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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ws 188/05 OLG Hamm
3 Ss 247/05 OLG Hamm

Leitsatz: Der verspätete Beginn der Hauptverhandlung beendet die Pflicht des Angeklagten zur Anwesenheit nicht. Die Verzögerung des Verhandlungsbeginns über die festgesetzte Stunde hinaus gibt dem Angeklagten in der Regel auch kein Recht auf Aussetzung, denn eine solche Verzögerung muss, wenn sie sich in vernünftigen Grenzen hält, vom Angeklagten und Verteidiger von vornherein bei der zeitlichen Terminsplanung in Rechnung gestellt werden.

Senat: 3

Gegenstand: Revision; Beschwerde

Stichworte: Berufungsverwerfung; verspäteter Beginn der Hauptverhandlung; Aussetzung; Entfernen des Angeklagten

Normen: StPO 329

Beschluss: Strafsache
gegen N.T.
wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 11.03.2005 gegen den Beschluss der VI. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 01.03.2005 sowie auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 14.01.2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung bzw. hinsichtlich der Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte trägt die Kosten beider Rechtsmittel.

Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Minden vom 19.10.2004 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld Berufungshauptverhandlungstermin auf den 14.01.2005 um 11.00 Uhr anberaumt. Zwei Anträge des Angeklagten auf Terminsverlegung vom 05.01.2005 und 10.01.2005, mit denen geltend gemacht worden war, der Angeklagte müsse am 14.01.2005 einen seit langem feststehenden und für ihn existenziell lebensnotwendigen Geschäftstermin in Dänemark wahrnehmen, dessen Gegenstand gesellschaftsrechtliche Fragenstellungen über die Firma A.P. GmbH seien, wurden durch Beschlüsse des Landgerichts Bielefeld vom 06.01.2005 und 10.01.2005 zurückgewiesen. Bei Aufruf der Sache am 14.01.2005, der verspätet, nämlich erst um 11.45 Uhr erfolgte, waren weder der Angeklagte noch sein Verteidiger anwesend. Das Landgericht Bielefeld verwarf daraufhin durch Urteil vom 14.01.2005 die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO. Zur Begründung führte das Landgericht u.a. aus, der Umstand, dass der Angeklagte, wie durch seinen Verteidiger in den abschlägig beschiedenen Verlegungsanträgen ausgeführt worden sei, am 14.01.2005 in Ejsberg/Dänemark einen „seit langem feststehenden Geschäftstermin“, dessen „Gegenstand gesellschaftsrechtliche Fragestellungen über die A.P. GmbH“ seien, wahrgenommen habe, könne sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigen. Es sei weder konkret dargetan noch glaubhaft gemacht worden, wann der Geschäftstermin anberaumt worden sei, warum der Geschäftstermin nicht zu verlegen und warum die Anwesenheit des Angeklagten bei dem Geschäftstermin erforderlich sei. Der Verteidiger des Angeklagten, dem das Urteil am 08.02.2005 zugestellt worden ist, beantragte mit Schriftsatz vom 15.02.2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung mit der Begründung, dem Antrag müsse stattgegeben werden, da nicht der Angeklagte sein Verhalten zu entschuldigen habe, sondern das Gericht zum anberaumten Termin nicht anwesend gewesen sei. Gleichzeitig legte der Verteidiger gegen das Urteil vom 14.01.2005 Revision ein, die er mit Schriftsatz vom 14.03.2005 näher begründet hat und mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Das Landgericht Bielefeld hat mit Beschluss vom 01.03.2005 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, der Umstand, dass die auf 11.00 Uhr terminierte Sache erst um 11.45 Uhr aufgerufen worden sei, weil die Berufungsverhandlung in einer anderen verhandelten Sache länger als vorgesehen gedauert habe, entschuldige das Ausbleiben des Angeklagten schon deshalb nicht, weil dieser auch nicht zur vorgegebenen Zeit um 11.00 Uhr erschienen sei. Dass der Verteidiger des Angeklagten von 10.50 - 11.30 Uhr anwesend gewesen sei, sei unerheblich, weil der Angeklagte durch den Verteidiger ohnehin nicht in zulässiger Weise hätte vertreten werden können.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 11.03.2004.

