Aktenzeichen: 2 ws 8/05 OLG
Hamm
Leitsatz: 1. Über einen Antrag der
Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrng
ist im Verfahren nach § 275 a StPO nicht durch Gerichtsbeschluss sondern
durch Urteil zu entscheiden.
2. Einer Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung nach §§ 66 b Abs. 1, 66 Abs. 2 StGB steht nicht
entgegen, wenn mehr als drei Taten vorliegen.
3. Zu den dringenden
Gründen für die Annahme vor, dass gegen den Verurteilten die
nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird.
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: nachträgliche Sicherungsverwahrung;
Gerichtsbeschluss; Urteil; Verfahren; formelle Voraussetzungen; vorläufige
Unterbringung; dringende Gründe
Normen: StGB 66;
StGB 66 b; StPO 275 a
Beschluss: Strafsache
gegen
X.X.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a., (hier:
Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung und Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß
§ 275 a Abs. 5 S. 1 StPO).
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 3. Januar
2005 gegen den Bescluss der 8. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 30.
Dezember 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 01.
2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am
Oberlandesgericht und
den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Gegen den Verurteilten wird die Unterbringung gemäß § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO angeordnet.
Gründe:
I.
Der Verurteilte ist durch Urteil
des Landgerichts Düsseldorf vom 16. Oktober 1981 wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden, nachdem zuvor auf seine
Revision die Verurteilung wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe durch
den Bundesgerichtshof aufgehoben worden war. Der Verurteilung lag zugrunde,
dass er seine damalige erste Ehefrau in Anwesenheit seiner leiblichen Kinder
mit 19 Messerstichen getötet hatte. Von dieser Freiheitsstrafe
verbüßte der Angeklagte neun Jahre und fünf Tage. Im Mai 1988
wurde der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und schließlich im Mai
1991 erlassen.
Durch Urteil der 8. großen Strafkammer als
Jugendschutzkammer des Landgerichts Bochum vom 29. April 2002,
rechtskräftig seit demselben Tage, wurde der Verurteilte im vorliegenden
Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen,
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen und wegen
Beischlafs zwischen Verwandten in drei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die Taten des sexuellen
Missbrauchs von Kindern hatte er ab Anfang 1996 zum Nachteil seiner leiblichen
Tochter aus zweiter Ehe begangen. Zu diesem Zeitpunkt war das Mädchen 7
Jahre alt. Nachdem er zwischen 1996 und 1998 fünf Fälle mit
Manipulationen an der Scheide des Mädchens begangen hatte, führte er
etwa ab dem 9. Lebensjahr des Kindes in fünf weiteren Fällen auch
kurzzeitig einen Finger in die Scheide des Mädchens ein. Die drei Taten
des Beischlafs zwischen Verwandten hatte er im Frühjahr 2000 zu Lasten
seiner zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alten Tochter aus erster Ehe mit deren
Einverständnis begangen.
Wegen der fünf Fälle des schweren
sexuellen Missbrauchs von Kindern wurden Einzelfreiheitsstrafen von jeweils
einem Jahr und sechs Monaten verhängt; die weiteren Einzelstrafen betrugen
fünf Mal acht Monate, einmal sechs Monate und drei Mal drei Monate
Freiheitsstrafe.
Nach vorangegangener Untersuchungshaft seit dem 23. Januar 2002 verbüßt der Verurteilte diese Strafe seit dem 29. April 2002. Im Hinblick auf die Anrechnung von einigen Tagen Strafhaft i.V.m. § 43 StVollzG ist die Entlassung nach vollständiger Verbüßung der Strafhaft für den 13. Januar 2005 vorgesehen.
Die Staatsanwaltschaft Bochum hat mit am 23. November 2004 bei dem Landgericht Bochum eingegangener Antragsschrift vom 18. November 2004 die Durchführung des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung sowie den Erlass eines Unterbringungsbefehls nach § 275 a Abs. 5 StPO gegen den Verurteilten beantragt.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 30. Dezember 2004 hat die
Strafkammer des Landgerichts Bochum die Durchführung des Verfahrens zur
nachträglichen Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der
Sicherungsverwahrung sowie den Antrag auf Erlass eines Unterbringungsbefehls
abgelehnt.
