Aktenzeichen: 2 Ss OWi 1008/95 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Zum qualifizierter Rotlichtverstoß eines Taxifahrers.
2. Zur Frage, wann nähere Erörterungen zu der Möglichkeit des Abwendens eines Fahrverbots durch eine erhöhte Geldbuße erforderlich sind.
Senat: 2
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Qualifizierter Rotlichtverstoß, Taxifahrer, Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot durch Erhöhung der Geldbuße, ausreichende Erörterungen
Normen: StVO 37, StVG 25
Fundstelle: NZV 1996, 77; VM 1996, 45; VRS 90, 453
Beschluss: Bußgeldsache gegen J.M. wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 24. Mai 1995 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25.09.1995 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwalt gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Dortmund zurückverwiesen.
G r ü n d e:
I. Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen "einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gem. den §§ 37 Abs. II, 49 Abs. III Nr. 2 StVO" verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 1. November 1994 mit einem Taxi gegen 1.51 Uhr in Dortmund die Luisenstraße, um von dieser auf den Hiltropwall abzubiegen. Beim Abbiegen übersah der Betroffene die an der Einmündung Luisenstraße/Hiltropwall stehende Lichtzeichenanlage. Er überfuhr die Haltelinie, als die Lichtzeichenanlage bereits länger als eine Sekunde Rotlicht anzeigte. Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen dieses Rotlichtverstoßes die von der BußgeldkatalogVO vorgesehene Regelgeldbuße von 250 DM festgesetzt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Bei der Begründung des verhängten Fahrverbots hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt:
"Das Gericht hat geprüft, ob in der Tat oder in der Person des Betroffenen Gründe vorliegen, die ein Abweichen von den Anordnungen der Bußgeldkatalogverordnung rechtfertigen. Derartige Umstände liegen nicht vor. Das Gericht verkennt nicht, dass das Fahrverbot den Betroffenen als Taxifahrer hart trifft. Berufliche Nachteile an sich genügen jedoch nicht, von einem Regelfahrverbot abzusehen. Der Betroffene hat die Tat bei Ausübung seines Berufes begangen. Ihm hätte klar sein müssen, welche Folgen ein ordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr gerade für ihn haben kann. Der Betroffene hätte sein Fahrverhalten darauf einstellen müssen, zumal er Verantwortung für die von ihm transportierten Fahrgäste trägt. Eine Existenzgefährdung hat der Betroffene darüber hinaus nicht vorgetragen. Die Frage danach, ob ihm ein Urlaubsanspruch zustehe, der ganz oder zum Teil den Zeitraum des Fahrverbots abdecke, bejahte der Betroffene."
In seiner Rechtsbeschwerde hat der Betroffene die formelle und materielle Rüge erhoben und sich insbesondere dagegen gewandt, dass das Amtsgericht einen von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt habe. Außerdem hat er die Beweiswürdigung des Amtsgerichts angegriffen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs - zumindest vorläufigen - Erfolg.
1. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes gem. den §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO. Es ist aus Rechtsgründen weder die vom Amtsgericht beschlossene Ablehnung des Beweisantrages noch die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils zu beanstanden. Insoweit nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die dem Betroffenen bekannte Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 30. August 1995 Bezug, der er, weil sie zutreffend ist, beitritt.
2. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - Rechtsfehler erkennen, die insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.
Zutreffend ist es allerdings, wenn das Amtsgericht davon ausgeht, dass eine Ausnahmefall, der ein Absehen von der Verhängung des nach der lfd. Nr. 34.2 der BußgeldkatalogVO für Rotlichtverstöße der vorliegenden Art vorgesehenen Regelfahrverbots rechtfertigen würde (vgl. dazu Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 25 StVG Rn. 15 ff. m.w.N.; sowie insbesondere BGHSt 38, 231 = NZV 1992, 286), nicht vorliegt. Insoweit hat das Amtsgericht insbesondere nicht verkannt, dass nicht jeder berufliche Nachteil die Ausnahme vom Regelfahrverbot rechtfertigt, sondern grundsätzlich nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist (vgl. OLG Hamm, NZV 1991, 121; siehe auch OLG Oldenburg ZfS 1995, 34 und die Zusammenstellung bei Bode ZfS 1995, 2 m.w.N.; sowie BVerfG NJW 1995, 1541; OLG Düsseldorf NZV 1995, 161; und schließlich Beschlüsse des Senats vom 9. Juni 1995 in 2 Ss OWi 623/95 - ZAP EN-Nr. 618/95 = DAR 1995, 374; vom 26. Juni 1995 in 2 Ss OWi 703/95 - NZV 1995, 366; vom 18. Juli 1995 in 2 Ss OWi 386/95 und vom 20. Juli 1995 in 2 Ss OWi 830/95). Diese Härte hat das Amtsgericht hier mit zutreffenden Erwägungen verneint.
