßlich der polizeilichen Vernehmungen auf einen "Kurzschluß" berufen und hat hinsichtlich der Einzelheiten der Tatausführung Erinnerungslücken vorgegeben.

Entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. Oktober 1993 - in seiner jetzigen Fassung trotz dringenden Tatverdachts und bestehender Haftgründe gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StPO aufzuheben, weil jedenfalls wichtige Gründe i.S.d. § 121 StPO nicht vorliegen.

1. Der Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus ist nur zulässig, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen hat und die Haftfortdauer rechtfertigt (vgl. § 121 Abs. 1 StPO). Hier kommt nur ein nicht benannter wichtiger Grund i.S.d. Vorschrift in Betracht, weil die Ermittlungen weder besonders schwierig noch besonders umfangreich gewesen sind. Wichtiger Grund i.S.d. § 121 StPO kann nur ein verfahrensbezogener Umstand sein, der eine Haftverlängerung rechtfertigt. Unabhängig von der Auslegung des Gesetzeswortlautes im einzelnen "rechtfertigen" bei der gebotenen Gesamtabwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten und dem legitimen Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters (vgl. BVerfG StV 1990, 555) jedenfalls solche Verfahrensverzögerungen eine Haftfortdauer nicht, die auf groben Fehlern und Versäumnissen der Ermittlungsorgane oder Gerichte beruhen und zu einem erheblichen Zeitverlust geführt haben (KG StV 1983, 111 m.w.N.). Dass der Beschuldigte eines Verbrechens des versuchten Mordes dringend verdächtig ist, ändert an dieser durch das Gesetz vorgeschriebenen Prüfungsstrenge nichts; eine korrigierende Abwägung zwischen dem Interesse des Staates an der Verfahrenssicherung bei Kapitalverbrechen und dem Beschleunigungsgrundsatz findet darüber hinaus nicht statt (vgl. PfzOLG Zweibrücken NStZ 1994, 202; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 41. Aufl. (1993) § 121 StPO Rn. 20 m.w.N.).

2. Zu beanstanden sind hier die Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörde im Zusammenhang mit der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten und zur Frage einer Unterbringung gem. §§ 64, 63 StGB. Nach Anhörung der Verteidigung hat die Staatsanwaltschaft Dortmund mit Schreiben vom 15. November 1993 Dr. S. von der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Dortmund gebeten, das schriftliche Gutachten bis zum 10. Februar 1994 zu erstellen. Für den Fall der Verzögerung sollte sich der Sachverständige mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung setzen, um ggf. eine neue Frist abzusprechen (Bl. 51 DA). Weitere Maßnahmen hat die Strafverfolgungsbehörde nach Aktenlage nicht getroffen, obwohl das Gutachten bis heute nicht vorliegt. Der Vertreter des Sachbearbeiters hat allerdings am 30. Dezember 1993 fernmündlich mit dem Sachverständigen gesprochen und erfahren, dass die Untersuchungen noch andauern. Auf seine Vorlageverfügung "spätestens am 20.01.94 (Gutachten? ... ) - genau -" (Bl. 109 R d.A.) ist ausweislich der dem Senat vorliegenden Doppelakte nichts erfolgt. Die zeitlich folgende Verfügung des Dezernenten datiert vom 15. März 1994 und betrifft die Übersendung der Doppelakten an das Amtsgericht Dortmund mit der Bitte um Stellungnahme zur Haftfortdauer über sechs Monate hinaus und dem Hinweis, dass die Anklage bisher noch nicht habe gefertigt werden können, da das Gutachten noch ausstehe; es sei für nächste Woche zugesagt (Bl. 112 DA). Ausweislich der Notiz vom 28. März 1994 (Bl. 113 DA) hat der Sachverständige (erneut) mitgeteilt, dass das Gutachten in den nächsten Tagen eingehen werde. Jedenfalls bis zur Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 6. April 1994 ist das nicht der Fall gewesen. Dort heißt es im Übrigen, "der Sachverständige (habe) die Verzögerung damit begründet, dass er durch Urlaubsvertretung vorübergehend überlastet" gewesen sei. Diese Verfahrensweise steht mit dem Beschleunigungsgebot nicht im Einklang. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob die dem Sachverständigen im Anschreiben vom 15. November 1993 gesetzte Frist zur Vorlage des schriftlichen Gutachtens von fast drei Monaten angemessen (kurz) bestimmt gewesen ist. Als Besonderheit des vorliegenden Ermittlungsverfahrens, das eine zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehörende Straftat zum Gegenstand hat, ist nämlich hervorzuheben, dass nach Aktenlage über die Tat hinaus keinerlei Umstände ersichtlich sind, deren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten in Rede stehen. Es ist indes nicht auszuschließen, dass diese Schlußfolgerung auf tatsächlich unrichtiger Basis beruht, da die Ermittlungen zur Person des Beschuldigten äußerst dürftig sind (vgl. Bl. 28 DA). Weiterer Darlegungen zu dieser Rechtsfrage bedarf es allerdings deshalb nicht, weil die Haftentscheidung davon nicht abhängt.
Ausgehend von der Fristbestimmung ist der Strafverfolgungsbehörde anzutasten, dass sie sich um die Erstellung des Gutachtens seit Januar 1994 (vgl. Fristvorlageverfügung Bl. 109 R DA) Überhaupt nicht mehr gekümmert und in der Folge die Anklageerhebung ohne erkennbare Notwendigkeit unterlassen hat. Wenn auch der Sachverständige zum Jahreswechsel 1993/94 die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen hatte, hätte jedenfalls sechs Wochen später - zum Fristablauf - erfragt werden müssen, zu welchem (vorläufigen) Ergebnis der Gutachter gekommen ist. Zur Beurteilung der Rechtslage vor Anklageerhebung ist es für den Dezernenten der Staatsanwaltschaft nur darauf angekommen, von einem Handeln des Beschuldigten im Zustand der Schuldunfähigkeit zu erfahren. Alle anderen Einzelheiten der Sachverständigenbegutachtung sind für die Abwägung, ob Anklage zu erheben ist, ohne Bedeutung gewesen. Für die Notwendigkeit, das schriftliche Sachverständigengutachten abzuwarten, gibt es keine Anhaltspunkte (vgl. OLG Köln NJW 1973, 1009). Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Anklage (spätestens) Mitte Februar 1994 hätte erhoben werden können.
Bei zügiger Bearbeitung hätte inzwischen zumindest das Hauptverfahren eröffnet und Termin zur Hauptverhandlung bestimmt werden können. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Untersuchungsergebnisse des Landeskriminalamtes in Düsseldorf (vgl. Bl. 93 DA) mittlerweile vorliegen, da diese für die Aufklärung des Tathergangs ohne entscheidende Bedeutung sind. Unter diesen Umständen ist eine weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ausgeschlossen, so dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 10. Oktober 1993 aufzuheben war (vgl. PfzOLG Zweibrücken NStZ 1994, 202 m.w.N.).


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