II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Denn der Angeklagte hat zur Entschuldigung geeignete Tatsachen weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, wie es für eine Wiedereinsetzung erforderlich wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 329 Randziffer 42). Auf den verspäteten Aufruf der Sache kann er sich nicht mit Erfolg berufen. Denn ein verspäteter Beginn der Hauptverhandlung beendet die Pflicht des Angeklagten zur Anwesenheit nicht (vgl. Gössel in L-R, StPO, 25. Aufl., § 329 Randziffer 8). Der Angeklagte hat auch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihm um 11.45 Uhr ein Erscheinen in der Hauptverhandlung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen ist. Vielmehr lässt sich aus seinem Vorbringen nicht einmal entnehmen, dass der verzögerte Beginn der Hauptverhandlung kausal für sein Nichterscheinen gewesen ist, da er nicht behauptet, dass er am 14.01.2005 11.00 Uhr bei Gericht erschienen ist, sondern in seiner Beschwerdebegründung ausdrücklich offen lässt, ob dies der Fall war oder nicht.

2. Die Revision ist entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist allerdings die Revision vorliegend fristgerecht mit dem Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten vom 14.03.2005 begründet worden. Da das angefochtene Urteil vom 14.01.2005 in Abwesenheit des Angeklagten erlassen worden ist, begann gemäß § 341 Abs. 1 StPO mit der am 08.02.2005 erfolgten Zustellung des Urteils nicht bereits die Revisionsbegründungsfrist, sondern die einwöchige Frist zur Einlegung der Revision. Im Anschluss an den Ablauf dieser Frist am 15.02.2005 begann die Begründungsfrist am 16.02.2005 und endete mit Ablauf eines Monats am 16.03.2005. Innerhalb dieser Frist, nämlich am 14.03.2005, ist die Revisionsbegründung beim Landgericht Bielefeld eingegangen. Sie war mithin fristgerecht.

Die Revision erweist sich allerdings auch unter Berücksichtigung der Begründung vom 14.03.2005 als unbegründet. Soweit mit der Revisionsrechtfertigung gerügt wird, das Landgericht habe nur wenige Minuten nach dem Aufruf der Sache die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen, ohne eine angemessene Wartezeit, die in der Regel 15 Minuten betrage, abgewartet zu haben, ist die mit diesem Vorbringen erhobene Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht in der gebotenen Form gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhoben worden, und damit unzulässig. Bei der Erhebung einer Verfahrensrüge muss die Mitteilung der den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau sein, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtsfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 344 Randziffer 24), wobei auch die Tatsachen mitzuteilen sind, aufgrund deren das Revisionsgericht überprüfen kann, ob das Urteil auf dem behaupteten Verstoß beruht (vgl. BGHSt 30, 131 (135), Meyer-Goßner, a.a.O. § 344, Randziffer 27). Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen nicht. Es wird nämlich nicht vorgetragen, welche Umstände einem Verwerfungsurteil entgegengestanden hätten, wenn das Landgericht Bielefeld eine Wartepflicht von 15 Minuten eingehalten hätte. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass der Angeklagte bei Einhaltung einer solchen Wartepflicht noch vor der Urteilsverkündung in der Hauptverhandlung eingetroffen wäre, das Urteil mithin auf dem Verfahrensverstoß beruht.

Die Rüge, das Landgericht habe sich nicht mit allen ihm bekannten Entschuldigungsgründen befasst, greift nicht durch. Der verspätete Beginn der Hauptverhandlung beendet - wie bereits oben dargelegt - die Pflicht des Angeklagten zur Anwesenheit nicht. Die Verzögerung des Verhandlungsbeginns über die festgesetzte Stunde hinaus gibt dem Angeklagten in der Regel auch kein Recht auf Aussetzung, denn eine solche Verzögerung muss, wenn sie sich in vernünftigen Grenzen hält, vom Angeklagten und Verteidiger von vornherein bei der zeitlichen Terminsplanung in Rechnung gestellt werden. In Ausnahmefällen kann jedoch eine durch den verspäteten Beginn verursachte Kollision mit einer unaufschiebbaren anderweitigen Verpflichtung des Verteidigers zur Terminsverlegung verpflichten (vgl. Gollwitzer in L-R, StPO, 25. Aufl., § 228 Randziffer 10).