Ihre Ablehnung stützt die Strafkammer darauf, dass bereits
die formellen Anordnungsvoraussetzungen der §§ 66 Abs. 1 Nr. 3, Abs.
2, 66 b Abs. 1 StGB nicht vorliegen. Aufgrund dieses Umstands hat sich die
Strafkammer für berechtigt gesehen, die Ablehnung der Durchführung
des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung der Unterbringung des
Verurteilten in der Sicherungsverwahrung durch Beschluss und nicht durch ein
nach einer Hauptverhandlung zu erlassendes Urteil anzuordnen.
Aus ihrer
Sicht konsequenterweise hat die Strafkammer sodann ohne weitere Prüfung
der sachlichen Voraussetzungen den Erlass eines Unterbringungsbefehls
gemäß § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO abgelehnt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 3. Januar 2005, der das Landgericht Bochum mit Beschluss vom 5. Januar 2005 nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO
statthaft. Bei der angefochtenen Entscheidung handelt es sich - wie sich aus
der systematischen Stellung des § 275 a StPO ergibt - um eine
von dem Gericht im ersten Rechtszug erlassene Entscheidung.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Das Landgericht Bochum
hat durch die angefochtene Entscheidung die Durchführung des Verfahrens
zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zu Unrecht
abgelehnt. Dies lässt sich bereits daraus ableiten, dass die vorliegend
maßgebliche Vorschrift des § 275 a StPO in der Fassung des Art. 2
Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 eine Entscheidung über einen
seitens der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag gemäß § 275 a
Abs. 1 S. 3 StPO durch Gerichtsbeschluss nicht vorsieht.
Zutreffend weist
die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde darauf hin, dass § 275 a Abs. 2
StPO lediglich auf die Vorschriften der §§ 213 bis 275 StPO
(Vorbereitung und Durchführung der Hauptverhandlung), nicht aber auch auf
die §§ 198 bis 212 b StPO (Entscheidung über die Eröffnung
des Hauptverfahrens) hinweist.
Ergänzend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend dazu Folgendes ausgeführt:
Aus der systematischen Stellung der Vorschrift des §
275 a StPO im 7. Abschnitt des 2. Buches der StPO ergibt sich vielmehr,
dass der Gesetzgeber das Verfahren - auch soweit es die nachträgliche
Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 b StGB betrifft - vielmehr
als einen Teil des Verfahrens des ersten Rechtszug in Form eines sog.
Nachverfahrens ausgestaltet wissen wollte (BT-Drs. 15/2887 vom
02.04.2004 S. 15; zu vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 275
a StPO Rdnr. 1 a).
Für einen über die Zulassung des Verfahrens
befindenden Beschluss entsprechend der Vorschriften der §§ 203, 207
StPO ist hiernach, da es angesichts dieser gesetzlichen Verfahrensausgestaltung
einer erneuten Eröffnung des Verfahrens nicht bedarf, kein Raum.
Aus der Gesetzesbegründung zu § 275 a StPO ergibt sich in diesem Zusammenhang auch kein Anhalt für die durch das Landgericht Bochum in dem Nichtabhilfebeschluss vom 05.01.2005 vertretene Auffassung, dass der Gesetzgeber den Fall der Ablehnung einer Durchführung des Verfahrens aus formellen Gründen bislang nicht geregelt habe.
In der Begründung zu § 275 a StPO in der Fassung des
Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 heißt es insoweit vielmehr wie folgt:
... § 275 a StPO wurde durch Gesetz vom 21. August 2002
eingefügt und regelt das bisherige Verfahren, in dem das erkennende
Gericht im Falle des § 66 a StGB bzw. des § 106 Abs. 3 JGG in
einem zweiten Teil des Erkenntnisverfahrens über den Vorbehalt der
Anordnung einer Sicherungsverwahrung entscheidet. Dieses Verfahren soll
für die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung unverändert
beibehalten werden.
Durch die Neufassung wird diese Regelung auf die
Fälle des § 66 b StGB und des § 106 Abs. 5 und 6 JGG erweitert.
