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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 99/99 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Ermessensentscheidung, ob einem Ersuchen um Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Heimatland stattgegeben werden soll, sind die Interessen des Verurteilten an der sozialen Wiedereingliederung in seinem Heimatland und die Belastungen des Betroffenen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einem fremden Lebensbereich gegenüber dem Interesse der Rechtspflege auf der Grundlage aller dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke gegeneinander abzuwägen.

Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Ablehnung des Ersuchens um Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in der Türkei, Ermessensentscheidung, Erwägungen, Resozialisierung, Berücksichtigung des Strafzwecks

Normen: EGGVG 23, IRG 71

Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend H.S., wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (hier: Ersuchen um Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in der Türkei).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 28. Oktober 1999 auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 15. September 1999 in der Form des Beschwerdebescheids der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf vom 21. Oktober 1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25.01.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Der Antrag wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden bei einem Gegenstandswert von 5.000,- DM dem Betroffenen auferlegt.

G r ü n d e: Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 5. Februar 1997 vom Landgericht Wuppertal wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Hälfte der Strafe wird der Betroffene am 13. Januar 2001 verbüßt haben, der Zwei-Drittel-Zeitpunkt datiert auf den 13. September 2002.

Bereits am 4. Oktober 1997 hat der Betroffene beantragt, zur Strafvollstreckung in die Türkei überstellt zu werden. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat mit Bescheid vom 2. Februar 1998 den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf am 15. April 1998 zurückgewiesen. Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß
§§ 23 ff. EGGVG hat der Senat mit Beschluss vom 14. Juli 1998 den Bescheid der Staatsanwaltschaft Wuppertal in der Form der Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf aufgehoben und die Staatsanwaltschaft Wuppertal angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat daraufhin nach erneuter Überprüfung die Überstellung des Betroffenen in die Türkei mit Bescheid vom 23. September 1998 wiederum abgelehnt. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des
Betroffenen hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf am 26. Oktober 1998 zurückgewiesen. Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG hat der Senat mit Beschluss vom 21. Januar 1999 den Antrag als unbegründet verworfen.

Unter dem 27. März 1999 hat der Verurteilte erneut einen Antrag auf Überstellung in den türkischen Strafvollzug gestellt. Zur Begründung hat er vorgetragen, es sei unter Berücksichtigung seiner Resozialisierung geboten, seine Verlegung in den Strafvollzug der Türkei zu bewilligen bzw. anzuordnen. Der Lebensmittelpunkt seiner Familie liege in der Türkei. Auf Anfrage der Staatsanwaltschaft Wuppertal hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt Remscheid unter dem 18. Juni 1999 mitgeteilt, dass der Verurteilte sich ausweislich des Urteils seit seinem dritten Lebensjahr in der Bundesrepublik Deutschland befinde. Er habe angegeben, dass seine Eltern jetzt Wohnung in der Türkei genommen haben und sich nur noch teilweise kurzfristig in Deutschland aufhielten. Die letzten Besuche der Eltern hätten im Dezember 1998 und Mai 1999 stattgefunden.

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat daraufhin die Überstellung des Betroffenen in die Türkei mit Bescheid vom 15. September 1999 wiederum abgelehnt. In diesem Bescheid ist ausgeführt:

"Auch nach wiederholter Prüfung der Sach und Rechtslage sehe ich keinen Anlass, ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung an die türkischen Behörden zu richten.

Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen nehme ich auf meinen Bescheid vom 23. September 1998 vollinhaltlich Bezug.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass eine Beeinträchtigung Ihrer Belange durch eine Strafvollstreckung in Deutschland nicht ersichtlich ist. Sie leben seit Ihrem dritten Lebensjahr hier, sind der deutschen Sprache mächtig und erhalten weiterhin Besuch von Ihren Familienangehörigen. Bei der Abwägung der Interessen ist dem inländischen Strafanspruch der Vorrang einzuräumen."