Rechtsfehlerhaft und damit zu beanstanden ist es jedoch, dass das Amtsgericht sich bei der Begründung der Verhängung des Fahrverbots - zumindest für das Rechtsbeschwerdegericht nicht erkennbar - nicht auch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob nicht von der Verhängung des Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße abgesehen werden konnte, weil bei diesem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise erreicht werden kann. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regelfalls nach der BußgeldkatalogVO, wenn keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, der Verpflichtung enthoben, die grundsätzliche Angemessenheit der Verhängung eines Fahrverbots besonders zu begründen. Desgleichen sind auch keine näheren Feststellungen dazu erforderlich, ob - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch durch eine Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann. Der Tatrichter muß sich aber dieser Möglichkeit bewusst gewesen sein und dies in den Entscheidungsgründen grundsätzlich erkennen lassen (vgl. BGH NJW 1992, 446; OLG Hamm - 2 Ss OWi 1465/94; zuletzt der oben bereits erwähnte Beschluss des Senats vom 20. Juli 1995 und Beschluss vom 27. Juli 1995 - 2 Ss OWi 808/95; s.a. Jagusch/Hentschel, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Daran fehlt es hier. Die Feststellung des Amtsgerichts, dass es geprüft hat, "ob in der Tat oder in der Person des Betroffenen Gründe vorliegen, die ein Abweichen von den Anordnungen der Bußgeldkatalogverordnung rechtfertigen", und dass derartige Umstände nicht vorliegen, sowie die weiteren Ausführungen zu den Auswirkungen des Fahrverbots auf die berufliche Tätigkeit des Betroffenen bringen - auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe - nicht eindeutig zum Ausdruck, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit bewusst gewesen ist, trotz Annahme eines Regelfalls nach der BußgeldkatalogVO unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbots absehen zu können. Vielmehr deuten die vom Amtsgericht verwendeten Formulierungen darauf hin, dass es ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbots nur unter dem Gesichtspunkt, ob wegen Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden könne, geprüft hat.
Erörterungen zur Frage des Abwendens eines Fahrverbotes durch eine erhöhte Geldbuße waren hier auch nicht entbehrlich waren (zur Entbehrlichkeit entsprechender Erörterungen vgl. Beschluss des Senats vom 3. Mai 1994 - 2 Ss OWi 378/94 - in NZV 1995, 83[ Ls.]). Vielmehr lag aufgrund der Gesamtumstände eine Auseinandersetzung mit der Frage nahe: Der fast 32 Jahre alte Betroffene übt seit vier Jahren den Beruf des Taxifahrers aus, ohne dass er - jedenfalls teilt das angefochtene Urteil dazu nichts mit - straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Der Rotlichtverstoß wurde zudem nachts zu einer Zeit begangen, zu der - wovon auch das angefochtene Urteil ausgeht - "jedenfalls ein äußerst reger Verkehr nicht mehr herrschte", so dass im Zweifel von einer geringeren Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden kann.
Insgesamt sind somit die Ausführungen des Amtsgerichts zum Rechtsfolgenausspruch unvollständig. Damit war - wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße - der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben. Da es für die Frage des Absehens vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße mitentscheidend auf den persönlichen Eindruck vom Betroffenen ankommen kann, hat der Senat von der ihm in § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit, selbst in der Sache zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht, sondern die Sache an das Amtsgericht, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zu erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
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