Auch bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung muss
angesichts der Bedeutung dieser Entscheidung für den Verurteilten und das
Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit in einem transparenten Verfahren eine
Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung nach
der früheren Verurteilung erfolgen. Diese Gesamtwürdigung kann am
besten im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung durch das Gericht erfolgen,
das sich bereits früher als Tatgericht mit dem Verurteilten und seiner Tat
auseinandergesetzt hat und vor diesem Hintergrund seine weitere Entwicklung
einschätzen kann. ... (vgl. BT-Drs. 15/2887 a.a.O.).
Ungeachtet der sich in der Anwendung möglicherweise ergebenden praktischen Probleme, wird dadurch, dass die Gesetzesbegründung zur Verfahrensausgestaltung nicht nur auf die Belange des Verurteilten, sondern auch auf die durch § 66 b StGB berührten Interessen der Allgemeinheit abstellt, klargestellt, dass eine aufgrund eines Antrages der Staatsanwaltschaft gem. § 275 a StPO zu treffende Gerichtsentscheidung nach dem Willen des Gesetzgebers durch Urteil zu erfolgen hat, mithin auch die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ablehnende Entscheidung der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen soll.
Dass ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft als Verfahrensvoraussetzung genügen soll, ergibt sich auch aus der weiteren Begründung:
.... Während im Falle einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung eine weitere gerichtliche Entscheidung über diesen Vorbehalt in jedem Fall erfolgen muss, findet ein gerichtliches Verfahren über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nur dann statt, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt. ... (BT-Drs. 15/2887 S. 16).
Diese Verfahrensgestaltung seitens des Gesetzgebers ist auch in der weiteren Beratung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.07.2004 nicht beanstandet worden. Vielmehr heißt es auch in dem Bericht zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 16.06.2004, dass das Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft durch Urteil entscheide, was auch zu einer rechtskräftigen Ablehnung des Antrages mit der Folge, dass dieser nicht wiederholt gestellt werden könne, führen könne (BT-Drs. 15/3346 S. 18). Der Intention des Gesetzgebers, eine der Rechtskraft fähige und damit der Rechtssicherheit dienende Entscheidung herbei führen zu wollen, läuft die durch die Strafkammer getroffene Entscheidung insoweit zuwider, als dass gegen diese letztendlich nur das unbefristete Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 304 StPO gegeben sein würde.
III.
Da das Verfahren zur nachträglichen Anordnung der
Sicherungsverwahrung demnach in Form einer Hauptverhandlung durchzuführen
ist, kann der angefochtene Beschluss auch insoweit keinen Bestand haben, als
die Strafkammer den Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß §
275 a Abs. 5 StPO abgelehnt hat.
Entsprechend dem Antrag der
Staatsanwaltschaft, dem die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, war ein
Unterbringungsbefehl gemäß § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO zu
erlassen.
Sämtliche Voraussetzungen liegen insoweit vor.
1. Die Strafkammer hat in dem angefochtenen Beschluss das
Vorliegen der formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB i.V.m.
§ 66 Abs. 2 StGB zu Unrecht verneint.
Einer Anordnung der
Sicherungsverwahrung aufgrund der genannten Vorschriften steht nicht entgegen,
dass die Strafkammer die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
aus insgesamt 14 Einzelstrafen gebildet hat. Das Vorliegen von drei Taten
i.S.d. § 66 Abs. 2 StGB stellt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs vielmehr nur eine Mindestvoraussetzung für die
Anordnung der Sicherungsverwahrung dar. Der Verurteilung des Täters
können auch mehr als drei Taten zugrunde liegen, sofern zumindest wegen
dreier dieser Taten jeweils eine Einzelstrafe von mindestens einem Jahr
ausgesprochen wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2002 in 3 StR 12/02 =
NStZ 2002, 536 ff.). Nach dieser Rechtsprechung kommt es auf das Gesamtgewicht
des kriminellen Verhaltens des Täters an, das zur Verhängung einer
Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt hat, wobei es
andererseits nicht darauf ankommt, dass bereits allein die mindestens drei
Einzelstrafen von mindestens einem Jahr zur Bildung einer hypothetischen
Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren führen würden.