Der Betroffene hat diesen Bescheid wiederum mit der Beschwerde angefochten. Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf hat das Rechtsmittel mit Bescheid vom 21. Oktober 1999 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt:

"Die Staatsanwaltschaft hat mit zutreffenden Erwägungen unter Berücksichtigung der Vollstreckungspraxis in der Türkei ihre persönlichen Belange den dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecken untergeordnet.

Ergänzend bemerke ich: Bei meiner Prüfung habe ich die dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke in Rechnung gestellt und gegenüber Ihren persönlichen Belangen auf Resozialisierung abgewogen. Dabei habe ich auch insbesondere den Strafzweck der Generalprävention berücksichtigt, wonach durch die Verbüßung eines großen Teils der Strafe potenzielle Straftäter der Rauschgiftszene abgeschreckt werden und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts bewahrt werden soll. Auch habe ich in meine Ermessensentscheidung die Vollstreckungspraxis des Vollstreckungsstaates einbezogen. Da nach bekannt gewordenen vergleichbaren Fällen zu erwarten ist, dass Sie bei Anbringung eines etwaigen Vollstreckungsersuchens in der Türke bereits nach Verbüßung von 42 % der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren zur Bewährung entlassen würden, obwohl im vorliegenden Fall die Aussetzung eines Strafrestes erst in Betracht kommen dürfte, wenn etwa zwei Drittel der Strafe verbüßt sind, erscheint es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Staatsanwaltschaft diesen Erwägungen den Vorrang vor Ihren persönlichen Belangen beimisst, deren Beeinträchtigung die selbstverschuldete Folge der schwerwiegenden Straftaten ist. Auch der von Ihnen nunmehr vorgetragene Umstand, Ihre Familie habe ihren Lebensmittelpunkt in der Türkei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine durch die Strafvollstreckung in Deutschland hervorgerufene nachteilige Beeinträchtigung Ihrer Belange ist auch bei näherer Betrachtung Ihrer Lebensumstände nicht ersichtlich. Infolge Ihrer deutschen Sprachkenntnisse - Sie leben sei Ihrem dritten Lebensjahr ununterbrochen in Deutschland, wo Sie auch die Schule besucht haben - sind Sie besonderen Einschränkungen im Rahmen der Strafvollstreckung nicht unterworfen. Darüber hinaus erhalten Sie nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Remscheid vom 18. Juni 1999 weiterhin - wenn auch nur in größeren Zeitabständen - Besuche von Ihrer Familie, so dass Außenkontakte fortbestehen."

Gegen diese Entscheidung richtet sich der erneute Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er ist der Auffassung, dass auch in den nunmehr ergangenen Bescheiden der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft sein Resozialisierungsinteresse nicht ausreichend berücksichtigt und gegenüber den generalpräventiven Erwägungen abgewogen worden sei. Im übrigen werde seine Wiedereingliederung in die Heimatgesellschaft, die Sinn und Zweck der Strafe für einen Ausländer, der abgeschoben werden solle, sein müsse, von vornherein verhindert. Darüber hinaus sei auch in der Bundesrepublik Deutschland mit seiner Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zu rechnen.

Der im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft (vgl. Beschlüsse des Senats vom 3. September 1998 - 1 VAs 45/98 -; vom 23. Juli 1998 - 1 VAs 33/98 -; vom 14. Juli 1998 - 1 VAs 31/98 -) und auch im übrigen zulässig. Er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die Staatsanwaltschaft das ihr eingeräumte Ermessen, ob sie bei dem Bundesministerium der Justiz auf ein an die Türkei zu stellendes Ersuchen um Übernahme des Verurteilten zur dortigen Strafvollstreckung beantragen will, fehlerfrei ausgeübt hat.

Bei der Ermessensentscheidung sind die Interessen des Verurteilten an der sozialen Wiedereingliederung in seinem Heimatland und die Belastungen des Betroffenen durch die Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einem fremden Lebensbereich gegenüber dem Interesse der Rechtspflege auf der Grundlage aller dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke gegeneinander abzuwägen. Diesen Maßstäben werden die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften gerecht.

Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde darauf abgestellt, dass der Verurteilte im Vollzug keinen besonderen Belastungen unterliegt. Er befindet sich seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland und ist der deutschen Sprache mächtig. Darüber hinaus erhält er auch weiterhin Besuch von seiner Familie. Dass die Staatsanwaltschaften weitergehende Ausführungen zum Resozialisierungsinteresse des Verurteilten nicht gemacht haben, ist angesichts der Tatsache, dass der Betroffene keine detaillierten Ausführungen dazu gemacht hat, aus welchen Gründen eine Resozialisierung nur im Heimatstaat erfolgen könne, nicht zu beanstanden. Sowohl der Beschwerdebegründung als auch seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist dazu lediglich zu entnehmen, dass der Lebensmittelpunkt seiner Familie in der Türkei liege. Angaben über berufliche oder gesellschaftliche Beziehungen hat er nicht gemacht. Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Betroffene, der seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland lebt, in ein für ihn völlig fremden Kulturkreis kommt. Aus diesem Grunde ist nicht ersichtlich, warum die Resozialisierung des Betroffenen durch eine Überstellung in die Türkei gefördert werden könnte. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft auf diesen Umstand in ihrer Abwägung nicht näher eingegangen ist.

Zu Recht sieht die Vollstreckungsbehörde die gebotene nachhaltige Vollstreckung bei einer Überstellung in die Türkei nicht gewährleistet. In der Türkei ist eine Entlassung des Betroffenen bereits nach Verbüßung von 42 % der verhängten Strafe möglich. Dies zeigt, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung in die Türkei erhebliche Vorteile gegenüber einer Verbüßung in der Bundesrepublik Deutschland erlangen würde. Hier kann er bei realistischer Betrachtungsweise frühestens eine Entlassung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt erwarten. Eine solch frühzeitige Entlassung, wie sie der Betroffene in der Türkei erwarten kann, widerspricht damit in gravierender Weise den Interessen der deutschen Strafrechtspflege. Sie kann schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht hingenommen werden. Darüber hinaus ist es ebenfalls nicht ermessensfehlerhaft, dass die Staatsanwaltschaft die weiteren generalpräventiven Strafzwecke, vor allem die Abschreckung potenzieller Straftäter der Rauschgiftszene, berücksichtigt hat.

Es ist nicht ermessensfehlerhaft, dass die Staatsanwaltschaften den persönlichen Belangen des Verurteilten gegenüber der dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke einen Vorrang nicht eingeräumt hat. § 71 Abs. 1 Nr. 2 IRG führt als Entscheidungskriterien sowohl das Interesse des Verurteilten als auch das öffentliche Interesse an. Das Überstellungsübereinkommen ändert an dieser Rechtslage nichts. Zwar wird in den Materialien zu dem Überstellungsübereinkommen die Resozialisierung des Verurteilten in den Vordergrund gestellt, doch hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde die Erklärung abgegeben, dass das Abkommen in Übereinstimmung mit dessen Präambel auch den Interessen der Rechtspflege dienen soll und dementsprechend die Entscheidung in jedem Einzelfall auf der Grundlage aller dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke getroffen wird. Auch die Präambel des Überstellungsübereinkommens führt, wenngleich ohne Hinweis auf alle nationalen Strafzwecke, die Interessen der Rechtspflege als eines der Förderungsziele an. Daraus wird deutlich, dass die deutschen Strafrechtszwecke in gleicher Weise zu berücksichtigen sind, wie das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen. Diesem kommt nicht generell Vorrang zu. Unter der geltenden Rechtslage ist es daher angesichts der unterschiedlichen Vollstreckungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaften den Interessen der deutschen Strafrechtspflege Vorrang vor dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten eingeräumt haben.

Die Nebenentscheidung folgt aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.


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