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass mit der Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung in einer Bußgeldsache um 30 Minuten der Betroffene und sein Verteidiger grundsätzlich zu rechnen haben (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1997, 451; KG, Beschluss vom 28.04.1999 - 2 Ss 55/99 -; 3 Ws (B) 218/99 337 OWi 3153/98 -). Auch bei sorgfältiger Planung lassen sich Verfahrensverzögerungen durch das Gericht nicht vermeiden. Die Hauptverhandlung im Straf- und Ordnungswidrig-keitenverfahren ist durch mannigfaltige Einwirkungsmöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten gekennzeichnet, die erhebliche Zeitverzögerungen zur Folge haben können. Dies erschwert eine Prognose der voraussichtlichen Verfahrensdauer für den Richter sowie vor als auch während der Hauptverhandlung (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Vor der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld wurden am 14.01.2005 Strafsachen verhandelt, die in der Regel umfangreicher sind und eine längere Verfahrensdauer aufweisen, als Bußgeldsachen. Die zeitliche Dauer von Hauptverhandlungen in Strafsachen lässt sich daher regelmäßig weniger konkret abschätzen, als es in Bußgeldsachen der Fall ist. Angesichts dessen hielt sich die hier eingetretene Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung mit einer dreiviertel Stunde durchaus noch in demjenigen Rahmen, mit dem der Angeklagte und sein Verteidiger rechnen mussten und die ihnen auch unter Berücksichtigung der Bedeutung, die die anstehende Berufungshauptverhandlung für den Angeklagten hatte - er war erstinstanzlich immerhin zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, wenn auch mit Strafaussetzung zur Bewährung, verurteilt worden - zumutbar war. Hinzu kommt, dass der Angeklagte und sein Verteidiger für die Hauptverhandlung selbst bereits einen Zeitraum von mehr als einer halben Stunde zu veranschlagen hatten, da ihnen mit der Ladungsverfügung mitgeteilt worden war, dass ein Zeuge erst für 11.15 Uhr geladen worden war. Der Verteidiger des Angeklagten konnte daher nicht davon ausgehen, bereits um 11.30 Uhr andere Termine wahrnehmen zu können. Zudem wird mit der Revisionsbegründung auch nicht näher ausgeführt, dass die von dem Verteidiger anderweitig wahrzunehmenden Termine von besonderer Bedeutung und unaufschiebbar waren.

Entgegen der Ansicht der Revision bestand für das Gericht auch kein Anlass, sich vor Erlass des Verwerfungsurteils zumindest beim Verteidiger bzw. bei seinem Büro telefonisch zu erkundigen, warum weder der Verteidiger noch der Angeklagte erschienen waren. Eine Aufklärungspflicht trifft das Gericht nämlich nur dann, wenn das Gericht Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausbleiben des Angeklagten entschuldigt sein könnte. Diese Voraussetzungen waren hier aber nicht gegeben. Der Angeklagte war zu dem angesetzten Termin um 11.00 Uhr nicht im Sitzungssaal erschienen, sondern lediglich sein Verteidiger. Zudem hatte der Angeklagte vor dem Hauptverhandlungstermin zwei Verlegungsanträge gestellt. Angesichts dieser Umstände ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte zu dem Hauptverhandlungstermin überhaupt nicht erschienen ist, sondern stattdessen den Geschäftstermin, den er als Grund für seine Verlegungsanträge angeführt hatte, wahrgenommen hat. Da durch den Verteidiger des Angeklagten, dem der verzögerte Beginn der Hauptverhandlung bekannt war, kein Vertagungsantrag gestellt worden war, bestand für die Strafkammer auch kein Anlass zu der Annahme, infolge des verspäteten Beginns der Hauptverhandlung sei dem Angeklagten ein Erscheinen nicht möglich oder nicht mehr zumutbar gewesen. Sie musste sich daher zu Aufklärungsmaßnahmen in diese Richtung nicht gedrängt sehen.

Die erhobene Sachrüge vermag der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Da es sich bei einem Verwerfungsurteil gemäß § 329 StPO um ein Prozessurteil handelt, führt die Sachrüge nur zu einer Überprüfung der Frage, ob Verfahrenshindernisse gegeben sind (vgl. BGHST 21, 242; Gössel in L-R, a.a.O, § 329 Randziffer 98). Dies ist indes vorliegend nicht der Fall.

Die Revision erweist sich daher im Ergebnis als unbegründet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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