2. Im Übrigen hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO zutreffend Folgendes ausgeführt:
Es liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass gegen den Verurteilten die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Gemäß § 66 b StGB kann eine Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet werden, wenn während des Strafvollzuges neue Tatsachen hervortreten, die die nachträgliche Gefährlichkeit des Verurteilten in einem neuen Licht erscheinen lassen. Tatsachen, die bis zum Schluss der tatrichterlichen Hauptverhandlung für das Gericht bekannt oder erkennbar waren, scheiden demgegenüber aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 21.09.2004 - 1 Ws 561/04 -, abgedruckt in StV 2004, 665 ff.). Zwar waren die Umstände, die die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Schwerte unter Bezugnahme auf die psychologischen Stellungnahmen vom 19.11.2002 und 28.05.2004 nunmehr zur Begründung der besonderen Gefährlichkeit des Verurteilten heranzieht, teilweise - soweit es die Tötung der ersten Ehefrau des Verurteilten durch diesen betrifft - bereits bei Schluss der Hauptverhandlung am 29.04.2002 bekannt. Auch vermag eine bloße Verweigerung des Verurteilten gegenüber Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen während des Strafvollzuges die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht zu begründen. (OLG Koblenz, a.a.O.). Neue Tatsachen im Sinne des § 66 StGB stellen indes die während der Haftzeit diagnostizierten psychischen Normabweichungen dar, welche ein erhöhtes Rückfallrisiko begründen (zu vgl. OLG Koblenz, a.a.O.). Bei Abschluss der Beweisaufnahme war der Strafkammer der nunmehr durch die mit dem Verurteilten befassten Psychologen der Justizvollzugsanstalten Schwerte und Hagen aufgezeigte, in der Persönlichkeit des Verurteilten liegende Zusammenhang zwischen dem Tötungsdelikt zum Nachteil der ersten Ehefrau des Verurteilten XXXX am 30.04.1979 sowie den vorliegend abgeurteilten Taten nicht bekannt.
Eine verfestigte Neigung, auf beziehungs- bzw. partnerschaftliche Probleme mit der Begehung von Straftaten zum Nachteil des jeweiligen Partners zu reagieren, stellt sich grundsätzlich auch als eine die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen vermögende Persönlichkeitsstörung dar (zu vgl. BGH Urteil vom 12.12.2002 - 4 StR 343/02 - unveröffentlicht).
Die Dipl.-Psychologin G. hat in ihrem Vermerk vom 19.11.2002 im Rahmen des Einweisungsverfahrens in der Justizvollzugsanstalt Hagen unter anderem dargelegt, dass es sich bei dem Verurteilten um eine nach Dominanz strebende, narzisstische Persönlichkeit handele, die ihre eigenen Bedürfnisse rücksichtslos befriedige und sich für subjektiv erlebte Benachteiligungen und Zurücksetzungen räche. In einem Explorationsgespräch zu seiner ersten Ehe habe der Verurteilte Angaben gemacht habe, die in teils erstaunlicher, teils erschreckender Weise mit denen zu seiner zweiten Ehe übereinstimmten. Die Angaben zu den Entwicklungen der Schwierigkeiten in beiden Ehen seien geradezu identisch, ohne dass er dabei einen Bezug zu seiner eigenen Persönlichkeit als wesentlichen Teil dieser Schwierigkeiten herstellen könne. Während er in der ersten Ehe wohl vorrangig mit affektbestimmten verbalen und körperlichen aggressiven Durchbrüchen reagiert habe, habe er in seiner zweiten Ehe vorrangig auf der sexuellen Ebene reagiert und wohl in weit geringerem Maße auf der verbal und körperlich aggressiven. Die sexuellen Übergriffe auf seine Stieftochter und schließlich die sexuellen Kontakte zu seiner erwachsenen leiblichen Tochter hätten für ihn einen über den unmittelbar entlastenden Effekt auch den positiven Effekt der sexuellen Befriedigung neben der Bestrafung und Erniedrigung der Ehefrau gehabt. Dieser für den Verurteilten positive Effekt sei in dem Explorationsgespräch unter anderem auf Grund der positiven Gestimmtheit des Verurteilten erkennbar gewesen. Hierdurch sei der Eindruck entstanden, dass der Verurteilte in diesem Bereich seiner strafbaren Aktivitäten eine positive Erfahrung gemacht habe, die kaum durch die Erfahrung einer erneuten Inhaftierung aufgehoben werden könne. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Schwerpunkt der Interessen und Bedürfnisse des Verurteilten nunmehr im Bereich seiner Sexualität liegen könne, wo ohne ausreichende libidinöse Objektbindung eine weitreichende Sexualisierung mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Fehlverhalten stattfinden könne. Der Verurteilte verkenne seine eigenen Problematiken und die in seiner Persönlichkeit liegenden Risikofaktoren, wenn er darstelle, dass er erneut eine Ehe schließen und noch einmal eine Chance im Rahmen einer Ehe haben wolle. Es sei erforderlich, darauf hinzuwirken, dass der Verurteilte durch Teilnahme an einer Sozialtherapie in die Lage versetzt werde, wenigstens einige der in ihm liegenden Risikofaktoren zu erkennen. Andererseits seien weitere massive Straftaten, durch die Menschen seines sozialen Nahbereichs gefährdet seien, sehr naheliegend. Der den Verurteilten behandelnde Psychologe Bolle vom psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt Schwerte hat unter Bezugnahme auf den Vermerk vom 19.11.2002 am 28.05.2004 weitergehend ausgeführt, dass mehrere in den Jahren 2003 und 2004 durchgeführte diagnostische Gespräche weitere inhaltliche Erkenntnisse nicht erbracht hätten. Der Verurteilte sei zu keiner Zeit in der Lage gewesen, die Geschehnisse introspektiv zu hinter fragen bzw. eine eigene emotionale Betroffenheit zu zeigen. Es dominiere eine Bagatellisierung der Geschehnisse, eine Externalisierung, auch Transzendierung der Verantwortung bzw. aucheine ausgesprochene Gleichgültigkeit. Die angebotenen Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen habe der Verurteilte nur vordergründig angenommen. Insgesamt sei eine beharrliche Verweigerung der Mitarbeit an den Behandlungsmaßnahmen festzustellen. Es sei mehrfach beobachtet worden, dass der Verurteilte, wenn er ein Hindernis zu bewältigen gehabt hätte, mit einem Wutausbruch reagiert habe. Die verfügbaren Informationen sprächen für eine strukturell gestörte Persönlichkeit, der in subjektiv erlebter krisenhafter Zuspitzung auch zukünftig keine geeigneten Mittel zur Verfügung stünden, im psychosozialen Umfeld entstandene Konflikte und Probleme erfolgreich zu bearbeiten, sodass es nur eine Frage der Zeit sei, bis eine erneute Straffälligkeit des Verurteilten verzeichnet werden müsse. Zu einer Bearbeitung der komplexen Problematik sei es bislang nicht gekommen, so dass schon deshalb nicht von einer Verringerung des Risikos hinsichtlich einschlägiger Straftaten auszugehen sei. Die Prognosefaktoren führen zu einer sehr ungünstigen Gesamtbeurteilung des Missbrauchsrisikos.
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.
Der angefochtene Beschluss war somit insgesamt aufzuheben.
Der Erlass eines Unterbringungsbefehls ist auch nicht etwa deshalb
ausgeschlossen, weil der Antrag der Staatsanwaltschaft zur Durchführung
des Sicherungsverfahrens nicht rechtzeitig entsprechend § 275 a Abs. 1
StPO gestellt worden ist.
Die Strafkammer wird jedoch nunmehr unter
Berücksichtigung des § 275 a Abs. 4 StPO unter besonderer
Beschleunigung des Verfahrens die Vorbereitung und Durchführung der
Hauptverhandlung vorzunehmen haben.
Nach alledem war wie geschehen zu entscheiden und die Unterbringung des Verurteilten gemäß § 275 a Abs. 5 StPO anzuordnen.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, da das Verfahren noch
nicht beendet ist.
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