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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ws 227/04 OLG Hamm

Leitsatz: Auch für die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung muss der für Haftentscheidungen zuständige Richter stets, ob im Einzelfall überhaupt konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung von Haftzweck oder Ordnung der Anstalt mit sich brächte; der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO nicht aus, um dem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen aufzuerlegen.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Untersuchungshaft, Besuchsüberwachung; akustische Überwachung; Aufhebung

Normen: StPO 119

Beschluss: Strafsache
gegen C.F.
wegen schweren Raubes u.a.,
(hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 15. Juni 2004 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 27. Mai 2004 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 08. 2004 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an den Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:

I.
Die V. große Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 24. Februar 2004 wegen schwerer räuberischer Erpressung, wegen schweren Raubes in zwei Fällen und wegen Raubes in zwei Fällen unter Einbeziehung einer mit Strafbefehl des Amtsgerichts Unna vom 30. Juli 2003 gegen den Angeklagten verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da der Angeklagte das Urteil mit der Revision angefochten hat. Wegen der zugrunde liegenden Tatvorwürfe befindet sich der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Unna vom 14. Oktober 2003 seit dem 23. Oktober 2003 in Untersuchungshaft, deren Fortdauer die Strafkammer mit Beschluss vom 24. Februar 2004 angeordnet hat. Die in der Justizvollzugsanstalt Dortmund vollzogene Untersuchungshaft ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2004 hat der Angeklagte beantragt, die akustische Besuchsüberwachung bei Besuchsterminen aufzuheben. Mit Beschluss vom 27. Mai 2004 hat der Strafkammervorsitzende diesen Antrag zurückgewiesen und die abschlägige Entscheidung wie folgt begründet:

„Besuche von Untersuchungsgefangenen werden grundsätzlich nach Ziffer 27 der Untersuchungshaftvollzugsordnung überwacht. Ausnahmen sind nur im Ausnahmefall durch den Richter zugelassen.

Für einen Ausnahmefall ist nichts dargetan. Sie sind weiterhin erforderlich. Die Tatsache, dass die Hauptverhandlung beendet ist, ändert daran nichts.“

Gegen diese Entscheidung des Strafkammervorsitzenden wendet sich der Angeklagte mit seiner als Beschwerde aufzufassenden Eingabe vom 15. Juni 2004, mit der er „nochmals die Aufhebung der akustischen Überwachung für meine Lebensgefährtin und Kind, das sind die einzigen Besucher,“ beantragt. In seiner Beschwerdeschrift macht der Angeklagte geltend, ein Grund für die akustische Überwachung von Besuchen seiner Lebensgefährtin mit Kind sei nicht ersichtlich, zumal in der Zeit vom 23. Oktober 2003 bis zum 1. April 2004 keinerlei Besuchsüberwachung stattgefunden habe. Im Übrigen habe seine Lebensgefährtin, bei der es sich um seine einzige Bezugsperson handele, mit dem Strafverfahren und den zugrunde liegenden Vorwürfen nichts zu tun. Es bestehe daher auch keine Verdunkelungsgefahr.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat am 22. Juni 2004 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen und seine Nichtabhilfeentscheidung wie folgt begründet:

„Die akustische und optische Überwachung der Besuche von Untersuchungsgefangenen ist der Regelfall. Ausnahmen sind nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gleichbehandlung aller Gefangenen zulässig. Der Wunsch, persönlich nahestehende Personen ohne Kontrolle sprechen zu können, reicht für sich nicht, die grundsätzliche Überwachung aufzuheben. Die Überwachung ist auch nach der Hauptverhandlung erforderlich. Soweit die Überwachung möglicherweise eine Zeitlang nicht durchgeführt wurde, beruhte dies nicht auf einer Entscheidung des zuständigen Untersuchungsrichters bei dem Landgericht.“

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an den Strafkammervorsitzenden zurückzuverweisen.

II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO, Nr. 74 Abs. 1 Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg. Die von dem Strafkammervorsitzenden in dem angefochtenen Beschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung angeführten Gründe rechtfertigen eine akustische Überwachung bei Besuchen der Lebensgefährtin des Angeklagten und ihres Kindes - nur insoweit hat der Angeklagte die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung beantragt - nicht.

1. Gesetzliche Grundlage der Besuchsüberwachung im Vollzug der Untersuchungshaft ist § 119 Abs. 3 StPO i.V.m. Nr. 27 der UVollzO. Gemäß § 119 Abs. 3 StPO dürfen einem Untersuchungsgefangenen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Bei der Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung handelt es sich, wie auch die in § 27 Abs. 1 StVollzG vorgenommene Differenzierung zwischen der akustischen Überwachung und anderen Formen der Besuchsüberwachung zeigt, um einen erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers (BVerfG NStZ 1994, 52). § 119 Abs. 3 StPO stellt sich damit als grundrechtseinschränkende Gesetzesbestimmung dar, bei deren Auslegung der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht (rechtskräftig) verurteilt worden ist und deshalb nur unvermeidlichen Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden darf (BVerfGE 42, 95, 100; NStZ 1994, 52). Diese Grundsätze gelten auch für die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung. Der für Haftentscheidungen zuständige Richter hat daher stets zu prüfen, ob im Einzelfall überhaupt konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung von Haftzweck oder Ordnung der Anstalt mit sich brächte; der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO dagegen nicht aus, um dem Untersuchungsgefangenen Beschränkungen aufzuerlegen (BVerfG NStZ 1994, 52; 1996, 613 = NStZ-RR 1997, 7; OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 2. Juni 2004 - 1 Ws 254/04 -; Beschlüsse vom 17. Dezember 2003 - 2 Ws 319/03 -; 10. September 2002 - 3 Ws 466/02 -, 26. April 2001 - 5 Ws 174/01 -; 24. Februar 1998 - 3 Ws 579/97 -; StV 1997, 258 = MDR 1997, 283; OLG Düsseldorf JMBl. NRW 2003, 71 = NStZ-RR 2003, 126; KG Berlin, Beschlüsse vom 18. Juni 1999 - 5 Ws 377/99 -;23. Dezember 1997 - 4 Ws 253/97 - und vom 8. Dezember 1993 - 5 Ws 216/93 -).

Dass eine Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung die Ordnung der Anstalt gefährden würde, ist in der angefochtenen Entscheidung weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der Strafkammervorsitzende hat in seiner knapp und lediglich formelhaft begründeten abschlägigen Entscheidung auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass akustisch nicht überwachte Besuche der Lebensgefährtin des Angeklagten und ihres Kindes den Zweck der Untersuchungshaft gefährden würden. Die Untersuchungshaft soll die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens sichern (vgl. KK-Boujong, StPO, 5. Aufl., vor § 112 Rdnr. 10 m.w.N.). Dieser Zweck kann sowohl durch die Flucht des Beschuldigten als auch durch Einwirkungen auf Beweismittel (Verdunkelungshandlungen) gefährdet werden. Dementsprechend sieht § 112 Abs. 2 StPO als Haftgründe die Fluchtgefahr und die Verdunkelungsgefahr vor. Der angefochtenen Entscheidung und den dem Senat übersandten Sonderheften lassen sich weder konkrete Hinweise darauf entnehmen, dass bei einem akustisch nicht überwachten Besuch der Lebensgefährtin des Angeklagten und ihres Kindes Fluchtpläne erörtert oder sonstige fluchtvorbereitende Maßnahmen getroffen werden könnten, noch finden sich darin Anhaltspunkte für drohende Verdunkelungshandlungen, an denen die Besucher beteiligt sind. Das Vorbringen des Angeklagten in seiner Beschwerdeschrift, seine Lebensgefährtin habe mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren nichts zu tun, wird auch durch die schriftlichen Urteilsgründe des Landgerichts Dortmund gestützt, in denen die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Erwähnung findet.

Da das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss wie auch in dem Nichtabhilfebeschluss auf die gesetzlichen Voraussetzungen des § 119 Abs. 3 StPO, wie sie sich bei einer den Grundrechten in gebotener Weise Rechnung tragenden Auslegung dieser Vorschrift darstellen, nicht näher eingegangen ist, und auch nach dem Inhalt der dem Senat übersandten Sonderhefte nicht festgestellt werden kann, dass eine akustische Überwachung der Besuche der Lebensgefährtin des Angeklagten und ihres Kindes gerechtfertigt ist, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

2. Der Senat sieht sich allerdings gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar ist gemäß § 309 Abs. 2 StPO die eigene Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht die Regel. Von dieser Regelung sind jedoch Ausnahmen anerkannt, so beispielsweise, wenn der Vorderrichter seine Entscheidung entgegen § 34 StPO nicht begründet oder wegen fehlerhafter Annahme der Unzulässigkeit des von ihm beschiedenen Antrags keine sachliche Entscheidung getroffen hat (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 309 Rdnr. 7 ff.). Eine vergleichbare Konstellation ist auch vorliegend gegeben, denn die angefochtene Entscheidung enthält, wie ausgeführt, keine nähere Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung einer akustischen Besuchsüberwachung. Während der Senat den vorliegenden Fall nur nach Aktenlage beurteilen kann, wird die Strafkammer einen weitaus umfassenderen Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten, seinen Lebensumständen und der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin gewonnen haben. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer im Verlaufe des Hauptverfahrens Hinweise auf konkrete Fluchtpläne des Angeklagten erhalten oder Anhaltspunkte für Verdunkelungshandlungen des Angeklagten und eine Einbindung seiner Lebensgefährtin in derartige, den Zweck der Untersuchungshaft gefährdende Verhaltensweisen des Angeklagten gefunden hat, ohne dass diese Erkenntnisse bislang aktenmäßig dokumentiert worden sind.

Die Sache war daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an den Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Dieser wird in seiner neuen Entscheidung auch zu würdigen haben, dass der Angeklagte nach seinem Beschwerdevorbringen lediglich Besuche von seiner Lebensgefährtin, die der Angeklagte als seine einzige Bezugsperson bezeichnet, und ihrem Kind erhält und er nur insoweit eine Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung begehrt. Zwar dürfte die Lebensgefährtin nicht zu dem Personenkreis gehören, der den besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie besonders schützt, genießt. Bei Ehegatten und Familienangehörigen bedarf es im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine Besuchsbeschränkung, wie sie die akustische Besuchsüberwachung darstellt, unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Ordnung in der Vollzugsanstalt gefordert wird (vgl. BVerfG NStZ 1994, 52). Allerdings wird im vorliegenden Fall zu prüfen sein, ob das nicht dem unmittelbaren Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterstellte Verhältnis des Angeklagten zu der als seine Lebensgefährtin bezeichneten Frau und Besucherin derart eng ist, dass es jedenfalls im Rahmen des durch Art 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheitsrechts eine besondere Würdigung unter den Gesichtspunkten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zugunsten des Angeklagten verlangt (vgl. BVerfG a.a.O.).


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